Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/462

Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialausschusses Drucksache 16/530

Ich erteile der Berichterstatterin des Sozialausschusses, der Frau Abgeordneten Siegrid Tenor-Alschausky, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag hat dem Sozialausschuss den Antrag der Fraktion der FDP „Landesplan für Menschen mit Behinderung - Gesamtkonzept einer Politik für Menschen mit Behinderung“, Drucksache 16/424, den dazugehörigen Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/446, sowie den Antrag der Fraktionen von CDU und SPD „Behindertenpolitisches Gesamtkonzept“, Drucksache 16/462, durch Plenarbeschluss vom 16. Dezember 2005 überwiesen. Der Sozialausschuss hat die Anträge in seiner Sitzung am 19. Januar 2006 behandelt.

Im Rahmen der Beratungen übernahm die Fraktion der FDP den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und änderte insoweit den Ursprungsantrag. Der Ausschuss führte eine alternative Abstimmung durch. Für den Antrag Drucksache 16/424 unter Einbeziehung der Drucksache 16/446 sprachen sich die Fraktionen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus, für den Antrag Drucksache 16/462 die Fraktionen von CDU und SPD. Damit empfiehlt der Ausschuss dem Landtag die Ablehnung des geänderten Antrages Drucksache 16/424 und die Annahme des Antrages Drucksache 16/462.

Ich danke der Frau Berichterstatterin. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für den Antragsteller dem Vertreter der FDP-Fraktion, Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Ausschuss sehr intensiv und sehr lange über das Ziel der alternativen Anträge debattiert. Das Ziel unseres Antrages war klar: Ergänzung des Änderungsantrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir wollen ein Rahmenkonzept mit ganz klar definierten Eckpfeilern, um den Betroffenen in Schleswig-Holstein Orientierung, Planungssicherheit und Verlässlichkeit in der künftigen Behindertenpolitik zu geben. Ich denke, das ist der richtige Weg. Der Kinder- und Jugendaktionsplan zeigt auch, dass man sehr wohl ein Rahmenkonzept am Anfang der Legislaturperiode in bestimmten Politikfeldern aufstellen muss.

Dabei ist uns auch klar - ich denke da gibt es auch keine anderen Meinungen mehr -, dass ein solcher Rahmenplan keine Blaupause der Behindertenpolitik sein soll, sondern dass im Zeitablauf, im Dialog mit den Betroffenen, mit den Verbänden, mit der Politik und auch mit Kenntnisnahme der finanziellen Möglichkeiten, die wir haben, ein solcher Rahmenplan mit Leben erfüllt werden muss. Ich sage aber auch, es ist notwendig, dass Politik definiert, wohin sie will. Es ist notwendig, dass wir eine Bestandsaufnahme dessen machen, was wir in der Behindertenpolitik erreicht haben, und das ist eine ganze Menge, worauf man stolz sein kann, dass man diese Bestandsaufnahme aber auch kritisch untersucht und sich dann fragt: Wie soll es an dieser Stelle weitergehen?

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Fraktionen von SPD und CDU sehen das offensichtlich etwas anders oder offensichtlich ganz entscheidend anders. Ich verstehe immer noch nicht, warum sie einem Konzept mit der Ergänzung, die es von den Grünen gab, nicht zustimmen konnten, warum sie nicht sagen, auch in Richtung der Behindertenverbände: So stellen wir uns Behindertenpolitik für die nächsten vier oder viereinhalb Jahre vor; dies sind die Eckpfeiler dessen, was wir uns in Zukunft vorgenommen haben. Ich glaube nicht, dass in dem FDP-Antrag irgendein einziger Punkt war, wo sie nicht inhaltlich sagen können: Jawohl, genau da wollen wir in der Behindertenpolitik hin. Ich glaube, es hat andere Ursachen, dass sie einen eigenen Antrag nachgeschoben haben, der an Banalität kaum noch zu überbieten ist.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben konkrete Vorschläge gemacht und wir hätten uns sehr gefreut, wenn es möglich gewesen

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

wäre, anhand dieser Vorschläge eine Eckplanung zu bekommen, die dann im Zeitablauf sehr spannend hätte gefüllt werden können. Dass das nicht möglich gewesen ist, zeigt vielleicht auch das Wesen der großen Koalition. Ich habe vorhin gehört: Wir gewinnen jede Abstimmung. - Das ist bei dem Stimmenverhältnis hier im Landtag auch nicht besonders schwer, jede Abstimmung zu gewinnen, lieber Kollege Herbst. Ich glaube aber, es geht nicht darum, hier Abstimmungen zu gewinnen, sondern es geht darum, eine ordentliche Politik für Menschen mit Behinderung in diesem Land zu machen,

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

dass sie sich mitgenommen fühlen, dass sie sich ernst genommen fühlen. Gerade im Hinblick auf die Planungssicherheit wäre ein solches Rahmenkonzept, wäre ein solcher Landesplan richtig gewesen. Ich bedaure ausdrücklich, ich finde es schade, dass wir die Chance, an dieser Stelle gemeinsam etwas zu tun, verpasst haben.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Heike Franzen.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich hier deutlich machen, dass wir uns in dieser Legislaturperiode in fast jeder Landtagssitzung mit den Belangen von Menschen mit Behinderung beschäftigt haben. Das zeigt, dass wir alle gemeinsam sehr darum bemüht sind, die Situation dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger zu verstehen und zu verbessern.

