Protokoll der Sitzung vom 16.12.2005

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das kommt nicht ins Protokoll!)

Das ist bei der FDP selten der Fall. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Monika Heinold das Wort. Entschuldigung!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht so weit, dass wir der FDP unsere Redezeit schenken. Die hat schon geredet, und zwar ausgesprochen klug.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Politik für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein ist in Bewegung. In der letzten

Landtagstagung haben wir uns mit dem Antrag der FDP, mit dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz und mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigt. Ich freue mich darüber, Herrn Landtagspräsident Kayenburg einen herzlichen Dank dafür auszusprechen, dass er sich während der letzten Veranstaltung, die es zum Thema Barrierefreiheit gegeben hat, ausdrücklich hinter den Antrag gestellt und an uns - insbesondere an die große Koalition - appelliert hat, hier mutiger zu sein und tatsächlich eine Verbindlichkeit hineinzuschreiben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Behindertenpolitik ist in Bewegung. Das hat auch die gestrige Landtagsdebatte über die Eingliederungshilfe gezeigt. Ich erkenne an, dass es dem Sozialministerium gelungen ist, für diesen Bereich einen gewissen Kostenblock für die nächsten Jahre sicherzustellen. Dennoch habe ich meine Kritik auch im Ausschuss sehr deutlich geäußert. Ich fand es nicht richtig, dass die betroffenen Vereine und Verbände gar nicht erst angehört worden sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich glaube, es kann nicht gehen, dass wir ein so wichtiges Gesetz für fünf Jahre oder sogar noch länger beschließen, ohne die Betroffenen anzuhören. Sehr geehrte Frau Ministerin, das muss das nächste Mal anders werden!

Heute geht es um den FDP-Antrag. Hier ist es mir nicht ganz klar, warum SPD und CDU einen vollständig eigenen Antrag gestellt haben. Ich kann das damit erklären, dass die große Koalition grundsätzlich sagt: Die Regierung ist gut. Sie arbeitet. Wir haben einen Koalitionsvertrag. Was die Opposition dann noch macht, ist uns im Zweifel egal. Auch wenn sie gute Initiativen formuliert, so schreiben wir etwas anderes auf. Dann wird es schon irgendwie unseren Kopf tragen. Super!

(Zurufe der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Torsten Geerdts [CDU])

Meine Damen und Herren von der großen Koalition, ich fordere Sie auf: Sagen Sie mir, was an dem FDP-Antrag falsch ist oder was Sie anders haben möchten!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Der erste Absatz des FDP-Antrages fordert ein Gesamtkonzept, einen Landesplan. Das wollen wir alle. Dem kann man zustimmen, das haben Sie auch

(Wolfgang Baasch)

gesagt. Ferner besagt er, dass eine Befristung festgelegt wird. Die Landesregierung möchte diesen Plan bis zur 14. Tagung vorlegen. Es mag sein, dass Ihnen die 14. Tagung zu früh ist. Dann hätten Sie aber die Berichtslegung für die 16., 18. oder auch 20. Tagung beantragen können. Anschließend nennt die FDP sehr konkret viele Punkte, auf die innerhalb dieses Plans eingegangen werden soll. Ich habe heute nicht wahrgenommen, dass Sie diese Punkte kritisieren. Insofern hätte es auch in diesem Fall eine Ergänzung getan oder Sie hätten konkret sagen können, was an dem FDP-Antrag falsch ist.

Wir haben einige wenige Ergänzungen eingebracht. Es geht uns insbesondere um den Bereich der Schule. Das Schulgesetz soll umgesetzt werden und es soll beleuchtet werden, ob es umgesetzt wird. Das Schulgesetz schreibt vor:

„In der Schule für geistig Behinderte und für Körperbehinderte wird in der Regel Ganztagsunterricht erteilt.“

Hier lohnt es sich, eine Überprüfung vorzunehmen. Es gibt Klagen von Eltern. Man kann recherchieren, ob das stimmt oder nicht.

Außerdem fordern wir, wozu auch Herr Garg Zustimmung signalisiert hat, dass der Landesbehindertenplan, der 1995 aufgestellt wurde, jetzt evaluiert wird und dass wir einmal gucken, was erfolgreich war und wie es anders werden kann. Wir möchten gern, dass die Landesjugendhilfeplanung mit berücksichtigt wird, weil die ebenfalls ein zentraler Baustein dieses Bereichs ist.

