Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum nächsten Punkt! Frau Rodust, Sie werfen uns vor, wir würden hier einen populistischen Antrag stellen. Da sage ich: Sie haben den Antrag nicht gelesen. - Wir fordern die Abschaffung des Ehegattensplittings und wir sind gegen das Elterngeld. Wir wollen, dass die Betreuungsfreibeträge nicht erhöht werden. Und wenn das so populistisch ist, dann sage ich: Nur Mut, machen Sie es doch gemeinsam mit uns.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vorhin erntete ich Kopfschütteln bei der CDU, als ich sagte, die CDU möchte noch in dieser Legislaturperiode in das kostenfreie letzte Jahr vor der Schule einsteigen. Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich aus den „Kieler Nachrichten“ vom 30. Januar zitieren:

„Doch auch die CDU in Schleswig-Holstein weckt Hoffnung. Zumindest ein kostenfreies letztes Kindergartenjahr solle allen Kindern ein vorschulisches Bildungsangebot ermöglichen. CDU-Fraktionschef Wadephul kündigte sogar einen ersten Schritt noch in dieser Legislaturperiode an.“

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Ich bin belei- digt! Das habe ich vorhin hier im Plenum ge- sagt!)

„Bei der Frage, wie die Finanzierung sichergestellt werden soll, musste er allerdings passen.“

Ich sage Ihnen: Wenn Sie als CDU-Fraktionschef versprechen, noch in dieser Legislaturperiode erste Schritte zu tun, dann werden Sie unseren letzten Absatz, den wir gleich getrennt abstimmen lassen, nicht ablehnen können. In diesem Absatz fordern wir schließlich die Landesregierung auf, bis zur 14. Tagung ein Konzept vorzulegen, wie das denn gehen kann. Wenn Sie den ablehnen, dann ist all

(Lars Harms)

das, was Sie bisher verkündet haben, verlogen. Dann ist das populistisch und dann ist das unehrlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gratuliert Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] zu ihrer Rede und küsst sie auf die Wange. - Heiterkeit - Wolfgang Baasch [SPD]: Ihr seid Schauspieler! - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ihr seid verlogen! Euch ist es peinlich, dass ihr nicht klatschen dürft!)

Für die Landesregierung hat nun die Familienministerin Dr. Gitta Trauernicht das Wort.

(Unruhe)

Ich darf um Ruhe bitten! - Das Wort hat die Frau Ministerin.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin natürlich sehr gespannt, ob ich nach meinen Ausführungen in der gleichen Weise beküsst werde.

Familienpolitik ist in der öffentlichen Diskussion. Das ist gut so. Denn Familien- und Kinderpolitik sind für unsere Zukunft wichtiger denn je.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ziel einer nachhaltigen Familienpolitik - und darum muss es gehen - ist es, jene sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es der nachwachsenden Generation ermöglichen, in die Entwicklung und Erziehung von Kindern zu investieren, Generationensolidarität zu leben und Fürsorge für andere als Teil der eigenen Lebensperspektive zu interpretieren.

Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Siebte Familienbericht der Bundesregierung Politik und Gesellschaft Zielmarken und Handlungskonzepte aufgezeigt.

(Unruhe - Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das interessiert die CDU nicht!)

- In der Tat. Vielleicht möchte irgendjemand von der CDU zuhören.

Auf der Basis einer Analyse erfolgreicher Familienpolitik anderer europäischer Länder kommt die Expertenkommission zu dem Ergebnis, dass eine Kombination der drei Elemente Neuzuschnitt von Geldleistungen, Zeitpolitik und Infrastrukturpolitik familienfreundliche Voraussetzungen schaffen kann. Deutschland habe - so das ernüchternde Ergebnis - bisher in allen drei Bereichen nicht angemessen auf die gesellschaftliche Entwicklung reagiert. Deshalb gibt es politischen Handlungsbedarf auf allen drei Ebenen.

Folgerichtig berücksichtigen die Koalitionsvereinbarungen auf Landes- und auf Bundesebene alle drei Ebenen und zweifellos gibt es dabei politische Präferenzen - auch parteipolitische Präferenzen -, was die Schwerpunktsetzung und die Reihenfolge angeht. Das ist in Koalitionen nicht verwunderlich. Ich mag mir angesichts der Debatte, die wir gerade gehört haben, im Moment nicht vorstellen, Frau Heinold, wie der Kompromiss zwischen Grün und Gelb aussehen würde.

