Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

(Beifall bei SPD und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Sie haben viel geredet, aber selten über Anträge. Ich habe das so verstanden, dass der Bericht dem Ausschuss überwiesen werden soll und wir über die Anträge in der Sache abstimmen sollen.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/580, dem Wirtschaftsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. - Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig passiert.

Wird bei den Anträgen alternative Abstimmung gewünscht? - Wunderbar, das geht auch fixer. Ich sehe keinen Widerspruch gegen dieses Verfahren. Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und SPD, Drucksache 16/614, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE

(Karl-Martin Hentschel)

GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 16/569, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 16/614 mit den Stimmen von CDU und SPD angenommen worden ist.

Wir setzen die Sitzung um 15 Uhr mit Tagesordnungspunkt 5 fort.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 13:36 bis 15:01 Uhr)

Ich eröffne wieder die Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich mit, dass Herr Minister Wiegard wegen dienstlicher Verpflichtungen auf Bundesebene beurlaubt ist.

Bei den Besuchern warte ich noch ein bisschen mit der Begrüßung. Wir erwarten noch ein paar mehr.

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Vorfahrt für Kinder - Familienförderung weiterentwickeln

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/558

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abgeordneter Monika Heinold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schade, dass nicht allen Abgeordneten das Thema so wichtig ist, dass zumindest eine gewisse Präsenz da ist. Das soll uns aber nicht davon abhalten, ernsthaft in der Sache miteinander zu streiten.

Willkommen im Club, meine Damen und Herren. Ich freue mich, dass wir uns nun alle gemeinsam für ein beitragsfreies Kindertagesstättenjahr in Schleswig-Holstein einsetzen. Als meine Fraktion dies vor ziemlich genau fünf Jahren forderte, hagelte es noch heftige Kritik. SPD-Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave wies unsere Forderung als populistischen Schnellschuss zurück und auch andere Kommentare waren nicht gerade freundlich. Heute ist es die SPD selbst, die gebührenfreie Kindertagesstätten fordert: „Mittelfristig brauchen wir gebührenfreie Kindergärten und anfangen wollen wir mit einem gebührenfreien Kita-Jahr vor Schulbeginn, wie es Rheinland-Pfalz praktiziert“, so Minis

terin Trauernicht in den „Kieler Nachrichten“ im Februar.

CDU-Bundesfamilienministerin von der Leyen fordert, nach praktikablen Wegen für dieses beitragsfreie Kindertagesstättenjahr zu suchen, und die CDU in Schleswig-Holstein hat noch für diese Legislaturperiode den Einstieg in ein kostenloses Kita-Jahr versprochen. Bei so viel Übereinstimmung sollten wir damit beginnen, Konzepte auf den Tisch zu legen. In unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, genau dieses zu tun, und wir werden nachher den letzten Absatz unseres Antrages getrennt abstimmen lassen. Dann können Sie deutlich machen, ob Sie Ihre Forderungen selbst ernst nehmen oder nicht.

Die institutionelle Kinderbetreuung in Deutschland muss deutlich besser werden - aus pädagogischer Sicht, aus bildungspolitischer Sicht, aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und um Familie und Beruf endlich miteinander zu vereinbaren. Mit unserem heutigen Antrag fordern wir, dass die Schwerpunkte in der Familienpolitik künftig anders gesetzt werden, hin zur institutionellen Förderung von Betreuung und Versorgung. Wir fordern, dass die vorgesehenen Mittel für Elterngeld und Betreuungsfreibeträge - immerhin zusätzlich 2,2 Milliarden € - den Kommunen und Ländern zur Verfügung gestellt werden, damit die Arbeit der Kindertagesstätten gut ausgestattet ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sprechen uns deshalb erneut gegen das Ehegattensplitting aus und wir sprechen uns gegen die Einführung des neuen Elterngeldes aus. Bei der Einführung des neuen Elterngeldes wird mit Schweden und der dortigen erfolgreichen Familienpolitik argumentiert. Aber wie funktioniert es wirklich in Schweden? - Kindertagesstätten und Schulen haben dort ein qualitativ gutes und bedarfsgerechtes Angebot. Die Kosten für die Eltern sind in Schweden bei 150 € gedeckelt, einschließlich Windeln und mehrerer Mahlzeiten. Die Familienförderung besteht ausschließlich aus einem Kindergeld von 120 € monatlich und aus dem ein Jahr lang gezahlten Elterngeld. Ansonsten gibt es nichts in Schweden, keine Steuerfreibeträge, keine Betreuungsfreibeträge, kein Ehegattensplitting. Das System in Schweden bedeutet, Eltern erhalten im ersten Lebensjahr ihres Kindes eine gute finanzielle Ausstattung, anschließend gehen sie wieder zurück an ihren Arbeitsplatz. Der Staat sichert die Kinderbetreuung und er hat damit einen großen Einfluss auf Bildung und Erziehung der Kinder. Das Ergebnis ist eine hohe Erwerbstätigkeit beider Elternteile

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

und eine relativ große Chancengleichheit der Kinder.

