Protokoll der Sitzung vom 16.12.2005

Wir dürfen und wir müssen davon ausgehen, dass auch diese Landesregierung ein Gesamtkonzept hat.

Wir greifen im Rahmen unseres Antrages gern die Anregungen der Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf und würden uns über eine entsprechende Ergänzung des vorzulegenden Landesplanes, so wie wir ihn uns wünschen, natürlich freuen. Für uns ist ein solcher Landesplan ein Instrument einer modernen Politik für Menschen mit Behinderung. Welche Wünsche und Bedürfnisse haben Menschen mit Behinderung? Welche Umsetzungsvorschläge werden aus den Verbänden heraus gemacht? Und was ist für uns im Land umsetzbar?

Die Aufstellung eines solchen Planes schafft nicht nur die Möglichkeit der Analyse, was in den letzten Jahren durchaus erfolgreich umgesetzt worden ist. Die Landesplanung gibt uns die Möglichkeit, darüber nachzudenken, welche Instrumente und Fördermaßnahmen wir benötigen, um die Politik für Menschen mit Behinderung qualitativ weiter fortzuentwickeln. Das bedeutet für uns auch, dass ein aus dem Landesplan zu entwickelndes Gesamtkonzept für Menschen mit Behinderung nicht nur vage Ziel

beschreibungen enthalten kann, vielmehr sind wir der Auffassung, hierhin gehören Maßnahmen und ganz konkrete Ziele, was man sich in den nächsten fünf Jahren vorstellt.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir wissen, wie unsere Politik für Menschen mit Behinderung künftig aussehen soll, können wir die Durchführung von Einzelmaßnahmen innerhalb eines festen Rahmens gewährleisten und gleichzeitig verlässliche und tragfähige Strukturen für die Zukunft aufbauen. Dadurch erhalten alle Betroffenen grundsätzlich Planungssicherheit und eine Perspektive.

Sehr geehrte Frau Ministerin Trauernicht, Ihr Staatssekretär Körner hat am Rande der letzten Sozialausschusssitzung gesagt, Sie hielten wenig von einer Blaupause in der Behindertenpolitik für die nächsten Jahre. Ich sage Ihnen, wir brauchen keine Blaupause, sondern wir brauchen ein ganz klares Gesamtkonzept. Wie Sie das am Ende nennen, ist relativ egal. Aber dass es geht, dass es funktioniert, zeigen Sie doch selbst mit Ihrem erst kürzlich vorgelegten Kinder- und Jugendaktionsplan für Schleswig-Holstein. Das ist ein solches Gesamtkonzept und genau ein solches Gesamtkonzept wünschen wir uns in allen Handlungsfeldern für Menschen mit Behinderung.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Aus unserer Sicht ist die Integration von Menschen mit Behinderung in unsere Gesellschaft genauso eine Querschnittsaufgabe über alle Politikbereiche hinweg wie beispielsweise eine Politik für Kinder und Jugendliche. Wenn wir ein grundlegendes Planungsinstrument für die künftige Entwicklung unserer Politik für Menschen mit Behinderung wollen, dann ist aus unserer Sicht ein solcher qualitativer Landesplan notwendig.

Ein letzter Satz. Ich bin nach den Erfahrungen im Sozialausschuss ganz sicher, unabhängig davon, wie die Debatte verlaufen wird: Die Sozialpolitiker kriegen das im nächsten halben Jahr hin, dass aus diesen Anträgen etwas Vernünftiges herauskommt.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Heike Franzen.

(Dr. Heiner Garg)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Motto unseres Ministerpräsidenten lautet: ,,Das Leben ist schön.“ Das war Kritikpunkt des gestrigen Tages. Es ist ein Ausdruck von Freude am Leben und Lebensqualität für mich. So positiv sollten wir vielleicht alle mit unserem Leben umgehen, denn wir leben schließlich alle nur einmal.

Darum haben wir auch eine ganz besondere politische und gesellschaftliche Aufgabe, für die Lebensfreude und die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung zu sorgen. Ihnen müssen wir unsere besondere Aufmerksamkeit widmen und Barrieren und Hindernisse für ein selbst bestimmtes Leben und für die Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen so weit wie möglich ausräumen.

Die CDU-Fraktion begrüßt daher die Bemühungen der Landesregierung um ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept außerordentlich. Mit der Neuordnung der Aufgaben und Finanzverantwortung nach dem SGB XII ist ein erster Schritt getan, um Zuständigkeit und Hilfeleistungen zu bündeln. Künftig werden die Kommunen für Hilfeplanung zuständig sein. Damit soll eine ortsnahe, individuelle, verlässliche und unbürokratische Hilfeleistung aus einer Hand möglich gemacht werden. Hilfen sollen flexibler werden, zum einen durch das persönliche Budget, zum anderen durch die Zusammenarbeit von Kommunen, Einrichtungen Betroffener und deren Verbänden, die in gemeinsamer Verantwortung die Möglichkeit haben, Leistungsstrukturen zu entwickeln und wohnortnahe Hilfen anzubieten und zu vernetzen.