(Torsten Geerdts [CDU]: Die Gefahr besteht nicht! Es gibt auch schlaue Wähler!)

Wir sollten auch an dieser Stelle feststellen, dass es bisher keine Mehrheitsregierung geschafft hat - zu meinem Leidwesen auch nicht Rot-Grün -, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Insofern sollten wir auch nicht über dieses Thema reden. Dafür gibt es schlicht und ergreifend keine Mehrheiten.

Klar ist aber auch in der Familienpolitik, dass der in den zurückliegenden Jahren eingeleitete Paradigmenwechsel - weg von den Geldleistungen und hin zu Investitionen in die Infrastruktur und ergänzt durch zielgenaue Förderinstrumente - überfällig war.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Weg muss weitergegangen werden.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was ist nun das besondere Problem in Deutschland? _Zunächst einmal muss man wissen, dass die Kinderlosigkeit durchaus kein neues Phänomen ist. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren zum Beispiel ein Viertel aller Frauen in Deutschland und Frankreich ohne Kinder. Trotzdem hat damals niemand über dieses Problem geredet. Wettgemacht wurde es damals durch den Kinderreichtum der anderen Frauen. Genau das ist ein Thema, das man in den Fokus der Analyse nehmen muss, weil es in Europa sehr unterschiedliche Konstellationen des Problems gibt.

(Monika Heinold)

In ganz Europa aber gab es wegen der Einführung der Anti-Baby-Pille und der Bildungsreform Geburtenrückgänge, doch für diese sehr ähnlichen Entwicklungen wurden unterschiedlich erfolgreiche gesellschaftspolitische Antworten gefunden. Heute befinden sich daher andere europäische Länder in einer besseren demographischen Situation als Deutschland. Die Geburtenzahlen sind dort höher und die Balance zwischen Familie und Beruf ist dort leichter in den Griff zu bekommen. Deshalb gilt es, einen Blick über den Tellerrand zu werfen.

Warum haben sich diese großen Unterschiede in den europäischen Ländern ergeben, obwohl die Ausgangsbedingungen doch so ähnlich waren? Die entscheidende Ursache liegt in der spezifisch deutschen Lebenslaufplanung. So ist in Deutschland die Zeit, sich für Kinder zu entscheiden, besonders knapp. Der typisch deutsche Lebenslauf ist dreigeteilt in Ausbildung, Beruf und Rente. Ein Drittel des Lebens verbringen die Deutschen in einer sehr langen Ausbildung. Dann erfolgt der Berufseinstieg. Fachleute nennen dies inzwischen die Rushhour des Lebens. Wir lernen zunehmend, dass die Frage des Kinderkriegens auch eine Frage ist, die Männer beantworten, und zwar noch häufiger negativ als Frauen. Deutsche Akademikerinnen und Akademiker nehmen sich nach Ausbildungsabschluss und Berufseinstieg etwas fünf Jahre Zeit, um sich für oder gegen Kinder zu entscheiden. In Deutschland erleben Familien zudem einen ökonomischen Achterbahneffekt, wenn sie sich für Kinder entscheiden. In Deutschland müssen daher dringend neue Lebenslaufmodelle entwickelt werden, um die Zeitspannen für Ausbildung, Beruf und Familiengründung zu entzerren und zu verlängern, so die Experten des siebten Familienberichts. Eines der Stichworte in dieser Diskussion ist das Thema Kinderkriegen während der Ausbildung.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Frau Heinold, vor diesem Hintergrund plädiert der siebte Familienbericht auch dafür, die finanzielle Förderung auf jene Lebensphase zu konzentrieren, in der Familien relativ wenig Geld zur Verfügung steht. Dies sei vor allem bei jungen Familien der Fall. Ich füge hinzu, das ist bei Familien mit niedrigem Einkommen generell der Fall. Ich möchte daher auch an dieser Stelle für diese Formulierung werben, denn ein niedriges Einkommen zu haben, ist nicht mit sozialer Schwäche gleichzusetzen. Ich sage dies, weil der Begriff der sozialschwachen Familien wieder sehr stark um sich greift.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Kontext ist auch die Weiterentwicklung des Erziehungsgeldes zum Elterngeld zu verstehen. Deshalb plädiert die Kommission dafür, und zwar auch mit Blick auf die skandinavischen Länder. Dort wird das Elterngeld tatsächlich auch als ein zentrales Element nachhaltiger Familienpolitik benutzt. Wir sollten uns deshalb sehr intensiv mit dem Thema Elterngeld auseinander setzen. Das wird aber eine große Herausforderung sein, weil es richtig ist, was Sie sagen, Frau Heinold. Dafür sollen zusätzlich 2,2 Milliarden € in die Hand genommen werden. Es wird eine Umverteilung vom Erziehungsgeld und damit von Niedrigeinkommen hin zu mittleren Einkommen geben. Sie können sicher sein, dass Schleswig-Holstein bei der Konzeptionierung des Elterngeldes sehr genau darauf achten wird, dass es nicht nur eine familienpolitische Dimension, sondern auch eine sozialpolitische Dimension haben wird.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund unterstütze ich nachdrücklich die Bemühungen des Bundes, das Kindergeldzuschlagsgesetz auszuweiten, denn hier geht es darum, dass Familien in unserem Land vor Armut geschützt werden müssen. Dazu bedarf es eines speziellen Instruments. Der Kindergeldzuschlag ist ein Baustein auf dem Weg zu einer Grundsicherung für Kinder, die ich ausdrücklich unterstütze.

