Protokoll der Sitzung vom 16.12.2005

Zunächst zur Gemeinschaftsaufgabe. Mit ihr soll strukturschwachen Regionen in Deutschland geholfen werden. Die gibt es bedauerlicherweise nicht nur in Ostdeutschland. Ein Teil des Kapitals, das jährlich von West- nach Ostdeutschland transferiert wird - es sind ungefähr 80 Milliarden € –, wird auch in den strukturschwächeren Regionen Westdeutschlands verwirtschaftet. Solange die Gemeinschaftsaufgabe eine gemeinschaftliche Aufgabe von Bund und allen Bundesländern ist, halten wir es für richtig, dass die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur in den Regionen aller Bundesländer gefördert wird, die die vereinbarten Kriterien für Strukturschwäche erfüllen, also auch in SchleswigHolstein. Offensichtlich ist das, wenn man sowohl Ihren Aussagen Glauben schenken darf als auch der Presseerklärung des Kollegen Callsen, mittlerweile bis zur Bundesregierung vorgedrungen.

Jetzt zu den Regionalisierungsmitteln. Der öffentliche Personennahverkehr spielt in Schleswig-Holstein eine ganz herausragende Rolle. Wir halten es für eine öffentliche Aufgabe, für ein ausreichendes ÖPNV-Angebot zu sorgen, ganz besonders beim Schienenpersonennahverkehr. Denn dieser ist we

gen der hohen Fixkosten rein privatwirtschaftlich nicht kostendeckend und folglich auch nicht gewinnbringend zu betreiben. Trotzdem ist Wettbewerb im SPNV vorteilhaft. Denn er sorgt dafür, dass die Kosten minimiert werden und der Service für die Reisenden optimiert wird.

Für ein ausreichendes Angebot zu sorgen, bedeutet noch lange nicht, dass die öffentliche Hand dies selber anbieten muss. Sie kann ein entsprechendes Angebot einkaufen. Davon haben wir in SchleswigHolstein in der Vergangenheit regen Gebrauch gemacht, mit allen Erfolgen, die wir bislang dabei hatten. Beim regionalen Wettbewerb auf der Schiene sind wir in der Tat bislang bundesweit Vorreiter. Herr Minister Austermann, ich hoffe, dass wir weiterhin bundesweit Vorreiter bleiben.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Hierzu dienen die Regionalisierungsmittel. Deshalb halten wir sie nicht für wettbewerbsverzerrende und folglich auch nicht für wachstumsschädliche Subventionen, die zügig abgebaut werden müssten. Im Gegenteil: Die Regionalisierungsmittel befähigen uns gerade, den wachstumsfördernden Wettbewerb in Gang zu bringen und zu erhalten. Wie man in der Vergangenheit gesehen hat: mit Erfolg. Deshalb setzen wir auf noch stärkeren Wettbewerb im ÖPNV und im SPNV. Denn die Erfahrungen aus unserem eigenen Land zeigen, dass Wettbewerb im Personennahverkehr gleichzeitig die Qualität der Verbindung heben und die Preise senken kann. Die Züge fahren häufiger, oft pünktlicher und preiswerter, als wenn der SPNV von einem staatseigenen Monopolunternehmen betrieben wird.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt beim SSW)

Genau diesen Erfolg für die Kunden des SPNV wollen wir. Dadurch wird der Wettbewerb im SPNV zur sichersten Methode, Individualverkehr vom Auto in den Regionalzug zu lenken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Erfolg würde stark gefährdet, wenn die Regionalisierungsmittel drastisch sinken. Das wollen wir nicht. Angesichts der Haushaltsdebatte gestern müssen wir uns gar nichts vormachen: Würden sie sinken, wäre Schleswig-Holstein niemals in der Lage, diesen Ausfall zu kompensieren.

(Beifall des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir halten im Übrigen den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Regionalisierungsmitteln

(Bernd Schröder)

für den klarsten und präzisesten Antrag. Da gibt es kein Wenn und kein Aber. Deswegen findet dieser Antrag unsere Unterstützung.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Dass die große Koalition in Berlin mit ihrem Vorschlag, die Regionalisierungsmittel bis 2009 um 15 % abzuschmelzen, bei den Ländern nicht auf Gegenliebe stößt, ist klar. Derzeit beläuft sich die gesamte Summe der Regionalisierungsmittel auf rund 7 Milliarden €. Diese Mittel werden von den Ländern in der Regel an die regionalen und kommunalen Verkehrsbetriebe weitergeleitet. Eine Einsparung von 15 % der schleswig-holsteinischen Mittel bis 2009 würde einen Verlust von rund 93 Millionen € für uns bedeuten. Diesen Verlust abzufangen, ist bei der derzeitigen Haushaltslage schier unmöglich. Da Schleswig-Holstein nicht allein in solch einer Finanzmisere steckt, ist die Verärgerung bei den Ländern auch entsprechend. Der Minister sagte ja gerade, dass sich alle 16 Länder in dieser Frage einig sind.

