Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Auch ich möchte in diesem Zusammenhang an den Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente im März 2003 in Lübeck erinnern, zu dem ja

der damalige schleswig-holsteinische Landtagspräsident Heinz-Werner Arens eingeladen hatte.

Dort sind die Probleme und der konkrete Handlungsbedarf aus Sicht der Landesparlamente diskutiert und in der Lübecker Erklärung formuliert worden. Hierauf können und sollten wir in der aktuellen Diskussion aufbauen. Wir müssen das Rad also nicht neu erfinden.

In den Protokollen der letzten Legislaturperiode ist nicht nur nachzulesen, wie die Debatten damals verliefen. Viel wichtiger ist, aus der Sicht des SSW in Erinnerung zu rufen, dass wir uns in einem fraktionsübergreifenden Antrag dafür stark machten, den Parlamenten ihre Macht zurückzugeben. Daher sollten wir weiter gemeinsam daran arbeiten, für eine Stärkung des Föderalismus dort einzutreten, wo wir als Parlament das Zepter in der Hand haben, zum Beispiel bei den Voten der Landesregierung für den Bundesrat. Die Forderung nach einer dahin gehenden Erweiterung des Artikel 23 Grundgesetze ist weiterhin richtig und wichtig. Die Landesregierung soll in ihrer Arbeit nicht behindert werden - das will keiner von uns -, aber dennoch sollten wir uns als Parlament von unserer selbst gewählten Bescheidenheit verabschieden.

Ich hoffe, dass damit deutlich geworden ist, dass wir vom Schleswig-Holsteinischen Landtag ein Signal in Richtung Berlin geben sollten. Ich möchte auch in Erinnerung rufen, dass die Landesparlamente bei der letzten Föderalismuskommission am Katzentisch dabei waren, jetzt aber anscheinend völlig weg vom Fenster sind. Hier gibt es also noch sehr viel zu tun. Ich hoffe, dass wir das auch im Ausschuss gemeinsam miteinander beraten werden.

Die Reform muss insgesamt ein neues Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern, Exekutive und Legislative, den großen und den kleinen Ländern sowie zwischen den reichen und den armen Ländern finden. Das ist eine schwierige Aufgabe. Das wissen wir. Für den SSW ist klar, dass die Reform vor allem zwei Ziele umsetzen muss: eine solide Finanzausstattung der Länder und - wie bereits erwähnt - eine starke sowie effektive demokratische Kontrolle.

Der zukünftigen Ausgestaltung der Finanzhoheit der Länder - einschließlich des Länderfinanzausgleichs - kommt bei der Reform eine zentrale Rolle zu. Für den SSW ist klar, dass ein reiner Wettbewerbsföderalismus die falsche Antwort auf die Herausforderungen ist. Dieser ist nicht mit dem bundesstaatlichen Prinzip vereinbar, da er das solidarische Element des Föderalismus zersetzt. Die Vielfalt macht eben den Reiz des Föderalismus aus.

(Anke Spoorendonk)

Hier liegt das innovative Potenzial für neue Politikansätze. Der SSW fordert Wettbewerb der besseren Ideen und Ansätze statt ruinöse Konkurrenz unter ungleichen Bedingungen.

Den Ländern muss in ihrer jetzigen Form eine ausreichende Finanzgrundlage gesichert werden, die die Strukturschwachen berücksichtigt und gleichzeitig wirtschaftliches Handeln belohnt. „Wer bestellt, muss bezahlen“, ist die stark vereinfachte Fassung unserer Forderung nach klaren finanziellen Verantwortlichkeiten. Wir stehen für das Konnexitätsprinzip, das heißt die Verknüpfung von Regelkompetenz und Finanzierungsverantwortung auf einer Ebene. Das gilt nicht nur für die kommunale Ebene, sondern auch in der Beziehung zwischen dem Bund und den Ländern.

Dazu gehört aber auch mehr Autonomie der Länderebene bei der Gestaltung von Einnahmen und Ausgaben. Wir sollten uns nicht immer reinreden lassen müssen. Also brauchen wir eine klare Aufgabenteilung.

Wir brauchen auch demokratische Transparenz. Mit der ist es nämlich nicht sehr gut bestellt. Ich sagte das schon, als ich kurz die Rolle des Vermittlungsausschusses ansprach.

So, wie die Landesparlamente die eindeutigen Verlierer der bisherigen Entwicklung des deutschen Föderalismus sind, so sind unserer Meinung nach die Staatskanzleien der Länder die Gewinner dieser Entwicklung gewesen. Die Macht, die den Ministerpräsidenten über den Bundesrat zuwuchs, verleiht ihnen bundespolitische Bedeutung, Einfluss und Aufmerksamkeit in der Bundesregierung, in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch in der eigenen Partei.

