Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den verschiedenen Beiträgen ist schon in Halbsätzen darauf hingewiesen worden, dass zur Föderalismusreform auch die europäische Dimension, also die europäische Ebene gehört. Frau Lütkes hat das zutreffend ausgeführt. Ich will deutlich machen, dass sich die Föderalismusreform in der Bundesrepublik nicht durchsetzen wird, wenn es nicht gelingt, die neue Ebene, nämlich Europa mit einzubeziehen. Insofern nehme ich es gerne auf.

Lassen Sie mich auf Folgendes hinweisen: Es hat in der Debatte zur Föderalismusreform zwei Schwerpunkte gegeben. Das ist zum einen die Frage der EU-Haftung und zum anderen die Frage des Art. 23 GG, Beteiligung beziehungsweise Berücksichtigung der Länder, gewesen; auch das ist bereits genannt worden. Die vorliegenden Ergebnisse allerdings gehen bisher nur in eine Richtung und das erscheint mir zu wenig.

Es ist nicht ausreichend, nur die Informationsrechte, also die frühzeitige Information oder Berücksichtigung festzuschreiben. Es muss vielmehr auch darum gehen, dass der Einfluss der Länder in Berlin und auf Europa stärker wird. Hier müssen wir nacharbeiten, wenn wir Einfluss nehmen wollen.

Das gelingt nur, wenn wir auch die Fokussierung auf die Landesregierungen, die hier gemeint sind, ein wenig auflösen. Es liegt sicherlich im Interesse des gesamten Parlamentes, dass es uns gelingt, darüber zu diskutieren, wie wir uns als Parlament fit machen können, die neuen Instrumente, die uns durch diese Föderalismusreform gegeben werden, auch anzuwenden. Diese Instrumente müssen wir aber zunächst diskutieren und beschließen.

Ich weise darauf hin, dass die Stärkung der Europakammer auf Bundesratsebene ein Schritt ist, dass wir aber die Voraussetzungen für die Stärkung der Bundesebene nur schaffen können, wenn wir eine Art Europakammer auf Landesebene einrichten. Das heißt, wir müssen die Instrumente, die wir hier im Land haben, schärfen, damit wir die Europatauglichkeit, die durch die Föderalismusreform auf den Weg gebracht wird, auch in Einfluss umsetzen können. Dafür möchte ich werben.

Daher mache ich den Vorschlag, dass wir im Europaausschuss die Frage der Europaebenen, der Schärfung der Instrumente, die wir haben, möglicherweise mit der Konsequenz einer Änderung der Landesverfassung oder der Geschäftsordnung unseres Landtags intensiv diskutieren und hier im Parlament in einer Debatte behandeln. Ich glaube, das würde auch die parlamentarische Seite und nicht nur die Seite der Regierungen stärken. Das wäre ein Weg hin zu mehr Einfluss und nicht nur zu mehr Informationen.

(Beifall)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich der Frau Abgeordneten Monika Heinold das Wort.

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ziel dieses Berichtsantrages ist es - so habe ich den Berichtsantrag auch verstanden -, anschließend zu wissen, was auf Bundesebene diskutiert wird und wie sich unsere Landesregierung verhält. Diese Frage, Herr Ministerpräsident, haben Sie nicht beantwortet. Nach dieser Debatte weiß ich als Parlamentarierin immer noch nicht, ob Schleswig-Holstein der Föderalismusreform zustimmen wird, selbst wenn es in den nächsten Wochen zu keinerlei Bewegung mehr kommt.

Der Innenminister spricht von ruinösem Wettbewerbsföderalismus und hat in Köln eine große Rede dazu gehalten. Der Ministerpräsident sagt, letztlich dürfe das Ganze nicht platzen. Ich fordere Sie auf, Herr Ministerpräsident, dem Parlament - noch bevor Sie im Bundesrat abstimmen - hier und heute zu sagen, ob Sie der Reform zustimmen werden, selbst wenn es keine Änderungen mehr am Paket gibt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. - Es ist beantragt worden, den mündlichen Bericht der Landesregierung an den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend an den Europaausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich ums Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes SchleswigHolstein

Gesetzentwurf der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/354 (neu) - 2. Fassung

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist ersichtlich nicht der Fall.

Ich eröffne die Grundsatzberatung. Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abgeordnete Anne Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit der Fraktion der FDP und den Abgeordneten des SSW hier einen

Antrag zur Änderung der Landesverfassung vorlegen können.

Meine Damen und Herren, Verfassungsanpassungen sind rechtsstaatliche Verankerungen eines gewandelten Bewusstseins. Sie dienen der Integration gesellschaftlicher Gruppen und sie führen zur Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Staat.

Staatsziele formulieren einen Anspruch der Gesellschaft an sich selber. Sie sind gleichzeitig das Ergebnis eines sich wandelnden Bewusstseins, dürfen sich jedoch nicht auf die Dokumentation gesellschaftlicher Realitäten beschränken.