Deutschland hat ein komplett anderes System, eine Mischung aus Kindergeld, Steuerfreibeträgen, Ehegattensplitting, Erziehungsgeld, Baukindergeld, Betreuungsfreibeträgen und Kindertagesstättenfinanzierung. Über Ehegattensplitting und Steuerfreibeträge werden bei uns insbesondere die Besserverdienenden gefördert. Allein das Erziehungsgeld hat eine Gerechtigkeitskomponente. Genau aus diesem Erziehungsgeld will die Bundesregierung nun ein Elterngeld machen, welches wiederum überproportional den besser Verdienenden zu Gute kommt. Ich halte dieses für schlicht ungerecht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist meine Fraktion dagegen, das schwedische Elterngeld einfach so auf die jetzige Familienförderung obendrauf zu packen. Stattdessen müssen wir erst einmal alte Zöpfe wie das Ehegattensplitting abschaffen und wir müssen dringend in eine verlässliche, qualitativ gute und für die Eltern bezahlbare Kinderbetreuung investieren. Ohne eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung kann die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gelingen. Auch das zeigt Schweden. Dafür müssen alle finanziellen Kapazitäten gebündelt werden. Für neue Fördertatbestände haben wir keine Mittel. Bei der Kinderbetreuung gibt es in Deutschland große Defizite und dementsprechend großen und teuren Handlungsbedarf. Die Qualität in den Kindertagesstätten muss besser werden. Die Kindertagesstätten brauchen Geld für die Umsetzung des Bildungsauftrages. Wir haben das miteinander diskutiert. Das pädagogische Personal muss künftig zumindest teilweise auf Hochschulniveau ausgebildet werden.

Meine Fraktion hat aber noch weitere Ziele. In einem ersten Schritt wollen wir den Kindertagesstättenbesuch ein Jahr vor der Schule beitragsfrei stellen und dieses Jahr für die Kinder verbindlich machen. In einem zweiten Schritt wollen wir an allen Kindergärten und Schulen ein kostenloses Mittagessen zur Verfügung stellen. In einem dritten Schritt wollen wir einen Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr umsetzen. In einem vierten Schritt wollen wir, dass die jetzigen Gebühren für Kindertagesstätten deutlich gesenkt werden. Das ist der Weg hin zur beitragsfreien Kindertagesstätte.

Natürlich kann ich verstehen, dass Frau von der Leyen andere Probleme hat. Auch ich war über Jahre in der Situation, angesichts eines langen Arbeitstages, angesichts Kindern und angesichts eines guten Einkommens eine Haushaltshilfe zu beschäfti

gen. Natürlich weiß ich, dass es da ganz nett wäre, diese Kosten von der Steuer abzusetzen. Aber seien wir doch mal ehrlich, meine Damen und Herren, unser Hauptproblem sind doch nicht gut verdienende Eltern, die zu viel Steuern zahlen, sondern unser Hauptproblem sind Kindertagesstätten mit hohen Elternbeiträgen und unzureichenden Öffnungszeiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang teile ich ausdrücklich die Aussage von Familienministerin Trauernicht „Kieler Nachrichten“ -, wo sie zu den geplanten Betreuungsfreibeträgen gesagt hat: „Ich glaube, die Menschen erwarten eher eine klare Lösung, zum Beispiel 50 € für jeden Kita-Platz. Damit kann jede Familie planen.“ - Frau Ministerin, uns haben Sie an Ihrer Seite. Kämpfen Sie dafür, dass Sie auch CDU und SPD hier im Landtag an Ihrer Seite haben, damit Sie in Berlin mutig voranschreiten können.

Fast alle Parteien fordern inzwischen, dass Eltern mittelfristig gar keine Beiträge mehr für die Kindertagesstätte zahlen müssen. Auch dieses konnten wir von unterschiedlichen Parteien lesen. Ich kenne sehr viele Eltern, aber auch Erzieherinnen und Kommunalvertreterinnen, die diese Debatte angesichts der real hohen Elternbeiträge, Kita-Beiträge für verlogen halten. Deshalb ist es Aufgabe der Politik, diese Förderung mit Zahlen zu unterfüttern und ernsthaft zu prüfen, ob und wie unsere Versprechen finanzierbar und damit umsetzbar sind.

Hier setzt unser zweiter Berichtsantrag an. Wir wollen wissen, was die beitragsfreie Kindertagesstätte in Schleswig-Holstein kosten würde, und wir wollen wissen, was es kosten würde, wenn wir die Elternbeiträge nach oben begrenzen.

