Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

Mit der Allianz für die Familie und den lokalen Bündnissen wurde ein innovativer Weg eingeschlagen, um die Kooperation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch auf lokaler Ebene zu verankern und dort konkrete Strategien für mehr Familienfreundlichkeit zu entwickeln. Das ist ein soziales Netzwerk, das wir in Schleswig-Holstein ausbauen. Ich freue mich, berichten zu können, dass wir im letzten halben Jahr fünf weitere Bündnisse hinzu

bekommen haben. Die Zahl wird sich noch weiter steigern, weil viele dabei sind, dieses engagiert auf den Weg zu bringen. Um die Nachhaltigkeit dieser Bündnisse zu steigern, werden wir im Ministerium dafür eine Servicestelle einrichten.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Es ist inzwischen bekannt, dass die finanziellen Leistungen für Familien bislang noch zu intransparent und zu wenig aufeinander abgestimmt sind. Das ist ein Schlüsselthema. Die Transparenz muss erhöht werden. Die gesetzlichen Einkommensgrenzen und Begriffe müssen aufeinander abgestimmt werden und die Leistungen müssten optimalerweise in einer Familienkasse gebündelt werden. Deshalb ist auch dies auf Bundesebene im Koalitionsvertrag verankert. Ich möchte hier im Land mit der Entwicklung eines Pilotprojektes „Familienbüro“ erste Zeichen setzen, obwohl ich mir klar darüber bin, wie schwierig dieser Weg ist. Nichtsdestotrotz wollen wir ihn gehen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden weiter an einer Politik des Dreiklangs arbeiten: Zeitpolitik, um die Lebenslaufplanung zu ändern; Infrastrukturpolitik, um Förderung und Wachstum zu ermöglichen, und finanzielle Entlastung, damit Kinderhaben nicht zum Armutsrisiko wird. Ganz wesentlich wird es aber sein, mit ideologischen Vorstellungen von Familien jeder Art Schluss zu machen. Tatsächlich gehört es für mich schon seit Jahren zu den jämmerlichsten Fehlleistungen unserer Gesellschaft, dass negativ besetzte und zudem völlig unscharfe Begriffe wie die Singlegesellschaft oder Rabenmütter die Runde machen. All dies sind deutsche Schöpfungen. Andere Länder kennen diese Begriffe nicht. Sie sehen darin eher individuelle Lebensentwürfe als weibliche Ideologien.

Es ist ohne Zweifel: Familienpolitik muss umdenken. Der klassische bundesrepublikanische Sonderweg der letzten Jahrzehnte muss als gescheitert gelten. Er sah wie folgt aus: In den ersten Jahren bleibt das Kind allein zu Haus bei der Mutter. In einer zweiten Phase geht es in den Kindergarten und in einer dritten Phase gibt es Bildung in der Halbtagsschule: All das wird in Zukunft der Vergangenheit angehören müssen. Das bedeutet, dass sich die Lebenswelt von Kindern in Zukunft radikal verändern wird. Damit wird sich auch die Lebenswelt von Familien verändern. Dies konstruktiv zu begleiten, ist unser aller Aufgabe. Ich denke, daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, zunächst über den letzten Absatz des Antrages Drucksache 16/558 abstimmen zu lassen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW abgelehnt.

Ich stelle dann die Absätze 1 bis 4 des Antrages Drucksache 16/558 zur Abstimmung. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Teil des Antrages mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung von FDP und SSW abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Landwirtschaftliche Sozialversicherung

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/585

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne damit die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Günther Hildebrand.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um das agrarsoziale Sicherungssystem ist keine neue Diskussion. Aber der Strukturwandel in der Landwirtschaft und der zunehmende Zwang zur Konsolidierung des Bundeshaushalts heizen die Diskussion aktuell wie selten zuvor an.

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Hildebrand hat das Wort.

Es ist absehbar, dass sich die Diskussion zwischen den Extremen „Status quo bewahren“ und ,,Integration in die allgemeinen Sozialversicherungssysteme“ bewegen wird. Um eines vorwegzunehmen: Ich vertrete weder das eine noch das andere Ex

trem. Mir geht es um eine vernünftige Weiterentwicklung der agrarsozialen Sicherung, die unsere wirtschaftenden Betriebe stärkt und die unseren Landwirten eine leistungsstarke Sicherung zu angemessenen Preisen bietet. Darauf zielt unser Antrag. Unsere Betriebe in Schleswig-Holstein dürfen strukturbedingt nicht schlechter gestellt werden.

