Dann bitte ich den Minister für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Herrn Dr. Christian von Boetticher, um den Bericht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die die neue Landesregierung tragenden Parteien haben in ihrem Koalitionsvertrag dreierlei Dinge verabredet: Einmal soll die Gebietskulisse anhand der vom EU-Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien überprüft und es sollen dabei möglicherweise vorhandene naturschutzfachliche Spielräume genutzt werden. Zum Zweiten ist beschlossen worden, europäisches Recht in Zukunft eins zu eins umzusetzen, also nur noch das zu tun, was aufgrund des Rechts der Europäischen Union wirklich geboten ist. Drittens ist verabredet worden, Naturschutz vor allem mit den Menschen vor Ort zu machen und diese Menschen in die Entscheidungsfindung, aber auch in die Um
setzung stärker mit einzubinden. Aus diesem Grund haben wir in die Überprüfung vor Ort sehr stark vor allem die Kritiker einbezogen; denn die Kritiker waren in der Regel die Menschen, die die Belastungen und Auflagen, die ja zum Teil kommen, am Ende mittragen müssen. Darum war es mir besonders wichtig, dass diejenigen, die sich jetzt und auch in den vergangenen Jahren stark gewehrt haben, an dem Prozess der Entscheidungsfindung mitwirken können, ohne dass sie uns maßgeblich sagen, was wir als Regierung zu tun haben, aber dass sie teilnehmen, um das nachvollziehen zu können.
Mir wird im Augenblick natürlich vor allem die Frage gestellt: Wie geht das? Wie kommt man auf Eiderstedt von einer Fläche von über 20.000 Hektar, die die alte Landesregierung vorgesehen hatte, auf etwas mehr als 2.800 Hektar, wie ich es jetzt als Vorschlag einzubringen gedenke? Das ist aber nicht die eigentlich interessante Frage. Die interessante Frage ist vielmehr: Wie ist man vorher von den 2.000 Hektar, die Rainder Steenblock 1999 vorgesehen hatte, auf dann über 20.000 Hektar gekommen? Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wird man die Antwort auf die andere Frage schnell finden.
Man schafft es nur dann, Eiderstedt vollständig anzumelden, wenn man auf die Ramsar-Konvention verweist und Eiderstedt zum Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung erklärt.
Nun ist es interessant zu sehen: Die Ramsar-Konvention ist von 1971. Die letzte Änderung erfolgte 1987 und eine Konkretisierung durch die Montreux-Kriterien von 1989. Dreizehn Jahre lang ist niemand auf die Idee gekommen, Eiderstedt als Feuchtgebiet zu betrachten. In dem Landschaftsrahmenplan von 2002 sind die internationalen Feuchtgebiete abschließend aufgezählt. Man kann es nachvollziehen: Das ist die Geltinger Birk, die Oehe-Schleimünde und die Eider-Treene-SorgeNiederung. Bis zu diesem Augenblick ist niemand, keiner der Minister, die vorher regiert haben, auf die Idee gekommen, Eiderstedt als Feuchtgebiet anzuerkennen.
Dann kam in der Tat die Frage, wie man die Ausweisung von ganz Eiderstedt begründen will. Da ist man dann zunächst auf Montreux, auf die Frage der Vogelzahl gekommen. Man hat gezählt und gesagt: Ja, das stimmt.
Dann hat man intern aber festgestellt, dass damit kein Feuchtgebiet begründet werden kann. Montreux begründet nämlich nur eine internationale Bedeutung eines Feuchtgebietes, aber nicht, was ein
Feuchtgebiet ist. Wer einmal auf Eiderstedt gewesen ist, der weiß, dass dort gerade einmal 200 Hektar den Kriterien der Konvention entsprechen. 200 Hektar sind wirklich Feuchtgebiet.
Interessant war auch die nächste Begründung, die nachgeschoben wurde, nämlich die IBA-Liste. Die gibt es in der Tat. IBA: Important Bird Area. Dort gibt es eine Liste der Gebiete, in der auch Eiderstedt jedenfalls mit dem nördlichen Teil verzeichnet ist. Allerdings muss man dazu sagen, dass diese IBA-Liste zunächst nur Indizwirkung hat und dass die Kommission immer anerkannt hat, dass, wenn man ein Konzept hat, dieses Konzept IBA natürlich überlagert. Das ist von der Kommission, übrigens auch vom EuGH, anerkannt worden.
