Protokoll der Sitzung vom 16.12.2005

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt ja noch einen anderen Bundesminister, ähnlich gewichtig und ähnlich lautstark, das ist Herr Gabriel. Er hat in diesen Tagen etwas weiter von hier entfernt, in Montreal, für die Position des Klimaschutzes gestritten. Auch hier gibt es eine enge Verknüpfung mit dem heutigen Thema. Wir wissen alle, wie schwierig Klimaschutz ist, wenn es konkret wird. Wir wissen, dass der Verkehr, gerade der Individualverkehr, ein ganz entscheidendes Problem für den Klimawandel ist. Hier liegt letztendlich der Link zum Thema heute. Jeder Euro, der weniger in Regionalisierungsmittel gesteckt wird und gleichzeitig womöglich mehr in Straßenbaumittel, ist ein

Tritt ins Kreuz von Sigmar Gabriel und letztendlich auch für die Bundeskanzlerin bei ihren Bemühungen, international für mehr Klimaschutz zu werben. Insofern hat auch dieses Thema viel mit unseren Verpflichtungen zu tun, Herr Austermann. Ich würde mir wünschen, dass Sie an der Stelle Ihren Reden und Ihren Worten von eben auch Taten folgen lassen.

Ich möchte nicht verhehlen, dass ich ein bisschen skeptisch bin, inwieweit Ihnen das gelingen wird. Denn wir haben auch Herrn Carstensen erlebt, der in den vergangenen Tagen beim Thema Beamtenbesoldung markige Worte gewählt hat, große Ankündigungen gemacht hat und letztendlich gestern klein mit Hut war. Wir haben erlebt und heute in den „Lübecker Nachrichten“ lesen dürfen: „Föderalismusreform: Carstensen knickt ein“.

Er hat offensichtlich hier den Mund zu voll genommen, er hat sich nicht durchsetzen können, er hat sein Gewicht und seine gute Laune an dieser Stelle nicht für reale, gute Politik für Schleswig-Holstein einsetzen können. Das ist beschämend und traurig. Herr Minister Austermann, ich hoffe, dass Sie stärker und durchschlagskräftiger als Ihr Ministerpräsident sind. - Herzlich willkommen, Herr Carstensen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Müller.

Ich begrüße auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der Realschule Bordesholm mit ihren Lehrkräften und eine Gruppe der Dittchenbühne Elmshorn mit einem Sprachkurs für Spätaussiedler. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Johannes Callsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, nach meinem semantischen Empfinden bedeutet „erforderlich“ durchaus mehr als „ausreichend“. Ich glaube, in dem Sinne sollten Sie das auch entsprechend anerkennen.

Was Ihre Rolle an der Regierungsbeteiligung in Schleswig-Holstein, Ihre Durchschlagskraft gegenüber der damaligen von Ihnen mit gestellten Bundesregierung angeht, darüber dürfen wir an anderer Stelle gern noch einmal diskutieren. Darüber können wir gern noch einmal sprechen.

(Klaus Müller)

(Beifall bei der CDU - Zurufe der Abgeord- neten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, die vom Bund bereitgestellten Mittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sind für Schleswig-Holstein ein wichtiges Instrument der Regionalförderung, gerade für die strukturschwachen Regionen. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, dass eine Beibehaltung der Gemeinschaftsaufgabe unter finanzieller Beteiligung des Bundes vorgesehen ist, besonders nach den Diskussionen um die GA-Förderung der letzten Jahre, zu begrüßen. Denn dies ist ein Bekenntnis zu den bisherigen Erfolgen und der Effektivität der GA-Förderung in den strukturschwachen Regionen.

(Beifall des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

Gerade deswegen ist es notwendig, dass SchleswigHolstein auch in der Zukunft von diesen wichtigen Mitteln profitiert und dieser Aspekt bei der künftigen Schneidung der Gebietskulisse und der Mittelzuweisung entsprechend berücksichtigt wird.

Es ist ein gutes Signal für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein, dass das Bundeswirtschaftsministerium auf der Wirtschaftsministerkonferenz klargestellt hat, dass die Vergabe der Fördermittel zwischen Ost- und Westdeutschland in bisherigem Verhältnis erhalten bleibt. Damit würde SchleswigHolstein weiter eine anteilige Förderung erhalten. Ich danke unserem Wirtschaftsminister Dietrich Austermann, dass er dieses Thema frühzeitig und erfolgreich auf die Tagesordnung der Konferenz und der politischen Agenda gesetzt hat.

