Protokoll der Sitzung vom 31.05.2006

(Beifall bei SSW und FDP)

Im Rahmen der angemeldeten Redezeit erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der Fraktion der CDU, dem Herrn Abgeordneten Dr. Johann Wadephul.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe das Engagement des SSW für Kappeln. Wenn wir derartige Reformpläne angehen, dann müssen wir aber den Blick auf das ganze Land richten. Wir müssen die Standorte, die zur Disposition stehen, mit gleichem Maß betrachten. Ich verkenne auch nicht, dass es für die betroffenen Standorte ein Problem gibt und dass es auch psychologische Signale gibt. Wir diskutieren aber ständig über die knappe Finanzlage des Landes. Wenn dann etwas getan werden soll, dann müssen wir auch bereit sein, mutig zu handeln.

(Zuruf der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Ich fand es interessant, dass der Herr Justizminister in seiner Kritik an den Ausführungen des Kollegen Hentschel darauf hingewiesen hat, dass er im Wesentlichen auf den Plänen der ausgeschiedenen Kollegin Lütkes hat aufbauen können. Dies sage ich zur Wiederholung an diesem Ort. Ihr gespanntes Verhältnis zur Kollegin Lütkes haben wir in den vergangenen Tagen verfolgen können. Das gehört

(Anke Spoorendonk)

zur Wahrheit dazu. Dazu gehört auch, dass wir als CDU-Fraktion an der einen oder anderen Stelle auch nicht zu 100 % mit dem Konzept zufrieden sind. Der Kollege Puls weiß, dass dies beispielsweise für das Gericht in seinem Heimatort Reinbek gilt. Das liegt auch daran, dass Frau Lütkes es für richtig gehalten hat, kurz vor dem Ende der vergangenen Legislaturperiode einen 20-Jahres-Mietvertrag für dieses Gericht abzuschließen. Um es vornehm zu sagen, war es wenig mutig, als Grüne in der Verantwortung nicht selber diese Gerichtsreform anzugehen. In so einer Situation aber noch einen 20-jährigen Mietvertrag abzuschließen, der uns jetzt alle Möglichkeiten nimmt, ist - so muss ich sagen - ein krasses politisches Fehlverhalten gewesen. Darauf muss hingewiesen werden.

(Beifall bei der CDU)

Es wurde über die Entfernungen gesprochen. Selbst der Kollege Kubicki, dem ich eine solche Affinität zum öffentlichen Personennahverkehr gar nicht zugetraut hätte, hat nächtelang in den Autokraft-Fahrplänen gewühlt, um zu sehen, wie man wohin kommt. Kollege Kubicki, man muss dazu konsequenterweise sagen: Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt darüber nachdenken, wo Gerichte stehen müssen, dann müssen wir im Grunde wieder neue Gerichtsstandorte eröffnen. Ich komme aus Dithmarschen. Gehen Sie einmal nach Pahlen. Das ist ein paar hundert Meter von Erfde und der Grenze nach Schleswig-Flensburg entfernt. Fahren Sie von dort einmal zum Amtsgericht nach Meldorf. Das ist eine elendige Reise, die wir hier zumuten. Ich kenne aber aus Dithmarschen nicht eine einzige Klage eines Bürgers oder einer Bürgerin dahin gehend, dass dies nicht zumutbar oder machbar wäre. Man ist nicht jeden zweiten Tag vor Gericht.

(Holger Astrup [SPD]: Jedenfalls nicht alle! - Heiterkeit)

Im Einzelfall ist das für diejenigen, die nicht motorisiert sind, auch einmal machbar. Die Gerichte nehmen außerdem auf solche Situationen sehr viel Rücksicht. Gerade unter diesem Gesichtspunkt finden viele Verhandlungen vor Ort statt.

Der Herr Justizminister hat darauf hingewiesen: Wenn ich mir angucke, was zu Beginn der 70erJahre gemacht wurde, als man etwa 30 Gerichtsstandorte geschlossen hat, die auch einen symbolischen Wert hatten, denn auch die Amtsgerichte in Tönning und in Friedrichstadt haben eine Bedeutung, dann wird deutlich, dass dies einschneidend war. Niemand aber denkt im Traum daran, dies wieder umzukehren.