Laut einem „Spiegel“-Artikel müssen sich die Bayern jedoch eine kleine Kritik gefallen lassen; denn sie leiten einen großen Teil der Regionalisierungsmittel nicht an regionale Verkehrsbetriebe weiter. Daher stellt sich, wenn man schon dieses Thema anpackt, die Frage, ob man nicht einmal über eine Zweckbindung dieser Mittel nachdenken müsste, damit man weiß, wie diese Mittel ausgegeben werden. Ich glaube, das würde automatisch zu mehr Wettbewerb auch in anderen Regionen unserer Republik führen.

Die Einsparung bei den Regionalisierungsmitteln hätte bundesweit erhebliche Konsequenzen. So geht der Gewerkschaftschef von Transnet, Norbert Hansen, davon aus, dass bundesweit rund 6.000 Stellen von den Kürzungen betroffen sein würden. Es müsse weiter befürchtet werden, dass rund 100 Million Zugkilometer abbestellt würden. Also rund ein Sechstel des gesamten Zugangebots im Nahverkehr wäre in Gefahr.

Eine solche Entwicklung hätte natürlich auch erhebliche Auswirkungen auf den Pendlerverkehr, der damit extrem beeinträchtigt werden würde. Ketzerisch könnte man durchaus sagen, dass dann die Erhöhung der Finanzmittel für den Straßenbau durchaus sinnvoll ist. Wenn die Leute nicht mehr die Züge benutzen können, weil diese nicht mehr fahren, wird natürlich der Individualverkehr automatisch zunehmen. Aber das macht eigentlich wenig Sinn. Wir sollten beide Verkehrsträger fördern und nicht einen auf Kosten des anderen bevorteilen.

Unter dem Strich bleibt, dass sich die Bundesregierung mit ihren Sparplänen Schritt für Schritt von der Erfolgsgeschichte des regionalen Nahverkehrs verabschiedet. Daher kann Schleswig-Holstein als Flächenland einer solchen Abschmelzung nicht zustimmen. Der Einsatz von Mitteln für das öffentliche Verkehrswesen ist ein Beitrag zur Daseinsvorsorge. Wir müssen für die Bürger ein Mindestmaß an Mobilität gewährleisten. Das geschieht durch die Infrastruktur, zum Beispiel Straßen- und Schienennetze, und durch den ÖPNV und den SPNV.

Aus den genannten Gründen unterstützt der SSW auch den ersten Punkt des Antrages der Grünen; denn auch wir sind der Auffassung, dass Schleswig-Holstein weiterhin ein Interesse daran hat, dass der öffentliche Nahverkehr zur Zufriedenheit seiner Nutzer funktioniert.

Doch leider wird der Antrag der Grünen durch den dritten Punkt wieder abgeschwächt beziehungsweise scheint er mir nicht schlüssig genug zu sein. Wenn ich im ersten Punkt der Auffassung bin, dass die Regionalisierungsmittel nicht als Subvention einzuordnen sind, und daher die vorgeschlagene Kürzung kritisiere, dann mache ich das doch aus dem Wissen heraus, dass der öffentliche Nahverkehr nicht mehr wie bisher auf dem hohen Niveau existieren kann, wenn die Mittelkürzung durchschlägt. Dann kann ich auch die Landesregierung nicht auffordern, Vorschläge zu entwickeln, wie der hohe Standard der ÖPNV- und SPNV-Angebote sowie das Preisniveau des S-H-Tarifs gehalten werden kann, wenn die geplanten Kürzungen nicht oder nur teilweise vermieden werden können. Das gleicht der Aufforderung an die Landesregierung, die Eier legende Wollmilchsau zu erfinden. Hier müssen wir etwas direkter gegenüber der Bundesregierung formulieren und nur sie in die Pflicht nehmen, weil nur sie für die ÖPNV- und SPNV-Kürzungen verantwortlich ist.

