Protokoll der Sitzung vom 24.03.2006

(Beifall beim SSW)

Wir müssen das Projekt Europa neu definieren und es mit einer bürgernahen Vision der europäischen Zusammenarbeit verbinden.

Deshalb begrüßt der SSW auch, dass die Landesregierung als landespolitischen Schwerpunkt die soziale Dimension Europas stärken will. Denn wenn die Auseinandersetzungen um die EU-Hafenrichtlinie oder insbesondere um die EU-Dienstleistungsrichtlinie eines gezeigt haben, dann dieses: Die Grundlage der europäischen Zusammenarbeit darf sich nicht ausschließlich auf die Freizügigkeit des Personenverkehrs, des Dienstleistungsverkehrs und des Kapitalverkehrs konzentrieren.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

So ein Europa hat geringe Chancen, die Herzen und die Köpfe der Menschen zu erreichen.

Wir hingegen wollen ein soziales Europa, im dem nicht nur der Markt regiert, in dem vielmehr der Sozialstaatsgedanke eine tragende Säule der europäischen Zusammenarbeit bleibt.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Wir lehnen also ein Sozialdumping und ein Wettrennen um die niedrigsten Sozialstandards ab, weil das zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen und zur Abschwächung von nationalen Standards im Arbeitsrecht, im Umweltbereich oder in der Daseinsvorsorge führen kann. Ob ein Protokoll zum Verfassungsvertragsentwurf zum Erhalt der sozialen Sicherungssysteme - wie es die Landesregierung empfiehlt - dabei der richtige Weg ist, da bin ich mir nicht ganz sicher. Denn den Menschen geht es nicht um hehre Worte, sondern um Taten.

Ein weiterer landespolitischer Schwerpunkt ist die Umsetzung der europäischen Strukturfondsreform in Schleswig-Holstein. Wenn der erzielte Finanzkompromiss am Ende auch vom Europaparlament angenommen wird, dann sieht es zumindest so aus, als ob das zukünftige Volumen der Regional- und Sozialmittel aus Brüssel für SchleswigHolstein in etwa den gleichen Umfang wie bisher haben wird. Auch die Höhe der INTERREG-Mittel

scheint für die nächsten Jahre gesichert zu sein. Das ist gut und positiv. Dabei wird es entscheidend auf die Umsetzung und Ausgestaltung dieser Programme ankommen. Ich denke, wir befinden uns schon in der Diskussion mit der Landesregierung und dieser Debatte muss sich das Parlament auch weiterhin stellen.

Der letzte landespolitische Schwerpunkt der Landesregierung, den ich erwähnen möchte, ist die Ostseepolitik. Es ist aus Sicht des SSW weiterhin wichtig, dass die Landesregierung hier am Ball bleibt und - wie sie selbst behauptet - auch Motor der Ostseekooperation bleibt. Die Ostseeregion bleibt eine potenzielle Wachstumsregion, aus der sich für Schleswig-Holstein große Vorteile ergeben. Dabei hat sich gerade auch das Forum Südliche Ostsee bewährt.

Aber die Ostseekooperation darf sich nicht nur auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit verengen, sondern gerade hier ist der kulturelle und zwischenmenschliche Aspekt der Zusammenarbeit äußerst fruchtbar und sinnstiftend. Wir wollen also, dass die Ostseeregion zur Wachstumsregion - insbesondere in den Bereichen Kultur-, Minderheiten- und Bildungspolitik - ausgebaut wird. Wir fordern zudem, dass an dem gleichberechtigten Zusammenwirken von regionalen und nationalen Parlamenten in der Ostseekooperation festgehalten wird.

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich denke, es ist wichtig, dass wir als Parlamentarier über die Ostseeparlamentarierkonferenz - das hat eher etwas mit uns als mit der Landesregierung zu tun die Aufgabe der parlamentarische Dimension in der Ostseekooperation ernst nehmen und weiter stärken. Nur so werden wir dann auch diese Art der Zusammenarbeit mit Leben erfüllen können.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/641, dem Europaausschuss und allen Fachausschüssen zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenpro

(Anke Spoorendonk)

be! - Enthaltungen? - Dann haben wir das einstimmig so beschlossen.

Ich beabsichtige nun, den Tagesordnungspunkt 23 aufzurufen. Nach dem Tagesordnungspunkt 23 möchte ich alle Tagesordnungspunkte ohne Aussprache, einschließlich Tagesordnungspunkt 8, aufrufen. - Herr Kollege Hentschel!

Ich beantrage, dass Tagesordnungspunkt 34 auf die nächste Landtagstagung vertagt wird.

