Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Zu den genannten 25 Milliarden € sollen noch etwa 12 Milliarden € von den Ländern und Kommunen hinzukommen. Der letzte Betrag muss uns natürlich besonders interessieren, weshalb wir diesen Bericht auch federführend im Wirtschafts- und mitberatend im Finanzausschuss beraten sollten. Die einzelnen Maßnahmen und ihre Finanzierung müssen weiter unsere Themen bleiben.

Die Ziele und Projekte des Investitionsprogramms sind gut gewählt und werden für unser Bundesland positiv wirken. Dickster Brocken ist zu Recht die Belebung des Mittelstands und der Wirtschaft. Gerade für unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft sind die genannten Steuervergünstigungen wichtige Erleichterungen, die sich hoffentlich in neuen und in mehr Arbeitsplätzen widerspiegeln werden. Hier bin ich auch für Subventionen.

Wachstum und Beschäftigung sind aber auch entscheidend von einem leistungsfähigen Verkehrssystem abhängig. Die Straßenbauprojekte haben Vorrang oder sollen Vorrang haben, weil sie schnell Beschäftigungsimpulse geben. Das stimmt. Auch wenn mir als Lübecker die meisten der ge

(Johannes Callsen)

nannten Straßenbauprojekte besonders sympathisch sind, so stimme ich Herrn Minister Austermann zu, dass auch die Bahnprojekte in die Förderung müssen, sofern sie in der Planung noch das Jahr 2009 erreichen. Darauf, dass wir auf die Regionalisierungsmittel im Bahnbetrieb nicht verzichten können, haben wir in der Dezember-Tagung schon hingewiesen. Dies muss auch der Bundesregierung gegenüber noch einmal deutlich gemacht werden.

(Beifall bei CDU und SSW)

Die privaten Haushalte wurden als Arbeitgeber bislang nicht so richtig wahrgenommen. Nunmehr erhalten haushaltsnahe Dienstleistungen wie Pflege und Kinderbetreuung eine steuerliche Anerkennung. Gemeinsam mit der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen wird somit auch in diesem Bereich die Schwarzarbeit eingedämmt werden können.

Bei der Förderung von Forschung und Entwicklung erwartet der Bund, dass die Länder und die Wirtschaft Verantwortung für einen besonderen Anteil übernehmen. Wie das bei dem Ziel der Verwendung von 3 % des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung öffentlicher und privater Trägern aussehen soll, ist - wie wir gehört haben - noch nicht so genau bekannt. In Sachen Exzellenzprogramm und Exportinitiative sind wir schon gut aufgestellt. Ich gehe davon aus, dass uns das auch bei anderen Projekten gelingen wird.

Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang ein bisschen systemfremd ist, ist die Familienpolitik. Deutschland muss familienfreundlicher werden. Ohne Zweifel. Darüber haben wir heute Morgen schon gesprochen und werden wir auch beim nächsten Tagesordnungspunkt noch weiter reden. Elterngeld und bessere Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige stehen im Mittelpunkt der Förderung von Familien aus dem Zukunftsfonds. Ich bin mir sicher, dass der Streit um die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungsausgaben - den gibt es leider immer noch - bald beigelegt ist.

Der Jahreswirtschaftsbericht des Bundes ist überschrieben mit „Reformieren, investieren, Zukunft gestalten - Politik für mehr Arbeit in Deutschland“. Wir werden hier bei uns in Schleswig-Holstein den Schwung aus Berlin aufnehmen und in Taten umsetzen. Mit dem Schleswig-Holstein-Fonds - er ist schon mehrfach angesprochen worden - haben wir hier schon eine gute Grundlage geschaffen. Diese Grundlage wird mit dem Zukunftsfonds des Bundes verbessert werden können.

Für die Fraktion der FDP erteile ich deren Vorsitzenden, dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Wirtschaftsminister! Es ist doch immer wieder beeindruckend und eine wahre Freude zu sehen, mit welcher unglaublichen Geschwindigkeit sich insbesondere die Union von ordnungspolitischen Grundsätzen und Überzeugungen der letzten zehn, zwölf Jahre verabschiedet

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und das, was sie noch vor kurzer Zeit als schlecht bezeichnet hat, nun als gut und sinnvoll verkauft.

