Protokoll der Sitzung vom 22.03.2006

sten Dritter, nämlich der Kommunen und Kreise, die den öffentlichen Personennahverkehr bestellen und bezahlen. Wenn diese als Aufgabenträger des Bus-ÖPNV, wie vom SSW jetzt vorgesehen, gesetzlich verpflichtet werden sollen, kämen auf sie erhebliche Kostensteigerungen zu. Bei der damaligen Anhörung war von Mehrkosten in Höhe von 15 % die Rede. Da nun aber die Kommunen wirklich nicht über diesen Spielraum verfügen, diese Mehrkosten zu verkraften, wären Kostensteigerungen für die Nutzer des ÖPNV sicherlich die Folge. Würden sich Kreise und Kommunen darüber hinaus auf das Konnexitätsprinzip berufen, müsste das Land für diese Mehrkosten aufkommen. Wie diese Finanzierungsströme bewältigt werden sollen, müssten dann die Antragstellern bitte noch einmal erläutern.

Wir können jedenfalls unseren Kommunen nicht auferlegen, auf der einen Seite sparsam mit den öffentlichen Geldern umzugehen, und auf der anderen Seite durch rechtliche Vorschriften zu einer erheblichen Verteuerung öffentlicher Aufträge beitragen. Ich weiß nicht, ob das im Sinne der kommunalen Landesverbände ist, die zwar Verständnis für die betroffenen Busfahrer haben, aber wenn überhaupt, dann für eine freiwillige Anwendung des Tariftreuegesetzes sind.

In Hessen ist es derzeit so, dass Aufgabenträger des ÖPNV auch ohne gesetzliche Grundlage das Kriterium der Tariftreue in die Ausschreibung aufgenommen haben, quasi als eine Art Selbstverpflichtung.

Der Verband Schleswig-Holsteinischer Omnibusbetriebe, SHO, hat in der damaligen Anhörung im Wirtschaftsausschuss außerdem deutlich gemacht, dass gerade die selbst vom SSW geforderte Anwendung des repräsentativen Tarifvertrages, also des Vertrages, der für die meisten Arbeitnehmer Anwendung findet, zur Existenzgefährdung vieler privater Omnibusbetriebe führe und den Bestrebungen der kommunalen Verkehrsunternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, diamental entgegenlaufe. Der SHO hatte darauf hingewiesen, dass die Anhebung des gesamten Lohnniveaus auf den öffentlichen Tarif vom privaten Busunternehmer nicht vorgenommen werden könne. Statt des repräsentativen Tarifs des öffentlichen Dienstes, wie er vom SSW durch die Hintertür gefordert wird, kann es also maximal um die Anwendung eines am Ort der Leistung geltenden Tarifvertrages für den Bus-ÖPNV gehen. Das wäre der so genannte SHOTarif.

Schließlich sind auch grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem Tariftreuege

setz noch nicht ausgeräumt. Schon die damalige Landesregierung hatte im Jahr 2001 in der Beantwortung einer Großen Anfrage der Grünen die Auffassung vertreten, dass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung für den ÖPNV nicht vorgegriffen werden sollte. An dieser Situation hat sich, soweit ich weiß, bis heute nichts geändert; denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegt dazu bekanntlich noch nicht vor.

Lassen Sie uns daher im Wirtschaftsausschuss sorgfältig darüber diskutieren, bevor wir ein Gesetz möglicherweise verschärfen, dessen Verfassungsmäßigkeit nicht geklärt ist und mit dem wir den Betroffenen vielleicht nur Sand in die Augen streuen.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Callsen. - Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Bernd Schröder das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Handlungsmaßstab für uns alle muss sein, dass ein fairer Wettbewerb auch im ÖPNV nicht über die Lohnkosten und über soziale Standards ausgetragen werden darf. Die Kolleginnen und Kollegen in den Busunternehmen in Schleswig-Holstein haben zu Recht gegen Lohndumping protestiert. Wir sollten zusammen mit den im Land verantwortlichen Aufgabenträgern, den Kreisen, für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen.

