Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich an die Zeit, als ein Sarg durch Bad Bramstedt getragen wurde. Damals, unter der ersten rot-grünen Koalition im Land, wurde das Amtsgericht in Bad Bramstedt geschlossen, weil ansonsten ein Neubau notwendig gewesen wäre und man diese Kosten einsparen wollte. Damals marschierte an der Spitze des Sarges der CDUOrtsverein Bad Bramstedt und protestierte gegen die Landesregierung - mit wohlwollender und lautstarker Unterstützung der CDU-Landtagsfraktion. Wir hätten die heutige Debatte nicht in der Form, wie sich Herr Stritzl hier geäußert hat, wenn die CDU noch in der Opposition wäre.
Ich gehöre zu denen, die das vor fünf Jahren durchgefochten und dafür gekämpft haben, dass es richtig ist, eine notwendige Einsparung vorzunehmen, die für die Bürger übrigens auch wesentlich mehr Service gebracht hat, und werde deswegen heute nicht antreten und gegen eine Reform kämpfen, weil ich glaube, dass wir aus grundsätzlichen oppositionellen Erwägungen immer gegen die Landesregierung sein müssten. Ich glaube aber, dass es andere Gesichtspunkte gibt, die heute bedacht werden müssen.
Zunächst einmal ist es selbst Minister Döring, der ja für seinen Ausspruch bekannt ist: „Ich rechne jedes Projekt wirtschaftlich“, nicht gelungen, dieses Projekt so wirtschaftlich zu rechnen, dass er hier sagen könnte, es gebe finanzielle Gründe, die dafür sprechen. Das ist schon bemerkenswert.
Da erstaunt mich auch der Beitrag des Kollegen Stritzl, der das als Begründung für die Entscheidung der CDU-Fraktion gebracht hat. Das war schon etwas verwirrend, um es vorsichtig auszudrücken.
Wenn wir über eine Gerichtsreform sprechen, ist auch das richtig, was der Kollege von der FDP gesagt hat, dass wir nämlich eine Grundsatzdiskussion über die Strukturen von Gerichten führen müssen, dass auch bundesweit über die Eingangsstufe der Gerichte diskutiert wird und dass wir uns überlegen müssen, welche strukturellen Auswirkungen
Herr Minister, insofern stimme ich in dieser Frage mit Ihrer Vorgängerin überein. Es ist nicht richtig, wenn Sie sagen, das, was Sie jetzt machen, sei die Konsequenz aus dem, was vorher geplant worden ist. Die Diskussion ist ja ganz anders gelaufen. Wir haben mit der Frage begonnen: Welche weiteren Gerichte muss man jetzt weiter schließen? Wir haben mit der Feststellung geendet: Wir müssen eine grundsätzliche Strukturreform in den Gerichten vorbereiten, die in engem Zusammenhang mit einer Verwaltungsreform steht. Verwaltungsreform und Gerichtsreform können durchaus zusammengeführt werden.
Warum ist das so? - Es gibt zwei Aspekte, die wir bei der Frage zu berücksichtigen haben, wie Amtsgerichte konstituiert sein müssen. Der eine Aspekt ist: Wir wollen Bürgernähe, wir wollen Präsenz der Gerichte vor Ort. Deshalb sagen die Menschen auch immer: Ich möchte, dass ich einen Ansprechpartner vor Ort habe, wenn es um Fragen geht, bei denen ich das Gericht benötige. Der zweite Gesichtspunkt ist Kompetenz, Spezialisierung und Effizienz der Gerichte. Das spricht natürlich für eine zentrale Organisation, die ermöglicht, dass in den Gerichten wirtschaftlicher und in den jeweiligen Sachgebieten fachlich kompetent gearbeitet wird.