Mehr Freiheit wollte die Bundeskanzlerin wagen, wenn auch nur in kleinen Schritten. Bis jetzt schlurft die große Koalition aber nur durch die politische Gegend. Statt mehr Freiheit zu wagen, will sie die Steuern erhöhen.

Solide Haushaltspolitik kündigte die Bundeskanzlerin an. Neben höheren Steuern wurde aber bis jetzt nur über noch höhere Ausgaben geredet. Weit und breit keine Solidität.

Dann verzog sich das Kabinett auf ein Wochenendschlösschen zu einem Kabinettstückchen und bestätigte sich hinterher, alles sei und bleibe gut.

Über Wachstum und Beschäftigung sprachen sie auch. Und was kam heraus? Wachstum und Beschäftigung sollen gestärkt werden. Welch noble Absicht! Mit zusätzlich 6,25 Milliarden € jährlich. Auf Pump selbstverständlich. Denn wir finanzieren im Bundeshaushalt wie im Landeshaushalt alles auf Pump.

Und in die Tasche gelogen: Denn in Wirklichkeit sind es nur knapp 4,9 Milliarden € zusätzlich, weil sie in die 25 Milliarden € bis 2009 auch 5,5 Milliarden € rot-grünes Erbe eingerechnet haben, nämlich 1,5 Milliarden € Entlastung der Kommunen für frühkindliche Betreuung und 4 Milliarden € für Ganztagsschulen.

6,25 Milliarden € - das hört sich nach sehr viel an. Aber im Vergleich zur jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands ist es fast nichts, genauer: Von 2.244 Milliarden € sind es genau 2,7 ‰. Kein Wunder, dass die große Koalition gleich weinselig ins Taumeln geriet und leutselig ins Träumen verfiel. So ist das eben bei 2,7 ‰ auf anderer Leute Kosten.

(Thomas Rother)

Und was soll das? Das Ganze ist ein schuldenfinanzierter Marketingplacebo; damit die Koalitionsgäste bei Frau Christiansen auch einmal etwas Positives erzählen können. So will die Bundesregierung bei den Landtagswahlen im März Stimmen kaufen.

(Beifall bei der FDP)

Für die Konjunktur bringt es nichts. Die braucht im Moment auch nichts Zusätzliches vom Staat, denn das Bruttoinlandsprodukt wird 2006 wahrscheinlich fast doppelt so schnell wachsen wie das Produktionspotenzial. Hochkonjunktur nennt man das.

Dass bei uns leider schon Hochkonjunktur ist, wenn in erfolgreichen Volkswirtschaften eine Depression diagnostiziert würde, zeigt, dass wir kein konjunkturelles Problem haben, sondern viele strukturelle. Eine Erkenntnis, die die Union bis vor kurzer Zeit geteilt hat.

Die kann man mit schuldenfinanzierten Investitionsprogrammen und höheren Steuern nicht bekämpfen. Im Gegenteil: Unverantwortliche Haushaltspolitik, zu hohe Staatsausgaben und zu hohe Steuern sind wesentliche Ursachen unserer strukturellen Wirtschaftsprobleme. So noch nachzulesen im Wahlprogramm der Union für die Bundestagswahl 2005.

So betrachtet sind die 6,25 Milliarden € dann wieder sehr viel Geld, denn die Staatsschulden von heute sind die Steuern von morgen. Und sie machen süchtig. Wer ein solches Programm auflegt und Begehrlichkeiten weckt, wird in einem Jahr schwer erklären können, warum er die neuen Begehrlichkeiten nicht mit zusätzlichen Ausgaben befriedigt.

Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer verdiente 2005 in Deutschland 26.458 € und zahlte darauf 21,7 % Lohn- beziehungsweise Einkommensteuer. Die große Koalition braucht also die jährlichen Steuerzahlungen von fast 1,1 Millionen Durchschnittsverdienern, um dieses konjunkturpolitische Strohfeuer abzufackeln. Denn mehr ist es ja nicht.