Was den schwarz-roten Antrag angeht, hätte ich mir im ersten Punkt eine genauere Formulierung gewünscht. Dass sich die Landesregierung auf Bun

(Dr. Heiner Garg)

desebene dafür einsetzen soll, dass eine ausreichende Höhe der Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr erhalten bleibt, ist zu ungenau. Denn was ist ausreichend? Da gibt es hier und in Berlin unterschiedliche Auffassungen. Hier hätten wir uns eine deutlichere Positionierung gegenüber Berlin gewünscht. Schließlich geht es hierbei um schleswig-holsteinische Interessen.

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie können ja einen neuen Antrag ma- chen!)

Wichtig ist aber vor allem eine gemeinsame Botschaft, die uns alle einigen sollte, lieber Kollege Müller. Die Art der Ausschreibung und der dadurch ausgelöste Wettbewerb im SPNV sind eine Erfolgsgeschichte, die weitergeführt werden muss.

(Beifall des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Da die Stoßrichtung beider Anträge in unseren Augen identisch ist und wir uns sicherlich heute Vormittag nicht mehr im Detail auf einen gemeinsamen Antrag einigen können, werden wir beiden Anträgen zustimmen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung und stelle fest, dass der Berichtsantrag, Absatz 2 der Drucksache 16/430 (neu), durch die Berichterstattung durch den Herrn Verkehrsminister erledigt ist.

Es ist Abstimmung in der Sache beantragt. Wir stimmen zunächst ab über Tagesordnungspunkt 20, nämlich den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drucksache 16/392. Wer diesem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP und der Gruppe des SSW abgelehnt worden.

Dann komme ich zur Abstimmung über Punkt 28 der Tagesordnung und lasse hier über die Nummern 1 und 2 des Antrages der Fraktionen von CDU und SPD in Drucksache 16/430 (neu) abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und der Abgeordneten des SSW bei

Stimmenthaltung der Grünen angenommen worden. - Ich bedanke mich und schließe die Beratung.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 22:

Landesplan für Menschen mit Behinderung Gesamtkonzept einer Politik für Menschen mit Behinderung

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/424

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/446

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/462

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für den Antragsteller, die FDP-Fraktion, hat der Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Erstens. Vielleicht verzichten wir bei diesem Tagungsordnungspunkt einmal auf den sonst üblichen Hinweis, dass die Regierung ja längst alles täte, was die Opposition hier in diesem Antrag fordern würde,

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sondern konzentrieren wir uns einmal ausschließlich auf die Sache.

Zweitens. Ich habe einen Hinweis der regierungstragenden Fraktionen befolgt. Ich habe nämlich, bevor ich diesen Antrag gestellt habe, die Landesregierung gefragt, und zwar in einer Kleinen Anfrage aus dem November dieses Jahres. Ich habe die Landesregierung nach ihrem Gesamtkonzept für eine Politik für Menschen mit Behinderung gefragt. Die Landesregierung - ich fasse das einmal salopp zusammen - hat gesagt, sie hätte jedenfalls gegenwärtig noch kein Gesamtkonzept und man könnte ein solches Gesamtkonzept im Moment auch noch nicht erwarten.

Genau da, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich gänzlich anderer Auffassung. Wenn nicht am Anfang einer Legislaturperiode, wann dann kann man von der Landesregierung erwarten, dass sie ihr Gesamtkonzept für die nächsten vier oder fünf Jahre

(Lars Harms)

für eine geschlossene Politik für Menschen mit Behinderung vorlegt?

Wir sind in Schleswig-Holstein in den vergangenen zehn Jahren einen guten Weg gegangen in der Politik für Menschen mit Behinderung. Wir haben es geschafft, dass dies keine Alibiveranstaltung wird, kein Feigenblatt, sondern dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man diesen Menschen ein möglichst normales Leben in unserer Gemeinschaft ermöglicht.

Genau hier sollten wir nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern diesen Weg weitergehen, den Heide Moser einmal federführend gegangen ist. Sie hat nämlich bereits 1995 den ersten Landesplan für Menschen mit Behinderung vorgelegt. Ich empfehle, dazu die Plenardiskussion in der 13. Wahlperiode vom September 1995 einfach noch einmal nachzulesen. Heide Moser hat damals angemahnt, diesen Landesplan nicht einfach zur Kenntnis zu nehmen, sondern ihn kontinuierlich fortzuschreiben. Das ist bedauerlicherweise nie geschehen. Nun können Sie von den regierungstragenden Fraktionen heute sagen, dann hätte eben die Opposition früher die Fortschreibung dieses Planes fordern müssen. Da mögen Sie Recht haben. Wir tun es heute.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen und wir müssen davon ausgehen, dass auch diese Landesregierung ein Gesamtkonzept hat.