Protokoll der Sitzung vom 05.05.2006

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle herzlich. Beurlaubt ist Frau Abgeordnete Sylvia Eisenberg. Wegen dienstlicher Verpflichtungen auf Bundesebene sind die Herren Minister Dr. von Boetticher, Dr. Stegner und Wiegard für den heutigen Tag beurlaubt. Herr Abgeordneter Dr. Henning Höppner hat heute Geburtstag. - Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich. Alles Gute für das neue Lebensjahr; die Blumen sind unterwegs.

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf:

Bericht des Unabhängigen Landeszentrums für den Datenschutz Schleswig-Holstein - Tätigkeitsbericht 2006

Drucksache 16/550

Ich eröffne die Aussprache und bitte die Fraktionen, damit einverstanden zu sein, dass der Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Uwe Döring, der den Innenminister vertritt, die Aussprache mit dem Bericht eröffnet. - Herr Minister Döring, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da Minister Dr. Stegner heute an der IMK teilnimmt, wie Sie den täglichen „Wasserstandsmeldungen“ des Frühstücksfernsehens entnehmen konnten, hat er mich als seinen Vertreter gebeten, für ihn heute zum 28. Tätigkeitsbericht des ULD Stellung zu nehmen. Ich kann nur einige wenige Punkte aus dem Datenschutzbericht aufgreifen und das natürlich nicht in der sonst dem Innenminister eigenen Prägnanz. Ich bitte um Ihr Verständnis.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das kann auch ein Vorteil sein!)

Zu vielen weiteren, im Bericht angesprochenen Themen wird der Innenminister zur Vorbereitung der Ausschussberatung noch ausführlich schriftlich Stellung nehmen.

Meine Damen und Herren, ich will zunächst auf den Geschäftsbereich des Innenministers eingehen. In seinem Tätigkeitsbericht nimmt das ULD unter anderem zu zwei wichtigen Gesetzesvorhaben der Landesregierung Stellung. Soweit sich die Kri

tik auf den Entwurf zur Neufassung des Informationsfreiheitsgesetzes bezieht, verweise ich auf die ausführlichen Darstellungen von Minister Stegner in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am Mittwoch.

Auch auf die kritischen Ausführungen zur Polizeirechtsnovelle möchte ich nur kurz eingehen, der Landtag hat darüber im März ausführlich diskutiert. Ich halte den Vorwurf einer grundsätzlichen Wende im Polizeirecht für nicht berechtigt. Für die Bewertung der Polizeirechtsnovelle, aber auch ganz allgemein, gilt: Datenschutz ist ein wichtiges Rechtsgut. Der Schutz persönlicher Informationen hat Verfassungsrang. Datenschutz ist aber für sich gesehen kein absolutes Recht. Es bedarf immer der Abwägung mit anderen Verfassungsrechtsgütern und das gilt insbesondere für die Sicherheitsinteressen der Bürgerinnen und Bürger. Diese Abwägung hat die Landesregierung auch bei der Polizeirechtsnovelle sehr sorgfältig vorgenommen.

(Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Na ja!)

Die Novelle reagiert auf den technischen Fortschritt und führt - das sage ich auch als Justizminister - zu maßvoll erweiterten Eingriffsbefugnissen der Sicherheitsbehörden.

Auch der Datenabruf der Polizei aus den örtlichen Melderegistern der Meldebehörden wird vom ULD harsch kritisiert.

(Beifall der Abgeordneten Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frau Lütkes, bevor Sie Beifall klatschen: Das verwundert allerdings in doppelter Hinsicht. Zum einen ist das erstmals monierte Verfahren unverändert seit 1986 im Einsatz und bislang nicht beanstandet worden. Zum anderen wird das vom ULD geprüfte Verfahren schon in Kürze - auch das ist bekannt - durch ein völlig neues Verfahren abgelöst, bei dem die festgestellten Fehler ausgeschlossen werden. Das ist dem ULD längst bekannt und selbstverständlich wird das ULD bei der Vorbereitung eingebunden werden.

Im Übrigen handelte es sich um Versäumnisse bei Verfahrensdokumentationen oder Funktionsbeschreibungen, also um Verstöße gegen formale Datenschutzbestimmungen. Damit soll der Fehler nicht beschönigt werden, aber man muss doch auch sehen, dass solche Mängel allein nicht zu Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung führen.

Hinsichtlich der ebenfalls kritisierten Identitätsprüfung beim Datenabruf verkennt das ULD, dass

die Polizei in bestimmten Gefahrensituationen in der Lage sein muss, die nötigen Angaben aus dem Melderegister auch für eine Gruppe von Personen und nicht nur für eine bereits ganz konkret benannte Person zu erhalten. Denken Sie nur an den Fall eines Wohnungsbrandes in einem mehrstöckigen Mietshaus. Hier muss die Polizei in der Lage sein, die gemeldeten Bewohner des Hauses allein über die Angabe der Adresse zu identifizieren. Abgesehen von solchen Einzelfällen - ich betone: Einzelfällen! - verwendet die Landespolizei bei Abfragen die Regelsuchbegriffe Name und Geburtsdatum und erfüllt damit die vom ULD geforderte Identifizierung.