Um das in Übereinstimmung zu bringen, ist es sinnvoll und möglich, in Zukunft zu einer drastischen Reduzierung der Amtsgerichte zu kommen, wenn ich gleichzeitig die Präsenz vor Ort gewährleiste. Das heißt, wir brauchen in den Kommunen Gerichtstage, wir brauchen Ansprechpartner, wir brauchen Bürgerbüros, wo an bestimmten Tagen in gerichtlichen Fragen Ansprechpartner vorhanden sind, sodass die Bürger die Probleme, die sie mit dem Gericht haben, oder Anträge, die sie stellen wollen, vor Ort in ihrer Kommune besprechen können. Das hängt mit unseren Vorstellungen einer Strukturreform der Kommunen zusammen, dass wir größere Kommunen mit einem Servicebüro vor Ort haben wollen, in dem regelmäßig Rechtspfleger anwesend sind und wir einen solchen Service bieten können.
Wenn wir vor Ort einen solchen Service bieten können, wenn wir es weiter möglich machen, dass Prozesse in Form von Gerichtstagen vor Ort in den Rathäusern stattfinden, dann ist es möglich, Amtsgerichte in wesentlich größerem Umfang als jetzt zusammenzulegen, möglicherweise am Standort der Landgerichte, um zu einer wesentlich effizienteren Gerichtsstruktur zu kommen.
Herr Minister, was Sie hier vorschlagen, ist kein Strukturkonzept. Es ist nicht klar, worauf das hinausläuft. Es ist nicht klar, wo die Bürgernähe verbessert wird. Kollege Puls, es ist nicht deutlich geworden, wo bei der jetzigen Reform die Bürgernähe verbessert wird und wo die Qualität verbessert wird. Es ist eine Reform, die sich nur auf zwei Kreise bezieht und kein Gesamtkonzept für das Land liefert. Und es ist eine Reform, die auch finanziell keine erkennbaren Einsparungen bringt. Wenn Ihnen das schon nicht gelingt, gehe ich davon aus, dass es auch anderen nicht gelingen wird.
Insofern schlagen wir vor, für die Gerichtsstrukturen zu einem Gesamtkonzept zu kommen in Übereinstimmung mit der bundesweiten Diskussion über Gerichtsstrukturen. Wenn wir ein solches Gesamtkonzept hinbekommen, können die Gerichte durchaus radikaler zusammengeführt werden, mit Sprechstunden von Rechtspflegern im Rathaus, die jeden Dienstag Antragsannahme und Beratung anbieten, mit E-Government, mit auswärtigen Gerichtstagen im Ratssaal und so weiter, sodass die Präsenz der Gerichte vor Ort auch in Zukunft gewährleistet ist.
Es ist schade, dass wir dazu bis heute nicht gekommen sind. Denn Schleswig-Holstein könnte mit einer solchen Amtsgerichtsreform seine Modernisierungsfähigkeit unter Beweis stellen. Das selbst gesteckte Ziel „Fit für die Zukunft“ erreicht die Landesregierung bisher weder mit ihrem Konzept für die Kommunalverwaltungsreform noch mit dem für die Neustrukturierung der Amtsgerichte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neuordnung der Amtsgerichtsbezirke hat - wir wissen es - in den betroffenen Regionen des Landes für erhebliche Unruhe gesorgt. Dies wundert niemanden. Denn mit der geplanten Strukturveränderung gehen bei fünf Amtsgerichten im Land die Lichter aus. Dass dies vor Ort niemand wünscht, ist mittlerweile mehr als deutlich geworden. Schließlich liegen uns umfangreiche Stellungnahmen zum vorgelegten Konzept der Landesregierung vor. Auch hat es im Landtag bereits eine ausführliche Debatte zur Reform der Amtsgerichte gegeben.
Doch nun liegt uns der Gesetzentwurf der Landesregierung vor. Es ist zu erkennen, dass die Landesregierung keinen Deut von ihren Plänen abgewichen ist. Sie hält an ihrem Beschluss fest, die Amtsgerichte Kappeln und Geesthacht sowie Mölln, Bad Schwartau und Bad Oldesloe aufzuheben.
Dies ist aus der Sicht des SSW sehr bedauerlich. Denn ich glaube, dass sich die Landesregierung mit dieser Art von Planung letztlich keinen Gefallen tun wird. Eines wird bei dem gesamten Rechenwerk um mögliche Einsparungen und Personalbedarfsberechnung völlig außer Acht gelassen, nämlich das, was man die „weichen Faktoren“ nennen könnte. Das heißt, dass Amtsgerichte vor Ort immer auch eine andere Rolle spielen, die nicht ausschließlich unter justizfachlichen Gesichtspunkten betrachtet werden kann.