Daher sage ich: Das, was jetzt stattfindet, ist insofern durchaus gerechtfertigt, als dass wir uns einmal das Thema der Spezialisierung ansehen müssen. Wir haben darüber diskutiert. Wir haben mittlerweile nahezu 15 Fachanwaltschaften. Ich arbeite viel zum Thema Arzthaftungsrecht. Wenn ich zum Amtsgericht fahre, dann treffe ich dort bei Fällen, bei denen der Streitwert etwa bei 4.500 € liegt, was im Falle von Fehlbehandlungen im Krankenhaus und Schmerzensgeld schon eine Menge Geld ist, auf einen Richter, der gerade eine Mietsache oder drei Verkehrsunfälle hinter sich hat. Dieser Richter macht kein Arzthaftungsrecht. Bei Fällen mit einem Streitwert von 5.500 € gehe ich zum Landgericht. Dort wird dieser Fall nicht von einem Einzelrichter verhandelt, sondern von einer ganzen Kammer, also von drei Berufsrichtern. Diese Berufsrichter haben sich nur auf Berufshaftungsrecht spezialisiert. Dies hat ein ganz anderes Niveau. Dieses Minus an Spezialisierung und dieses Weniger an Fachlichkeit, das wir an den Amtsgerichten haben, können wir durch diese Reform nicht voll kompensieren, aber wir fangen es in einem gewissen Maße auf. Das ist sinnvoll und gut und deshalb machen wir das.

(Beifall bei CDU und SPD)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolleginnen! Lieber Kollege Wadephul, ich bin immer wieder beeindruckt von der Argumentation des Fraktionsvorsitzenden der Union. Man muss bei den Sätzen immer etwas nachdenken, um dahinter zu kommen, was damit eigentlich gemeint ist. Niemand in diesem Saal will irgendwo die Wiedereröffnung von Amtsgerichten. Die spannende Frage ist aber, warum zum jetzigen Zeitpunkt beispielsweise das Amtsgericht Kappeln geschlossen werden muss. Dass wir im Hamburger Randbereich Strukturveränderungen vornehmen können, steht außer Frage. Wenn das Argument aber Effizienz, Größe und sachliche Ausstattung lautet, auf die ich noch zurückkomme, dann reichen in Schleswig-Holstein vier Amtsgerichte in den großen Städten. Dadurch erreicht man eine Spezialisierung und eine Größe, die ausreichend ist, um alle Anforderungen, die auch vom Kollegen Stritzl so vehement auf den Tisch geworfen wurden, möglicherweise zu erfüllen. Ich habe daran allerdings Zweifel, denn ich

(Dr. Johann Wadephul)

stelle fest: Je größer ein Amtsgericht ist, desto ineffizienter wird es eigentlich, weil die Verwaltungsstruktur, die dazwischen hängt, unheimlich viele Probleme bereitet. Man muss sich nur die Amtsgerichte in Hamburg und Berlin angucken. Man muss sich angucken, wie viel Leerlauf bei dieser Größenordnung vorhanden ist und wie mangelhaft die Kommunikation untereinander gelegentlich ist.

Zu dem Argument der Bürgernähe sage ich: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die den öffentlichen Personennahverkehr benutzen. Um mich geht es dabei auch nicht. Ich wohne auch nicht in Kappeln oder in Maasholm. Das Argument der Bürgernähe ist aber ein Argument, das Sozialdemokraten und Vertreter der Christlichen Union immer vor sich hertragen.

