Durch die erfreuliche Steigerung der Lebenserwartung kommt ein weiterer Faktor hinzu, den wir zur Kenntnis nehmen müssen: Die Überalterung unserer Gesellschaft ist vorprogrammiert. Im Jahr 2030 werden in Deutschland die über 60-Jährigen die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Wir wissen aber auch, dass Deutschland im europaweiten Vergleich das meiste Geld für Kinder in die Hand nimmt. Kollegin Frauke Tengler hat uns in der letzten Sitzung die Zahlen genannt. Ich erlaube mir, sie zu wiederholen.
36 Milliarden € fließen jährlich allein an Kindergeld. 25 Milliarden € kosten die kommunalen Kindertagesstätten. 19 Milliarden € kostet die beitragsfreie Kinderkrankenversicherung. Das sind Zahlen, die man zur Kenntnis nehmen muss. Es sind beachtliche Summen.
Wir sind uns sicherlich einig, dass wir zur Förderung von Familien gern noch mehr tun würden, Frau Kollegin Heinold, als es die öffentlichen Haushalte heute zulassen. Wir müssen verstärkt darüber nachdenken, ob die Gelder, die wir einsetzen, so am effektivsten eingesetzt sind. Vielleicht finden wir andere Wege, die den Familien mit der gleichen Summe besser helfen. Wir sollten deshalb neue Ideen nicht gleich verwerfen, sondern unter diesem Gesichtspunkt genau prüfen. Aber dieser
Selbst wenn wir das Kindergeld verdoppelten und für jedes Kind von Geburt an einen Betreuungsplatz anböten, könnten wir nicht sicher sein, dass mehr Kinder geboren werden. Hier geht es eben nicht nur um das Geld, nicht nur um die materiellen Werte, die uns fehlen. Es ist, um es mit den Worten unseres Altbundespräsidenten Roman Herzog zu sagen, ein geistiger Verarmungsprozess, der sich in den letzten Jahrzehnten schleichend in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat.
Wir haben verlernt, was Kinder für eine Gesellschaft und für jeden Einzelnen von uns bedeuten: Sie bereichern und beschenken unser Leben. Sie zwingen uns, ständig über unser eigenes Tun nachzudenken und es zu hinterfragen. Sie lehren uns, Dinge wieder völlig neu und mit anderen Augen zu betrachten. Sie vermitteln uns Staunen, Fröhlichkeit und Bewegung. Sie verhindern eine geistige Verkrustung. Von ihrer Geburt an begreifen wir Verantwortung ganz neu.
Wir haben es zugelassen, dass Bequemlichkeit und Selbstverwirklichung überhand genommen haben, dass Kindertoben stört, weil es laut ist, und zum Teil sogar vor Gericht dagegen vorgegangen wird, während Flug- und Autolärm als gegeben betrachtet werden. Familien mit Kindern werden in der Bahn, im Restaurant oder andernorts schief angeschaut. Die Entscheidung eines Elternteils, sich ausschließlich der Kindererziehung zu widmen, wird nicht anerkannt.
Gegen diesen Verarmungsprozess müssen wir angehen, und zwar nicht aus materiellen Gründen, sondern weil sich unsere gesamte Gesellschaft ihrer geistigen Zukunft beraubt.
Wir alle - damit meine ich nicht nur uns Politiker, sondern alle gesellschaftlichen Kräfte - können und müssen dieses Umdenken erreichen. Wenn uns das gelingt, wenn wir überzeugt sagen, dass Kinderlärm Zukunftsmusik ist, haben wir einen Erfolg zu verbuchen. Glauben Sie mir, als dreifacher Vater kenne ich diese Musik in allen Tonarten, wenn man dabei, offen gestanden, auch nicht immer fröhlich und gelassen ist. Wenn wir diese Musik bejahen, haben wir sehr viel mehr erreicht als mit jeder Kindergelderhöhung.
Herr Ministerpräsident, auch Enkelkinder musizieren oft auf ihre Art und Weise und tragen dazu bei, dass wir die Verarmung überwinden.