Jetzt wird es interessant, meine Damen und Herren. Es gibt einen Vermerk des Hauses vom 18. November 2003. Er endet mit den Worten des zuständigen Bearbeiters im Ministerium: Wenn ihr ganz Eiderstedt melden wollt, würden wir meines Erachtens von unserem Konzept abweichen und erstmalig Gebiete ausschließlich oder ganz überwiegend mit Arten nach Art. 4 Abs. 2 - in der Folge die Wiesenvögel - begründen, was wir sonst vermieden haben.
Das heißt, man hat sich über das alte Konzept hinweggesetzt. Die Entscheidung fiel dann eine Woche später: Heute wurde mitgeteilt, dass Minister Müller entschieden hat, ganz Eiderstedt zu melden. Das heißt, es ist an dieser Stelle ganz eindeutig auch gegen die eigene fachliche Beratung entschieden worden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Kann-Bestimmung handelt. Die Frage nämlich, ob man Eiderstedt zur Abrundung des Wattenmeeres hinzunimmt, ist auch nach der Ramsar-Konvention eine Kann-Bestimmung.
Es ist eine Kann-Bestimmung, dass man es möglich machen kann, auf die Important Bird Area zurückzugreifen, aber es ist keine Muss-Bestimmung. Das Konzept ist nicht rechtswidrig geworden. Es ist nicht rechtswidrig, Eiderstedt zu melden, aber es ist eben auch nicht von der Europäischen Union verpflichtend verlangt. Genau das sind die Spielräume, die wir jetzt nutzen.
Wenn man von diesem Beurteilungsspielraum Gebrauch macht und ebenso wie vor 2004 auch sagt, dass es kein Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung ist, dann entfällt die Verpflichtung, ganz Eiderstedt auszuweisen. Dann kommen wir auf ein Konzept zurück, das Herr Steenblock damals gemacht hat und das im Kern richtig war, nämlich sich darauf zu konzentrieren, wo die Trauersee
schwalben sitzen. Das ist die Anhang-1-Art, die dann übrig bleibt und genau diese Kernbereiche der Trauerseeschwalbe schützt. Es wird immer gesagt, das seien einzelne Gebiete, das seien keine zusammenhängenden Flächen, sondern drei einzelne Gebiete, die ausgewiesen würden. Das ginge nicht, wir müssten vernetzen. Ich habe mir Karten aus anderen deutschen Gebieten kommen lassen, beispielsweise das westliche Münsterland.
- Das kann man schlecht erkennen. Die grünen Flächen sind sehr kleinteilig und einzeln, nicht zusammenhängend. Das ist im Übrigen nie von der Kommission beanstandet worden. Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt: Im Unterschied zu FFH, wenn ich dort einen Lebensraumtyp melde, wo ich Tiere habe, die sich bewegen, muss ich, wenn ich die Tierart an verschiedenen Stellen lokalisiere, Bewegungsräume melden. Vögel haben die Eigenschaft zu fliegen.
Wenn ich ein Rastgebiet auf der einen Seite habe und einen Nahrungsraum auf der anderen Seite, dann macht es relativ wenig Sinn, die dazwischen liegende Fläche, auf der sich keine Vögel befinden, mit zu melden, weil sie die Gebiete in der Regel nicht überqueren müssen. Darum ist es im Vogelschutz durchaus anerkannt, dass man einzelne Spotpoints meldet und eben nicht große zusammenhängende Flächen.
Genau das haben wir getan, anerkannt nach naturschutzfachlichen Kriterien, sowohl auf Eiderstedt als auch in der Eider-Treene-Sorge-Region, auf Eiderstedt anhand der Trauerseeschwalbe und in der Eider-Treene-Sorge-Region vor allen Dingen anhand der Schwäne, insbesondere des Zwergschwans. Wir haben uns dort auf diese Kerngebiete beschränkt, übrigens unter Beibehaltung des Konzeptes der alten Landesregierung und unter Beibehaltung der ornithologischen Daten. Die ornithologischen Daten sind unter Mitwirkung der verschiedensten Beteiligten auf den neuesten Stand gebracht worden. Aber im Wesentlichen sind die Erkenntnisse nicht abweichend. Und darum wird naturschutzfachlich ganz sauber mit den Menschen vor Ort das umgesetzt, was uns die EU-Kommission wirklich auferlegt, ohne noch alles das zu machen, was auf anderen Gebieten so wünschenswert ist.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines sagen. Es wird mir immer unterstellt, ich würde die Gebiete so schneidern, dass sie ganz knapp sind, dass das
bei der Europäischen Union durchfällt et cetera. Niemand, kein Bundesland weiß, was am Ende bei der Europäischen Union durchkommt, weil es keine konkreten Daten gibt, die uns Erfüllungsgrade sagen würden.