Mit sehr gemischten Gefühlen habe ich deshalb im Berliner Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD gelesen, dass das landwirtschaftliche Sozialversicherungssystem ,,schrittweise mit den allgemeinen sozialen Sicherungssystemen zu verzahnen“ sei, wobei offen bleibt, wie diese ,,Verzahnung“ aussehen soll. Genau hier liegt aber der Hase im Pfeffer.

Denn das landwirtschaftliche Sozialversicherungssystem ist ja nicht zufällig oder willkürlich ein eigenständiges System, sondern aus sehr guten Gründen. Hier sind Selbstständige pflichtversichert, die teilweise sehr spezifischen Risiken ausgesetzt sind und die berufsbedingt einen sehr spezifischen Bedarf an sozialer Absicherung für sich und ihre Familie haben.

Für den Landwirt - anders als für den landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, der Mitglied in der allgemeinen Sozialversicherung ist - teilen sich nicht Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Kosten für ein Versicherungsrisiko, sondern der Landwirt trägt sie alleine.

An der grundsätzlichen Eigenständigkeit des landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems ist also nicht zu rütteln und ebenso wenig - das füge ich gleich hinzu - am Regionalprinzip. Umso entsetzter war ich deshalb, als ich die Ausführungen zur landwirtschaftlichen Sozialpolitik auf dem Sprechzettel von Landwirtschaftsminister von Boetticher zur letzten Agrarausschusssitzung nachlas. Es stand im Umdruck 16/587, der Herr Staatssekretär hat das vorgetragen. Nach einem knappen Hinweis auf ,,grundsätzliche" Zweifel an der Eigenständigkeit des Systems heißt es da lapidar:

,,Eine grundsätzliche Alternative wäre die Einbeziehung der Landwirte in die allgemeine Sozialversicherung. Auf diese Weise würde die ‚alte Last’ auf die Beitragszahler verteilt anstatt solidarisch durch die breitere Basis der Steuerzahler."

Ganz so einfach ist das System aber nicht und ich kann nur hoffen, dass man sich im Ministerium inzwischen grundsätzlich mit dem Wesen des landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems auseinander setzt, um künftig derartige Oberflächlichkeiten zu vermeiden. Noch dazu, weil der Bundes

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

rechnungshof im Zuge seiner aktuellen Evaluierung der Organisationsreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung von 2001 demnächst auch die Stellungnahmen aller Landesministerien einholen will, um sie in seinem Bericht für den Haushaltssausschuss des Deutschen Bundestages berücksichtigen zu können.

Gerade in Schleswig-Holstein verfügen wir über vergleichsweise gute agrarsoziale Strukturen. Das hat mit der historischen Entwicklung, das hat mit unterschiedlichen Höfeordnungen und auch unterschiedlichen Standortfaktoren zu tun. Sie prägen die unterschiedliche Situation der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland und entsprechend auch die unterschiedlichen Ausgabenbelastungen je Hektar im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallund Krankenversicherung. Dieser unterschiedlichen regionalen Struktur müssen wir Rechnung tragen.

(Beifall bei der FDP)

Eine Zusammenfassung aller Regionalträger zu einem bundesweiten Gesamtträger mit einheitlicher Beitragsverteilung würde zu einschneidenden Beitragsverwerfungen zulasten unserer wirtschaftenden Betriebe in Schleswig-Holstein führen. Fachleute gehen von zusätzlichen Kosten für unsere Betriebe von rund 20 % über den bisherigen Beiträgen für Unfall- und Krankenversicherung aus. Das Gleiche gilt im Falle eines beitragsfinanzierten Finanzausgleichs. Das müssen wir verhindern.

Schleswig-Holstein verfügt über eine gute agrarsoziale Struktur und genau die gilt es zu erhalten.

(Beifall bei der FDP)

Der ehemalige Landwirtschaftsminister Müller hat im Rahmen der Entkoppelung bei der Umverteilung zwischen den Bundesländern bereits einmal im Zuge grüner Gleichmacherei aller Landwirte die Spitzenposition Schleswig-Holsteins zu Markte getragen. 18,3 Millionen € hat er seinerzeit im Zuge der künastschen Entkoppelungsvorschläge verschenkt. 18,3 Millionen €, die nicht nur unseren Landwirten, sondern dem gesamten ländlichen Raum jetzt fehlen.

