Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Der Einsatz dieser so genannten elektronischen Fußfesseln findet derzeit - das ist bereits gesagt worden - nur in Hessen statt. Dort wurde er unter Beteiligung der FDP an der Regierung eingeführt. Dort war er als Ersatz für eine Haftstrafe gedacht, entwickelt sich aber faktisch zu einem dritten Sanktionsmittel zwischen Freiheits- und Bewährungsstrafe. Es gibt mehre Zwischenberichte zum Einsatz dieser Fußfessel und diese zeigen, dass der kriminalpolitische Erfolg höchst fragwürdig ist, zumal man beachten muss, dass der Einsatz der elektronischen Fußfessel von weiteren Maßnahmen beispielsweise sozialarbeiterische Betreuung - sehr intensiv begleitet wird, die man auch ohne Fußfessel durchaus einsetzen kann.

Die elektronische Fußfessel bewirkt eine sehr tiefgehende Kontrolle des Privatlebens der Überwachten - aber nicht nur des Lebens der Überwachten selber. Auch die Haushaltsangehörigen, die Familie, wird von dieser Überwachung erfasst. Auch ihre informationelle Selbstbestimmung wird tief verletzt; in sie wird eingegriffen. Wir lehnen daher das Instrument der Fußfessel nach wie vor grundsätzlich ab.

(Thomas Rother)

Herr Kollegen Lehnert, ich möchte darauf hinweisen, hinsichtlich der Überbelegung der Haftanstalten sollte man mehr über gemeinnützige Arbeit anstelle der Fußfessel nachdenken. Hierzu gibt es in Schleswig-Holstein sehr gute Programme, die weiter ausgebaut werden können.

Der niedersächsische Innenminister will die Voraussetzungen für die Fußfessel im Ausländerrecht festschreiben. Mag das heißen, dass der Hass mit deutschem Pass weniger hässlich oder weniger gefährlich wäre? - Er sagt es nicht. Es bleibt offen, an welche rechtsstaatlich belastbaren Voraussetzungen der elektronische Hausarrest geknüpft werden soll.

Eine Legaldefinition des Begriffes „Hassprediger“, die dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, kann ich mir nicht vorstellen. Wer durch sein Handeln Strafnormen verletzt, wird entsprechend verfolgt und nach den Regeln des Strafrechts gegebenenfalls auch mit einem Freiheitsentzug bestraft. Eine freiheitsbeschränkende Maßnahme aufgrund einer Gesinnung oder aufgrund von Handlungen, die als nicht strafwürdig angesehen werden, ist verfassungswidrig und somit nicht zulässig.

Die Sicherheit, meine Damen und Herren, ist eher durch das gefährdet, was in den Köpfen dieser Menschen und ihrer Anhänger vorgeht, nicht aber durch die Tatsache, wohin sie ihre Füße setzen.

Es ist meines Erachtens auch höchst weltfremd zu glauben, ein Agitator des Hasses könne durch Hausarrest gebändigt oder gar überwacht werden. Ein Meinungsführer wird andere Mittel finden, seine Botschaften unter das Volk zu bringen und letztlich besteht Gefahr für andere nur dann, wenn die Botschaften radikaler „Heilsbringer“ auf fruchtbaren Boden fallen.

Also, wir müssen - hier sind wir uns sicherlich einig - die Jugendlichen durch Teilhabe und Lebensperspektive - das haben wir heute früh schon erwähnt - vom Wert der freiheitlichen Demokratie überzeugen und islamistische Straftäter müssen mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden.

Von daher sollten wir den Vorschlag aus Niedersachen dahin tun, wohin er gehört, nämlich ins Mausoleum für krude politische Vorschläge, und da mag er ruhen.

Ich würde dem Antrag der FDP heute gern zustimmen. Er mag auch gern an den Ausschuss überwiesen werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich deren Vorsitzenden, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Haus schon einmal eine Diskussion über den Einsatz von elektronischen Fußfesseln geführt. Damals äußerte sich der SSW sehr kritisch und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Die Fußfessel ist ein Instrument, um einerseits den Freiheitsentzug durch Haftstrafe zu vermeiden, um somit die Gefängnisse zu entlasten, und andererseits geht es darum, straffällig gewordene Personen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Letztlich so denke ich - ist die Einführung der Fußfessel aber ein Einstieg in mehr staatliche Kontrolle, die eine Alternative zur Haftstrafe darstellen soll.

Es geht hierbei um die Überwachung von Personen, die sich nicht in Haft befinden, und es handelt sich um verurteilte Menschen, die mit der Fußfessel sozusagen unter überwachtem Hausarrest stehen.

Nachdem der niedersächsische Innenminister Schünemann bereits im Juli 2004 in der Innenministerkonferenz mit seinem Vorschlag, die elektronische Fußfessel in das Ausländerecht aufzunehmen, gescheitert war, unternimmt er nun einen neuen Anlauf, um gegen so genannte Hassprediger und radikale Islamisten vorgehen zu können. Laut Schünemann ließen sich mit der elektronischen Fußfessel bundesweit über 3.000 gewaltbereite Islamisten, Hassprediger und in ausländischen Terrorcamps ausgebildete Kämpfer überwachen.