- Das war bei Ihnen nicht anders. Diese Grundlage ist bei Ihnen genauso gewesen. Im Übrigen geht das allen Ländern so. Auch in Nordrhein-Westfalen, wo die Grünen beteiligt waren, ist die Situation nicht anders. Niemand kann ganz genau sagen, was die Europäische Union akzeptiert und was nicht. Aber wir haben die entsprechenden Fachmeinungen, die uns sagen, das ist ein Konzept, das den Geboten der Europäischen Union Rechnung trägt und darum alle Chancen hat, einer Überprüfung standzuhalten.
Ich möchte Ihnen noch eines sagen. Ich arbeite im Augenblick nicht nur auf Eiderstedt und in der Eider-Teene-Sorge-Region. Ich arbeite auch dort, wo ich erstmalig etwas zu melden habe, was bisher nicht gemeldet worden ist. Und das tue ich mit großer Seriosität, ohne dass ich Angst habe, mich mit den eigenen Leuten anzulegen, die dort vor Ort teilweise in einer unangenehmen Situation sind, weil sie auch einmal gesagt haben „Wir müssen nicht“ und jetzt doch müssen. Das ist anerkannt. Das ist eine schwierige Situation, und die stehe ich durch, weil ich naturschutzfachlich sauber arbeite. Wer glaubt, dass ich dort als Christdemokrat durch ein Feuer gehe, nur um das auf der anderen Seite wieder einzureißen, weil ich nicht sauber arbeite, der kennt mich schlecht. So sauber wie ich dort arbeite, so sauber arbeiten wir auch in Eiderstedt und in der Eider-Treene-Sorge-Region. Wir wollen diese Meldung fachlich sauber zu Ende bringen. Wir wollen die Leute mitnehmen. Wir wollen den Geboten der Europäischen Union folgen. Aber wir wollen eben auch nicht mehr machen, als wir müssen. Ich denke, das ist mit den beiden Vorschlägen erreicht.
Ich danke dem Herrn Minister für seinen Bericht. Er ist in der Zeit geblieben. Wir bleiben also innerhalb der zehn Minuten.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Antragsteller erteile ich dem Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landesumweltminister beabsichtigt nach eigenen Aussagen - er hat es eben wiederholt -, dem Kabinett eine völlig neue Gebietskulisse für die Ausweisung eines Vogelschutzgebiets auf Eiderstedt vorzulegen. Herr Minister von Boetticher, da die Fläche gegenüber der Beschlusslage begründet wesentlich kleiner ist, sind Sie in dieser Angelegenheit auf dem richtigen Weg. Sie wollen die vorgesehenen Flächen für die Ausweisung von Vogelschutzgebieten auf Eiderstedt drastisch von 20.000 ha auf weniger als 3.000 ha reduzieren. Das sind immerhin 85 %. Dass der Koalitionspartner SPD beziehungsweise Teile der SPD dies nicht ohne Murren hinnehmen würden, ist klar. Reift doch die Erkenntnis, dass nicht mehr nach ideologischen, sondern nach naturschutzfachlichen Gründen zu untersuchende Flächen beurteilt werden.
In einem Punkt kann ich das Murren allerdings nachvollziehen. Für einige Ministerinnen und Minister ist es natürlich ein Dilemma, im Kabinett Simonis einem vielfach größeren Gebiet zugestimmt zu haben, als es jetzt von ihnen erwartet wird. Das hat schon was. Es hat allerdings etwas mit Vertrauen zu tun. Es ist ganz klar, dass man in einem Kabinett seinen Kollegen vertrauen muss. Es stellt sich hier logischerweise die Frage: Vertraue ich dem alten oder dem neuen Umweltminister?