(Vereinzelter Beifall im ganzen Haus)

Durch die beabsichtigte Einsparung bei den Regionalisierungsmitteln für den ÖPNV würde Schleswig-Holstein allein im kommenden Jahr rund 11 Millionen € an Mitteln verlieren, in den Folgejahren bis zu 35 Millionen €. Diese Reduzierung der Regionalisierungsmittel, bei denen es sich um zweckgebundene Finanzzuweisungen des Bundes an die Länder zur Erfüllung der mit der Bahnreform übertragenen Aufgaben handelt - und eben nicht um reine Subventionen –, könnte in Schleswig-Holstein zur Überprüfung von Verkehrsleistungen oder zur Streckung von Investitionen führen.

Daher bestärken wir die Landesregierung - und auch hier hat die Wirtschaftsministerkonferenz für

uns positive Signale gesetzt - darin, auf Bundesebene sowohl für den Erhalt der Gemeinschaftsaufgabe auch für die strukturschwachen Regionen als auch für die weitere Bereitstellung der erforderlichen Regionalisierungsmittel einzutreten. Denn beides würde den Kurs unterstützen, den sich sowohl die Landesregierung wie auch die neue Bundesregierung gesteckt haben: Vorfahrt für Arbeit und Beschäftigung.

Dass wir in Schleswig-Holstein diesen Kurs fortsetzen können und dafür Unterstützung aus Berlin bekommen, dafür sprechen eine ganze Reihe von Festlegungen im Koalitionsvertrag in Berlin, die auch für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein von besonderer Bedeutung sind. Hierzu gehören die Senkung der Lohnzusatzkosten durch die Reduzierung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung, der Einstieg in eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsrechts sowie neue Förderinstrumente für Existenzgründer. Die Mittel für Forschung und Entwicklung sollen auf Bundesebene in den kommenden Jahren wieder ansteigen. Auch dies bietet Schleswig-Holstein die Chance, Profil als innovativer Standort zu gewinnen.

Nicht nur zwischen Nordsee und Ostsee steht der Mittelstand im Zentrum der Wirtschaftspolitik, auch die neue Bundesregierung wird eine Mittelstandsoffensive auf den Weg bringen, etwa durch die Freistellung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer bei Übernahme eines Betriebes, verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen oder ein neues Unternehmensteuerrecht, mit dem Kapital- und Personengesellschaften weitgehend gleichgestellt werden. Die Bedingungen für die Finanzierung von Unternehmen und die Bereitstellung von Wagniskapital sollen verbessert werden.

Deregulierung, Aufgabenabbau und die Entlastung der Wirtschaft von Bürokratiekosten sind unverzichtbare Bausteine, damit sich unternehmerisches Handeln entfalten kann, Arbeitsplätze neu entstehen und Deutschland als Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb attraktiver wird.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Die neue Bundesregierung wird als Sofortmaßnahme durch ein Artikelgesetz Unternehmen von besonders wachstumshemmenden Überregulierungen befreien und damit insbesondere dem Mittelstand und den Existenzgründern bürokratische Lasten abnehmen. Auch die Föderalismusreform bietet für uns Möglichkeiten der Deregulierung im Wirtschaftsrecht, von denen auch die Unternehmen in

(Johannes Callsen)

Schleswig-Holstein profitieren werden. Außerdem soll das angepackt werden, was wir gerade in der letzten Landtagstagung gefordert haben, nämlich ein Planungsbeschleunigungsgesetz für die Vereinfachung und Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsprozesse bei Infrastrukturvorhaben, damit wir unsere Infrastruktur im Lande schneller und zügiger verbessern können.

Daher ist es auch zu begrüßen, dass die neue Bundesregierung die Mittel für Verkehrsinvestitionen erhöhen will: ein gutes Signal für die FehmarnbeltQuerung, die A 20 oder den Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und SPD)

Wir werden die Reformschritte der Bundesregierung aktiv unterstützen und erwarten von deren Umsetzung bessere Rahmenbedingungen für die Unternehmen in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Callsen. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Bernd Schröder.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Müller, es geht hier nicht um Wortklauberei, um „erforderlich“ oder „ausreichend“. Ihnen geht es um einen weiteren Schritt. Sie wollen uns vorführen. Sie wollen mit Blick und Zeigefinder auf Berlin weisen und sagen: Das ist in der großen Koalition in Berlin falsch gelaufen. Das unterstützen wir nicht. Das ist nicht der richtige Weg. Sie wollen dann im dritten Abschnitt Ihres Antrags auch noch so tun, als ob wir in SchleswigHolstein beim ÖPNV und SPNV nicht genug getan hätten oder für die Zukunft nicht genug tun würden. Genau das ist nicht der Fall. In Schleswig-Holstein haben wir im Bereich des ÖPNV und im Bereich des SPNV mit Wettbewerb eine Erfolgsstory geschrieben, alle gemeinsam.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Das ist unbestritten. Es gibt andere Bundesländer, die stolz wären, wenn sie auch nur annähernd so weit wären. Schleswig-Holstein als Flächenland ist angewiesen auf den SPNV und mehr noch auf den ÖPNV. Viele Menschen können nur so mobil sein. Wenn es jetzt in den Koalitionsverhandlungen heißt, es solle Einsparungen bei den Regionalisie

