Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

(Beifall der Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Ich habe mich gefreut - das habe ich heute Nachmittag gehört -, dass Peter Deutschland über mich gesagt hat, der Saulus sei zum Paulus geworden. Nun ist Kiel nicht Damaskus und eine helle Erscheinung habe ich auch nicht gehabt.

(Heiterkeit)

Deshalb möchte ich das etwas relativieren. Trotzdem freue ich mich darüber.

Auch mein Vorschlag wird sicherlich nicht alle Probleme lösen. Wir müssen davon ausgehen, dass in den Bereichen - das meine ich ernsthaft -, in denen niedrige Löhne nicht Ausdruck von Ausbeutung sind, sondern schlicht auf wirtschaftlicher Notwendigkeit beruhen, der Anspruch auf ergänzendes Arbeitslosengeld ein Mindesteinkommen sichern kann. Ich kann aber nicht gesetzlich jemanden dazu zwingen, einen Mindestlohn zu zahlen, der nicht erzielbar ist.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Nehmen Sie noch einmal den Friseurmeister in Frankfurt/Oder. Dort gibt es einen wirklich schlechten tariflichen Lohn von 3,82 €. Er ist aber von den Tarifparteien ausgehandelt worden. Wenn ich dem sage, er soll 6 € zahlen, macht er das vielleicht einen Monat lang. Dann macht er seinen Laden dicht. Dann haben die Friseurinnen keine Arbeit mehr. Die Leute gehen rüber nach Polen und lassen sich die Haare für 2,50 € schneiden. Das also ist nicht unsere Aufgabe.

Wenn es also dazu kommt, dass wir Mindestlöhne haben, mit denen man kein vernünftiges Auskommen hat - das gibt es mit 3,82 € ganz sicher nicht -, muss ich dafür sorgen, dass die Differenz als staatliche Sozialleistung gezahlt wird. Dann bin ich beim Thema Kombilohn. Da hat der Staat anzusetzen. Er darf nicht Löhne vorschreiben, die auf dem Markt nicht zu erzielen sind. Außerdem müssen wir durch Kombilöhne und höhere Zuverdienstmöglichkeiten dafür sorgen - ich sagte das eben -, dass wir ein entsprechendes Einkommen der Menschen sicherstellen.

Die Debatte hat gezeigt - auch wenn wir eigentlich am Ende einer Antragsberatung angekommen sind -, dass wir am Beginn einer solchen Debatte stehen. Über die Ziele sind wir uns einig, über den richtigen Weg müssen wir noch streiten.

(Jürgen Weber [SPD]: Das glaube ich auch!)

Ich sage Ihnen zu: Ich werde Ihnen, um diese Diskussion weiterführen zu können, die Vorstellungen, die ich konzeptionell niedergelegt habe, als Umdruck für den Sozialausschuss und für den Wirtschaftsausschuss zuleiten, sodass wir dort anhand solcher Papiere diskutieren können. Ich weiß, diese Überlegungen sind nicht stromlinienförmig. Das sollten sie auch gar nicht sein.

(Beifall)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratungen.

Ich schlage vor, dass wir entsprechend dem Wunsch von Dr. Heiner Garg und dem Angebot des Ministers Döring verfahren, dass sich die beiden Ausschüsse im Zuge der Selbstbefassung mit diesem Papier auseinander setzen und dort beraten.

Ich lasse jetzt über den Antrag Drucksache 16/20 in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordne

(Minister Uwe Döring)

ten des SSW gegen die Stimmen der Freien Demokratischen Fraktion angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf:

Bericht der Landesregierung über den Stand des Revisionsverfahrens und das Ergebnis der Überprüfung nach § 46 Abs. 6 Satz 2 SGB II (Bun- desbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung für Leistungsberechtigte nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch/SGB II)

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/571

Ich erteile dem Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herrn Uwe Döring, das Wort. - Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Hartz IV steht nach wie vor in der Öffentlichkeit, in den Schlagzeilen und wird zurzeit nur von der Vogelgrippe überlagert, im Wesentlichen aber ähnlich bewertet.

(Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist nicht so lebensgefährlich!)

- Das ist richtig. Gott sei Dank. Ich will das auch nicht vertiefen.

Umso mehr freue ich mich, heute auch einmal eine positive Nachricht verbreiten zu können, und dies bei einem ausgesprochen finanzwirksamen Thema. Es geht um den Anteil des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung - KdU, wie das so schön heißt - bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende.