(Beifall bei der FDP)

Hier muss man schon fragen, wie man mit Leuten umgeht, die nicht über Autos, Dienstwagen oder andere Verkehrsträger verfügen und auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sind. Das sind in aller Regel ältere Leute und sozial Schwächere, die nicht die Möglichkeit haben, sich im Zweifelsfall einen fachspezialisierten Anwalt zu leisten, der nur gegen Honorarvereinbarungen und nicht auf Basis von Prozesskostenhilfe arbeitet. Abgesehen davon müssen die Menschen vor Gericht auch immer erst einmal Prozesskostenhilfe erreichen. Diese Menschen müssen sich vom Gericht einen Beratungsschein abholen, um überhaupt mit einem Anwalt kommunizieren zu können. Man muss also im Kopf haben, dass die Leute erst einmal zum Gericht müssen, um sich dort einen Beratungsschein zu holen, um dann einen Anwalt aufsuchen zu können, der sich mit ihrem Problem beschäftigt.

(Beifall bei der FDP - Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das ist falsch!)

- Herr Kollege Wadephul, das ist überhaupt nicht falsch. Ich sehe schon, Sie haben noch nie in diesem Bereich gearbeitet. Wir leisten in dieser Frage gern Nachhilfe.

Herr Kollege Wadephul, das Argument der Spezialisierung würde ich gelten lassen, wenn die von Ihnen zitierten Fälle amtsgerichtlicher Entscheidungen bei den Leuten, von denen Sie glauben, sie seien in der Materie nicht so zu Hause, mit einer höheren Aufhebungsquote versehen wären. Das sind sie aber nicht. In diesem Land sind Entscheidungen von kleineren Amtsgerichten bei Landgerichten nicht mit einer höheren Aufhebungsquote versehen als von größeren Amtsgerichten. Insofern kann das Argument nicht zutreffen. Es stimmt in der Regel

auch nicht. Ich habe schon Kammern erlebt, die glaubten, sie seien spezialisiert. Ich war verzweifelt darüber, wie die Spezialisierung ausgesehen hat, weil die Fluktuation bei den Richtern auch dazu führt, dass Richter sich in eine Materie einarbeiten müssen. Wenn sie ein bis drei Jahre in einer Kammer sind und diese anschließend wieder verlassen müssen, dann ist die Spezialisierung in diesem Bereich nicht so manifest. Vielleicht ist sie das bei dem Vorsitzenden, der länger da ist. Bei den beisitzenden Richtern ist dies jedenfalls nicht so.

Man kann die Frage der Spezialisierung anders lösen. In anderen Bereichen haben wir das auch gemacht. Man kann dies zum Beispiel durch funktionale Zuständigkeiten lösen. Wir können für bestimmte Bereiche Schwerpunktgerichte schaffen. Dazu müssen wir keine Amtsgerichte auflösen. Da es momentan dafür kein sinnvolles Begründungselement außer dem gibt, dass die große Koalition es vereinbart hat, stellt sich mir wirklich die Frage, ob wir das umsetzen müssen. Herr Kollege Wadephul, ich frage mich wirklich, was in der CDU-Fraktion eine Veränderung der Bewusstseinslage herbeigeführt hat.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das steht bei uns im Programm!)

Vor über einem Jahr war die CDU-Fraktion noch mit uns der gleichen Auffassung. Bei Ihnen im Wahlprogramm steht, dass das Amtsgericht Kappeln aufgelöst wird? - Ich bin in 14 Tagen bei dem Bürgermeister der Gemeinde Kappeln. Der wird mir erzählen, was die Union vor Ort vor der Wahl gesagt hat. Wir müssen uns fragen, was dazu geführt hat, dass sich diese Haltung verändert hat. Das ist die spannende Frage. Es geht nicht um den Grundsatz der Strukturreform. Es geht um die Frage: Warum diese Reform und warum jetzt? Es gibt dafür kein sachliches Begründungselement. Deshalb denke ich, wir sollten uns im Ausschuss noch einmal intensiver darüber unterhalten.