Dazu werden wir noch kommen. Es geht zunächst einmal nur um die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache und den Tagesordnungspunkt 8, die nach Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden. Über das weitere Verfahren möchten sich die Parlamentarischen Geschäftsführer bitte einigen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

Masterplan für den Norden

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/653

Das Wort zur Begründung wird ersichtlich nicht gewünscht. - Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Chef der der Unternehmensverbände von Hamburg und Schleswig-Holstein, Herr Professor Driftmann, befürchtet, dass Schleswig-Holstein zerbricht, weil die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Aktivitäten allein auf die Metropolregion richtet und die nördlichen Landesteile außer Acht lässt. Ich teile diese Bedenken ausdrücklich.

Ein Beispiel: Die Vermarktung der Metropolregion mit 4,2 Millionen Einwohnern soll in Zukunft gemeinsam erfolgen. Der Rest von Schleswig-Holstein, also ohne den Teil, der zur Metropolregion gehört, umfasst gerade noch 1,5 Millionen Einwohner. Schon heute ist Schleswig-Holstein in den deutschen Außenhandelskammern kaum präsent. Wenn man gefragt wird, woher man kommt, sagt man: Wir sind das Umland von Hamburg. Hamburg kennt jeder. Nun stellen Sie sich bitte ein Windkraftunternehmen in Nordfriesland vor, das Geschäfte in Indien plant. Glauben Sie wirklich, dass

die sich noch an die WTSH in Kiel wenden werden? - Nein. Man wendet sich gleich an Hamburg.

In dem Verwaltungsabkommen vom Dezember letzten Jahres steht aber noch mehr. Es soll neben dem Hanse-Office ein Metropolregionsbüro in Brüssel eingerichtet werden. Was ist das für ein Unsinn? Es soll eine einheitliche Verwaltungssoftware für alle Behörden in der Metropolregion von Lüneburg bis Heide eingeführt werden, an der Hamburg übrigens schon seit zwei Jahren arbeitet. Wozu verfolgt Schleswig-Holstein eigentlich noch eine eigene IT-Strategie?

Auch das Flächenmanagement wird in Zukunft über das gemeinsame Büro in Hamburg koordiniert. Bisher waren die Flächenfragen, insbesondere die Ausgleichsfragen, immer zentrale Punkte, über die die Landesregierung verhandelt hat, Geld für Schleswig-Holstein einwerben konnte und Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber Hamburg hatte. Das Ganze soll durch einen Regionsrat gesteuert werden, in dem 31 Vertreter der Kreise, Städte und Bezirke der Region und lediglich drei Vertreter für jedes Land sitzen. Was dann passiert, kann man sich sehr gut vorstellen. In diesem Gremium werden die Randkreise ihre Politik mit Hamburg abstimmen, die Landesregierung sitzt dann nur noch am Katzentisch.

Nun werden Sie sagen, das sei nicht so schlimm, da ja das Konsensprinzip gilt, die Landesregierung könne ja widersprechen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Beschlüsse können durchaus mit Mehrheit gefasst werden, nur nicht gegen den betroffenen Kreis, und es wäre schon sehr seltsam, wenn Schleswig-Holstein ständig Entscheidungen blockierte, die alle in der Region wollen.

Das alles klingt für die Metropolregion sehr schön. Nur: Wo bleibt der Rest des Landes? Lübeck und Neumünster haben bereits den Antrag gestellt, in die Metropolregion zu kommen. Kiel hat bereits bilaterale Verhandlungen mit Hamburg aufgenommen. Das Land hat den Eintritt von Neumünster und Lübeck in die Metropolregion abgelehnt. Warum, das kann man sich leicht vorstellen. Wenn Lübeck und Neumünster auch noch in die Metropolregion kämen, dann wäre die Mehrheit der Bevölkerung Schleswig-Holsteins Teil der Metropolregion. Die Landesregierung könnte sich dann gleich verabschieden.

Das größte Problem in dieser Entwicklung hat Professor Driftmann richtig beschrieben. Hamburg denkt nur an seine eigene Entwicklung. Dass Hamburg nun die Zusammenführung der Gerichte blockiert hat, ist symptomatisch. Hamburg will die

(Präsident Martin Kayenburg)

Kontrolle über die Unterelbe und die Metropolregion. Es will aber keine Richter in Schleswig über Hamburger Angelegenheiten entscheiden lassen.

