Protokoll der Sitzung vom 05.05.2006

Das ist schlimm für die Bürgerrechte und verspielt darüber sollte die CDU nachdenken - wirtschaftliche Chancen. Gerade wir hier in Schleswig-Holstein können sehen, wie sich Firmen durch Datenschutzaudits Wettbewerbsvorteile verschaffen können und es auch tun. Die Aufmerksamkeit für dieses Verfahren des ULD geht weit über die Landesgrenzen hinaus und wird demnächst in Frankreich übernommen,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

leider nicht durch unsere Bundesregierung.

Zum Abschluss dieser Debatte zu dem Bericht würde ich gern einen optimistischen Schluss vortragen. Aber die Ausführungen der großen Koalition und insbesondere die Ausführungen des Herrn Ministers sowohl in eigener Person - ausdrücklich als Justizminister - als auch in Vertretung des Innenministers lassen mich das schlicht aus meiner Rede streichen.

Herr Minister, die Behauptung, das ULD stelle Datenschutz über andere Verfassungsrechte - ich sage

(Anne Lütkes)

das, was ich sagen will, lieber nicht; ich will am Ende meiner Rede keinen Ordnungsruf der Präsidentin bekommen -, hat mich ein wenig entsetzt. Wir haben in der Vergangenheit mehrfach im Innen- und Rechtsausschuss über Datenschutz diskutiert. Wir haben in der jetzigen Tagung schon mehrfach die Lernfähigkeit der Regierung angesprochen. Auch hier kann ich da nur hoffen.

Wir haben in dieser Tagung bereits über das Informationsfreiheitsgesetz diskutiert. Es war einmal bundesweit Vorreiter. Nach dem Willen der Landesregierung soll es stark eingeschränkt werden.

Wir hatten hier in Schleswig-Holstein einmal eine offene Informationsgesellschaft. Wir sind dabei, sie zu verlieren.

Meine Vorredner haben auf die „Reform“ des Polizeirechts hingewiesen. Ich kann mich da nur den Äußerungen des Herrn Kubicki anschließen, und nicht denen aus der großen Koalition. Herr Kollege, das haben Sie sehr richtig dargestellt.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Große Ehre!)

Also, ein positiver Ausblick fällt schwer. Die Chancen, die sich in wirtschaftlicher, aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht durch eine freiheitliche und offene Gesellschaft bieten könnten, werden von der jetzigen Regierung und von den sie tragenden Fraktionen leider ignoriert.

Insbesondere unter diesem Aspekt wünsche ich dem Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie den Herausforderungen der nächsten Jahre in ihrer Tätigkeit mit der gewohnten Tatkraft und dem bekannten und von mir sehr geachteten Mut und Offenheit begegnen. Sie werden sie brauchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich danke der Frau Abgeordneten Lütkes. - Für den SSW im Landtag hat deren Vorsitzende, Anke Spoorendonk, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie immer ist der Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten richtig lesenswert. Der Bericht gibt einen umfassenden Ein- und Überblick sowohl über die Arbeit des Landeszentrums für Datenschutz als auch über die aktuelle Entwicklung auf dem Gebiet der Informationsgewinnung, der Infor

mationsverwaltung und des Missbrauchs von Daten.

Die Informationsgesellschaft befindet sich aufgrund rasanter technischer Neuerungen und damit verbundenen wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten in einer ständigen Veränderung. Dabei nimmt nicht nur die Bedeutung des klassischen Bürgerschutzes vor der Kontroll- und Informationssammelwut des Staates zu. Auch der neue Bürgerschutz vor der Gefahr der kommerziellen Ausbeutung mithilfe neuer Informationstechnologien durch die Wirtschaft gewinnt immer mehr an Bedeutung; die Rolle der Banken in diesem Zusammenhang ist schon angesprochen worden.

Dass sich die öffentlichen Verwaltungen durch die Privatisierung von Aufgaben bewusst oder unbewusst aus der Transparenz ihres Handelns und damit aus dem genannten Bürgerschutz stehlen wollen, ist nur eine Facette der neueren Entwicklungen. Wir haben dieses Thema bereits in dieser Tagung angesprochen, als es um die Novellierung des Informationsfreiheitsgesetzes ging.

Die Aufgabe der Politik in Land und Bund - der Bericht benennt die konkreten Handlungsbedarfe hier wie dort - ist es, die für alle verbindlichen Regeln für den Umgang mit Daten aufzustellen und für die Einhaltung dieser Regeln zu sorgen. Für die effektive, bürgerfreundliche und unabhängige Kontrolle der Einhaltung ist das ULD in SchleswigHolstein unverzichtbar.

Wir sind als Gesetzgeber darauf angewiesen, dass wir nicht nur aus der Perspektive der Verwaltung Gesetze verabschieden, sondern dass wir den Rat und die Vorschläge einer auf den Schutz der informationellen Selbstbestimmung der Bürger spezialisierte Einheit oder Instanz zurückgreifen können.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Dies haben wir dank der guten Arbeit des ULD bisher getan und werden es hoffentlich auch weiter tun können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich warne davor, allzu schnell Schutzmechanismen für den Bürger als überflüssige Bürokratie zu denunzieren. Datenschutz ist Teil unseres Rechtsstaates. Die Ursachen für Bürokratie sind woanders zu suchen. Als Beispiel nenne ich ganz provozierend im Rahmen der Verwaltungsstrukturreform die Etablierung regionaler Verwaltungseinheiten.