Immer noch gibt es zu viele Barrieren und Hindernisse für ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen. Gut gemeinte Hilfsangebote wie beispielsweise die gemeinsamen Servicestellen werden schlecht angenommen oder sind noch nicht genug bekannt. Der Sozialausschuss hat daher beschlossen, eine seiner nächsten Sitzungen - und das begrüße ich sehr - bei der Deutschen Rentenversicherung Nord durchzuführen und sich dabei über die Aus- und Weiterbildung des Personals in den Servicestellen zu informieren.

Ziel unserer Politik muss es sein, Menschen mit Behinderung oder solchen, die von Behinderung be

droht sind, so schnell wie möglich Hilfe und sachkundige Beratung aus einer Hand bieten zu können. Dazu gehört auch die Neuordnung der Aufgaben und der Finanzverantwortung nach dem SGB XII. Mit dem verabschiedeten Ausführungsgesetz ist auch hier ein erster Schritt getan, um Zuständigkeiten und Hilfeleistungen zu bündeln. Jetzt sind alle aufgefordert, im gemeinsamen Ausschuss gemeinsame Wege zu finden, um individuelle, ortsnahe, verlässliche und unbürokratische Hilfeleistungen möglich zu machen.

Wir wollen Hilfeleistungen flexibler gestalten, zum einen durch das persönliche Budget, zum anderen durch die Zusammenarbeit von Kommunen, Einrichtungen, Betroffenen und deren Verbänden. In gemeinsamer Verantwortung haben sie die Möglichkeit, Leistungsstrukturen zu entwickeln und wohnortnahe Hilfen anzubieten und zu vernetzen. An dieser Stelle möchte ich an alle Beteiligten appellieren, sich diesem Prozess nicht zu verweigern, sondern sich aktiv und auch kritisch daran zu beteiligen.

Meine Damen und Herren, der von der FDP immer wieder angesprochene bereits einmal erstellte Landesplan für Menschen mit Behinderung stammt aus dem Jahr 1995, er ist also bereits elf Jahre alt. Mit unserem behindertenpolitischen Gesamtkonzept wollen wir dieses Thema von Grund auf neu aufrollen und Staatssekretär Dr. Körner hat ja auch im Sozialausschuss aufgezeigt, dass dieses Konzept bereits mit Leben erfüllt ist. Im nächsten Monat wird eine erste Regionalkonferenz zum Thema „Werkstätten“ stattfinden, im Mai folgt dann eine weitere zum Thema „Leben im Alter“ und ein erster Statusbericht wird dann nach der Sommerpause dem Ausschuss vorgestellt werden können. Bis dahin sind regelmäßige Sachstandsberichte vorgesehen. Ich denke, das macht deutlich, dass wir uns wirklich um dieses Thema kümmern.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wichtig ist dabei, dass alle Beteiligten bei der Bestandsaufnahme, der Analyse und den daraus erwachsenen Handlungskonzepten beteiligt werden, insbesondere die Betroffenen und ihre Verbände. Mit den Regionalkonferenzen stellt die Landesregierung sicher, dass das auch geschieht, und ich erwarte, dass wir spätestens Ende diesen, Anfang nächsten Jahres entsprechende Ergebnisse vorliegen haben.

Das behindertenpolitische Gesamtkonzept muss alle Lebensbereiche umfassen und ich glaube, da sind wir uns auch alle einig: Früherkennung, Prävention, Arbeit, Beschäftigung, Leben und Wohnen, indivi

(Dr. Heiner Garg)

duelle Hilfen, Förderung und Frühförderung, insbesondere Barrierefreiheit bis hin zur Integration und Gleichstellung. Bei der Erarbeitung eines solchen Gesamtkonzeptes ist es uns wichtig, dass bei Planungen auf Landesebene, bei Gesetzesreformen und Fortschreibungen von Plänen die Belange von Menschen mit Behinderung beachtet und berücksichtigt werden.

Ebenso muss sichergestellt werden, dass eine einheitliche Anwendung des Gesamtkonzeptes in allen Kreisen und kreisfreien Städten so weit wie möglich gewährleistet wird. Ich sehe hier die Landesregierung auf einem guten Weg.