Wir wollen den Erhalt der Verkehrs- und Tarifgemeinschaften, wir wollen die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Wir wollen natürlich auch eine Kostenreduzierung, ähnlich wie wir sie durch den Wettbewerb im SPNV erreicht haben. Wir wollen aber insbesondere auch eine Arbeitsplatzsicherung für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Bereichen haben, auch für die Kollegen im Busbereich.

Wir beschäftigen uns heute zum wiederholten Mal mit dem Tariftreuegesetz. Auslöser ist der eben vorgestellte Antrag des SSW. Der ursprüngliche Gesetzentwurf von August 2002 sah bereits vor, dass das damalige Tariftreuegesetz auch für den straßengebundenen ÖPNV gelten sollte. Es gab dann in diesem Hause eine kontroverse Diskussion über die Verfassungskonformität, kostensteigernde Effekte, insbesondere aber über eine Belastung der Aufgabenträger des ÖPNV, nämlich der Kreise,

(Johannes Callsen)

und damit einen möglichen Verstoß gegen das verfassungsmäßig verankerte Prinzip der Konnexität.

Im Ergebnis haben die Fraktionen SPD, Grüne und SSW einen Änderungsantrag gestellt, mit dem der Bereich des straßengebundenen ÖPNV aus dem Gesetz herausgenommen wurde.

Nach wie vor ist es so, Herr Kollege Harms, dass es große rechtliche Probleme gibt, hier eine Lösung zu finden, die tatsächlich das erreicht, was wir sicherlich gemeinsam erreichen wollen.

Ich erinnere nur daran, dass im ÖPNV zum Beispiel der Bereich der Schülerbeförderung nach § 80 des Schulgesetzes eine Pflichtaufgabe ist. Juristen gehen davon aus, dass hier die Konnexität eine entscheidende Rolle spielen kann oder wird.

Das hinter dem geltenden Tariftreuegesetz stehende Ziel der Verhinderung von Sozial- und Lohndumping war und ist auch weiterhin unterstützenswert.

Es geht unter anderem um die Frage, ob Tariftreueregelungen gegen die durch das Grundgesetz geschützte Finanzhoheit der Kommunen verstoßen. Der Landesgesetzgeber würde durch die Vorgabe der verbindlichen Anwendung des Tariftreuegesetzes für die Aufgabenträger des ÖPNV möglicherweise unzulässig in diese Finanzhoheit eingreifen. Bereits jetzt haben die Kommunen die Möglichkeit, das Tariftreuegesetz anzuwenden.

Für mich stellt sich angesichts der rechtlichen Problematik die Frage, ob es insgesamt nicht doch besser wäre, wenn der Bund durch gesetzgeberische Maßnahmen unter Wahrung der Tarifautonomie das Lohndumping verhindern würde. Dass wir vor der letzten Bundestagswahl schon einmal auf diesem Weg waren, wissen wir alle.

In diesem Zusammenhang seien die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes sowie die Diskussionen zu den Mindestlöhnen erwähnt. Auch da hat es bekanntermaßen Bewegung gegeben.

Es muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass die Kommunen im Rahmen der von ihnen vorzunehmenden Ausschreibungen Einfluss auf die Vermeidung von Lohndumping nehmen können beziehungsweise sogar müssen. Nach den einschlägigen Vorschriften der Verdingungsordnung für Bauleistungen, VOB, als auch der Verdingungsordnung für Leistungen, VOL, ist auf ein Angebot mit unangemessen niedrigen Preisen kein Zuschlag zu erteilen.

Uns alle haben sicherlich die im Februar durchgeführten Demonstrationen der Busfahrer wegen Lohndumpings nicht ungerührt gelassen. Ange

sichts der rechtlichen Problematik ist jedoch ein Schnellschuss mit Aufnahme des straßengebundenen ÖPNV in das Tariftreuegesetz nicht zielführend. Wir sollten im zuständigen Wirtschaftsausschuss darüber diskutieren, welcher Weg für die Beschäftigten im ÖPNV tatsächlich Lohndumping verhindern kann und damit auch Arbeitsplatz- und Existenzsicherung möglich macht.