Auch die datenschutzrechtliche Problematik des Akkreditierungsverfahrens zur Fußballweltmeisterschaft 2006 ist ausführlich mit allen deutschen Datenschutzbeauftragten einschließlich des ULD diskutiert worden. Schleswig-Holstein beteiligt sich wie vorgesehen an dem Akkreditierungsverfahren und leistet so seinen Beitrag zu einer sicheren WM 2006. Wir haben die Erkenntnisse aus dem Probelauf während des Konföderationenpokals ausgewertet und alle Datenschutzanforderungen in ein Belehrungsschreiben für die Akkreditierungsbewerber eingearbeitet. Damit haben wir ein rechtlich in jeder Weise belastbares Verfahren mit der informierten Einwilligung in allen Ländern gefunden.

Die bei der Prüfung des Staatsschutzes festgestellten so genannten Hinzuspeicherungen bei der „Gefahrenlage Rechts“ entsprechen den Vereinbarungen zwischen dem Innenministerium und dem ULD aus dem Jahr 1997. Das ULD hat nun seine Position geändert. Dies ist für das Innenministerium nicht nachvollziehbar. Denn nur belastende Informationen zu speichern hieße, für künftige Prognoseentscheidungen des Staatsschutzes in Gefahrenlagen auf alle positiven, entlastenden Erkenntnisse ganz zu verzichten und nur Belastendes zu sammeln. Wie vertrüge sich das mit liberaler, grundrechtsfreundlicher Polizeiarbeit, die in Schleswig-Holstein Markenzeichen geworden ist?

Auch mein Geschäftsbereich als Justizminister steht naturgemäß unter besonderer Beobachtung des ULD. Begründete Kritik nehmen wir ernst, die Kontrollfunktion des ULD ist wertvoll - das sage ich hier ausdrücklich -, auch wenn wir längst nicht jede Bewertung teilen. Die meinen Geschäftsbereich betreffenden kritischen Anmerkungen kann ich in der Kürze der Zeit nicht alle abhandeln. Ebenso wie im Verantwortungsbereich des Innenministers zeigt sich aber auch hier, dass das ULD bei der Abwägung mit Strafverfolgungs- und Sicherheitsinteressen dem Datenschutz sehr häufig

ein höheres Gewicht beimisst. Das liegt in der Natur der Sache.

Es enthebt das ULD aber nicht der Verantwortung, von seiner Warte aus Gesetzesänderungen und die Praxis der Justiz ausgewogen und fair zu behandeln. Dieses gelingt leider nicht immer. Manche Kritik - sei es unter anderem an der Erweiterung der DNA-Analyse oder am verbesserten Informationsaustausch zwischen europäischen Staaten zur Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung - schießt nach unserer Meinung über das Ziel hinaus.

Ein weiteres Beispiel ist das Thema der Vorratsdatenspeicherung. Wir haben hier im Parlament bereits darüber diskutiert. In diesem Bereich sind, obwohl es nicht um Kommunikationsinhalte, sondern lediglich um Verbindungsdaten geht, wichtige Grundrechtsinteressen betroffen. Es hat eine sehr ausführliche Diskussion auf Landes- und Bundesebene sowie auf europäischer Ebene über die entsprechende EU-Richtlinie gegeben. Alle Aspekte sind x-mal hin und her gewendet worden. Unserer Auffassung nach ist ein tragfähiger Kompromiss herausgekommen. Er lässt uns bei der nationalen Umsetzung genug Spielraum, den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes zu genügen. Dennoch geißelt das ULD die Vorratsspeicherung pauschal als verfassungswidrig und brandmarkt die EU-Richtlinie als „Richtungsentscheidung für eine überwachte europäische Informationsgesellschaft“. Diesbezüglich unterscheiden wir uns vielleicht in einigen Punkten. Ich fürchte, der Alarmismus, der neuerdings beim Datenschutz auftritt, schadet den wichtigen Anliegen des Datenschutzes eher, als dass er ihnen nutzt. Früher Schleswig-Holstein war ja Vorreiter beim Datenschutz - hat es das in dieser Form nicht gegeben.

Dabei liegen wir, was die anstehende nationale Umsetzung der Richtlinie angeht, gar nicht weit auseinander. Natürlich muss sich die Umsetzung strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientieren. Das ULD empfiehlt, die kürzeste Speicherfrist von sechs Monaten zu wählen, die Speicheranlässe einzugrenzen und weitere inhaltliche Präzisierungen vorzunehmen. Ja, das ist richtig. Diese Vorschläge decken sich weitgehend mit meinen Vorstellungen. Wir sollten insbesondere keine über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinausgehenden Fristen begründen, denn es gilt auch hier die alte Regel: Das gute Pferd springt nur so hoch, wie es muss.