Dies ist zu verlockend, um es brach liegen zu lassen. Kein Politiker kann sich einer solchen effektiven und in weiten Teilen unkontrollierten Einflussmöglichkeit entziehen. Außerdem kann man gegebenenfalls auch Sonderinteressen des Landes beim Bund durchsetzen, wenn man nur hoch genug pokert. Das mag alles gut gemeint sein. Die Kosten dieser privilegierten Einflussmöglichkeiten sind aber zu hoch. Die Bundespolitik kann blockiert werden. Außerdem werden die öffentlichen Haushalte aufgebläht und die Landtage verlieren an Bedeutung.

Wie bei jeder ernst gemeinten Reform geht es auch diesmal darum, Macht neu zu verteilen. Im vorliegenden Fall führt das zum Paradox, dass die erforderliche institutionelle Neuverteilung der Macht von der Zustimmung derer abhängt, die Macht an die Landesparlamente und die Bundesebene abge

ben müssten, nämlich den Ministerpräsidenten der Länder. Genau daran ist auch die Arbeit der letzten Föderalismuskommission gescheitert.

Die Föderalismusreform geht uns alle an. Das zeigt die heutige Debatte. Gerade wir als Landtag müssen uns in den Prozess einbringen. Es gilt, den Föderalismus zu stärken und zukunftsfähig zu machen, auch um ein selbstständiges Schleswig-Holstein im 21. Jahrhundert zu sichern. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir doch alle, oder etwa nicht?

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der Tribüne darf ich jetzt wiederum ganz herzlich Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Mölln mit ihren Lehrerinnen und Lehrern begrüßen. - Herzlich willkommen!

Außerdem Auszubildende des Amtsgerichts Kiel und unseren früheren Kollegen Klaus-Peter Solterbeck. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Im Rahmen der vereinbarten Redezeit erteile ich nunmehr dem Innenminister, Herrn Dr. Ralf Stegner, das Wort. - Herr Innenminister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wie der Herr Ministerpräsident klar und eindeutig ausgeführt hat, begrüßt die Landesregierung grundsätzlich die angestrebte Föderalismusreform. Wir wollen die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern entflechten, um mehr Transparenz zu schaffen, um handlungsfähiger zu werden und um Bürokratie abzubauen. Die Reform ist aber kein Selbstzweck, sondern muss sich an diesen Zielen messen lassen umso mehr, also wir uns auch der Ziele bewusst sein müssen, die zu einem Bundesstaat führen.

Es geht um die Solidarität untereinander, wo wirtschafts- und finanzstarke Länder den weniger Begünstigten unter die Arme greifen müssen. Wir haben vorhin gehört: Wer heute finanzstark ist, war das nicht immer. Es geht um Regelungen, die sinnvollerweise bundesweit geregelt werden müssen, und es geht um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Das ist übrigens keine Petitesse, sondern einer der Grundpfeiler des Grundgesetzes. Um es präzise zu sagen: Es geht um die Gleichwertigkeit

(Anke Spoorendonk)

der Lebensverhältnisse. Das ist ein wichtiger Pfeiler im Grundgesetz.

(Beifall bei der SPD)

Insofern stimme ich in diesem Punkt dem Herrn Abgeordneten Kubicki und der Frau Abgeordneten Lütkes zu.

Stutzig sollte uns schon machen, dass es die relativ reichen und großen Länder sind, die sich besonders für die Reform in dieser Form stark machen. Sie mögen sich daran erinnern: Konrad Adenauer hat immer zwischen der Wahrheit und der reinen Wahrheit unterschieden. Wenn man Herrn Rüttgers hört, stellt man fest, es gibt offenkundig auch noch die rheinische Wahrheit. Richtig jedenfalls ist, dass nicht sein kann, dass jemand sagt: Es geht alles nur so oder überhaupt nicht. - Es muss um die Solidarität gehen, auch zwischen West und Ost und zwischen Süd und Nord. Das Ziel der Föderalismusreform muss sein, alle Länder gegenüber dem Bund zu stärken. Wettbewerb ja, aber aggressiver Wettbewerbsföderalismus, bei dem wir auf der Strecke bleiben, nein. Deswegen dürfen die Unterschiede nicht auch noch verstärkt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was nutzt uns die Zuständigkeit für finanziell extrem aufwendige Bereiche, wenn wir dann doch wieder auf den Bund als Geldgeber angewiesen sind oder aber sich die reicheren Länder aus der solidarischen Finanzierung herausgezogen haben?

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das eigentliche Ziel der Föderalismusreform, nämlich die klare Aufteilung von Zuständigkeiten, würde dann quasi ins Gegenteil verkehrt. Deswegen brauchen wir verlässliche Festlegungen für die zukünftigen finanziellen Ausgleichsmechanismen. Der Herr Kollege Hay hat das angesprochen. Das ist der Kern, den wir brauchen. Das ist nicht etwa etwas, von dem man sagt: Darüber reden wir später einmal.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben uns im Koalitionsvertrag, aber auch mit unserem Amtseid verpflichtet, die Interessen Schleswig-Holsteins zu wahren. Herr Kollege Wadephul, genau darum geht es, übrigens nicht nur für die kleinen Jungen, sondern für die gesamte Bevölkerung in Schleswig-Holstein. Wir haben uns an den Interessen des Landes zu orientieren. Deswegen ist es so, dass der Finanzminister vor den finanziellen Belastungen warnt, die die Reform mit sich

bringt. Deswegen ist es so, dass die Bildungsministerin vor einem ungesunden Wettbewerb im Bildungswesen warnt. Als Innenminister muss ich sagen: Es geht um die Verlagerung der Gesetzgebungszuständigkeiten für die Laufbahn-, Besoldungs- und Versorgungsrechte der Beamtinnen und Beamten von Bund und Ländern und der Abschaffung des entsprechenden Rahmenrechts.

