Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

Wir wollen ein Land des Miteinander gestalten, in dem Menschen mit Behinderung neben dem Anspruch auf einen besonderen Schutz vor Benachteiligung einen Anspruch auf selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft haben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Baasch. - Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abgeordnete Monika Heinold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was der großen Koalition alles an Begründung dafür einfällt, dass sie nicht die Anträge der Opposition annimmt, sondern selber etwas bastelt. Jetzt zu behaupten, der Konflikt gehe darum, dass die FDP die Behindertenverbände nicht beteiligen wolle, ist nicht zu glauben. Ich bitte Sie, wer außer Ihnen soll das denn noch glauben? - Der Konflikt ist ein komplett anderer. Ich will darauf gleich eingehen.

Ich mache aber noch an einem Beispiel fest, dass Ihre Freude, die Vereine und Verbände zu beteiligen, nicht so groß war. Ich erinnere an die Verabschiedung des SGB XII. Dazu haben wir ein Gesetz verabschiedet. Es wurde in die Haushaltsberatungen hineingeschummelt, damit man nicht so ausführlich und damit man kurzfristig beraten konnte.

Es wurde 13 Monate, bevor es in Kraft treten sollte, beschlossen. Sie haben es bei einem zentralen Gesetz, das die Menschen mit Behinderung in diesem Land direkt betrifft, geschafft zu verhindern, dass vorher auch nur ein einziger Behindertenverband angehört worden wäre. Aber nun stellen Sie sich hier hin und sagen, Sie seien die großen Freunde einer Beteiligung, während wir es ohne Anhörung der Verbände hätten machen wollen. So ist es aber nicht, meine Damen und Herren von CDU und SPD.

Ich sage Ihnen gern noch einmal - Herr Garg ist eben schon darauf eingegangen -, worin der Unterschied besteht. Die FDP hatte einen ausgesprochen guten Antrag eingebracht, der in neun verschiedenen Punkten differenziert beleuchtet hatte, wie sich dieses Parlament eine Gesamtplanung für Menschen mit Behinderung vorstellt. Es ist eine zentrale Aufgabe des Landtages, der Landesregierung mit auf den Weg zu geben, wie wir ein Gesamtkonzept ausgestalten wollen. Das wollen CDU und SPD nicht, weil diese Fraktionen Folgendes beschließen wollen. Ich lese einmal den ersten und den letzten Satz vor, in denen das Wichtigste steht. Der erste Satz ist - wen wundert es -:

„Der Landtag unterstützt ausdrücklich die Bestrebungen der Landesregierung zur Erstellung eines behindertenpolitischen Gesamtkonzepts.“

Das ist wunderbar. Damit loben Sie Ihre Regierung. Das können Sie machen.

Der letzte Satz heißt:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, Landtag und Öffentlichkeit über die wesentlichen Schritte bei der Erarbeitung des Gesamtkonzepts aktuell und jeweils zeitnah zu informieren.“

Das ist super. Sie verstehen Ihre Rolle im Parlament so, dass Sie sagen: Die Landesregierung wird es schon richten; und immer, wenn die uns etwas erzählen will, hören wir auch zu. Aber das, meine Damen und Herren, ist uns eindeutig zu wenig. Wir wollen eine klare Zielvorgabe. Wir haben die Zielvorgabe ergänzt, indem wir gesagt haben: Uns ist der Bereich von Kindern und Jugendlichen als eigenständigen Gruppen zentral wichtig. Diese Ergänzung ist übernommen worden.

Ich möchte auf eine andere Sache eingehen. Herr Baasch, Sie wollten deutlich machen, dass die Änderung des SGB XII eine gute Grundlage für die neue Politik für Menschen mit Behinderung in diesem Land ist. Ich weiß nicht, wie es in Lübeck aus

(Wolfgang Baasch)

sieht. Ich kann Ihnen aber aus Kreisen berichten, dass wir insbesondere im Bereich der Frühförderung zurzeit weiter denn je davon entfernt sind, ein abgestimmtes, bedarfsorientiertes Hilfeangebot für Kinder zu haben. Was mir berichtet wurde, ist ziemlich katastrophal.

Die Kreise, die natürlich Finanznot haben - das kann ich verstehen -, stellen Hilfeplanerinnen, wie sie so schön genannt werden, ein. Diese haben zwei Aufgaben: Erstens sollen sie ihr eigenes Gehalt einsparen. Zweitens sollen sie eine zusätzliche Summe einsparen.