Viele Verfassungsänderungen spiegeln historische Umbrüche oder geänderte Rahmenbedingungen wider. So ist ganz besonders vor dem Hintergrund der europäischen Minderheitenpolitik die Aufnahme der Rechte der Sinti und Roma in den Katalog der Minderheitenrechte, die durch Art. 5 unserer Verfassung geschützt sind, geboten.

Neben dem Landesverfassungsgericht, das wir mit dieser Änderung einrichten wollen und für das ich mich schon sehr lange auch als Justizministerin stark gemacht habe, liegt allen Antragsstellern das allgemeine Diskriminierungsverbot am Herzen. Wir wollen alle drei Säulen unserer Staatsgewalt verpflichten, aktiv sozialen und rassistischen Diskriminierungen entgegenzuwirken. Hiermit setzen wir einmal mehr ein wichtiges Signal für ein weltoffenes und solidarisches Schleswig-Holstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zum Thema Pflege! Wir wollen festhalten, dass das Land Schleswig-Holstein in den letzten Jahren viel erreicht hat und dass dies in einer ganz praktischen Verbesserung erfolgte. Gerade darum ist es wichtig, den hohen Standard, den wir uns selber gesetzt haben, auch in der Verfassung zu verankern. Es ist gut, dass die SPD ihren Koalitionspartner offensichtlich davon überzeugt hat, dass dies wichtig ist.

Wir schlagen weiter vor, die Klagebefugnis vor dem Landesverfassungsgericht auch für die Opposition so zu regeln, dass nicht nur ein Drittel der Abgeordneten des Landtags klagen können. Das ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein elementares Recht. Im Gegensatz zu anderen parlamentarischen Minderheitsrechten kann man dies nicht auf dem Weg der Selbstverpflichtung der großen Koalition regeln. Vielmehr bedarf dies einer verfassungsrechtlichen Absicherung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die in diesem Antrag aufgeführten Verfassungsergänzungen stehen größtenteils schon sehr lange im Raum und auch in diesem konkreten Raum. Eine Ausnahme machen unsere jetzt vorgelegten Vorschläge zur Regelung der Oppositionsführerschaft. Herr Oppositionsführer, sehr gern schlagen wir gemeinsam vor, die heute gegebene Situation des Fraktionspatts so zu regeln, denn FDP und Grüne haben jeweils vier Abgeordnete, sind also quantitativ gleich. Mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen. Insofern bedarf es einer klaren Regelung.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Das Recht der Opposition auf die Erweiterung der Normenkontrollfrage haben Sie schon erwähnt. Wir haben also schon sehr lange über diese konkreten Vorschläge diskutiert, zuletzt im Januar 2005, also vor genau einem Jahr. Damals hat die CDUFraktion den noch von Rot-Grün vorgelegten Antrag, der von der FDP unterstützt wurde, mit der Begründung abgelehnt, dass man aus rein formalen Gründen in der bald zu Ende gehenden Legislaturperiode keine Verfassungsänderung mehr auf die Schiene setzen wollte. Es gab also keinen inhaltlichen Dissens, sondern es gab lediglich Verfahrensgründe.

Insofern haben wir gewartet. Nun haben wir schon fast seit einem Jahr eine neue Legislaturperiode. Wir wissen, dass es zwischen den Koalitionsparteien in dem hier schon viel zitierten Koalitionsvertrag eine Vereinbarung gibt, unter anderem ein Landesverfassungsgericht einzurichten.

Der Kollege Puls hat als Sprecher in der letzten Innen- und Rechtsausschusssitzung angekündigt, dass im Rahmen dieser Sitzung von der Landesregierung oder aber von den beiden großen Koalitionsfraktionen ein Vorschlag vorgelegt werden sollte. Insofern haben wir zunächst gewartet und gesagt: Gut, wenn es einen gemeinsamen Antrag oder eine gemeinsame Zielrichtung geben kann, dann wollen wir nicht vorpreschen, denn eine Verfassung sollte man möglichst einverständlich diskutieren und regeln. Leider liegt heute kein Antrag der großen Koalition vor. Wir lesen aber in der Presse, dass der Vorsitzende der CDU schon den Standort des Verfassungsgerichts für Schleswig-Holstein, das wir noch nicht haben, nach Lübeck verschenkt oder verkauft hat. Ich weiß es nicht. In jedem Fall hat er versprochen, dass das Verfassungsgericht nach Lübeck kommen wird. Ich glaube, in der Frage des Standorts werden wir uns sicher einig werden. Es wird viele Vorschläge geben. Entscheidend ist erst einmal, dass die Verfassung ein Landesverfassungsgericht zu

lässt und dass wir nicht als einziges Bundesland von 16 kein solches Gericht haben.

