Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Wie das teilweise politisch und nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger genutzt wurde, haben wir in der Vergangenheit nur allzu oft erlebt. Durch die vorliegende Neuformulierung des Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes entfällt ein großer Teil der bisher zustimmungspflichtigen Gesetze, da sie Länderinteressen nicht mehr berühren. Die Länder haben durch ein Zugriffsrecht die Möglichkeit, abweichend von der bundesgesetzlichen Vorgabe die Behördenorganisation und das Verwaltungsverfahren eigenständig zu regeln. Darüber hinaus sieht der neue Art. 84 vor, dass durch Bundesgesetz Aufgaben an Gemeinden und Gemeindeverbände nicht mehr übertragen werden dürfen. Das ist, so meine ich, ein Schritt in die richtige Richtung.

Besser wäre es allerdings gewesen, man hätte sich die Aufgabenübertragung vom Bund auf die Kommunen, die ja durchaus sinnvoll sein kann, offen gehalten und entsprechend das Konnexitäts

prinzip im Verhältnis Bund-Kommunen verankert, so wie wir es im Land Schleswig-Holstein haben, damit die Finanzierung der Durchführung der Aufgaben durch die Gemeinden und Gemeindeverbände sichergestellt ist.

(Beifall bei der FDP)

So hat es, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Übrigen auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Thesenpapier zur Föderalismusreform gefordert.

Es wäre im Übrigen auch für die kommunalen Spitzenverbände interessant zu erfahren, welche Auffassung die Landesregierung hierzu vertritt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Redezeit reicht heute nicht aus, um alle Aspekte und wichtigen Punkte der Föderalismusreform in gebührendem Maße zu berücksichtigen. Eines steht aber fest: Teilweise gehen die Vorschläge aus Berlin zu weit, teilweise drücken sich die Großkoalitionäre in Berlin vor wesentlichen Punkten. So wurde einer der wesentlichen Kernpunkte der Föderalismusreform, die Entflechtung der Einnahmen und eine größere Autonomie von Bund und Ländern bei der Einnahmegestaltung bisher bis auf die neue Länderkompetenz bei der Grunderwerbsteuer fast völlig ausgespart. Ich wiederhole noch einmal, Herr Minister Wiegard, eine Föderalismusreform ohne eine entsprechende Reform der Finanzverfassung ist Makulatur.

(Beifall bei der FDP)

Dennoch befinden wir uns erst am Anfang einer neuen Debatte zur größten Reform seit 1969. Wir sollten diese Debatte offen führen. Wir sollten uns auch als Parlament von vornherein aktiv einmischen, um zu einer staatlichen Neuordnung zu kommen, die klare Zuständigkeiten für Bund und Länder vorgibt und damit künftig verhindert, dass der Bundesrat als politisches Blockadeinstrument missbraucht werden kann, die aber die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nicht ausspart, sondern als wesentliches Element einer solchen Reform begreift. Nur so macht die Reform wirklich Sinn.

Herr Präsident, wir bitten um Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss.

(Beifall bei der FDP)

(Wolfgang Kubicki)

Für die Fraktion der CDU erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Johann Wadephul das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem der Kollege Kubicki gestern bei einer Veranstaltung die Befürchtung geäußert hatte, ich könnte wie in vergangenen Diskussionsrunden seinen Beitrag für politisch nicht ausreichend halten,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sagen Sie jetzt gerade noch ausreichend!)

werde ich jetzt, Herr Kollege Kubicki, das Urteil in dieser Debatte korrigieren: Das war ein Beitrag, der für einen Oppositionsführer im Schleswig-Holsteinischen Landtag schon ganz ordentlich war.

(Heiterkeit bei der FDP)

Sie haben auch gemerkt, Kollege Weber hat applaudiert, Kollege Baasch trägt heute sogar einen Button, der an einen FDP-Button erinnert. Insofern gibt es in großen Teilen Zustimmung, Herr Kollege Kubicki, zu dem, was Sie gesagt haben. Dennoch ist es wichtig, dass wir uns heute mit diesem Thema in diesem Hause einmal mehr beschäftigen. Es geht bei dem Thema um das Kernelement der gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern. Heute sind jedoch die Grundvoraussetzungen anders als in vielen Debatten vorher. Es bewegt sich etwas in Deutschland, und das ist ein wichtiges Signal.