Mit der Fußfessel lassen sich straffällig gewordene Personen in einem gewissen Rahmen überwachen. Sie ist aber kein Instrument, um Übergriffe oder Anschläge zu verhindern. Mit einer Fußfessel kann man auch niemandem den Mund verbieten. Ich denke mir - und das, was schon angeklungen ist, macht vielmehr Sinn -, hier sollte man statt von einer elektronischen Fußfessel eher von einer elektronischen Mundfessel reden.

Ich fasse zusammen: Die Fußfessel ist eine Haftersatzstrafe und für ihren Einsatz benötigen wir eine Verurteilung. Der Einsatz einer Fußfessel darf also nur dann erfolgen, wenn sie als eine Alternative zur rechtskräftigen Haft angesehen werden kann. Ein Blick in das Grundgesetz würde vor diesem Hintergrund reichen, um deutlich zu machen, warum der Vorstoß von Herrn Schünemann bei uns nur Kopf

(Anne Lütkes)

schütteln hervorruft. Wir lehnen Regelungen ab, die darauf abzielen, Menschen zu überwachen, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für strafrechtlich Relevantes vorliegen, nur weil man vermutet, sie könnten gefährlich sein.

Daher ist es nicht akzeptabel, dass der niedersächsische Innenminister fordert, die elektronische Fußfessel ins Ausländerrecht aufzunehmen, zumal er über das Ausländerrecht nicht alle Gefährder erreichen würde. Ich rufe in Erinnerung, dass rund ein Drittel dieser Personengruppe die deutsche Staatsangehörigkeit hat.

Auch die Aussage des Leiters des Kriminologischen Instituts Niedersachsen, Christian Pfeifer, relativiert die Aussage Schünemanns, dass es sich bundesweit um mehr als 3.000 gewaltbereite Islamisten und Hassprediger handele. Demnach schätzt er die Zahl derer, die ein derartiges Gewaltpotenzial haben, bundesweit auf zehn bis 20 Männer. Wer also wie der niedersächsische Innenminister mit solchen Zahlen operiert, schürt damit gezielt eine latente Angst.

Statt also zu rechtlich bedenklichen Mitteln zu greifen, um bestimmte Personenkreise zu kontrollieren, sollten und müssten wir die Mittel ausschöpfen, die wir haben. Und wir haben rechtsstaatliche Mittel, um gegen Hassprediger und gewaltbereite Islamisten vorgehen zu können

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer meint, es gebe nur islamische Hassprediger, verkennt, dass Hass oder verbale Angriffe auf unsere Demokratie nicht nur von islamistischen Extremisten ausgehen. Wir könnten uns in diesem Zusammenhang noch einmal vergegenwärtigen, was in den verschiedenen Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre steht.

Abschließend möchte ich noch eines bei dieser Gelegenheit loswerden. Der SSW kommt ja immer mit diesem berühmten Blick über die Grenze hinweg. Das will ich auch jetzt einmal tun. Denn das, was dort passiert, ist für uns ein Horrorbeispiel dafür, was geschehen kann.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Dort hegt man zwar den berechtigten Wunsch, Menschen zu integrieren, führt aber gleichzeitig eine aggressive öffentliche Debatte darüber.

Das Ergebnis ist, dass sich diese Menschen, die sich gern integrieren lassen wollen, ausgegrenzt fühlen, dass Hassprediger Zulauf bekommen. Das ist das Ergebnis solch einer Entwicklung.

(Beifall beim SSW)

Noch eines ist mir wichtig, weil wir ja hin und wieder sagen: Guckt Euch mal unsere Minderheitenregelung im deutsch-dänischen Grenzland an. Wir haben das ganze letzte Jahr die Bonn/KopenhagenerErklärung gefeiert, so oder so. Die Botschaft dieser Erklärung ist - ich formuliere das einmal um -, dass die Menschen, die gern deutsch oder dänisch sein wollen, das auch dürfen, ohne dass sie belegen müssen, dass sie deutsche Geschichtskenntnisse haben. Sie müssen keinen Test bestehen, sie müssen nicht nachweisen, dass sie seit drei Generationen hier leben. Ausschlaggebend für Menschen ist die persönliche Identität, die persönliche Überzeugung. Wer diese Identität hat, ist auch gewillt, den Staat, die Gesellschaft zu verteidigen, in der er ein gleichberechtigtes Mitglied ist. Das ist die Philosophie. Das ist viel wegweisender als das, was jetzt aus Niedersachsen herübergekommen ist.

(Beifall bei SSW, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag behandelt eine Forderung, die anschauliches Beispiel dafür ist, wo das Augenmaß aufhört und rechtsstaatlicher Boden verlassen wird. Die üblichen Verdächtigen - wenn Sie mir dieses Wortspiel einmal erlauben -, der Kollege Schünemann und Herr Beckstein aus Bayern, setzen sich an die Spitze von Gesetzgebungsänderungen, die keinen Sicherheitsgewinn bringen, dafür aber jede Menge Ressentiments befördern. Ich vermisse nur noch den baden-württembergischen Kollegen mit seiner Fragebogenaktion für Muslime; das geht in die gleiche Richtung.