Wir haben also nicht länger gewartet. Gern wären wir gemeinsam vorgegangen. Es geht nicht. Man kann nicht einerseits einen Sitz des Gerichtes bestimmen, andererseits aber keinen Antrag vorlegen. Insofern hoffen wir auf der Basis der gesamten und inhaltlich auch einverständlichen Debatte der Vergangenheit, dass unsere Verfassungserweiterung vom ganzen Haus mitgetragen und - wie wir es gerade vom Innenminister gelernt haben - zügig, inhaltlich und solidarisch in Erster Lesung zur Kenntnis genommen wird, schnell im Ausschuss beraten und hier erneut beschlossen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Antrag der Oppositionsfraktionen wird im Wesentlichen das nachvollzogen - dies ist zu begrüßen -, was CDU und SPD in ihren Koalitionsvereinbarungen bereits verabredet haben. Ich freue mich, dass wir im hohen Haus dahin gehend übereinstimmen, dass zum Beispiel das Recht auf menschenwürdige Pflege sowie der Schutz der Rechte der Pflegebedürftigen als Staatsziel in unsere Landesverfassung aufgenommen werden sollen. Im Grundsatz herrscht auch Einigkeit über die Frage der Einrichtung eines Verfassungsgerichts, wobei unter anderem sicherlich noch über die Frage der Besetzung zu diskutieren sein wird.

Mit der Aufnahme von Staatszielen in die Verfassung sollte meines Erachtens allerdings vorsichtig umgegangen werden. Um es überspitzt auszudrücken: Die Verfassung des Landes darf und sollte ebenso wenig wie die des Bundes ein Bekenntnisbuch sein. Man sollte vielleicht auch davon Abstand nehmen, in der Landesverfassung Regelungen neu zu treffen, die ihrem Grundsatz nach bereits im Grundgesetz niedergelegt sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist fast alles!)

Auch wenn wir zum Beispiel in politisch wichtigen Fragen Übereinstimmung haben, so bleibt im Anschluss daran immer noch die Frage zu klären, ob diese Übereinstimmung und die Bedeutung von Sachfragen letztlich dazu führen müssen, daraus Staatsziele zu formulieren, Herr Kollege Kubicki.

(Anne Lütkes)

Bisher hatten wir unter anderem zwei Staatsziele. Das eine war der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und das andere war der Schutz der nationalen Minderheiten, die in Schleswig-Holstein eine Besonderheit darstellen. Wenn zum Beispiel darüber hinaus die Aufnahme eines besonderen Schutzes oder einer besonderen Förderung von Kindern und Jugendlichen verlangt werden, so sind wir unstreitig einer Meinung, dass der Schutz und die Förderung von Jugendlichen politisches Anliegen oberster Priorität sein müssen. Gleichwohl erlaubt sich die Frage, ob angesichts der aktuellen enormen Anstrengungen der Politik auf allen Ebenen darüber hinaus noch die Notwendigkeit einer entsprechenden Staatszielbestimmung zu sehen ist, um diese Anliegen zu verankern.

Ich finde es gut, dass auch im Hinblick auf die Regularien, die dazu führen, im Schleswig-Holsteinischen Landtag den Oppositionsführer zu bestimmen, Einigkeit herrscht. Ich finde es gut, dass Sie dies in ihren Antrag aufgenommen haben, denn es macht deutlich, dass hier nicht die Mehrheit der Minderheit irgendetwas oktroyiert, sondern dass wir im demokratischen Konsens sind und dass diejenigen, die jetzt betroffen sind, eine einvernehmliche Regelung getroffen haben. Ich glaube, das ist im Sinne des demokratischen Geistes dieses Hauses zu begrüßen und sollte vielleicht auch ein wenig den Geist bestimmen, in dem wir im Ausschuss gemeinsam die Vorschläge von Opposition und Koalition sachgerecht diskutieren. Das sollte unser gemeinsames Anliegen sein. Wir sind dazu bereit.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Stritzl. - Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es ein schönes Gefühl, wenn ein Antrag, den man vor Jahren einmal selbst formuliert hat,

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

von anderer Seite das Parlament erreicht und jetzt sogar die Chance hat, zumindest teilweise mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen zu werden. Wir freuen uns, dass die Opposition die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen in unserer Landesverfassung absichern und eine

Versorgung fördern will, die allen Pflegebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Wir freuen uns auch darüber, dass die Opposition Vorschläge für die Errichtung eines Landesverfassungsgerichts in Schleswig-Holstein wiederholt, die seit langem auf dem Tisch - oder besser in der Schublade - liegen. Die drei kleineren Fraktionen dieses Hauses dokumentieren damit, dass sie den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien unterstützen und dass sie uns bei der Umsetzung durch konstruktive Beiträge behilflich sein wollen. Dafür vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)