(Beifall bei der FDP)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung. Ich habe meinen Redebeitrag mit der vorigen Justizministerin abge

(Wolfgang Kubicki)

stimmt, um dem vorzubeugen, was Sie hier gemacht haben, als Sie versucht haben, diese sozusagen als Kronzeugin für Ihre Reform zu benennen. Das geht so nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dagegen verwahre ich mich, auch im Namen von Frau Lütkes. Das Manko der Fachlichkeit, wie es von Herrn Wadephul hier beschrieben worden ist, können Sie bei dieser Reform nun wirklich nicht beseitigen. Es ist eine Reform, die sich sowieso nur auf zwei Kreise bezieht.

Zur Bürgernähe sagt Ihr Konzept überhaupt nichts, auch wenn das hier so betont wird.

Mein Vorschlag ist also, grundsätzlich noch einmal nachzudenken und ein abgestimmtes Konzept für eine Justizreform in ganz Schleswig-Holstein vorzulegen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es auch ganz kurz machen, aber der Beitrag des Kollegen Wadephul reizt mich denn doch, ein paar Bemerkungen zu machen.

Wer sich mit Geschichte beschäftigt, lernt auch, dass man nicht falsche Parallelen ziehen darf. Das ist vielleicht der eigentliche Nutzen von Geschichte. Wenn gesagt wird, dass wir mit der Amtsgerichtsstruktur Sachen nicht zu Ende geführt haben, und wenn gesagt wird, dass Kappeln eigentlich schon im ersten Anlauf der Amtsgerichtsreform hätte gestrichen werden müssen, dann vergisst man, dass deutlich gesagt wurde, warum Kappeln ausgenommen wurde. Es waren andere als justizfachliche Gründe, die dazu führten, dass Kappeln ausgenommen wurde. Wer sich die Landkarte der Verteilung der Amtsgerichte noch einmal ansieht, wird sehen, dass es im Landesteil Schleswig wesentlich weniger Amtsgerichte gibt als südlich des Kanals. Das hat auch Gründe, denn dort wurde die Amtsgerichtsreform nicht zu Ende geführt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, dass man sich im Ausschuss noch einmal mit der Frage beschäftigt, wie wir eine gerechte Strukturreform für das ganze Land hinbekommen. Dass

Amtsgerichte vor Ort anders wahrgenommen werden als nur als Gerichte – das denke ich -, ist eine Binsenwahrheit. Das muss für uns auch eine Rolle spielen. Wir haben eine Verpflichtung dem ganzen Land gegenüber, nicht zuletzt auch gegenüber den strukturschwachen Regionen. Dazu gehört die Region Kappeln.

(Beifall beim SSW)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der Fraktion der SPD, dem Herrn Abgeordneten Lothar Hay.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Spoorendonk reizt mich selten zu einem Kurzbeitrag, diesmal muss ich doch darauf reagieren. Ich bin seit wenigen Tagen 56 Jahre alt und in diesen 56 Jahren zweimal beim Gericht gewesen. Das heißt, es gibt andere Behörden, die verlangen die Bürgernähe.

Zweite Bemerkung. Es gab in den 70er-Jahren durchaus nicht fachliche Gründe - die hatten auch etwas mit der damaligen SPD-Fraktion zu tun -, dass Kappeln nicht geschlossen wurde. Das galt auch für Lauenburg mit den vier Amtsgerichten. Diese nicht fachlichen Gründe gelten heute nicht mehr, weil man nach mehr als 20 Jahren einen zweiten Schritt bei der Amtsgerichtsstrukturreform vollzieht. In der Konsequenz Ihrer Argumentation müssten Sie eigentlich den Antrag stellen, die Amtsgerichte Tönning, Friedrichstadt, Wyk und in Dithmarschen inklusive Bordesholm wieder aufzumachen, weil dort die gleichen Verkehrsverhältnisse gelten. Das wäre die Konsequenz Ihrer Argumentation. Diese Anträge können Sie hier gern zum Haushalt 2007/2008 stellen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Im Rahmen der verbleibenden Redezeit erteile ich das Wort dem Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herrn Uwe Döring.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann das ganz kurz machen. Lothar Hay hat schon einige Sachen vorweggenommen, die ich nur unterstreichen kann. Ich möchte nur noch auf eine Ange

(Karl-Martin Hentschel)