Diskutieren und gegebenenfalls fortschreiben und ergänzen sollten wir dabei zum Beispiel das bereits bestehende Kooperations- und Wettbewerbspapier für den schleswig-holsteinischen ÖPNV, das es in Zusammenarbeit mit der LVS und den Unternehmen gegeben hat. Die dort beschriebene Zielrichtung versucht genau dies abzudecken. Das wäre ein möglicher Schritt. In die Diskussion des Fachausschusses einzubeziehen ist aber auch das Papier des Rhein-Main-Verkehrsverbundes, wonach der Auftragnehmer das tarifvertraglich vereinbarte Niveau in der jeweils gültigen Fassung während der Laufzeit des Verkehrsservicevertrags nicht unterschreiten darf.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wenn wir im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine sachgerechte Lösung finden wollen, bedarf es noch einer ausführlichen Diskussion im Wirtschaftsausschuss - auch mit den Fachleuten aus den Ministerien, auch mit den Leuten von LVS. Das wollen wir sicherlich gemeinsam erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Bernd Schröder. - Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte die Initiative, die die Abgeordneten des SSW vorgelegt haben, aus drei Gründen für falsch.

Erstens halte ich es für falsch, das Tariftreuegesetz auf den ÖPNV ausweiten zu wollen. Zweitens halte ich es für falsch, damit den bürokratischen Aufwand weiter zu erhöhen. Drittens halte ich es für falsch, die Befristung des Gesetzes aufheben zu wollen.

Dass der ÖPNV teurer wird und so an Wettbewerbsfähigkeit verliert, mag Sie auf den ersten Blick nicht interessieren. Es sollte uns aber alle interessieren. Dass dadurch aus unserer Sicht die Arbeitslosigkeit steigt, darüber sollten wir im Wirtschaftsausschuss reden.

(Bernd Schröder)

Die Begründung, die man dazu hört, ist immer die gleiche, seit wir das Tariftreuegesetz hier in verschiedenen Ausprägungen diskutieren. Die Begründung ist: Die Begünstigten, also die Unternehmen, wollen das Gesetz haben. Kein Wunder; denn das Tariftreuegesetz verteuert den Markteintritt für die Konkurrenz. Allerdings fragt dann keiner diejenigen, die deswegen pleite gegangen sind, lieber Kollege Harms. Die Menschen, die in betroffenen Branchen noch arbeiten, finden das Gesetz auch gut. Allerdings fragt keiner diejenigen, die deswegen arbeitslos geworden sind. Es fragt auch keiner diejenigen, die jetzt mehr bezahlen müssen oder sich die höheren Preise nicht mehr leisten können.

Angeblich verhindert das Gesetz Wettbewerbsverzerrungen, die durch den Einsatz so genannter Niedriglohnkräfte entstehen. Es heißt, so werde angebliches Lohndumping verhindert. Das ist aus unserer Sicht aber falsch. Den Markteintritt zu beschränken und die Preise hochzutreiben ist eine schädliche Wettbewerbsverzerrung. Bei höheren Preisen wird weniger gekauft. Das ist zunächst einmal schlecht. Es trifft besonders die Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie werden durch die künstlich erhöhten Preise am härtesten bestraft. Deswegen ist aus unserer Sicht Tariftreue, wie wir sie verstehen, gesellschaftlich ungerecht.

Niedriglohnkräfte zu beschäftigen, ist keine Wettbewerbsverzerrung, sondern das ist das, was Deutschland dringend braucht, nämlich Arbeit für geringer qualifizierte Langzeitarbeitslose. Wir sollten alles tun, was Beschäftigung fördert. Wir sollten nicht alles tun, was Beschäftigung abbaut.