Die Entwicklung erfordert von uns, dass das Datenschutzrecht ständig modernisiert wird. Die nützlichen Vorschläge und Anregungen des ULD beste

(Anne Lütkes)

hen aus einem pragmatischen Instrumentenmix mit Augenmaß, der den Erfordernissen der Sicherheitsbehörden und des wirtschaftlichen Handelns öffentlicher Einrichtungen sehr wohl Rechnung trägt. Auch hier möchte ich noch einmal das Informationsfreiheitsgesetz ansprechen. Denn Datenschutz und Informationsfreiheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille unseres gemeinsamen Rechtsstaates.

Dass andere Länder zum Standard in SchleswigHolstein aufschließen, ist zu begrüßen. Dass wir uns jedoch in Sachen Datenschutz und Bürgerrechte nach unten nivellieren, ist für den SSW schlichtweg nicht akzeptabel.

(Günter Neugebauer [SPD]: Das wollen wir auch nicht!)

Man mag es für altmodisch halten, aber das wirkungsvollste Verfassungsschutzorgan ist kein in Daten ertrinkender Geheimdienst, sondern immer noch eine funktionierende kritische Öffentlichkeit.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieses müssen wir in unsere Informationsgesellschaft herüberretten. Das heißt, es geht um weitgehende Transparenz im Umgang mit Daten sowie darum, die Rechte der Bürger über ihre Daten zu schützen. Das kann nur mithilfe unabhängiger Institutionen über die Gerichte hinaus geschehen. Denn nur so können wir diese Bürgerrechte auf informelle Selbstbestimmung sichern.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Wir sollten die Warnung in Bezug auf die Sicherheitspolitik, dass nämlich statt effektiver Eingriffsmöglichkeiten ein Kompetenzwirrwarr von Bund und Land mit konkurrierenden Behörden geschaffen wird, das letztlich zu Datenwust und Verlust des Überblicks statt zum gezielten Aufspüren von realen Gefahren führt, ernst nehmen. Ein unabhängiger Geheimdienstbeauftragter sowie eine unabhängige Evaluierung von Sicherheitsbefugnissen sind meines Erachtens probate Mittel oder Maßnahmen, um sicherheitsbedingte Eingriffe in Freiheitsund Datenschutzrechte rechtsstaatlich zu flankieren.

Die Kritik, die der Bericht zum neuen Polizeirecht enthält, sollte auch aus Sicht des SSW zu einem Überdenken des Gesetzesvorhabens führen; alles andere ist zu diesem Thema bereits gesagt worden. Dem Land ist mit einem latent verfassungswidrigen Polizeigesetzt nun wirklich nicht gedient.

(Günter Neugebauer [SPD]: Vorsicht!)

Für den Hinweis im Bericht auf das Vorhaben der Europäischen Union, Vorratsdatenspeicherung in der Telekommunikation zu ermöglichen, bin ich mehr als dankbar; Herr Kollege Kubicki hat dieses Thema bereits aufgegriffen. Ich dachte, das Jahr „1984“ hätten wir hinter uns gelassen, aber die Versuchung, das, was technisch möglich ist und eventuell in dem einen oder anderen Fall nützlich sein könnte, als festen Bestandteil des Instrumentenkastens staatlicher Kontrolle zu installieren, ist wohl zu groß. Auch aus Sicht des SSW gilt es, diese Tendenz auf europäischer Ebene zu stoppen.

(Beifall bei SSW, FDP und des Abgeordne- ten Günter Neugebauer [SPD])

Eines möchte ich in diesem Zusammenhang zu bedenken geben: Als der Europaausschuss letzte Woche mit unseren schleswig-holsteinischen Europaabgeordneten ein Gespräch führte, habe ich mich darüber gewundert, dass anscheinend niemand über diese Initiative der EU-Kommission Bescheid wusste. Man hat uns versprochen, Informationen nachzuliefern. Dies zeigt meiner Meinung nach, wie intransparent solche Vorhaben realisiert werden sollen.

Der Bericht erwähnt aber auch positive Entwicklungen; das möchte ich auch erwähnen. So wird das von der ULD entwickelte „Datenschutz-Gütesiegel“ zunehmend von Verwaltung und Wirtschaft angenommen; das ist gut so. Das ULD wird ferner in fast allen wichtigen IT-Projekten beratend eingebunden.

Herausgreifen möchte ich das Beispiel des Kreisnetzes Nordfriesland, das zeigt, dass auch unsere Kreise - dies sage ich in Klammern: entgegen der mehr oder weniger offen vorgetragenen Kritik der Landesregierung an der Leistungsfähigkeit und Bürgernähe unserer Kreise - die Herausforderungen der Informationsgesellschaft offensiv anpacken und zukunftsfähig sind.

(Beifall beim SSW)

Die unabhängige Berichterstattung der Landeszentrale für Datenschutz trifft nicht nur die Landesregierung, die Kommunen und die Wirtschaft, sondern auch den Landtag. Dem Datenschutz im Landtag wird dabei durchaus Lob zuteil, aber bezüglich der Wahlwerbung zur Landtagswahl werden auch uns als Landtagsabgeordnete die Leviten gelesen. Das ist richtig und damit müssen wir uns beschäftigen. Das ist gut so.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte auch ich mich im Namen des SSW bei

(Anke Spoorendonk)

Herrn Weichert sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren unverzichtbaren Einsatz zum Schutz unserer Daten bedanken.

(Beifall)

Dies wird vor dem Hintergrund der sich verbreitenden Technologien in fast allen gesellschaftlichen Bereichen und den damit verbundenen Möglichkeiten des Missbrauchs eine Aufgabe mit wachsender Bedeutung für das ULD sein.

Wir im Landtag müssen dafür sorgen, dass die Balance Rahmenbedingungen im Sinne dieses modernen Datenschutzes - ich betone noch einmal: Datenschutz und Informationsfreiheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille - hierfür stimmen. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Beratung schließe.