Insofern überweisen wir das Ganze an den Sozialausschuss, wenn dies denn ein Weg für Sie ist, ohne Gesichtsverlust dort herauszukommen. Dort werden wir uns hoffentlich auf einen interfraktionellen Antrag verständigen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich danke der Frau Abgeordneten Heinold. Herr Dr. Garg, Sie sind aus Versehen aufgerufen worden. Sie hatten das Initiativrecht und Sie haben als Antragsteller geredet. Das war mein Fehler.

Für die Abgeordneten des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In welchem anderen Politikfeld begnügen wir uns damit, einen Plan nur alle zehn Jahre neu zu bedenken? Mir fällt so schnell kein Bereich ein.

Bei den Menschen mit Behinderung liegt der Landesbehindertenplan schon zehn Jahre zurück. Schon damals war er nicht unumstritten. In der Debatte im Januar 1996 hatte mein Kollege Karl Otto Meyer den Plan kritisiert. Er sagte: Dieser Landesbehindertenplan ist keine Planung, sondern eine mangelhafte Bestandsaufnahme.

Das war damals. Seitdem wurden viele neue Maßnahmen geplant, neue Strukturen geschaffen und Gesetze verabschiedet. Seither wurden beispielsweise in Lübeck und Kiel viele erfolgreiche Modellvorhaben durchgeführt, die auch im Rest des Landes umgesetzt werden könnten und auch teilweise umgesetzt werden. Einen neuen Landesbehindertenplan haben wir aber immer noch nicht. Bislang werden zehn Jahre Erfahrung ignoriert.

Gerade in der Haltung zu Menschen mit Behinderung hat sich in den letzten Jahren unheimlich viel bewegt. Heute ermöglicht professionelle Assistenz auch Menschen mit schweren Behinderungen eine selbstständige Teilhabe an der Gesellschaft. Das ist ein Trend, den die Landespolitik mit allem Nachdruck unterstützen sollte und in der Vergangenheit auch unterstützt hat. Der SSW begrüßt daher ausdrücklich die Bemühungen der FDP, jetzt endlich die Planziele für die Menschen mit Behinderung explizit zu nennen. Erst wenn wir wissen, wohin wir wollen, können wir Mittel und Maßnahmen genau benennen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich begrüße es ebenfalls, dass die Grünen in ihrem Änderungsantrag die Kompetenzen der Behindertenverbände ins Spiel gebracht haben. Ich stimme dem Landesbehindertenbeauftragten zu, der die Menschen mit Behinderung als Experten in eigener Sache sieht. Ich möchte ein Beispiel anführen. Wer kann beispielsweise die unzureichende Erreichbarkeit des Flensburger Bahnhofs besser anprangern als Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind? Flensburgs Stadtpräsident musste sich kürzlich erst in einen Rollstuhl setzen, um zu begreifen, dass man damit nicht über das Kopfsteinpflaster rollen kann. Dieses Beispiel soll zeigen, dass ein Plan auch darauf eingehen muss, wie ich die Belange der Behinderten den nicht Behinderten besser

(Monika Heinold)

vermitteln kann. Auch das muss Grundlage eines Plans sein.

Der Großteil der Menschen mit Behinderung ist durchaus in der Lage, für die eigenen Interessen einzutreten. Eine bevormundende Politik ist hier also fehl am Platz. Bereits das Altenparlament hat der Politik einige Aufgaben gestellt. Dazu gehört zuvorderst die Umsetzung des Wunsches nach Verbleib in den eigenen vier Wänden mit den Mitteln des altengerechten Wohnens. Natürlich gehört dazu auch das Recht darauf, dass öffentliche Gebäude behindertengerecht ausgestattet sein sollten. Dazu liegt diesem hohen Haus auch ein Antrag vor.