Zu der geistigen kommt die materielle Verarmung hinzu. Die sich abzeichnenden wenigen Schultern, die im Beruf stehen, werden die Belastungen der immer mehr und länger lebenden Ruheständler nicht mehr tragen können. Wir sind daher auch unter diesem Gesichtspunkt aufgefordert, alles zu tun, um die Entwicklung zu ändern.
Deswegen beschäftigt sich die CDU in SchleswigHolstein intensiv mit dem Thema Familienpolitik. 2001 hat sie die gesellschaftlichen Veränderungen aufgegriffen und den Weg zu einer zukunftsweisenden Familienpolitik aufgezeigt. Derzeit finden in allen Kreisen Veranstaltungen mit Experten statt und der Landesparteitag der CDU in Schleswig-Holstein wird in Kürze ein Grundsatzpapier verabschieden.
Die CDU-Landtagsfraktion hat eine Große Anfrage zur Familienpolitik eingebracht, um weiteres Grundlagenmaterial zu erhalten. Wir wissen, dass wir nicht nur auf eine Veränderung der Einstellung setzen können, wenn wir ein Ja zu Familie und Kindern erreichen wollen. Hierzu bedarf es einer großen Bandbreite an Maßnahmen.
Viele dieser Maßnahmen erfordern keine oder nur geringe finanzielle Mittel, sondern eher einen guten Willen und die Bereitschaft zu Flexibilität. Ich nenne beispielsweise die Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, betriebliche Familienförderung und die Einrichtung lokaler Bündnisse für Familien.
Andere Maßnahmen - hierzu zähle ich insbesondere alle Maßnahmen zur Kinderbetreuung - lassen sich nicht umsetzen, ohne Geld in die Hand zu nehmen. Wir wissen, dass mangelnde oder teure Betreuungsangebote bei vielen jungen Familien den Kinderwunsch bremsen. Ein Familienteil, meistens immer noch die Mutter, müsste auf absehbare Zeit auf eine Berufstätigkeit verzichten. Das führte zu erheblichen finanziellen Nachteilen oder eine nicht gewünschte Lebensgestaltung. Deswegen müssen wir alle Initiativen unterstützen, die eine Verbesserung der Betreuung erreichen.
Da sich die Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerade in den vergangenen Sitzungen - Stichwort Rauchverbot - auch mit der Situation hier im Landtag auseinander gesetzt haben, möchte ich anregen, eine Initiative zu ergreifen, um auch im Bereich des Landeshauses und der Ministerien für Betreuungsangebote zu sorgen,
möglichen, ihren Beruf auszuüben, parallel verbunden mit einem Betreuungsangebot. Vielleicht können wir so etwas gemeinsam im Ältestenrat und gemeinsam mit den Häusern erörtern.
Die CDU-Fraktion spricht sich zur Verbesserung der Situation für eine langfristige Einführung eines kostenlosen letzten Kindergartenjahres aus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Aussage, Frau Kollegin Heinold, ist ja der eigentliche Anlass Ihres heutigen Antrages. Wir freuen uns, dass wir Sie animiert haben, unsere familienpolitischen Vorstellungen aufzugreifen und zu unterstützen. Wir können jede Unterstützung gebrauchen, auch die der Opposition.
Wie bei jeder Maßnahme, die den finanziellen Einsatz des Landes fordert, gilt es natürlich, keine neuen Schulden aufzunehmen. Unseren Lebensstandard erhalten wir derzeit nur auf Kosten der nachfolgenden Generationen. Das ist auch ein Stück Ungerechtigkeit gegenüber den Kindern und Kindeskindern, die später ihr Leben selbstständig gestalten sollen und nicht unsere Schulden aufgebürdet bekommen sollen. Deswegen ist es unser vorderstes Ziel, in dieser Legislaturperiode zunächst entscheidende Schritte zur Haushaltskonsolidierung zu gehen und jedenfalls den Doppelhaushalt 2007/2008 in einer Art und Weise zu verabschieden, die für die Zukunft verantwortbar ist.