Es ist höchste Zeit, dass sich unser Parlament mit dieser Entwicklung beschäftigt. Wir brauchen einen abgestimmten Prozess, einen Prozess, der zum Nordstaat führt. Denn nur eine gemeinsam getragene Landesregierung, die auch von Husumern und Flensburgern gewählt ist, wird einem solchen Prozess verpflichtet sein. Aber jetzt entscheiden immer mehr ein Hamburger Senat und die Landräte in der Metropolregion allein, während der Rest des Landes außen vor bleibt.

Deswegen ist es richtig, wenn die IHK Kiel einen Masterplan für den Norden fordert. Deswegen müssen wir die Verträge mit Hamburg neu aushandeln. Wir unterstützen dies und bitten deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Dr. Johann Wadephul.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Masterplan ist ein großes Wort, das bei uns schöne Vorstellungen hervorruft, nämlich darüber, dass alle wesentlichen Fragen einer Thematik von uns erkannt und definiert werden und wir diese zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels nur noch einfach abarbeiten müssen.

Grundsätzlich, lieber Kollege Hentschel, ist dies eine gute Idee. Ich teile den ersten Punkt Ihrer abschließenden Forderung, dass wir uns nämlich mit dieser Thematik befassen müssen. Sie haben Probleme aufgezeigt. Über die müssen wir reden. Den zweiten Teil Ihrer Forderung, dass dies alles in einem Nordstaat enden muss, teile ich nicht.

Es ist richtig, dass wir - ich bitte Sie, über die Zustimmung, die das bei mir findet, nicht zu erschrecken - über viele Ansätze Ihres Antrages reden. Es macht sehr viel Sinn, einmal grundsätzliche Überlegungen darüber anzustellen, wie wir themenübergreifend für wirtschaftliche, infrastrukturelle, soziale, bildungspolitische, verwaltungstechnische, umweltrechtliche, kommunale und internationale Maßnahmen den schrittweisen Ausbau dieser norddeutschen Kooperation gestalten wollen und können. Deswegen befürworte ich eine intensive Bera

tung auch im Innen- und Rechtsausschuss sowie im Wirtschaftsausschuss.

Nun zu Ihren Punkten im Einzelnen! Sie sehen unter Punkt 1 durch die Neukonstituierung der Metropolregion, durch die Verwaltungsabkommen und den Staatsvertrag doppelte Gefahren. Zum einen sehen Sie die Gefahr der Abkoppelung der Metropolregion vom Rest des Landes. In der Tat müssen wir darauf achten, alle Regionen des Landes und deren Entwicklung im Auge zu behalten. Das eine tun heißt aber nicht im Umkehrschluss, das andere zu lassen. Der große Motor für die wirtschaftliche Entwicklung auch in Schleswig-Holstein ist die Metropolregion. Daran geht gar kein Weg vorbei. Das sollten wir ohne Weiteres so bekennen.

Dieser Motor muss laufen. Sonst bekommen wir insgesamt Probleme. Neben anderen regionalen Förderungen im Norden und Osten des Landes müssen wir für eine enge Verzahnung und vielschichtige Verknüpfungen Sorge tragen.

Zum anderen muss die Gefahr eines Demokratieverlustes bedacht werden. Ich kann diese Gefahr in den getroffenen Maßnahmen, Herr Kollege Hentschel, bisher nicht erkennen. Denn alle Betroffenen sind in den Gremien beteiligt, die die Dinge beschließen, die hiervon betroffen sind. Der Umfang der Aufgaben und die Finanzmittel sind festgelegt. Das Land ist beteiligt. Bei Fehlentwicklungen, die ich derzeit überhaupt nicht erkennen kann, wäre ein Gegensteuern kurzfristig durch die Landesregierung und das Landesparlament möglich.

Ihr Umkehrschluss, Herr Kollege Hentschel, birgt größere Gefahren. Sie treten die Flucht nach vorn an und sehen die Lösung in einer schnellen Umsetzung des Nordstaates. Wir haben große Zweifel, ob dieser Weg richtig wäre; um es vorsichtig zu formulieren.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich nenne jetzt den entscheidenden Punkt. Glauben Sie wirklich, Herr Kollege Hentschel, dass in einem gemeinsamen Parlament die Interessen des nördlichen Landesteils besser aufgehoben wären? Das wäre ein Parlament, in dem etwa zwei Drittel aller Parlamentarier aus der Metropolregion kämen. Werden in einem solchen Parlament nicht gerade die Entscheidungen in und aus der Metropolregion und für diese getroffen? Welches Gewicht hätten eigentlich in einem gemeinsamen Parlament noch die Abgeordneten aus den nördlichen Landesteilen?

(Beifall bei der CDU)