Werfen wir noch einmal einen Blick zurück. Vor rund einem Jahr scheiterte die Föderalismuskommission unter Leitung von Franz Müntefering und Edmund Stoiber. Viele in Deutschland hatten große Hoffnungen in diese Kommission gesetzt, die in intensiver Arbeit mit Fachgruppen und Spezialisten mühsam einen weitgehenden Entwurf vorbereitet hat. Das Entsetzen und die Enttäuschung waren am Ende umso größer. Den Bürgerinnen und Bürgern wurde sichtbar vor Augen geführt, dass unser Land jedenfalls damals offenbar nicht in der Lage war, wichtige und notwendige Korrekturen vorzunehmen. Das Medienecho war dem entsprechend vernichtend.

Zwei annähernd gleich große politische Blöcke verhinderten jegliche Veränderung. Unterschiedliche Mehrheiten im Bundestag und in der Länderkammer bei einer notwendigen Zustimmungspflicht von 60 % aller gesetzlichen Vorhaben machten das Dilemma deutlich. Alle politischen Kräfte waren

und sind sich in der grundsätzlichen Bewertung einig. Unser Bundespräsident Horst Köhler schrieb uns Politikern ins Stammbuch: „Die bestehende föderalistische Ordnung ist überholt.“ Trotzdem hat es damals nicht zu einer Kurskorrektur gereicht.

Die große Koalition in Berlin bietet jetzt genauso wie die große Koalition bei uns in Schleswig-Holstein die Chance, den Knoten der Blockade zu durchschlagen. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering haben schon während der Koalitionsverhandlungen diese Chance mutig ergriffen. Es wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Die Ministerpräsidenten der Länder sind über ihren Schatten gesprungen und haben trotz unterschiedlicher Bedenken auf ihrer gemeinsamen Konferenz ihre grundsätzliche Zustimmung zum Reformwerk erklärt. Kurzum, wir sind einen riesigen Schritt weitergekommen und sprechen heute nicht mehr über das Ob einer Föderalismusreform, sondern über das Wie, und auch hier nur noch über eingeschränkte Bereiche. Um diese auszuleuchten, haben wir die Landesregierung um diesen Bericht gebeten, für dessen Erteilung ich ausdrücklich danke. Die Chancen, aber auch die Risiken dieser Reform müssen von uns benannt werden. Deswegen sage ich für meine Fraktion: Die CDU tritt für eine klare Entflechtung der Kompetenzen und ihre Neuverteilung zwischen Bund und Ländern ein, damit staatliche Ebenen wieder echte politische Gestaltungsmöglichkeiten zurückgewinnen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wie bei unseren Reformvorhaben in SchleswigHolstein müssen die Änderungen den Zielen der Transparenz staatlichen Handelns, der effizienten Erledigung öffentlicher Aufgaben sowie der Zusammenführung von politischer Entscheidungsmacht und Konnexität entsprechen. Zudem muss als zentraler Maßstab der Gedanke der Subsidiarität - der Herr Ministerpräsident hat darauf hingewiesen - gelten. Wir müssen diese Chance der Verfassungsänderung beherzt nutzen, um weitgehende Doppelstrukturen und Wildwuchs von Bürokratie abzubauen.

Wir stehen dazu, als Land Schleswig-Holstein dort Verantwortung zu übernehmen, wo wir näher an den Menschen sind und die höheren Kompetenzen als der Bund haben. Wir scheuen auch nicht den Wettbewerb mit anderen, den wir als CDU auch an anderer Stelle propagieren, damit Leistungen und Ideen freigesetzt werden, die sonst verkümmern würden. Allerdings - und darauf müssen wir als kleineres Bundesland besonderen Wert legen muss es in aller erster Linie ein Wettbewerb der Ideen und der Flexibilität sein und nicht ein Wett

bewerb, der durch finanziellen Mitteleinsatz geprägt ist. Einen Wettbewerb mit finanziellen Einsätzen kann kein kleineres Bundesland gewinnen, und das würde auch dem Auftrag des Grundgesetzes zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zuwider laufen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Unser Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat deshalb zu Recht auf diese Problematik, insbesondere bei der Übertragung der Kompetenzen für die Beamtenbesoldung und -versorgung vom Bund auf die Länder hingewiesen und bei seinen Kollegen interveniert. Leider scheinen aber alle Länder außer Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern mit den gemachten Vorschlägen in diesem Bereich einverstanden zu sein. Hoffentlich wird dieses in seiner Tragweite von allen wirklich überschaut. Insofern können die freien Demokraten, Herr Kollege Kubicki, an der einen oder anderen Stelle noch für Aufklärung sorgen. Sie sind ja bekanntlich an Länderregierungen beteiligt, die bisher vorbehaltlose Zustimmung signalisiert haben. Ich bitte, an der Stelle dann auch Ihren großen bundespolitischen Einfluss - jedenfalls soll er ja innerhalb der FDP bestehen - geltend zu machen und dafür zu sorgen, dass wir Bündnispartner bekommen. Wir setzen uns dafür ein, dass auch CDU-Ministerpräsidenten zu einer Kurskorrektur bereit sind.