Für unsere Kreise und kreisfreien Städte ist das eine ganz existenzielle Sache. Sie sind Empfänger der Bundesmittel. Es geht dabei um jeweils mehr als 130 Millionen € für die beiden Jahre 2005 und 2006. An diesen Zahlen können wir einen erzielten Erfolg messen.

Die Bundesregierung hat noch im letzten Jahr kompromisslos das Ziel verfolgt, völlig aus der Mitfinanzierung der kommunalen KdU-Lasten auszusteigen. Deshalb hatte sie auch nicht die notwendigen Gelder in Höhe von rund 3,2 Milliarden € in den Haushalt 2006 eingestellt. Die neue Bundesregierung hat diese, ich sage einmal, Geisterfahrt beendet und eine 180-Grad-Wende vorgenommen. Dieser Erfolg beruht auf einer geschlossenen Haltung aller Länder und vieler Landesparlamente. Der Schleswig-Holsteinische Landtag ist jedenfalls ein

geschlossen und die schleswig-holsteinische Landesregierung auch. Wir haben immer gesagt, wir halten an dieser Stelle Wort.

(Beifall bei SPD und CDU)

Dadurch ist es uns gelungen, den legitimen Anspruch der Kreise und kreisfreien Städte durchzusetzen. Zurücklehnen können wir uns allerdings nicht, denn nun geht es um die in der SGB-II-Neufassung vorgegebene endgültige Neuregelung der KdU-Problematik ab 2007. Anders als in den letzten Jahren sollen alle Beteiligten an diesem Gesetzgebungsverfahren diesmal vom Beginn an auf taktische Spielchen und realitätsfremde Maximalforderungen verzichten.

Der künftige Bundesanteil muss die zugesagte kommunale Gesamtentlastung von jährlich 2,5 Milliarden € schultern, trotz desolater Finanzlage, denn es ist den Kommunen gleichzeitig bei dieser Entlastung wieder etwas auf die Schultern gelegt worden, nämlich dass man die Betreuung der Kinder unter drei Jahren mitfinanzieren soll. Das ist eine wichtige Sache, die alle in diesem Hause unterstützen, wie ich denke. Man kann dann aber den Gemeinden nicht gleichzeitig das, was als Entlastung dienen sollte, vorenthalten.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Landesregierung wird auch in dieser Phase verantwortungsbewusst und mit dem notwendigen Augenmaß für die Interessen unserer Kreise und kreisfreien Städte eintreten. Sie setzt dabei auf Ihre Unterstützung. Selbstverständlich wird die Landesregierung auch ihren Teil der Abmachung einhalten. Auch das stand von Anfang an fest und da unterscheiden wir uns durchaus von anderen Landesregierungen, dass wir dieses auf Euro und Cent an die Kommunen weiterleiten. Dieses wird bei dem bevorstehenden Doppelhaushalt nicht einfach sein, es ist eine Kraftanstrengung.

Meine Damen und Herren, der Bund kann sich die dafür benötigten 3,2 Milliarden € auch nicht einfach aus den Rippen sparen, aber er muss die zugesagte Entlastung trotzdem entsprechend weitergeben. Dass die notwendigen Einsparungen vorrangig im Bereich Hartz IV realisiert werden sollen, haben wir gehört. Wir werden das in der weiteren Diskussion verfolgen. Die Mitverantwortung der Länder ist gefordert. Wir haben die eine oder andere Förderbestimmung beim SGB II noch einmal zu überdenken. Die schon sprichwörtliche Finanzierung der ersten eigenen Wohnung - dazu gibt es verschiedene Wortmeldungen - von jungen Arbeitslosen durch die Steuerzahler ist einer der Punkte, der finanzpolitisch nicht mehr in die Landschaft

(Präsident Martin Kayenburg)

passt, obwohl das sonst vielleicht gewünscht ist. Ich will jetzt den Gag nicht vorwegnehmen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wann kommt er dann?)

- Wolfgang Baasch hat mir gesagt, dies sei politisch die Aufstallung Jugendlicher. Ich kann dazu nur sagen, Aufstallung ist das natürlich nicht, denn sie sind ja vorher nicht freilaufend, sondern sie wollten ja einen eigenen Stall. Das ist genau der Punkt, worüber wir uns streiten, und dies ist, so denke ich, nicht finanzierbar.