Aber das Ziel bleibt auf der politischen Agenda und ist auch in dieser Legislaturperiode eines der politischen Ziele der CDU-Fraktion. Wir werden, wie Sie es gesagt haben, Frau Heinold, nicht nur die Lippen spitzen, sondern wir werden auch pfeifen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in diesem Bereich Handlungsbedarf haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich bin dagegen, dass wir, so wie Sie das gemacht haben - jedenfalls konnte man Sie so verstehen -, sagen, es gibt ein Problem nur bei den sozial besser oder sozial schlechter Gestellten, und zwar mit Blick auf Frau von der Leyen, die natürlich einen anderen finanziellen Hintergrund hat. Aber ich muss wirklich sagen, meine Bewunderung für diese Frau mit sieben Kindern ist schon sehr groß.
Wir sollten beide Probleme sehen. Die frühere Familienministerin Schmidt hat auch immer auf das Problem hingewiesen: Wir haben ein ausgeprägtes Problem bei Akademikerinnen, die sich nicht mehr für Kinder entscheiden. Das ist für die Zukunft unserer Gesellschaft eine große Gefahr. Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass sozial
Schwache eine große Hemmschwelle haben, trotz aller Unterstützung, die es dort gibt, einen Kindergartenplatz in Anspruch zu nehmen. Ich glaube, gerade in sozial schwachen Schichten, in denen es auch soziale Defizite gibt, in denen es Sprachdefizite gibt, in denen es Kinder mit Migrationshintergrund gibt, ist es eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben, in Deutschland dafür zu sorgen, dass alle Kinder in einen Kindergarten kommen. Ich bin für eine intakte Familie, aber ich bin genauso der Überzeugung, wir können Kinder heute ohne einen Kindergartenbesuch nicht mehr in die Grundschule schicken. Deswegen müssen wir dafür sehr viel Geld und Energie aufwenden.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Wadephul. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Ulrike Rodust.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick in die Medien zeigt: Familienpolitik ist hoch im Kurs. So etwas birgt regelmäßig die Gefahr, dass es sich um ein Strohfeuer handelt. Und dieser Verdacht wächst, wenn ich mir die plötzliche Überaktivität im Hause ansehe. In den vergangenen Wochen sind viele Initiativen auf den Weg gebracht worden: In der 13. Tagung wird die Regierung über ihre familienpolitischen Aktivitäten berichten. Im Sozialausschuss wurde ein Berichtsantrag über die Vermeidung gesundheitlicher Schäden und Gesundheitsstörungen bei Kindern beschlossen, der natürlich auch die Familie umfasst. Die CDU hat eine Große Anfrage zur Familienpolitik in Schleswig-Holstein eingebracht. Die Grünen haben nun für die 14. Tagung ebenfalls einen Bericht beantragt.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn wir unsere eigenen Berichtsanträge ernst nehmen und sie nicht als Beschäftigungstherapie für die Verwaltung betrachten, sollten wir doch erst einmal alle Berichte abwarten und dann sehen, welche konkreten Maßnahmen sich daraus ergeben.
Der vorliegende Antrag gibt mir allerdings die Gelegenheit, einige Grundzüge unserer Familienpolitik darzulegen: Deutschland hat zu wenige Kinder. Wir verzeichnen eine hohe Kinderlosigkeit vor allem der besser gebildeten Männer und Frauen und
wir stellen einen negativen Rekord auf, was Familien mit mehreren Kindern angeht, eine bei uns fast aussterbende Form der Familie. Unser Land ist nicht kinderfeindlich, es ist kinderentwöhnt.
Unsere Gesellschaft und immer mehr junge Frauen und Männer halten Kinder nicht mehr für einen unverzichtbaren Bestandteil des Lebens. Zugleich ist die Familie für die meisten Menschen der wichtigste Bereich im Leben, in dem sie Rückhalt und Zuwendung finden.
Völlig klar, eine Entscheidung gegen Kinder muss respektiert werden und die schrecklichen Vorfälle der letzten Zeit müssen uns deutlich machen, dass einem Kind nichts Schlimmeres passieren kann, als ungewollt und ungeliebt geboren zu werden und schließlich auch materiell und seelisch unversorgt und misshandelt aufwachsen zu müssen.