Meine Fraktion hat vor einigen Jahren schon einmal einen Vorschlag gemacht, wie wir in SchleswigHolstein innerhalb des Bildungssystems Mittel umschichten können. Wir wollten durch die Bildung von Oberstufenzentren Mittel freischaufeln, um sie in den Vorschulbereich hineinzustecken, damit dieser gestärkt wird. Ich weiß, dieser Vorschlag war heftig umstritten. Ich weiß, er hat keine Mehrheit gefunden. Aber, meine Damen und Herren von CDU und SPD, ich erwarte von allen, die ein kostenloses Kitajahr propagieren, dass sie dafür einen eigenen Finanzierungsvorschlag auf den Tisch legen. Ich erwarte von denjenigen, die große Hoffnungen wecken - wie der Fraktionschef der CDU, Herr Wadephul, der selber die Zahl von 40 Millionen € pro Jahr angegeben hat -, dass sie sagen, wie es denn gehen kann.

(Monika Heinold)

Dass es Finanzierungsmöglichkeiten zur Umsetzung der beitragsfreien Kindertagesstätte gibt, macht uns gerade die Stadt Neuss in NordrheinWestfalen vor. Sie will als erste Kommune in Nordrhein-Westfalen ab August auf Kindertagesstättengebühren verzichten, wobei sie gleichzeitig die Grundsteuer anhebt und Einsparungen im Verwaltungsbereich vornimmt. Das ist eine kommunal beschlossene Möglichkeit, die ich als mutig bezeichne.

Dieses Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, neu nachzudenken, neue Schwerpunkte zu setzen. Wir müssen den Mut haben, Maßnahmen zu bündeln, und sollten in Deutschland nicht weiter dazu neigen, uns zu verzetteln, indem wir unterschiedliche Fördertöpfe und -konzepte machen. Wir müssen uns auf die Kindertagesstätten konzentrieren und von anderen Fördertatbeständen verabschieden; wir sollten diese nicht neu erfinden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten Heinold. - Bevor wir in der Debatte fortfahren, begrüße ich auf der Besuchertribüne sehr herzlich die Seniorenunion Quickborn. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort hat nun für die CDU-Fraktion der Fraktionsvorsitzende Dr. Johann Wadephul.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde von der Zahl der Kinder gesprochen. Dass ich dennoch, Frau Kollegin Lütkes, Ihrer geschätzten Kollegin Frau Heinold zu weiteren Hoffnungen Anlass gebe, macht mich stolz und auch ein Stück gelassen. Das ist ganz gut.

Aber wenn man Ihre Rede gehört hat, glaubt man gar nicht, was Sie gesagt haben. Sie haben hier neun Jahre lang Verantwortung für die Landespolitik getragen. Sieben Jahre lang haben Sie das auf Bundesebene getan. Mit einem Mal kommen Sie hier mit riesigen Programmen und Vorschlägen. Warum haben Sie die in den vergangenen Jahren eigentlich nicht umgesetzt? Das fragt man sich ernsthaft.

(Beifall bei CDU und FDP)

Frau Kollegin Lütkes, ich muss Ihnen in aller Offenheit sagen: Bei allen Projekten, die wir gemeinsam mit den Sozialdemokraten anpacken, steht es außer Frage, dass es in manchen Bereichen Mei

nungsverschiedenheiten zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten gibt. Aber bezüglich des Themas Familienpolitik rennen Sie bei den Sozialdemokraten offene Türen ein. Da wäre also mehr möglich gewesen. Sie können sich nicht damit entschuldigen, dass Sie in den vergangenen Jahren von den Sozialdemokraten gebremst worden seien. Solches würde ich Ihnen schlicht und ergreifend nicht glauben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Familien und Kinder, Geborgenheit und gegenseitige Verantwortung, wünschen sich, man glaubt es kaum, 90 % der Jugendlichen in unserem Land. Wir wissen aus Studien auch, dass in Deutschland rund 80 % aller jungen Menschen gern eine Familie mit mindestens zwei Kindern gründen wollen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die heutige Geburtenrate liegt in Deutschland bei 1,3 Kindern je Frau. Die Zahl der Geburten sank von 1,3 Millionen im Jahr 1961 auf rund 700.000 im letzten Jahr. Deutschland gehört damit in Europa zum Schlusslicht. Etwas mehr als zwei Kinder wären nötig, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Frankreich erreicht dies annähernd. Die Bevölkerungsstruktur verändert sich erheblich.

Durch die erfreuliche Steigerung der Lebenserwartung kommt ein weiterer Faktor hinzu, den wir zur Kenntnis nehmen müssen: Die Überalterung unserer Gesellschaft ist vorprogrammiert. Im Jahr 2030 werden in Deutschland die über 60-Jährigen die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Wir wissen aber auch, dass Deutschland im europaweiten Vergleich das meiste Geld für Kinder in die Hand nimmt. Kollegin Frauke Tengler hat uns in der letzten Sitzung die Zahlen genannt. Ich erlaube mir, sie zu wiederholen.