Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

1. Die Wählerin bzw. der Wähler hat so viele Stimmen, wie Vertreterinnen und Vertreter zu wählen sind.

2. Die Wählerin bzw. der Wähler kann ihre bzw. seine Stimmen nur Bewerberinnen und Bewerbern geben, deren Namen im Stimmzettel aufgeführt sind.

3. Die Wählerin bzw. der Wähler kann innerhalb der ihr bzw. ihm zustehenden Stimmenzahl einer Bewerberin bzw. einem Bewerber bis zu drei Stimmen geben (kumulieren).

4. Die Wählerin bzw. der Wähler kann ihre bzw. seine Stimmen innerhalb der ihr bzw. ihm zustehenden Stimmenzahl Bewerberinnen bzw. Bewerbern aus verschiedenen Wahlvorschlägen geben (panaschieren).“

(Heiterkeit bei der CDU)

„5. Die Wählerin bzw. der Wähler vergibt ihre bzw. seine Stimmen durch Ankreuzen oder eine andere eindeutige Kennzeichnung. Bewerberinnen bzw. Bewerbern, deren Namen von der Wählerin oder dem Wähler gestrichen wurden, werden keine Stimmen zugeteilt.

6. Liegen in einem Wahlgebiet mehrere Wahlvorschläge vor, dann kann die Wählerin bzw. der Wähler durch Kennzeichnung eines Wahlvorschlags diesen unverändert annehmen (Listenstimme).“

(Heiterkeit bei der CDU)

„In diesem Fall wird jeder bzw. jedem auf dem Stimmzettel aufgeführten Bewerberin bzw. Bewerber in der Reihenfolge des Wahlvorschlags von oben nach unten eine Stimme zugeteilt. Bei Mehrfachbenennungen erhalten dreifach aufgeführte Bewerberinnen bzw.

Bewerber drei Stimmen, doppelt aufgeführte Bewerberinnen bzw. Bewerber zwei Stimmen.“

(Heiterkeit bei SPD und CDU)

„Eine unveränderte Annahme des Wahlvorschlags liegt nicht vor, wenn die Wählerin bzw. der Wähler in einem oder mehreren Wahlvorschlägen einzelnen Bewerberinnen oder Bewerbern Stimmen gibt.“

Soweit das Zitat zur Stimmabgabe, die „sehr einfach“ erscheint.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei SPD und CDU)

Herr Kollege Puls, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Heiner Garg?

Herr Kollege Puls, ich möchte gern wissen, ob Sie die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner für weniger intelligent halten als BadenWürttemberger, Hessen oder NordrheinWestfalen, die alle mit diesem Wahlsystem wunderbare Erfahrungen haben.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei CDU und SPD)

- Herr Kollege Garg, ich halte die Schleswig-Holsteiner selbstverständlich für mindestens genau so klug wie alle Bürgerinnen und Bürger anderer Bundesländer.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wo ist dann Ihr Problem?)

Aber ich will ein einfaches, ein praktikables Wahlsystem haben, so wie wir es jetzt haben, das die ohnehin zur Wahlenthaltung neigenden Bürger nicht noch mehr von der Wahlurne fernhält, als dies bereits jetzt schon der Fall ist.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herr Kollege Garg, ich bin Jurist, ich bin der deutschen Sprache mächtig, ich bin politisch informiert, interessiert und engagiert. Dennoch wäre ich nicht in der Lage, einem Wähler, der auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht mitbringt, das von den Grünen vorgeschlagene Wahlverfahren zu erläutern, damit er es versteht,

(Klaus-Peter Puls)

(Günther Hildebrand [FDP]: Das ist aber nicht unser Problem! - Zuruf des Abgeordne- ten Wolfgang Kubicki [FDP])

damit er aus einer möglichen Wahlenthaltsamkeit wieder zur Wahlurne gelockt wird, damit er sagt: „Meine Mitbestimmungsmöglichkeiten haben sich verbessert. Ich weiß, dass und wie sich meine Stimmabgabe konkret auf die Zusammensetzung meines Gemeinde- und Kreisparlaments auswirkt. Ich gehe wählen.“

Nein, meine Damen und Herren von der grünen Fraktion, mit solchen Vorschlägen locken Sie keine Wähler an, sondern Sie schrecken sie ab. Das ist das Entscheidende.