Aber geht es hier nur um persönliche oder um parteipolitische Eitelkeiten? Wird man den Interessen von Naturschutz und der Menschen auf Eiderstedt wirklich dadurch gerecht, dass man beispielsweise Ministerin Erdsiek-Rave oder Minister Dr. Stegner vor einem möglichen Gesichtsverlust bewahrt, wenn sie es denn überhaupt so empfinden? Wir meinen, nein. Kritisieren könnte ich eventuell den Informationsfluss aus dem Ministerium ins Kabinett oder in die Regierungsfraktionen. Aber soll das mein Problem sein? Allein die naturschutzfachliche Beurteilung der Flächen ist relevant und gibt den Rahmen der Schutzgebietsausweisung vor. Genau darum geht es. Es geht um die Fachlichkeit in dieser Frage und nicht um die lautstarke Lautstärke derer, deren Einschätzung von vor der Wahl sich eben als nicht zutreffend herausgestellt hat.
Dabei waren sich die Vertreter der Vorgängerregierung selbst nicht einmal so sicher, ob die 20.000 ha Vogelschutzgebietsflächen auf Eiderstedt gerechtfertigt waren, auch wenn jetzt ein anderer Eindruck erweckt werden soll. Sonst wäre doch die vormalige SPD-geführte Landesregierung verpflichtet gewesen, die Flächen nach Berlin beziehungsweise nach Brüssel zu melden. Hat sie aber nicht. Daher ist es jetzt dieser Regierung möglich, eine neue realistische Einschätzung vorzunehmen und die Flächen entsprechend zu reduzieren. Das sollten auch die Ex-Minister des Kabinetts Simonis bedenken.
Meine Damen und Herren, der Umweltminister hat die Gebietskulisse für Vogelschutzgebiete entscheidend reduzieren können, weil er die Einstufung weiter Gebiete als Feuchtgebiete zurückgenommen hat. Es reicht eben nach den bekannten europäischen Richtlinien zur Einstufung eines Gebiets als Vogelschutzgebiet nicht aus, dass lediglich eine Vogelart in gewisser Anzahl auf einem Gebiet vorkommt. Es muss gleichzeitig auch der für diese Art typische Lebensraum, also die so genannte flächenmäßige Eignung gegeben sein. Diese ist aber auf Eiderstedt offensichtlich zu großen Teilen nicht gegeben. Nur dem persönlichen Engagement der Bewohner Eiderstedts ist es zuzuschreiben, dass durch die Platzierung entsprechender künstlicher Nisthilfen die Voraussetzungen für die verstärkte Ansiedlung der Trauerseeschwalbe geschaffen wurde. Es spricht also einiges dafür, dass der Lebensraum dieser Vogelart von Natur aus auf Eiderstedt nicht oder nicht mehr gegeben ist oder war. Da wir die naturschutzfachliche Begründung des Ministers für seinen Gebietsvorschlag im Einzelnen nicht kennen, können wir heute noch nicht abschließend beurteilen, ob seine Entscheidung begründet ist.
Insbesondere der Naturschutzbund hat hierzu eine abweichende Meinung geäußert. Er hat erst gestern im Internet einen Frage- und Antwortenkatalog veröffentlicht, in dem er behauptet, dass fast ganz Eiderstedt ein Feuchtgebiet internationaler Bedeutung sei. Diese Behauptung wird insbesondere auf folgende These gestützt - ich zitiere -:
„Das wichtigste Kriterium zur Auswahl eines Feuchtgebietes internationaler Bedeutung nach der Ramsar-Konvention ist das so genannte 1 %-Kriterium. Es besagt, dass regelmäßig mindestens 1 % des Gesamtbestandes einer Wat- oder Wasservogelart in dem entsprechenden Gebiet vorkommen muss.“
Das ist richtig, wenn es um die Umstufung eines bereits vorhandenen Feuchtgebietes in ein „bedeutendes“ Feuchtgebiet geht. Was aber in dieser Ar
gumentation geflissentlich weggelassen wird - ob absichtlich oder nicht, lasse ich einmal dahingestellt - ist, dass die Landstriche auf Eiderstedt in großen Teilen nicht der Definition der Ramsar-Konvention für ein Feuchtgebiet entsprechen.
„Ein Feuchtgebiet im Sinne dieses Übereinkommens sind Feuchtwiesen, Moor- und Sumpfgebiete oder Gewässer, die natürlich oder künstlich, dauernd oder zeitweilig, stehend oder fließend, Süß-, Brack- oder Salzwasser sind, einschließlich solcher Meeresgebiete, die eine Tiefe von 6 m bei Niedrigwasser nicht übersteigen.“
Da liegt es auf der Hand, dass weite Landstriche Eiderstedts eben nicht dieser Definition entsprechen zum Glück der dort Wohnenden. Eiderstedt wäre sonst nämlich gar nicht besiedelbar.