(Beifall bei der FDP)

Der Staat sollte in dieser Richtung auf Mindestlöhne verzichten. Er sollte stattdessen mit Einkommenszuschüssen Mindesteinkommen garantieren, damit man davon ordentlich leben kann. Natürlich ist es politisch opportun, schon dann verzerrten Wettbewerb und Dumping anzuprangern, wenn die Konkurrenz günstiger anbietet. Kollege Harms, man kann das machen. Das ist aber kein verzerrter Wettbewerb oder Dumping, das ist einfach nur Wettbewerb. Die Anbieter bewerben sich um die Wette, und zwar um die Gunst der potenziellen Kunden. Wer aus Sicht der Kunden bei gleichen Preisen mehr oder Besseres anbietet oder bei gleichem Angebot weniger dafür haben will, bei dem wird im Zweifel gekauft. Lieber Kollege Harms, das ist der Kern der sozialen Marktwirtschaft.

(Zurufe von der SPD)

Selbstverständlich hat all das mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, da mögen Sie den Kopf schütteln.

Weil der Staat diese Prozesse zum angeblichen Schutz aller möglichen Interessen immer weiter unterbunden hat, sind in Deutschland mittlerweile mehr als fünf Millionen Menschen arbeitslos, liebe soziale Anke Spoorendonk. Das ist so, weil der Staat sich entsprechend eingemischt hat.

(Beifall bei der FDP)

Kommen wir zum Lieblingsbeispiel des Kollegen Harms, kommen wir zur Baubranche. Die ist vom Tariftreuegesetz besonders betroffen. Werfen wir einmal einen Blick auf die Zahlen. - Davon versteht der Kollege Nabel ganz viel, das weiß ich. 2000 schrumpfte die Zahl der Beschäftigten im Baugewerbe in Schleswig-Holstein langsamer als in Deutschland. 2001 schrumpfte sie in beiden Bereichen gleich schnell. 2002, 2003 und 2004 sank die Zahl der Beschäftigten im Baugewerbe in Schleswig-Holstein schneller als in Deutschland. 2002 schrumpfte sie in Schleswig-Holstein um ein Drittel schneller. Ich wiederhole: Die Beschäftigungszahl in der Baubranche in Schleswig-Holstein schrumpfte um ein Drittel schneller als im Bundesdurchschnitt. 2003 geschah dies fast anderthalbmal so schnell und 2004 fast doppelt so schnell wie in Deutschland. Dabei wuchs die Wirtschaftskraft Schleswig-Holsteins 2004 schneller als die Deutschlands.

Diese Beschreibung ersetzt keine ökonometrische Analyse der Wirkungen des Tariftreuegesetzes, aber der im Verhältnis zu Deutschland im Baugewerbe sprunghaft gewachsene Abbau von Arbeitsplätzen deutet darauf hin, dass das Tariftreuegesetz Schleswig-Holstein nicht genutzt, sondern geschadet hat, Kollege Harms.

(Beifall bei der FDP)

Das gilt aber nicht für ganz Schleswig-Holstein, denn seit 2004 sinkt der baugewerbliche Umsatz wieder langsamer als in Deutschland. Umsatz ist zwar kein Gewinn, er ist aber besser als nichts.

Wollten Sie dies dem Tariftreuegesetz zurechnen, dann passt dies ganz genau ins Bild: Die Markteintrittsschranke nützt den Unternehmen in der Tat ein bisschen, aber um den Preis zunehmender Entlassungen. Kollege Harms, wir wollen das nicht. Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie das ganz klar sagen. Wir aber wollen genau das verhindern. Verlierer sind nämlich bislang die wirtschaftlich schwächsten Menschen.

Denken Sie an die Redezeit, Dr. Garg!

(Dr. Heiner Garg)

Mein letzter Satz: Wie man es auch dreht und wendet, Tariftreuegesetze sind aus unserer Sicht leistungsfeindlich. Sie verzerren den Wettbewerb, bremsen das Wachstum und steigern die Arbeitslosigkeit. Deswegen werden wir Ihren Vorschlag ablehnen.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Klaus Müller das Wort.