Ich kann Ihnen von einem Kreis berichten, in dem gesagt wird: Die Hilfeplanerinnen sparen ihr Gehalt plus 70.000 € ein. Das heißt, jede Hilfeplanerin, die eingestellt wird, spart dem Kreis über ihr Gehalt hinaus noch 70.000 €. Das ist ja super.

Aber ich frage Sie: Wo bleibt denn da die Verantwortung für das Kind? Natürlich ist es auch im Bereich der Frühförderung richtig, darauf zu achten, was beispielsweise durch die Krankenkassen an Sprachtherapie möglich ist. Man muss sich der Frage widmen: Was kann im Interesse des Kindes und der Familie effizient organisiert werden? Es darf nicht sein, dass wir im Bereich der Frühförderung starke Einschnitte machen. Alles, was PISA uns mit auf den Weg gegeben hat, nämlich die Erkenntnis, dass die Kinder vor Schuleintritt fit gemacht werden müssen, um Chancen zu bekommen, muss berücksichtigt werden. Das dürfen wir nicht abrasieren.

Da wünsche ich mir, dass wir den Mut haben und sagen: An bestimmten Stellen wollen wir landeseinheitliche Standards. Auch dies haben wir im Rahmen des SGB XII beantragt. Die FDP hatte einen Antrag gestellt, der besagte: landesweite Standards, landeseinheitliche Vergleichbarkeit. Sie haben das abgelehnt. Sie haben auch abgelehnt, dass in der neuen Arbeitsgruppe zum SGB II die Behindertenverbände mit am Tisch sitzen. So viel noch einmal zu Ihrer Beteiligungsfreude. Insofern ist das, was Sie hier heute gebracht haben, Lyrik.

Ich glaube, dass die Landesregierung in dem Bereich gut arbeitet. Ich will das noch einmal sagen. Ich habe gerade in Staatssekretär Dr. Körner großes Vertrauen.

(Vereinzelter Beifall)

Trotzdem, auch wenn wir gute Regierungsmitglieder haben, müssen wir als Parlament das Selbstbewusstsein haben, Zielvorgaben zu machen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich unseren Landesbeauftragen für Menschen mit Behinderung, Herrn Dr. Hase, herzlich begrüßen. Er folgt unserer Debatte schon die ganze Zeit. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für den SSW hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung wird in dieser Legislaturperiode keinen aktualisierten Landesbehindertenplan für unser Land vorlegen. Das hat sie den Abgeordneten schriftlich gegeben. Der SSW bedauert diese Haltung, denn der letzte Behindertenplan des Landes Schleswig-Holstein stammt aus dem Jahr 1996, ist also bereits zehn Jahre alt. Inzwischen sind wir im nächsten Jahrtausend angekommen, die Landesregierung aber wohl noch nicht. Trotz des Bedarfs für einen neuen Landesbehindertenplan hält die Landesregierung stur an dem alten Plan fest. Das ist so, als wenn man in einen Benzintank Holz stopft, weil es ja so lange ein bewährtes Energiemittel bei den Dampflokomotiven war.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Biodiesel!)

Eine Gesamtkonzeption braucht seine Zeit - zugegeben -, aber die Regierungsfraktionen setzen noch einen drauf. Anstatt die Sozialministerin via Berichtsantrag zumindest zur Äußerung einiger Rahmendaten zu bewegen, soll es einmal wieder nur um butterweiche Formulierungen gehen. Was ist so revolutionär an dem vorgelegten Neun-Punkte-Katalog der FDP? - Inhaltlich gar nichts. Oder befürchtet die Landesregierung, dass sie bei einigen Fragen passen muss? Einige Hinweise darauf gibt es: Ich zitiere aus dem CDU/SPD-Antrag: „Die Belange von Menschen mit Behinderung werden in allen Planungen auf Landesebene beachtet.“

Wenn dem so wäre, dann wäre ja alles in schönster Ordnung und wir könnten uns anderen Themen zuwenden. Tatsache ist aber, dass wir mit solchen pauschalen Äußerungen überhaupt nicht vorwärts kommen. Haben Sie den letzten Bericht des Behindertenbeauftragten schon vergessen, der vor der Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt gewarnt hat? Insbesondere die neuen Strukturen der Arbeitsagenturen sieht Herr Dr. Hase sehr kritisch. Da besteht ein immenser Handlungsbedarf. Die Probleme von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt stellen

(Monika Heinold)

nur einen einzigen seiner Kritikpunkte. Planungen und Initiativen der Landesregierung, wie die Situation verbessert werden kann, sind vonnöten - nicht Allgemeinplätze.