Wir werden auch noch andere Punkte zu diskutieren haben, um die entsprechende Entlastung herbeizuführen. Wir bleiben aber in der Verantwortung der Kostenbegrenzung bei Hartz IV. Wir müssen die öffentlichen Haushalte konsolidieren. Trotzdem ist die Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen einer der wesentlichen Punkte und bei den Kosten für Unterkunft sind wir alle im Wort. Wir haben bisher Wort gehalten, wir werden das auch weiter tun.

(Beifall bei SPD und CDU)

Bevor ich die Aussprache eröffne, begrüße ich auf der Tribüne ganz herzlich Mitglieder des Seniorenbeirats Grömitz und die ehemalige Bundestagsabgeordnete Antje-Marie Steen aus Ostholstein. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich erteile nunmehr das Wort der Vorsitzenden der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Anne Lütkes, als derjenigen, die als Erste den Antrag unterschrieben hat.

Vielen Dank, Herr Präsident, es war Klaus Müller, aber das macht nichts, wir teilen uns das auf.

Herzlichen Dank, Herr Minister, für diesen Bericht. Ich hätte Ihren Ausführungen gern umfassend zugestimmt, leider ging das wegen der Schlussphase dann doch nicht mehr.

Heute ist übrigens Weiberfastnacht, wenn ich das der Ordnung halber hier einmal zu Protokoll erklären darf, deshalb habe ich großes Verständnis für ein bisschen makabere Witze.

Herr Minister, zunächst zu Ihrem Bericht. Wir danken Ihnen. Es ist von allen Fraktionen auf Initiative der Grünen damals beschlossen worden, und zwar einverständlich und sehr klar hier im Haus, dass wir

uns in Einklang sehen mit der Politik der jetzigen Landesregierung, aber auch der alten Landesregierung, dass sämtliche „Einsparungen“ in SGB-IIund Hartz-IV-Maßnahmen an die Kommunen weiterzugeben sind. Ich finde es begrüßenswert und auch ausgesprochen richtig, dass die jetzige Landesregierung die von der alten Koalition noch erarbeitete Revisionsklausel sehr hart und ganz klar an dieser Linie weiter vertreten hat und im Bund dafür gearbeitet hat, dass diese Zusage für die Kommunen auch eingehalten wurde. Wir stehen da in Einklang mit Ihnen und möchten das auch so deutlich sagen.

Wir haben heute Morgen immer wieder wie auch gestern über Armut von Jugendlichen, über Wohnen im Alter, über die unterschiedlichsten Situationen in der sozialen Alltäglichkeit von Menschen diskutiert. Erlauben Sie mir insofern die Anmerkung, Herr Minister, dass wir bei der Bemerkung, dass es finanzpolitisch nicht mehr in die Zeit passt, den jugendlichen Anspruchsberechtigten - und es sind Anspruchsberechtigte, nicht Bittsteller - ein eigenständiges Leben außerhalb des Elternhauses zu gewähren, mit Ihnen wahrlich nicht übereinstimmen können. Sie wissen vielleicht, dass fast alle Praktiker der Jugendsozialarbeit immer wieder darauf hinweisen, dass gerade in prekären sozialen Verhältnissen häufig erst der Auszug aus dem Elternhaus die Möglichkeit bietet, aus dem Kreislauf der Sozialhilfeempfänger über Generationen hinweg auszubrechen. Das ist heute und im Laufe der Tagung schon mehrfach erwähnt worden, dass es Generationen von Hilfeempfängern gibt, wo es notwendig ist, einen Ausweg, der durchaus auch ein räumlicher sein kann, aufzuzeigen.

Wir können deshalb überhaupt nicht zustimmen, wenn die große Koalition und die Landesregierung Schleswig-Holstein darauf hinweisen, dass ein eigenständiger Anspruch der Jugendlichen auf Arbeitslosengeld II reduziert, abgeschafft werden soll, das Fördern und Fordern an dieser Stelle reduziert wird und für die Jugendlichen entgegen dem Sinn und Zweck des alten Gesetzes nicht mehr zur Verfügung stehen soll. Das ist ein Abschied von dem Ziel in Hartz IV, die Jugendarbeitslosigkeit mit den unterschiedlichsten Mitteln zu bekämpfen. Wir bitten Sie deshalb, ganz intensiv noch einmal darüber nachzudenken. Es mag finanzpolitisch geboten erscheinen, aber es ist sozialpolitisch und insbesondere jugendpolitisch verboten, das Gesetz in dieser Richtung ändern zu wollen. Da haben wir keine Übereinstimmung.

Die Bundestagsfraktion der Grünen hat gerade in der letzten Woche einen eigenen Vorschlag zur No