(Beifall bei CDU und SPD)

Es macht meiner Meinung nach jedoch wenig Sinn, an dieser Stelle die Zustimmung scheitern zu lassen. Ich danke dem Ministerpräsidenten ausdrücklich für seine klarstellenden Bemerkungen. Mir missfällt für Schleswig-Holstein das Bild eines beleidigten Jungen, der mit dem Fuß aufstampft und sich in den Schmollwinkel zurückzieht, weil er seinen Willen nicht bekommt.

Es geht im Großen um das lange Zeit von uns angestrebte Gesamtpaket, dessen Scheitern wir nicht wollen, ebenso wenig wie eine Isolation im Kreis der Bundesländer. Sollten beim Thema Beamtenbesoldung die Vorschläge unverändert Bestandteil der Reform bleiben, müssen wir aktiv handeln und den Verbund mit den norddeutschen Ländern für ein einheitliches Besoldungsrecht anstreben.

(Beifall bei der CDU)

Es darf nicht dazu kommen, dass wir mit unseren Nachbarländern uns gegenseitig Lehrer, Hochschulprofessoren, Polizisten und andere Kräfte abwerben. Ich danke, Lothar Hay, den Sozialdemokraten ausdrücklich dafür, dass wir in dieser Frage einig sind. Auch Bildungsministerin Erdsiek-Rave hat

das zum Ausdruck gebracht. Wir ziehen in der großen Koalition an einem Strang für endlich mehr norddeutsche Kooperation.

(Beifall bei CDU und FDP)

Einen weiteren kritischen Punkt haben wir parteiübergreifend einmütig in der letzten Landtagssitzung vor Weihnachten behandelt. Die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Strafvollzugs und der Untersuchungshaft vom Bund auf die Länder birgt die Gefahr des ungleichen Vollzugs der Strafen und Maßregeln, im schlimmsten Fall nach Kassenlage des jeweiligen Landes. Das ist insbesondere deshalb nicht hinnehmbar, weil mit dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes vor über 30 Jahren eine bewährte einheitliche Grundlage geschaffen wurde. Mit dem einstimmigen Votum hat der Landtag der Landesregierung für Verhandlungen den Rücken gestärkt.

Es gibt weitere Risiken. So können die Überführung der Aufgaben aus der Heimaufsicht und des Wohnungswesens auf die Länder zu einem erhöhten Personalbedarf führen. Der Zuschuss für den Neubau und die Erweiterungen von Universitäten von derzeit 700 Millionen € jährlich wird gekürzt und langfristig ganz heruntergefahren. Die Auswirkungen EU-rechtlicher Bestimmungen bleiben undurchsichtig.

Bildlich gesprochen kommt es mir manchmal so vor, als würden wir eine Schiffsreise buchen, bei der wir nicht genau wissen, was die Reise kostet und wo das genaue Reiseziel liegt, auch wenn, wie gesagt, die Richtung stimmt. Nicht jeder angekündigte Zwischenstopp dieser Reise erscheint lohnenswert. Das Kultur- und Sportprogramm an Bord bleibt uns überlassen und wir hoffen, dass alle Schiffe dieser Linie das Ziel erreichen und niemand wegen Treibstoffmangels auf der Strecke bleibt.

Wir unterstützen deshalb mit Nachdruck die Landesregierung bei allen Punkten, die Risiken für unser Land beinhalten, Nachbesserungen zu erwirken. Wir sind uns allerdings auch der Situation bewusst, dass dies kein leichtes Unterfangen ist. Wie eingangs geschildert, ist das Gesamtpaket einmütig gebilligt worden.

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren - das möchte ich zum Beitrag des Kollegen Kubicki noch einmal sagen -, sollten wir die positive Signalwirkung, Herr Kubicki, der Föderalismusreform auch nicht zerreden - bei allen Gefahren, über die wir uns im Kern, glaube ich, sogar einig sind.