Darüber hinaus sieht sich das Land auch weiterhin in der Verantwortung für Menschen mit Behinderung. Dazu gehört ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept, das erarbeitet werden muss. Der Antrag der FDP-Fraktion, Herr Garg, einen Landesplan für Menschen mit Behinderung vorzulegen, kann ein mögliches Ergebnis am Ende eines Prozesses sein, der bereits begonnen hat, der aber noch nicht zu Ende geführt ist.

Zunächst einmal bedarf es einer Bestandsaufnahme und einer umfassenden Analyse dessen, was es an Hilfen bereits gibt. Daraus ergibt sich dann der Handlungsbedarf, der in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten zu prüfen ist und dessen Umsetzungsmöglichkeiten zu erarbeiten sind. Dabei legen wir größten Wert darauf, dass insbesondere die Betroffenen und ihre Verbände sowie der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung als Experten in eigener Sache an der Weiterentwicklung der Lei

stungen für Menschen mit Behinderung im Rahmen eines behindertenpolitischen Gesamtkonzeptes umfassend und von Beginn an beteiligt werden.

(Beifall bei CDU und SPD)

Dieses Gesamtkonzept muss alle Lebensbereiche von Menschen mit Behinderung umfassen, insbesondere aber sechs Bereiche, die wir in unserem Antrag aufgezeigt haben: Erstens. Arbeit und Beschäftigung sind für alle Menschen eine der wichtigsten Voraussetzungen, um ein selbstständiges Leben zu führen.

Zweitens. Leben und Wohnen, und zwar in allen Altersbereichen. Hier stellt sich zunehmend die Frage nach dem Leben und Wohnen im Alter. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich noch einmal unserem Wirtschaftsminister dafür danken, dass sich sein Ministerium des Themas barrierefreier Tourismus annehmen will.

(Beifall bei CDU und SPD)

Drittens. Individuelle Hilfen, Förderung und Frühförderung, die sich an den Bedarfen orientieren müssen.

Viertens. Barrierefreiheit, ein umfassendes Thema, das uns immer wieder beschäftigen wird und bei dem jeder Einzelne von uns gefordert ist, Aufklärung zu betreiben und sich selbst zu hinterfragen. Barrierefreiheit beginnt in unseren Köpfen.

Fünftens. Der Bereich Integration und Gleichstellung für eine möglichst umfassende Teilhabe an der Gesellschaft.

Sechstens. Prävention und Früherkennung von Behinderungen.

Bei der Erarbeitung eines behindertenpolitischen Gesamtkonzeptes ist es uns wichtig, dass bei Planungen auf Landesebene, bei Gesetzesreformen und bei Fortschreibungen von Plänen die Belange von Menschen mit Behinderung beachtet und berücksichtigt werden. Ebenso muss sichergestellt werden, dass eine einheitliche Anwendung des Gesamtkonzeptes in allen Kreisen und kreisfreien Städten so weit wie möglich gewährleistet wird.

Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie den Landtag und die Öffentlichkeit über die wesentlichen Schritte der Erarbeitung des behindertenpolitischen Gesamtkonzeptes informiert und beteiligt. Auf der Grundlage der Pressemitteilung der Ministerin vom 22. November 2005 geht die CDU-Fraktion davon aus, dass wir in nächster Zeit über erste Informationen verfügen werden.

Die CDU-Fraktion beantragt, die Anträge von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Antrag von CDU und SPD in den Ausschuss zu überweisen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Heike Franzen. Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel unserer Politik, in der Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt stehen, ist es, umfassende Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu erreichen. Wir wollen die Ermöglichung ihrer weitgehenden Selbstbestimmung und die konsequente Beseitigung von Diskriminierung und Barrieren in den Mittelpunkt stellen. Aufgabe eines modernen Sozialstaates ist es, für alle Menschen eine menschenwürdige Lebenswelt zu organisieren.

(Beifall)

Die Strukturen der Selbstverwaltung und des Föderalismus müssen an diesem Anspruch gemessen werden.

Im Koalitionsvertrag haben CDU und SPD vereinbart, die Verwirklichung dieser Aufgabe zu einem Schwerpunkt der sozialpolitischen Arbeit in den nächsten Jahren zu machen. In enger Kooperation mit allen Beteiligten soll ein Gesamtkonzept entwickelt und abgestimmt werden. Wir wollen Bestandsaufnahmen erheben und fachliche und finanzielle Handlungsbedarfe präzise benennen. Diese Entwicklung soll in enger Abstimmung mit den Interessensvertretungen der Behindertenverbände wie auch mit den Menschen mit Behinderung direkt diskutiert und entwickelt werden. Dass wir Uli Hase, dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, hier eine wichtige Rolle beimessen, ist zu unterstreichen.