Lassen Sie uns nicht darauf reinfallen. Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit, wohl gibt es aber Dinge, die wir aus guten Gründen in einem demokratischen Rechtsstaat nicht tun sollten: Wir sollten niemanden wegen seiner Religion verdächtigen, die Grundlagen unseres Rechtsstaates nicht zu akzeptieren, eine vermeintliche Gefährlichkeitseinstufung eines Menschen, was hinter der schillernden Bezeichnung „Hassprediger“ stehen dürfte, reicht nicht. Um es klipp und klar zu sagen: Ich habe null Sympathie für das, was solche Menschen hier vertreten. Aber wenn wir uns gegen die wenden wollen, die unsere rechtsstaatlichen Grundsätze be

(Anke Spoorendonk)

kämpfen, sollten wir das nicht dadurch tun, dass wir diese Grundsätze präventiv aufgeben.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir sollten niemanden ohne ein rechtsstaatliches Verfahren in seinen Menschen- und Bürgerrechten einschränken. Was, bitte schön, erwartet man von einer solchen Überwachung? Zwar könnten wir mit einer Fußfessel die Mobilität der betreffenden Personen einschränken. Brand- und Hetzreden können wir damit aber nicht verhindern. Sinn- und wirkungslose Schikanen sind einem rechtsstaatlichen Gefahrenrecht so fremd wie unangemessen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Auf schikanöses Verhalten sind die Beamten unserer Polizei und unserer Ordnungsbehörden im Rahmen ihrer professionellen Aufgabenwahrnehmung nicht angewiesen. Wir haben eine Bürgerpolizei und wir wissen, wie wir mit Extremisten zum Schutz der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner umzugehen haben.

Bereits heute kann ein Richter oder eine Richterin Hasspredigten als „Anstiftungen" oder als Teil einer unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit werten. Für beide Fälle haben wir freiheitsentziehende Maßnahmen als Ultima Ratio in unserer Rechtsordnung. Dafür brauchen wir keine neuen gesetzlichen Maßnahmen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Freiheitsentziehende Maßnahmen, die Menschen ohne die bezeichneten konkreten Anlässe vorbeugend der Freiheit berauben, verstoßen konkret gegen die Grundrechte unserer Verfassung, gegen Grundprinzipien unseres rechtsstaatlichen Sanktionengefüges und etwa mit der Europäischen Menschenrechtskonvention auch gegen überstaatliche Verpflichtungen, denen die Bundesrepublik Deutschland in der Völkergemeinschaft beigetreten ist.

Zum Eingreifen in die Grund- und Menschenrechte eines Bürgers braucht der Staat einen rechtfertigenden Grund. Unser Altbundespräsident Rau hat zu Recht gesagt, dass das nicht nur für Deutsche gilt, sondern für alle.

Weil das hier angesprochen worden ist, sowohl von Herrn Kubicki als auch von Herrn Lehnert, will ich klipp und klar sagen: Mag der frühere Bundesinnenminister auch meiner Partei angehören, Verhaf

tungen ohne Grund sind in einem Land, das auf die traurige Tradition in den dunkelsten Epochen der Geschichte von Schutzhaft und Ähnlichem zurückblickt, für mich nicht akzeptabel.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es wirkt für mich eher makaber, wenn das von Leuten vorgeschlagen wird, die in ihrem eigenen Land die Mittel und Personalstellen für die Polizei kürzen. Wir können doch nicht allen Ernstes mit der Behauptung, wir schaffen es nicht, Menschen die gefährlich sind, zu überwachen, sagen: Auf der einen Seite kürzen wir die Mittel und auf der anderen Seite schränken wir die Freiheiten ein und machen das ohne Grund. Nein, das können wir nicht tun und das werden wir auch nicht tun.

Soweit solche Gründe nicht vorliegen, geht es den Befürwortern freiheitsbeschränkender Maßnahmen folglich nur darum, Hass, Hetze, also geäußerte Gesinnung, zum Anlass zu nehmen, mit staatlichem Zwang in die Freiheit Einzelner einzugreifen. Eine solche Maßnahme ist mit dem staatlichen Willkürverbot unvereinbar.

Wie einige von Ihnen vielleicht wissen, habe ich vor zugegebenermaßen vielen Jahren, als ich Student war, über das Thema „Theatralik in der Politik" promoviert. Die elektronische Fußfessel zur Überwachung von so genannten Hasspredigern zeigt als aktuelles Beispiel, wie problematisch ein solches Verhalten wird, wenn man das in der Praxis, in der Politik täte. Denn mit dem vorgeschlagenen Instrument wird nicht nur ein möglicher Zugewinn an Sicherheit vorgetäuscht, es werden damit auch bewusst und leichtfertig die rechtsstaatlichen Grundsätze unseres Landes über Bord geworfen.