Die Landesregierung begründet ihre Entscheidung damit, die Amtsgerichte zukunftsfähig auszurichten. Demnach geht sie davon aus, dass es trotz sinkender Bevölkerungszahl einen Zuwachs an Verfahren geben wird. Ziel der Landesregierung ist es daher, die Amtsgerichte so aufzustellen, dass sie auf kommende Herausforderungen schnell und flexibel reagieren können. Das geht aus der Begründung des Gesetzentwurfs hervor.
Eine Mindestzahl von acht Richtern je Amtsgericht - zwei Richter für jedes Rechtsgebiet - ist nach Auffassung der Landesregierung das Minimum für die Richterschaft. Die Zahl der Mitarbeiter für ein modernes und flexibles Amtsgericht wurde anhand eines bestimmten Berechnungssystems ermittelt. Demnach soll die Gesamtbeschäftigtenzahl bei mindestens 67 Mitarbeitern liegen. Aufgrund der zunehmenden Komplexität des materiellen Rechts und der Annahme, dass sich die Verrechtlichung der Lebensverhältnisse künftig verstärken wird, wurden diese Zahlen ermittelt. All das kann man hier nachlesen.
Was jedoch bei der Neuordnung der Amtsgerichte völlig außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass diese Amtsgerichte schon jetzt sehr effektiv und effizient arbeiten. Es stellt sich also die Frage: Warum sollten sie das in Zukunft nicht leisten können?
Darüber hinaus ist nicht nachgewiesen, dass größere Gerichte schneller und effektiver arbeiten als kleinere Gerichte. Es ist nicht belegt, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer bei großen Gerichten kürzer ist als bei kleineren.
In der schleswig-holsteinischen Justiz hat es in den letzten zehn Jahren bereits grundlegende Reformen gegeben. Die Einführung des elektronischen
Aber auch bei den Strukturen hat sich Wesentliches geändert. So hat es eine Reorganisation der Aufbau- und Ablaufstruktur gegeben und es wurden eine Professionalisierung der Verwaltung und eine Verbesserung der Personalwirtschaft durchgeführt. Diese Reformen wurden von der Justiz und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitkonzipiert und durchgeführt. Aus diesem Grund gehören die schleswig-holsteinischen Gerichte und Amtsgerichte heute zu den modernsten in ganz Deutschland. Dies konnte aber nur erreicht werden, weil es immer eine enge Zusammenarbeit zwischen der Justiz und dem Ministerium gegeben hat. Eine solche Zusammenarbeit hat es, auch wenn es der Herr Minister anders sieht, aus Sicht des SSW in diesem Fall nicht gegeben. Auch wenn die Landesregierung nach dem Beteiligungsverfahren Änderungen am ursprünglichen Konzept durchgeführt hat, bleibt festzustellen, dass sie letztlich die Neuordnung der Amtsgerichte im Alleingang beschlossen hat. Dann ist es nachvollziehbar, dass die Enttäuschung bei der Justiz über diese Vorgehensweise groß ist.
Aber ich will es gern auch positiv sehen. Dass die Landesregierung bei der Änderung des ursprünglichen Konzepts doch noch auf einige Stellungnahmen eingegangen ist, lässt hoffen, dass es im parlamentarischen Verfahren noch Spielraum für weitere Änderungen gibt. Wir werden es sehen.
Natürlich hat die Neuordnung der Amtsgerichte auch eine wirtschaftliche Komponente. Das Land will, übergeordnet betrachtet - wir hören es immer wieder -, sparen. Aber dem Konzept der Landesregierung ist zu entnehmen - ich zitiere es und tue es gern -:
„Die Strukturreform wird insbesondere für neu anzumietende Liegenschaften, aber auch in anderen Bereichen erhebliche Investitionen für das Land erforderlich machen. Auf der anderen Seite zeichnet sich ab, dass sich nur in geringfügigem Maße Einsparungen durch die Reform erzielen lassen werden.“
Die Reform kann also nicht als Sparpaket verkauft werden, lieber Kollege Stritzl. Ich denke, es ist wichtig, das noch einmal zu sagen, weil wir ja immer wieder auch hören, dass Fusionen per se zu Einsparungen führen würden, und weil Sparen praktisch als Ersatz für eine richtige Politik herüberkommt.