Ich hoffe sehr, dass der heutige Landwirtschaftsminister nicht vorhat, einen ähnlichen Irrweg einzuschlagen. Wir brauchen keine agrarsoziale Gleichmacherei zulasten Schleswig-Holsteins. Die innerlandwirtschaftliche Beitragsgerechtigkeit muss regional ansetzen.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke Herrn Kollegen Günter Hildebrand und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Klaus Klinckhamer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die landwirtschaftliche Sozialversicherung ist eine Besonderheit im sozialen Sicherungssystem. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft braucht dieses System zum Ausgleich der damit verbundenen Verwerfungen. Deshalb ist die landwirtschaftliche Sozialversicherung eine Aufgabe der Gesellschaft und nicht nur der Berufsgruppe.

Die Entwicklung in der Landwirtschaft hat zur Folge, dass Defizite in der Sozialversicherung leider unvermeidbar sind. In der Alterssicherung der Landwirte beträgt das Verhältnis Beitragszahler zu Rentner 10 zu 15, in der allgemeinen Rentenversicherung dagegen 10 zu 4. Dieser Vergleich zeigt die besondere Situation der landwirtschaftlichen Alterssicherung auf.

Bei der Betrachtung der staatlichen Unterstützung der landwirtschaftlichen Alterssicherung darf nicht vergessen werden, dass allein im laufenden Jahr über 80 Milliarden € aus dem Bundeshaushalt in die Deutsche Rentenversicherung gezahlt werden. Es ist daher angemessen, die landwirtschaftliche Altersversorgung ebenso zu stützen.

Die landwirtschaftliche Sozialversicherung muss weiterentwickelt werden. Die Bestrebungen des Bundes, durch eine Umstrukturierung eine dauerhafte finanzielle Entlastung zu erreichen, müssen durchaus unterstützt werden. Eine weitere Senkung der Verwaltungskosten ist unumgänglich. Die schleswig-holsteinische Versicherung hat hier Vorbildfunktion. In den vergangenen Jahren ist der Personalbestand um 22 % gesenkt worden. Versicherungen in anderen Bundesländern haben in dieser Hinsicht teilweise einen erheblichen Nachholbedarf.

Die höchst unterschiedlichen Agrarstrukturen in den Bundesländern sind historisch gewachsen. Damit verbunden sind erhebliche Differenzen bei den Belastungen für die landwirtschaftliche Unfall- und Krankenversicherung. Daher spricht viel für die Weiterführung der regionalen Gliederung. Eine bundesweit einheitliche Beitragsverteilung würde zu einem Finanztransfer in den Süden führen. Es wäre nicht zu vermitteln, warum bei der landwirtschaftlichen Sozialversicherung die Beiträge nivelliert werden sollen, aber strukturelle Stützungsmaßnahmen keinerlei Prüfung unterzogen werden.

(Günther Hildebrand)

(Beifall bei CDU und FDP)

Es macht auch keinen Sinn, die Verwaltungskosten in den Vordergrund zu stellen, die mit einem Anteil von rund 5 % den Leistungskosten mit rund 95 % gegenüberstehen. Deshalb ist der Vorschlag des Bundesrechnungshofes zur Senkung der Verwaltungskosten nicht sonderlich hilfreich. Sein Vorschlag, einen Bundesträger zu bilden, muss nicht zwangläufig zu niedrigeren Kosten führen. Es ist sinnvoller, dort anzusetzen, wo die höchsten Kosten entstehen, und auch Druck auszuüben, sonst wird sich dort nichts ändern und lediglich eine Verschiebung der Beiträge erfolgen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Dies darf jedoch nicht bedeuten, dass alles so bleibt, wie es ist. Sinnvolle Kooperationen zwischen den Regionalträgern können zu weiteren Kostensenkungen führen und darüber hinaus die Leistungsqualität verbessern.

Wir sind gespannt, wie die schwarz-rote Koalition in Berlin dieses Thema anpackt und erwarten, dass die rund 240 Arbeitsplätze der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in Kiel nicht unter die Räder kommen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Der Antrag der FDP geht in die richtige Richtung. Ich gehe davon aus, dass wir im Ausschuss die Gelegenheit haben werden, uns umfassend zu informieren und auszutauschen.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei der SPD)