(Beifall im ganzen Haus)

Generell gilt, dass Politik für mehr Kinder, für starke Familien und für bessere Bildung mehr ist als ein Politikfeld unter vielen. Diese Politik ist ein zentraler Ansatz, um wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu bedarf es vieler Bausteine wie die konsequente Verbindung von Bildung und Betreuung. Insbesondere für die Kleinsten müssen die Betreuungsangebote ausgebaut werden. Auch für die Kleinsten müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es nicht nur um Betreuung und Erziehung, sondern auch um Bildung geht. Es geht um Bildung von Anfang an.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieses Ziel ist mit dem Koalitionsvertrag sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene noch einmal deutlich unterstrichen worden. Dabei muss uns allen klar sein, dass Kindertagesbetreuung verlässlich, flexibel und bezahlbar sein muss.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Ich setze mich seit Jahren persönlich und politisch dafür ein, dass Kindertagesbetreuung beitragsfrei wird und dass man es überhaupt denken darf und sagen muss, dass es eine solche Vision gibt. Noch vor einigen Jahren war es unvorstellbar, dass man einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuer dafür einsetzt. Heute aber wird jedenfalls das Nachdenken in diese Richtung von allen Parteien unterstützt. Ich finde, das ist ein zentraler Fortschritt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Heinold, deshalb geht es nicht darum, ein Konzept vorzulegen, sondern diese Richtung zu unterstützen. Das habe ich bei den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene ausdrücklich getan, indem dort formuliert worden ist, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern nach Lösungswegen sucht, um das Ziel der Beitragsfreiheit überhaupt realisieren zu können. Genau so muss der Weg tatsächlich sein. Bis dahin gilt aber für mich ganz eindeutig: Volle Kraft voraus für Infrastruktur. Das ist das, was die Familien am meisten brauchen.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle sage ich daher: Für mich gehört zur Unterstützung der Infrastruktur auch die Unterstützung von Eltern durch Familienbildung und entlastende Angebote. Frühe Hilfen sind für Familien unerlässlich. Deshalb setzen wir hier mit dem Kinder- und Jugend-Aktionsplan in unserem Land einen deutlichen Schwerpunkt.

Nicht zuletzt - und das ist noch gar nicht angesprochen worden - brauchen wir eine humane und eine familienfreundliche Arbeitswelt. Eine familienfreundliche Arbeitswelt ist - wie die skandinavischen Länder zeigen - betriebs- und volkswirtschaftlich gewinnbringend, da das Erwerbspersonenpotenzial ausgeschöpft wird, wie es immer so schön heißt. Das heißt schlicht und ergreifend, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen berufstätig sind. So wird das Qualifikationsniveau erhalten und die Arbeitszufriedenheit steigt. Deshalb setzt diese Landesregierung im Rahmen ihrer familienpolitischen Aktivitäten auch einen Schwerpunkt bei der familienfreundlichen Arbeitswelt.

Mit der Allianz für die Familie und den lokalen Bündnissen wurde ein innovativer Weg eingeschlagen, um die Kooperation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch auf lokaler Ebene zu verankern und dort konkrete Strategien für mehr Familienfreundlichkeit zu entwickeln. Das ist ein soziales Netzwerk, das wir in Schleswig-Holstein ausbauen. Ich freue mich, berichten zu können, dass wir im letzten halben Jahr fünf weitere Bündnisse hinzu