Aber die Entscheidung für Kinder darf nicht daran scheitern, dass die von der Gesellschaft zu schaffenden Rahmenbedingungen nicht da sind.
Im „Spiegel“ las ich, sechs junge CDU-Bundestagsabgeordnete setzten sich wieder für das alte, traditionelle Bild der Familie ein. Dazu sage ich: Meine Herren, dass ist mit uns, den SPD-Frauen, nicht möglich. Wir wollen beides; wir wollen Zeit haben für unsere Kinder und wir wollen Beruf und Familie in eine gute Balance bringen.
Die SPD-Fraktion verfolgte in der rot-grünen ebenso wie in der Großen Koalition erfolgreich das Ziel, den Ausbau einer quantitativen und qualitativen Kinderbildung und -betreuung voranzubringen. Wir reden nicht nur darüber, wir handeln auch, und zwar mit einer Mischung aus familienfreundlicher Infrastruktur, zeitlichen Möglichkeiten und finanziellen Rahmenbedingungen.
Wir setzen uns gemeinsam mit starken Partnern aus Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft für eine familienbewusste Arbeitswelt ein. Ihr Eckpfeiler ist ein gutes Angebot an Kinderbetreuung. Das Tagesbetreuungsausbaugesetz soll bis 2010 230.000 zusätzliche Plätze für unter Dreijährige in Krippen und bei der Tagespflege schaffen. Wir haben die notwendige Qualitätsinitiative für Betreuungseinrichtungen gestartet. Der Dreiklang aus Bildung, Betreuung und Erziehung steht im Mittelpunkt. Diese Ziele sind auch im „Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ verankert und seit Jahren im schleswig-holsteinischen Kita-Gesetz festgeschrieben. Der Aktionsplan hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt und
Die Verbindung von Elterngeld und mehr Kinderbetreuung wird eine drastische Senkung von Familienarmut ermöglichen. Wenn junge Frauen nach der Geburt eines Kindes zunächst für ein Jahr ausscheiden, das Elterngeld den Einkommenseinbruch auffängt und sie danach eine gesicherte und bezahlbare Kinderbetreuung vorfinden, wird es viel weniger Familien geben, die von nur einem Einkommen oder nur aus Transfermitteln leben müssen. Das ist das Ziel.
Durch die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten wird ein Hemmnis beim Wiedereinstieg junger Eltern, insbesondere Mütter, in den Beruf gemildert. Diese Maßnahme trägt auch zu unserem Ziel bei, die Anreize zur Erwerbstätigkeit von Müttern zu stärken. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit muss gerade auch für geringer Verdienende, darunter sind häufig Alleinerziehende, attraktiver werden. Wenn sie die Betreuungskosten für ihre Kinder von Anfang an steuerlich absetzen können, lohnt sich eine Erwerbstätigkeit eher, als wenn der größte Teil des Gehaltes unwiederbringlich in die Kinderbetreuung fließt.
Wenn wir Beitragsfreiheit für Kindertagesstätten, übrigens eine alte SPD-Forderung, anstreben, wäre das ein weiterer wichtiger familien- und bildungspolitischer Schritt, eine konsequente Verbindung von Bildung und Betreuung.
Die Finanzierung kann nur durch eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen gelingen. Aber wir müssen ehrlich sagen, dass dies angesichts der Verschuldung unseres Landes aktuell nicht realistisch ist. Dennoch gewährt das Land den Trägern von Kindertageseinrichtungen und Tagespflegestellen pauschale Zuschüsse. Insgesamt sind für die Jahre 2006 bis 2010 300 Millionen € eingeplant. Für die vorschulische Sprachförderung werden in diesem Zeitraum insgesamt 27 Millionen € veranschlagt. Dies ist eine gewaltige Kraftanstrengung, doch wir werden dies umsetzen.
Da sind vorläufig Wünsche für den beitragsfreien Kindergarten nicht realisierbar. Zumindest kann ich nicht erkennen, woher das Land den Eigenanteil, der vom Bund automatisch gefordert werden würde, aufbringen soll.