2004 arbeiteten in Schleswig-Holstein im Jahresdurchschnitt knapp 1,06 Millionen Arbeitnehmer. Wären es heute noch so viele, sie müssten ungefähr ein Jahr und drei Monate lang Steuern zahlen, nur um diesen wirtschaftspolitischen Unsinn für ein Jahr zu bezahlen!

Was wird Schleswig-Holstein noch davon haben? Nun, es wird schon etwas bei uns ankommen. Beim üblichen Anteil Schleswig-Holsteins von ungefähr 3 % 180 Millionen € jährlich, etwa 3 ‰ unserer Wirtschaftsleistung. Wohlgemerkt in SchleswigHolstein, nicht unbedingt im Landeshaushalt. Denn

ein Großteil dieses Geldes soll der Staat ja gar nicht mehr bekommen. Es sind Steuervergünstigungen. Die fehlen dann anteilig beim Land und bei den Kommunen.

Mehr ausgeben will die Bundesregierung, knapp 1,4 Millionen € jährlich, für die Investitionszulage, für Gebäudesanierungen und für Verkehrsinvestitionen. Davon kämen dann gut 40 Millionen € in Schleswig-Holstein an, etwa 0,6 ‰ unserer Wirtschaftsleistung.

Bringen wird das alles wenig, denn was die Bundesregierung ausgeben will, nimmt sie den Menschen ab 2007 doppelt und dreifach wieder weg, wenn sie den Regelsatz der Mehrwertsteuer um fast 19 % anhebt.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir ist jetzt klar geworden, warum 19 %, Herr Minister Austermann. Die Steigerung von 16 % auf 19 % beträgt genau 19 %. Insofern macht das Sinn: 19 % Steigerung der Mehrwertsteuer ergeben 19 % Mehrwertsteuer.

Hier weiß die Linke, was die Rechte tut. Ich habe meine Hoffnung aufgegeben, dass die neue Bundesregierung nicht in alte Fehler verfällt. Es ist eben besser, Wohltätigkeiten zu verteilen, als ordnungspolitisch sauber zu bleiben und einen neuen Weg zu beschreiten. Wir bedauern das, werden das aber nicht verhindern können. Wir werden sehen, was davon übrig bleibt.

Ich möchte einen letzten Satz anmerken. Der jetzige Aufschwung, der kommt, ist noch kein MerkelAufschwung. Die neuen Wachstumsraten für 2006 sind noch keine Wachstumsraten, die auf Initiativen der Bundesregierung zurückgehen können.

(Frank Sauter [CDU]: Kubicki-Auf- schwung!)

- Es ist auch kein Kubicki-Aufschwung, obwohl ich das gern zu meinen Gunsten in Anspruch nehmen würde. Wir haben immer, auch im Wahlkampf, gesagt: Das beste Konjunkturprogramm für die Wirtschaft ist, wenn Rot-Grün nicht mehr regiert, wenn Grün nicht mehr an der Regierung beteiligt ist. Die Hoffnung und die Erwartung, dass die Wirtschaft endlich leisten kann, was sie zu leisten vermag, begünstigt den Aufschwung - nicht Programme der Regierung.

(Beifall bei der FDP)

(Wolfgang Kubicki)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Klaus Müller das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis auf diesen letzten dummen Satz war das ein recht schlauer Beitrag, Herr Kollege. In der Tat, auch ich habe mich gefragt, wie hätte Herr Austermann hier wohl geredet, sollte er Mitglied des Landtages sein und hätte Rot-Grün vergleichbare Beschlüsse wie jetzt die große Koalition in Genshagen gefällt? Ich bin sicher, wir hätten einen wunderbaren Redebeitrag, ein rhetorisches Feuerwerk gehört darüber, warum diese Beschlüsse in der Tat ökonomisch unsinnig sind. Das hätten viele von uns genießen können, weil in der Tat eine ganze Reihe von ökonomischen Kritikpunkten zu Recht anzubringen sind. Zumindest einer aus den Reihen der großen Koalition in Schleswig-Holstein - ich komme nachher noch darauf - hat sich auch getraut, das anzusprechen.