Meine Damen und Herren, das Ringen um das richtige Maß des Datenschutzes ist ein schwieriges und nicht selten konfliktträchtiges Geschäft. Der Tätigkeitsbericht des ULD zwingt die Politik immer wie

(Minister Uwe Döring)

der zu gründlichen Rechtfertigungen ihres Umgangs mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger. Das ist gut so. Ich denke, eine Landtagsdebatte allein reicht dazu nicht aus. Deswegen ist es gut, dass sich die Ausschüsse mit diesen Themen ausführlich beschäftigen. Wir werden in den Ausschüssen die Gelegenheit haben, die vielen Aspekte des Berichts ausführlich und ganz sicher auch kontrovers zu diskutieren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Herrn Minister. - Bevor wir fortfahren, möchte ich unsere Besucher begrüßen. Auf der Besuchertribüne begrüßen wir Schülerinnen und Schüler der Realschule in Schönkirchen mit ihren Lehrkräften, Bürgerinnen und Bürger aus Neumünster und Bordesholm und Teilnehmer der Initiative „Netzwerk 50 plus“ der Wirtschaftsakademie Kiel. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Auf der Besuchertribüne hat selbstverständlich, wie es Tradition ist, auch der Datenschutzbeauftragte Dr. Thilo Weichert Platz genommen. Der ehemalige Abgeordnete Joachim Behm ist ebenfalls anwesend. - Seien auch Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erteile ich nun der Frau Abgeordneten Ursula Sassen das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns liegt ein umfassender, übersichtlich gegliederter Tätigkeitsbericht des Unabhängigen Landeszentrums für den Datenschutz Schleswig-Holstein für den Berichtszeitraum 2005 vor. Ich danke allen, die an der Erstellung beteiligt waren.

Der Bericht ist in verständlicher Sprache abgefasst und findet durch die Auswahl der praktischen Beispiele und Einzelbeanstandungen des Datenschutzbeauftragten sowie seine Vorschläge zu Problemlösungen sicherlich breites Interesse in der Öffentlichkeit.

Datenschutz ist auch Verbraucherschutz

(Beifall des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und nimmt angesichts des immer problemloseren Zugriffs auf persönliche Daten einen hohen Stellenwert ein. Daher begrüße ich es außerordentlich, dass wir heute hier im Plenum wieder einmal dar

über reden und dann auch in den Ausschüssen darüber beraten werden. In der Einleitung zum Datenschutzbericht wird die Frage gestellt: Welchen Datenschutz können wir uns noch leisten? Der Verfasser macht keinen Hehl daraus, dass er durch die große Koalition auf Bundes- und Landesebene eine reserviertere Haltung gegenüber dem Datenschutz befürchtet, wie das folgende Zitat zeigt:

„Die Frage nach Sinn und Unsinn bzw. Art und Umfang des Datenschutzes stellt sich heute zudem anders als noch ein Jahr zuvor: Sowohl in Schleswig-Holstein als auch auf Bundesebene wurde bisher mit knappen Regierungsmehrheiten regiert. Diese politisch unsichere Lage mag ein Grund gewesen sein, dem Datenschutz besonders aufgeschlossen gegenüberzutreten und Interesse daran zu zeigen, dass die unabhängigen Datenschutzkontrollinstanzen die Politik mit einer freundlichen Grundeinstellung begleiten. Nun regieren im Bund sowie in unserem Land große Koalitionen, die angesichts satter Mehrheiten zumindest rechnerisch keine Rücksichten mehr nehmen müssen auf solche speziellen gesellschaftlichen Anliegen.“

Meine Damen und Herren, diese Äußerungen haben mich irritiert. Die Formulierung „diese politisch unsichere Lage“ ist ebenso erklärungsbedürftig wie die vorwurfsvolle Aussage, dass die Koalitionspartner angesichts der satten Mehrheiten keine Rücksichten auf solche speziellen Anliegen mehr nehmen müssen. Das möchte ich so eigentlich nicht im Raum stehen lassen. Für mich stellt sich auch nicht die Frage: Welchen Datenschutz können wir uns noch leisten? Für mich stellt sich vielmehr die Frage: Wie viel Datenschutz muss sein? Ich bin sicher, dass sich auch eine große Koalition mit satten Mehrheiten Datenschutzpolitik weder nach Kassenlage noch gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger gestatten kann.

(Beifall bei der CDU)

So weit zu der Einleitung des Berichts.

Auch dieser Datenschutzbericht verdeutlicht das Spannungsfeld der Abwägung, auf welche Weise der Staat einerseits seinen obligatorischen Schutzpflichten genügen kann, andererseits aber die Bürgerinnen und Bürger vor überzogenen Eingriffen in die Individualrechte geschützt werden müssen. Das zeigt sich insbesondere im Bereich der inneren Sicherheit.

Wir sehen eine zwingende Notwendigkeit, die Polizei mit dem erforderlichen Handwerkszeug auszustatten, damit organisierte und Schwerstkriminali

(Minister Uwe Döring)

tät wirksam bekämpft werden können. Hierfür sind Maßnahmen wie Schleierfahndung, Video- und Telefonüberwachung und auch Techniken wie das KFZ-Kennzeichen-Scanning erforderlich. Moderne Technik darf nicht nur den Straftätern zur Verfügung stehen; auch der Staat muss hier auf gleicher Höhe sein.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)