Herr Kubicki, Sie sind so wunderbar berechenbar. Deswegen wusste ich, dass Sie mit dem Sinneswandel kommen, den wir angeblich vollzogen hätten, was das Thema Beamtenrecht angeht. Ich darf mit der Genehmigung des Präsidenten aus der Debatte vom 12. November 2004 zitieren. Da hat die damalige Ministerpräsidentin Frau Simonis Folgendes ausgeführt:

„Es darf auch nicht sein, dass öffentliche Fürsorge, Besoldungs- und Versorgungsrecht davon abhängig gemacht werden - dort bin ich beispielsweise ganz anderer Meinung als Sie, Herr Hentschel -, wie nun gerade die Kassenlage der einzelnen Länder aussieht oder wie gut es einem gelingt, die anderen zu überreden oder besoffen zu reden, dass eine Erhöhung oder Senkung für irgendetwas vernünftig ist. Da müssen schon Spielregeln sein, die von Nord bis Süd und Ost bis West gelten, die uns aber Gestaltungsspielraum lassen.“

Und um den Gestaltungsspielraum ging es bei den Öffnungsklauseln, Herr Kubicki. Insofern ist der Wankelmut eher bei Ihnen. Denn die Drucksache trägt Ihre Unterschrift, wie ich gesehen habe. Insofern weiß ich nicht, wer seine Position geändert hat. Ich war es nicht, sondern vielleicht der Abgeordnete Kubicki.

Das Vorhaben in der jetzigen Form, meine sehr verehrten Damen und Herren, würde dazu führen, dass wir neues Personal in den Ländern brauchten - also mehr und nicht weniger Bürokratie -, dass wir Kosten- und Personalsteigerungen hätten, dass wir im Zweifelsfall 17 verschiedene Besoldungs- und Versorgungssysteme hätten, dass wir in einem zusammenwachsenden Europa weniger Mobilität hätten und dass wir die Altersversorgungssysteme, die ohnehin schon undurchsichtig genug sind, verkomplizieren würden.

Eines muss ich Ihnen auch ehrlich sagen: Der Verfall eines einheitlichen Flächentarifvertrags, der vor allem von den großen und reichen Ländern oder den großen Unternehmen betrieben wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht im In

(Minister Dr. Ralf Stegner)

teresse unseres Landes. Das steht übrigens auch nicht in unserem Koalitionsvertrag.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf etwas anderes verständigt. Also, es gibt auch als grundsätzlicher Befürworter einer Föderalismusreform gute Gründe dafür, sehr wohl auf die Details zu achten. Dies gilt umso mehr, als von interessierter Seite ein zügiges Gesetzgebungsverfahren angestrebt wird und zügig heißt, man soll hier nicht über die Details reden. Ich finde, bei den Lebensfragen unseres Landes sollte - auch im Interesse der Parlamente - sehr wohl über Details geredet werden dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Also, weder Parteiraison noch Resignation - und ich habe selten so oft den Satz „Sie haben ja Recht, aber…“ gehört - sollte uns daran hindern, über die Frage vernünftig zu sprechen.

Herr Kubicki: Knapp daneben ist auch vorbei. Sie haben mich falsch zitiert, was die dpa-Meldung angeht. Ich habe da etwas anderes festgestellt. Denn es gilt: Über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat entscheidet nicht der Innenminister, sondern das gesamte Kabinett, meine Damen und Herren. Wir werden unseren konstruktiv-kritischen Kurs an dieser Stelle im Interesse des Landes, im Interesse seiner Bürgerinnen und Bürger und letztlich im Interesse einer funktionierenden bundesstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. Denn diese bundesstaatliche Ordnung wird nicht besser, wenn die kleinen Länder gezwungen werden zu fusionieren. Das liegt meiner Meinung nach nicht im Interesse eines selbstbewussten Landes, wie es Schleswig-Holstein eines ist.

(Beifall)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Rolf Fischer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den verschiedenen Beiträgen ist schon in Halbsätzen darauf hingewiesen worden, dass zur Föderalismusreform auch die europäische Dimension, also die europäische Ebene gehört. Frau Lütkes hat das zutreffend ausgeführt. Ich will deutlich machen, dass sich die Föderalismusreform in der Bundesrepublik nicht durchsetzen wird, wenn es nicht gelingt, die neue Ebene, nämlich Europa mit einzubeziehen. Insofern nehme ich es gerne auf.