Aber nicht nur körperlich behinderte, sondern auch seelisch und geistig behinderte Menschen brauchen eine Infrastruktur, die ihnen und ihren Angehörigen Möglichkeiten schafft, ihre Bedürfnisse adäquat zu berücksichtigen und sie auch einfordern zu können. Gerade die Gruppe der seelisch Behinderten braucht einen solchen Plan, damit sie nicht nur die Hilfe bekommt, die ihr zusteht, sondern damit die Information über seelische Behinderung in der breiten Bevölkerung noch besser verankert wird. Hierzu kann ein Landesplan für Menschen mit Behinderung beitragen, der diese Gruppe besonders berücksichtigt.

Wir brauchen eine genaue Bestandsaufnahme dessen, was bei uns im Land angeboten wird, und eine ehrliche Analyse dessen, was fehlt. Auf dieser Grundlage können wir dann weitersehen. Der FDPAntrag fordert meines Erachtens völlig zu Recht Planungssicherheit. Die Definition von Behinderung schließt längere, andauernde Behinderung mit ein. Gerade aus diesem Grund ist eine langfristig verlässliche Politik von großer Bedeutung.

Nun liegt uns noch ein Antrag von CDU und SPD vor und ich schlage vor, dass wir alle drei Anträge in den Sozialausschuss überweisen und versuchen, einen gemeinsamen Antrag daraus zu machen. Ich bin mir sicher, dass die Sozialpolitiker, die immer eine große Kompromissfähigkeit bewiesen haben, das dort auch hinkriegen werden.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Für einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Mein Gott, sieht der gut aus!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Kubicki, herzlichen Dank für die freundlichen Worte. Ich habe mich nicht noch einmal gemeldet, um klarzumachen, dass ich vorhin nicht reden wollte, das haben Sie dankenswerterweise klargestellt, Frau Präsidentin.

Es geht mir um Folgendes: Ich möchte einfach den Sozialpolitikern Mut machen, dass wir uns anhand unseres FDP-Antrages in Verbindung mit den Ergänzungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sozialausschuss darüber einig werden, wohin die Politik für Menschen mit Behinderung in Zukunft gehen soll.

Mut aus zwei Gründen, einem sehr persönlichen: Bevor ich in diesen Landtag gewählt wurde und Sozialpolitik für meine Fraktion machen durfte, hatte ich Berührungsängste, wenn es darum ging, mit Menschen mit Behinderung in Kontakt zu treten. Ich hatte die Barrieren im Kopf, über die wir dauernd reden. Es war eine der schönsten Erfahrungen in den vergangenen fünf Jahren, dass auch durch die Politik des Landes und durch das ständige Zusammenkommen, diese Barrieren und Hemmnisse in einem selber Schritt für Schritt abgebaut werden. Sämtliche Menschen in Schleswig-Holstein sollten solche Erfahrungen machen dürfen, damit sie ganz normal wie mit einem nicht behinderten Menschen mit Menschen mit Behinderung umgehen können.

Der zweite Grund, aus dem ich mich noch einmal gemeldet habe: Es gibt nicht nur, aber besonders in Baden-Württemberg ein Projekt, das mich unheimlich fasziniert hat. Es gibt eine Gaststätte in einem Tourismuszentrum, das Hofgut Himmelreich gGmbH. Dort arbeiten schwer geistig behinderte Menschen, und zwar nicht in der Küche beim Kartoffelschälen oder beim Gurkenhobeln, sondern im Service.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wenn man sich ansieht, mit welchem Engagement dort Behinderte und Nichtbehinderte zusammenarbeiten und ganz normal miteinander umgehen, und wenn man in die Gesichter der Menschen mit Behinderung guckt, wie sie abends genauso todmüde wie ihre nicht behinderten Kollegen nach Hause gehen - todmüde, aber sehr zufrieden –, dann lohnt sich der Einsatz und dann lohnt sich im Zweifel

(Lars Harms)

auch eine streitbare Auseinandersetzung hier. Dann lohnt sich auch ein entsprechender Zusammenschluss der Sozialpolitiker im Sozialausschuss.

Ich möchte noch einmal dafür werben, dass wir Sozialpolitiker den Mut haben, so wie in der letzten Sozialausschusssitzung auch, als es um das Ausführungsgesetz zum SGB XII ging, uns an dieser Stelle über Koalitionsgrenzen hinweg durchzusetzen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für die Landesregierung hat nun die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Dr. Gitta Trauernicht.