Ebenso wie nicht behinderte Menschen haben behinderte Menschen in steigendem Maße individuell verschiedene Lebensziele, Lebensinteressen und Möglichkeiten. Diesen unterschiedlichen Lebensstilen muss durch verbesserte Wahl, Gestaltungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeit Rechnung getragen werden. Dabei sind die unterschiedlichen Formen und die Ausprägung von Behinderung zu berücksichtigen. Rehabilitations- und Teilhabeleistungen,

aber auch andere soziale Leistungen sind an diese Entwicklung noch nicht hinreichend angepasst.

In der Zukunft muss bedarfsorientiert, zielgerichtet und aus einer Hand die Leistung für Menschen mit Behinderung erbracht werden. Hierbei sind auch die besonderen Belange chronisch erkrankter und psychisch erkrankter Menschen einzubeziehen. Die Fortentwicklung der Eingliederungshilfen steht hierbei ebenfalls auf der Tagesordnung. Bei der Eingliederungshilfe ist aufgrund der demographischen Entwicklung, des medizinischen Fortschritts, der Belastung im Arbeitsleben, der Zunahme der Anzahl der von einer Behinderung betroffenen Menschen und auch der vor allem stationären Orientierung ein erheblicher Ausgabenanstieg feststellbar. Die finanziellen Mehraufwendungen für die Eingliederungshilfe sind im Zeitraum von 1994 bis 2003 allein um rund 66 % auf 9,6 Milliarden € bundesweit angestiegen.

Trotz aller finanzieller Mehraufwendungen in diesem Bereich muss gelten: Im Mittelpunkt der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung muss die wirksame Sicherung der Teilhabe der betroffenen Menschen stehen. Die Eingliederungshilfe muss die verschiedenen Lebenslagen von Menschen mit Behinderung berücksichtigen. Das Ziel ist und bleibt, eine Normalisierung der Lebensverhältnisse zu unterstützen. Die Erbringung einer umfassenden sozialen Teilhabe muss der Maßstab für die Ausgestaltung der Eingliederungshilfeleistungen sein.

Dies alles wird im Jahr 2006 in Schleswig-Holstein umfassend diskutiert werden. Die Landesregierung - das Sozialministerium - ist gefordert, dieses politische Gesamtkonzept in seinen einzelnen Schritten zu erarbeiten und dabei die Betroffenen und ihre Verbände als Experten in eigener Sache zu beteiligen. Wir wollen, dass Landtag und Öffentlichkeit über die Fortschritte dieser Diskussionen jeweils aktuell und zeitnah informiert werden.

Aus Zeitgründen bleibt mir nur noch stichwortigartig und bei weitem nicht vollständig aufzuzählen, um welche Bereiche es im Wesentlichen geht. Da sind zum einen die Antwort auf die demographische Entwicklung und die zunehmende Anzahl von Menschen mit Behinderung, die neben Eingliederungsleistungen auch Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung haben, zu nennen. Da sind auch der Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Teilhabe am Arbeitsleben und der Anspruch auf das Zurverfügungstellen von Arbeitsplätzen für diese Menschen zu nennen.

(Heike Franzen)

Ein weiterer Punkt ist die besondere Berücksichtigung der Bedürfnisse von Frauen mit Behinderung. Hier sind gezielte Beratung und Einbeziehung in Frauenförderinstrumentarien zu beachten. Auch die Schule ist ein Ort der Rehabilitation und der Teilhabe. Beschulung ohne Ausgrenzung soll die Regel, nicht die Ausnahme sein. Über das Wirken der gemeinsamen Servicestellen haben wir hier im Landtag schon beim Bericht der Bürgerbeauftragten ausgiebig diskutiert. Unsere Kritik an der Wirksamkeit dieser Servicestellen ist nach wie vor berechtigt. Gleichwohl brauchen Menschen mit Behinderung Beratung und auch Entscheidungsbefugnis aus einer Hand. Hier muss sich noch einiges bewegen.

Diese Punkte sind ebenso wie die Frühförderung oder das persönliche Budget Stichworte, die ebenfalls in ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept hineingehören.

Diese Aufzählung macht deutlich: Wir wagen uns an einen umfassenden und komplexen Themenbereich heran, der uns im Jahr 2006 und während der gesamten Legislaturperiode intensiv beschäftigen wird. Deshalb sollten wir die Ausschussberatung intensiv nutzen, um dies in dieser Legislaturperiode zu schaffen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg das Wort.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Garg, Sie dürfen noch einmal!)

- Entschuldigung, er hat ja schon gesprochen. Er will nicht!

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das kommt nicht ins Protokoll!)