Hierzu passt im Übrigen auch die Aussage des Präsidenten des Landgerichts Lübeck, der angesichts des demografischen Wandels und der ansteigenden Zahl von Betreuungsverfahren darauf aufmerksam macht, dass die Schließungen in diesem Bereich kontraproduktiv sind. Denn gerade in Betreuungssachen bedeutet die Konzentration auf wenige Standorte eine erhebliche Ausweitung der örtlichen Zuständigkeiten jedes einzelnen Gerichts und damit deutlich weitere Wege und eine weitere erhebliche Anhebung der Kosten in Betreuungssachen.
Ich gebe dem Kollegen Puls natürlich Recht, dass es hier nicht um Rechtsanwälte, sondern um Justizund Bürgernähe geht. Gerade die Bürgernähe der Justiz sollte weiterhin ein wichtiger Gesichtspunkt bleiben.
Hierbei verspricht sich die Landesregierung, dass sich die Servicemöglichkeiten der Gerichte durch größere Amtsgerichte verbessern, da diese bei Personalausfällen flexibler reagieren können. Berücksichtigt wird aber nicht, dass bei Sachentscheiden in einem eher kleineren örtlichen Zuständigkeitsbereich die Besonderheiten vor Ort besser eingeschätzt werden können. Es gibt natürlich schon flexible Vertretungsregelungen.
Auch wenn sich die Entfernungen in den von der Reform betroffenen Regionen vergrößern, befinden sie sich nach Einschätzung der Landesregierung immer noch in einem zumutbaren Rahmen. Dies wage ich aber zu bezweifeln. Was die Landesregierung sagt, mag für einige Regionen noch gelten, aber es gilt nicht für alle und gilt auf jeden Fall nicht für die strukturschwache Region, die den Standort des Amtsgerichts Kappeln ausmacht.
Wir alle wissen, dass gerade die Region um Kappeln seit Jahren durch den Wegzug von Bundesbehörden, Bundeswehr und Firmen sehr stark gelitten hat. Wenn die Landesregierung jetzt beabsichtigt, das Amtsgericht in Kappeln zu schließen, ist das eine weitere Schwächung der Region.
Ein solches Signal hat neben der strukturpolitischen Bedeutung auch einen symbolischen Charakter. Dass wir nämlich den Standort Kappeln völlig aufgeben. Dies ist es doch, was bei den Menschen vor Ort herüberkommt.
Wer die Stellungnahmen zum Standort Kappeln gründlich gelesen hat, erkennt den hohen Wert, den das Amtsgericht in Kappeln für die Bevölkerung hat. Diesen Aspekt muss die Landesregierung aus unserer Sicht weiter berücksichtigen. Sie muss sich ihrer Verantwortung bewusst sein und erkennen,
Ich fasse zusammen. Grundsätzlich vertritt der SSW, lieber Kollege Astrup, nicht die Auffassung, dass immer alles so bleiben sollte wie bisher. Wir haben aber eine ganze Reihe von Fragen, die noch nicht beantwortet worden sind. Ich habe hier schon einige wichtige Fragen genannt.
Was für uns weiterhin eine Rolle spielt, ist - der Herr Minister hat es schon angesprochen -, dass es für diese Reform schon Vorläufer gegeben hat. Der Minister hat gesagt, diese Reform sei nicht zu Ende geführt worden. Das trifft aber nicht für das ganze Land zu. Im Landesteil Schleswig ist die Reform der Amtsgerichtsbarkeit durchgeführt worden. Kappeln ist aus guten, nachvollziehbaren Gründen jedes Mal ausgenommen worden. Diese Gründe, die für Kappeln sprachen und weiterhin sprechen, gelten auch für den SSW. Die damit zusammenhängenden Fragen sind ebenfalls nicht beantwortet worden. Das ist etwas, was wir in der Ausschussberatung natürlich weiter aufgreifen werden.