Die jährlichen Mehrausgaben von 6 Milliarden € als Investitionsprogramm auszugeben, ist durchaus gewagt und mutig. Unabhängig von diesem Etikettenschwindel ist es absurd zu glauben, dass diese 6 Milliarden € bei dem schon erwähnten nominalen Bruttoinlandsprodukt von über 2.200 Milliarden € in Deutschland - zum Beispiel im Jahr 2004 - spürbare Wachstumsimpulse erzeugen werden.

Während nun für die nächsten vier Jahre 25 Milliarden € Investitionsmittel eingesetzt werden sollen, hält die Bundesregierung gleichzeitig daran fest, im entsprechenden Zeitraum 75 Milliarden € durch eine Mehrwertsteuererhöhung zusätzlich einnehmen zu wollen, ohne sie vollständig durch niedrigere Lohnnebenkosten wieder zurückzugeben. Das wird nach einstimmiger Auffassung aller Sachverständigen in dem Bereich das verfügbare Einkommen verringern und das Wachstum in Deutschland um ungefähr ein halbes Prozentpunkt absinken lassen. Deutlicher kann eine ordnungspolitische Orientierungslosigkeit der Wirtschafts- und Haushaltpolitik nicht sein. Wer wirklich etwas für die Binnenkonjunktur hätte tun wollen - wir sind uns einig darüber, dass das notwendig ist -, hätte in Genshagen beschlossen, auf die Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten.

Ich will aber nicht nur nörgeln. Das würde das Programm nämlich nicht hergeben. Im Einzelnen begrüßen wir nämlich durchaus eine Reihe von Bausteinen, die in Genshagen beschlossen worden sind.

Das ökologische Gebäudesanierungsprogramm, das übrigens noch weitgehend aus grüner Feder stammt, soll aufgestockt werden. Das ist vernünftig und in der Sache sinnvoll.

Die Wirksamkeit und die Attraktivität zu verbessern, zum Beispiel durch die Einbeziehung des Mietwohnungsbaus oder durch die Einführung eines Energiepasses, ist in der Tat sinnvoll. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil man die Investitionen in schleswig-holsteinische Häuser schlecht in Niedrigwohnländer exportieren kann.

Auch die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerksrechnungen kann ein wirksames Instrument zur Eindämmung von Schwarzarbeit werden. Allerdings ist das keine wirklich neue Idee. Es gibt eine ganze Reihe von Autoren, die sich rühmen können, dies schon zu früheren Zeitpunkten in die Diskussion eingebracht zu haben. Eine davon ist Frau Wolf, die frühere grüne Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung. Gescheitert ist sie allerdings an Hans Eichel. Auch das gehört zur Wahrheit. Dies kann dem Handwerk Auftrieb geben, es erfordert aber auch Kontrolle und Bürokratie.

So sehr wir alle in vielen Diskussionen der Meinung waren, Ausnahmen abzuschaffen und zugleich die nominalen Steuersätze senken zu können, muss man bei aller Freude über diese einzelnen Bausteine sagen: Das läuft genau dieser ordnungspolitischen Linie entgegen, die nicht zuletzt Herr Austermann der Bundesregierung unter Rot-Grün immer wieder eingehämmert hat. Auch die erhöhten Abschreibungen auf Wirtschaftsgüter können in der Tat Investitionsanreize auslösen. Investiert wird aber nur, wenn eine wachsende Nachfrage erwartet wird. Diese Erleichterung ist jetzt erst einmal befristet auf zwei Jahre. Sie kann Investitionen im Inland ermöglichen, mag deshalb sinnvoll sein, trotzdem gilt auch hier, es ist keine Vereinfachung des Steuerrechts, sondern genau das Gegenteil.

Die „Investitionen“ in Bildung, Forschung und Familienförderung werden wir nicht abschließend bewerten können, denn wir erleben tagtäglich Auseinandersetzungen quer durch die große Koalition in Berlin. Auch hier gilt, in der Sache sind sinnvolle Beispiele dabei, gar keine Frage, wobei wir Grünen uns gewünscht hätten, dass nicht zuerst über das Elterngeld diskutiert wird, sondern in der Tat zuerst eine qualitativ und quantitativ bessere Kinderbetreuung finanziert worden wäre. Frau von der Leyen hat nach Genshagen entsprechende Vorschläge präsentiert, allerdings ohne sie gegenfinanzieren zu können.