Ich bitte für die CDU-Fraktion um Zustimmung zur Beschlussvorlage des Sozialausschusses.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Franzen. - Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Wolfgang Baasch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute erneut über die Behindertenpolitik in Schleswig-Holstein und darüber, wie wir sie weiterentwickeln können mit dem Ziel, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung sowie das Beseitigen von Barrieren für Menschen mit Behinderung zur gesellschaftlichen Aufgabe zu machen und durch politisches Handeln zu bewerkstelligen. Politik für Menschen mit Behinderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und kann nur in der gemeinsamen Verantwortung von Land, Kommunen, Verbänden, Trägern und Betroffenen erfolgreich weiterentwickelt werden.

In den Regionen müssen Kommunen, Einrichtungen, Betroffene und Verbände die Angebotsstruktur gemeinsam bedarfsgerecht weiterentwickeln. Bei dieser Gesamtplanung und Weiterentwicklung müssen alle Lebensbereiche der Menschen mit Behinderung umfasst werden.

Der Sozialausschuss hat beschlossen, hierbei insbesondere die Bereiche Arbeit und Beschäftigung, Leben und Wohnen, individuelle Hilfen, Förderung und Frühförderung, Barrierefreiheit, Integration und Gleichstellung sowie Prävention und Früherkennung zu benennen.

Ich schiebe hier den Hinweis ein, dass damit nichts auf die lange Bank geschoben werden soll. Vielmehr soll konzentriert und zielgerichtet gearbeitet werden. Das will ich nur daran festmachen, dass

zum Beispiel auch wir in unseren Fraktionen an diesen Themen intensiv arbeiten sollten. In diesem Sinne hat Kollege Eichstädt eine Initiative zu dem Thema Medien und Barrierefreiheit auf den Weg gebracht. Sie steht unter dem Titel: Fernsehen muss für alle da sein. Deshalb muss barrierefreier Zugang gesichert sein. Dazu wird es von uns in den nächsten Wochen Initiativen geben, auch Landtagsinitiativen, um deutlich zu machen, dass wir auch beim Fernsehen Barrierefreiheit wollen, also nicht nur dort, wo wir selber Verantwortung tragen, sondern auch dort, wo es um andere geht.

Wenn ich bei meiner Aufzählung der gemeinsamen Verantwortung Land, Kommunen, Verbände, Träger und betroffene Menschen erwähnt habe, so heißt dies auch, genau bei diesen Stichworten gemeinsam zu handeln, Verantwortung zu übernehmen und die Effektivität des Handelns zu überprüfen.

Eine moderne Politik für Menschen mit Behinderung verbindet professionelles Handeln mit dem ehrenamtlichen Engagement von Bürgerinnen und Bürgern. Sie ist aber immer an dem Leitgedanken orientiert, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt, selbstständig über ihre Geschicke entscheiden können. Dies bedeutet: Hilfe und Unterstützung müssen stärker als bisher differenziert werden. Wenn diese Selbstständigkeit und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt stehen, dann glaube ich, dass die Integration der Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft einen großen Schritt vorankommt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Durch die Tätigkeit des gemeinsamen Ausschusses von Land und Kommunen werden die Voraussetzungen für eine landeseinheitliche Hilfepraxis deutlich verbessert. Allerdings gehört dazu auch, die Menschen mit Behinderung wie auch die Träger von Einrichtungen der Eingliederungshilfe an Planung und Umsetzung von Hilfeleistungen zu beteiligen. Menschen mit Behinderung haben das Anrecht auf eine verlässliche Finanzierung, auf persönliche Sicherheit und eine verlässliche Planungsgrundlage.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das gilt aber nicht nur für die Menschen mit Behinderung, sondern auch für die Träger der Einrichtungen der Eingliederungshilfe.

Im Beschluss des Sozialausschusses haben wir daher formuliert: Alle Beteiligten, insbesondere die Betroffenen und ihre Verbände, sind als Experten in eigener Sache an der Weiterentwicklung der Lei

(Heike Franzen)

stungen für Menschen mit Behinderung im Rahmen eines behinderungspolitischen Gesamtkonzeptes umfassend und von Beginn an zu beteiligen. Da zeigt sich eben der Unterschied in unserer Auffassung: Wir wollen umfassende Beteiligung und nicht ein starres Konzept vorgeben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir haben auch formuliert, dass die Landesregierung, nämlich das Sozialministerium, uns, den Landtag, aber auch die Öffentlichkeit über die wesentlichen Schritte bei der Erarbeitung dieses Gesamtkonzeptes aktuell und zeitnah zu informieren hat.

Ich glaube, dass wir mit dem Beschluss des Sozialausschusses eine richtige und zukunftsweisende Grundlage gelegt haben, um die Erarbeitung eines neuen behindertenpolitischen Gesamtkonzepts in Schleswig-Holstein zu begleiten. Die Landesregierung hat nun die Aufgabe, einen zentralen sozialpolitischen Auftrag des Regierungsprogramms umzusetzen.