(Beifall bei CDU und FDP)

(Dr. Johann Wadephul)

Wir neigen in Deutschland manchmal dazu, alle Ansätze einer Neugestaltung zu demontieren und durch Klagen und Jammern für den unbeteiligten Betrachter ein Bild des Grauens zu erzeugen. Dabei wissen wir doch genau, wie schwierig die Abgrenzungsprozesse zwischen 16 sehr unterschiedlichen Bundesländern auf der einen und dem Bund auf der anderen Seite bei der Neujustierung der Gesetzgebung sind. Es müssen Kompromisse eingegangen werden. Das bedeutet natürlich auch, dass nicht alles so werden kann, wie ich es mir oder wie wir es uns im Idealfall für Schleswig-Holstein vorstellen. Deshalb sollten wir diesen Einigungsprozess insgesamt nicht herunterreden. Er zeigt uns nämlich, dass die großen politischen Kräfte die ihnen auferlegte Verantwortung wahrnehmen, dass wieder gestaltet wird und dass in unserem Land nicht blockiert wird. Wir gehen die Probleme an. Wir wollen mit Änderungen das Land von Fesseln befreien. Dabei wissen wir, es können auch Fehler passieren. Aber es gilt auch der Satz: Nur wer nicht handelt, macht keine Fehler.

Deswegen lassen Sie uns gemeinsam die Spielräume nutzen, die uns eröffnet werden. Die Kompetenzverlagerung des Ladenschlussrechtes und des Gaststättenrechtes auf die Länder sind für uns als Tourismusland zum Beispiel von großem Vorteil. Hier können wir flexible Regelungen für Schleswig-Holstein erwirken.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Kompetenzen wie das Notariatsrecht, die Flurbereinigung, der landwirtschaftliche Grundstücksverkehr, die Behandlung des Sport- und Freizeit- und des so genannten Soziallärms sowie das Versammlungsrecht werden in ihrer rechtlichen Gestaltung alleine von den Ländern gestaltet werden können.

Wollten wir nicht auch immer mehr individuelle Gestaltungsspielräume in der Bildungspolitik? Jetzt bekommen wir sie. Lassen Sie uns diese mutig ausgestalten. Es ist eine besondere Herausforderung für die Länder, diese Gestaltungsspielräume zu nutzen. Beklagen wir uns also nicht über das Gewünschte, sondern machen wir uns daran, mit anderen Ländern weitere Standards zu entwickeln, damit Schulabschlüsse in Deutschland auch in Zukunft vergleichbar sind. Ein Schulabschluss in Flensburg muss mit dem in Görlitz oder Freiburg vergleichbar bleiben. Hierin müssen wir die KMK mit ihrer neuen Präsidentin Ute Erdsiek-Rave unterstützen. Hier ist sie gefordert. Trauen wir uns und trauen wir diesen Institutionen wieder einmal mehr zu.

(Vereinzelter Beifall der CDU)

Gleiches gilt für die Verfahren und die Abschlüsse an den Hochschulen. Lassen Sie uns die Chancen nutzen, ohne vor den Risiken die Augen zu verschließen.

Auch beim Natur- und Umweltrecht haben wir uns immer wieder über Regelwerke geärgert, die am grünen Tisch in der EU oder in Berlin ausgebrütet worden sind. Deswegen beurteile ich auch diesen Punkt etwas anders als die Freien Demokraten. Wenn es die Chance gibt, eine an den landesspezifischen Problemen näher orientierte Regelung auch im Umweltbereich zu machen, dann sollten wir diese nutzen, weil sie unseren Gegebenheiten als Land zwischen den Meeren vielleicht mehr entgegenkommt als eine bundesgesetzliche Regelung, die für ganz Deutschland gestrickt worden ist.

Deshalb rufe ich uns alle dazu auf, die politische Konstellation, die sich durch die Wahlen ergeben hat, zu nutzen, zu nutzen für die Projekte, die in den Jahren vorher liegen geblieben sind, weil man sich davor gefürchtet hat, Wähler zu verschrecken. In der Tat, es war eine Blockade von SPD und CDU mit verteilten Rollen auf Bund- und Länderebene. Wir haben das in den letzten zehn, 15 Jahren deutlich erfahren. Doch jetzt merken wir und spüren es überall: Die Menschen im Land sind froh, dass das tägliche nichts bringende Hickhack der großen Parteien der Vergangenheit angehört und dass sich endlich etwas bewegt. Die Stimmung klart auf. Die Föderalismusreform ist ein wichtiger Baustein auf einem guten Weg für Deutschland und SchleswigHolstein.