rungsmitteln geben, dann ist vollkommen klar, dass wir in der Situation, in der wir uns in SchleswigHolstein als Flächenland befinden, etwas dagegen tun müssen, im Interesse der betroffenen Menschen gerade in der Fläche. Das ist im Hamburger Umland nicht der Fall, das ist in Kiel oder Lübeck auch nicht der Fall. Aber es ist in der Fläche der Fall. Wir würden ein Stück Daseinsvorsorge aufgeben, wofür wir stehen, wofür unsere Verfassung steht. Das kann nicht der Ansatz sein. Deshalb kämpfen wir an der Seite des Ministers. Die Kürzung können wir so nicht hinnehmen. Weil wir in diesem Lande den Wettbewerb schon eingeführt haben, werden wir nicht mit weiteren Kürzungen bestehen können. Das geht einfach nicht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herr Minister, Sie haben uns an Ihrer Seite. Wir werden die 12 Millionen bis 35 Millionen oder 38 Millionen € in den nächsten Jahren einfach nicht kompensieren, nicht auffangen können. Wir würden in der Folge ganze Bereiche des Landes aus der Busversorgung nehmen müssen. Das ist nicht möglich. Das ist nicht machbar und nicht hinnehmbar. Das würde auch das, was wir bisher gemeinsam erreicht haben, absolut infrage stellen.

Deshalb: keine Wortklauberei. Deshalb die Aussage: Wir wollen uns gegen diese Kürzung verwahren. Deshalb die Aussage: im erforderlichen Maße damit die Menschen in der Region die gute Versorgung behalten.

Wir wollen auch in den nächsten Jahren den Bereich der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur aufgreifen, so wie der Minister das hier aufgezeigt hat. Ich gratuliere ihm im Namen meiner Fraktion, dass es ihm gelungen ist, nicht erst nach der Debatte, sondern schon ein Stück vorher die anderen Verkehrsminister zu überzeugen, dass es sehr wichtig ist, auch in Zukunft in den alten Bundesländern diese Förderung aufrechtzuerhalten.

Es ist von 1,7 Milliarden € insgesamt an Fördermitteln ohnehin schon eine Einsparung bis auf 700 Millionen € vorgenommen worden. Es hat eine Förderung im Verhältnis 6:1 Ost zu West gegeben. Es muss weiterhin eine gesamtdeutsche Förderung geben, weil wir - das wissen Sie alle in diesen hohen Hause - in den vergangenen Jahren gerade in den strukturschwachen Bereichen in SchleswigHolstein davon maßgebliche Projekte auf den Weg gebracht haben, die sonst überhaupt nicht möglich wären.

Herr Minister, Sie haben uns an Ihrer Seite. Wir hoffen, dass die Verhandlungen in Berlin erfolg

(Johannes Callsen)

reich laufen. Vielen Dank für Ihren Einsatz! Ich gehe davon aus, dass die große Mehrheit im Haus diese Unterstützung heute zum Ausdruck bringt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Schröder. Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Minister Austermann, ich weiß gar nicht, ob Sie so viel Gedränge um sich herum überhaupt ertragen. Denn auch die FDP-Fraktion haben Sie in dieser Frage selbstverständlich voll und ganz an Ihrer Seite, wenn an dieser Seite noch Platz ist.

Vor kurzem warnten Sie in einer gemeinsamen Sitzung des Wirtschafts- und des Finanzausschusses davor, dass die Bundesregierung plane, die Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr zu kürzen und die Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur auf Ostdeutschland zu konzentrieren. Das haben Sie für falsch gehalten. Das halten wir nach wie vor für falsch.

Zunächst zur Gemeinschaftsaufgabe. Mit ihr soll strukturschwachen Regionen in Deutschland geholfen werden. Die gibt es bedauerlicherweise nicht nur in Ostdeutschland. Ein Teil des Kapitals, das jährlich von West- nach Ostdeutschland transferiert wird - es sind ungefähr 80 Milliarden € –, wird auch in den strukturschwächeren Regionen Westdeutschlands verwirtschaftet. Solange die Gemeinschaftsaufgabe eine gemeinschaftliche Aufgabe von Bund und allen Bundesländern ist, halten wir es für richtig, dass die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur in den Regionen aller Bundesländer gefördert wird, die die vereinbarten Kriterien für Strukturschwäche erfüllen, also auch in SchleswigHolstein. Offensichtlich ist das, wenn man sowohl Ihren Aussagen Glauben schenken darf als auch der Presseerklärung des Kollegen Callsen, mittlerweile bis zur Bundesregierung vorgedrungen.