„Arbeit und Beschäftigung“ machen bei CDU und SPD lediglich einen Spiegelstrich aus. Das ist zu wenig, viel zu wenig. Menschen mit Behinderung wollen arbeiten, damit sie ökonomisch selbstständig sein können. Doch der erste Arbeitsmarkt wird ihnen zunehmend verwehrt. Darum fragt auch der Konkurrenzantrag der FDP detailliert nach, wie die Beschäftigungssituation im Land aussieht und was man zur Integration von Menschen mit Behinderung machen kann. Wir sind es den Menschen mit Behinderung im Land einfach schuldig, genau hinzusehen und nachzufragen, wenn es denn nicht schon zu einem Gesamtkonzept reicht.

Wir muten auch Menschen mit Behinderung Kürzungen zu - ich nenne stellvertretend das Landesblindengeld -, im Gegenzug müssen sich diese Frauen und Männer darauf verlassen können, dass wir uns wirklich für ihre Interessen einsetzen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der vorgelegte Antrag der Regierungsfraktionen ist nicht geeignet, neue Perspektiven aufzuzeigen. Es scheint sich offensichtlich um einen Antrag zu handeln, der nur dem Koalitionsfrieden dient. Er ist ansprechend formuliert, er tut keinem weh, aber er tut auch sonst nichts.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Er nutzt auch kei- nem!)

Damit ist niemandem gedient.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Landtag muss der Landesregierung konkret formulierte Aufträge stellen, alles andere sind nur Persilscheine und das bringt uns nicht weiter. Deswegen ist alles das, was die Kollegin von den Grünen und der Kollege von der FDP gesagt haben, genau richtig. Wir müssen konkret nachfragen. Wir wollen Handlungsalternativen gestellt kriegen und wir wollen im Parlament darüber debattieren und die Landesregierung auch etwas anleiten, was sie tun soll. Das ist Parlamentsverständnis. Alles andere ist einfach nur Abnicken und dafür können Sie eigentlich auch ins Kino gehen, um nur zuzuhören.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Abgeordneten Harms. - Das Wort für einen Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Baasch, Ihretwegen habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. Sie können froh sein, dass Sie mit Staatssekretär Körner ein Mitglied in der Landesregierung haben, das Behindertenpolitik nicht nur ernst nimmt, sondern auch kompetenter Sachwalter für die Belange der Menschen mit Behinderung ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was Sie hier vorgetragen haben, wundert mich persönlich sehr; denn eigentlich machen Sie sonst doch Politik für Menschen mit Behinderung mit mehr Herzblut, als Sie das in diesem merkwürdigen Antrag aufgeschrieben haben.

Wenn ich der Kollegin Franzen zuhöre, nicht nur in Landtagsdebatten, sondern auch im Ausschuss - sie vertritt bei der Wahl der Mittel manchmal vielleicht eine andere Auffassung -, mit wie viel Engagement auch sie Behindertenpolitik macht, frage ich mich, warum Sie einen solch peinlichen Antrag zusammenstottern. Herr Kollege Baasch, warum ignorieren Sie schlichtweg das, was ich zu unserem Gesamtkonzept gesagt habe. Sie sprechen hier immer noch in einer zweiten Runde - wir haben ja schon einmal über den Plan geredet -, von einem starren Konzept. Wie oft müssen die Kollegin Heinold oder ich Ihnen erklären, dass wir Rahmenvorgaben möchten, dass wir Eckpfeiler bestimmen möchten, die im Laufe der Legislaturperiode mit Leben zu erfüllen sind?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Lieber Kollege Baasch, die Kollegin Heinold hat darauf hingewiesen: Sie haben es als Sozialpolitiker versäumt zu verhindern, dass bei der Eingliederungshilfe in Zukunft die Postleitzahl darüber entscheidet, welche adäquate Hilfe ein Mensch mit Behinderung bekommt oder nicht.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die letzte Möglichkeit nicht wahrgenommen, unseren Anträgen zur Gesetzesänderung bei den Beratungen zum SGB XII zuzustimmen. Insofern sollten Sie den Mund vielleicht nicht ganz so voll nehmen, wenn Sie von Beteiligungsrechten