Wahlrecht wird nicht für die Parteien gemacht, sondern für die Menschen, von denen wir gewählt werden wollen.

(Beifall bei SPD und CDU - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)

Die Wähler, nicht wir, entscheiden über die Zusammensetzung unserer Parlamente. Dazu bedarf es einfacher, transparenter, durchschaubarer Wahlverfahren. Mit Paragraphenkauderwelsch und höherer Mathematik locken wir keinen zusätzlichen Wähler hinter dem Ofen hervor. Was Sie vorschlagen, bedeutet wieder Wählerabschreckung. Es ist sicherlich sinnvoll und legitim, immer wieder einmal zu überprüfen, ob das bei uns praktizierte Wahlverfahren noch optimal ausgestaltet und organisiert oder ob es funktionell verbesserungsfähig oder reparaturbedürftig ist. Wahlrechtsreform als Überlebenshilfe für Kleinstfraktionen lehnen wir allerdings ab.

(Lebhafter Beifall bei SPD und CDU)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon merkwürdig, was wir hier als Begründung gegen diesen Gesetzentwurf von den beiden großen Parteien hören.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So viel Unsinn innerhalb so kurzer Zeit habe ich hier selten zu hören bekommen. Ich muss das einfach so sagen.

Herr Kollege Puls, die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen in Ländern, in denen es das Kumulieren und Panaschieren gibt, ist genauso hoch wie in Schleswig-Holstein. Ich habe eher das Gefühl, dass Sie das Wahlsystem den Ergebnissen der PISA-Studie anpassen wollen und eben doch den SchleswigHolsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern nicht so viel Grips zutrauen, entsprechend zu wählen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Puls, wenn Sie das den Wählerinnen und Wählern möglicherweise nicht erklären können, so ist das Ihr Problem, aber nicht unseres und auch nicht das Problem der Wählerinnen und Wähler.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Wengler, auch Ihre Einlassungen zu diesem Gesetzentwurf sind merkwürdig.

Insgesamt kann man feststellen: Beiden großen Fraktionen geht es wirklich nur darum, ungerechtfertigterweise besser in den Kommunalparlamenten vertreten zu sein.

Denn Sie wissen ganz genau, dass durch die Fünfprozenthürde zum Beispiel bis zu 9 % der Wählerinnen und Wähler, die beispielsweise eine Partei oder einen Einzelbewerber gewählt haben, in kleinen Parlamenten nicht vertreten sind. Die wollen Sie ausschließen. Hinzu kommt, dass durch das d’Hondtsche Verfahren sowohl bei der Sitzverteilung als auch nachher bei der Ausschussbesetzung und so weiter kleinere Parteien grundsätzlich benachteiligt werden und die großen bevorteilt werden.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wenn Sie diese ungerechtfertigten Vorteile nutzen wollen, dann müssen Sie natürlich gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. Aber auf der anderen Seite kann ich ja wirklich die CDU nur dazu beglückwünschen, dass sie eine große Koalition eingegangen ist. Denn wenn Sie nach der letzten Wahl mit uns hätten koalieren können oder müssen - je nachdem, wie Sie es nennen -, dann wäre dieses hier mit Sicherheit in dieser Legislaturperiode beschlossen worden, weil wir es natürlich zur Bedingung gemacht hätten. Sonst wäre es gar nicht zu so einer Koalition gekommen.

(Beifall bei der FDP - Heiterkeit)

Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist im Grundsatz mit Initiativen der FDP-Landtagsfraktion aus der letzten Legislaturpe

(Klaus-Peter Puls)

riode inhaltsgleich. Daher wird es Sie auch nicht wundern, dass wir diesen Gesetzentwurf begrüßen und ihn auch unterstützen werden. Dennoch ist der von den Grünen vorgelegte Entwurf unvollständig, weil er sich nur isoliert mit dem Wahlrecht befasst und nicht das gesamte Kommunalverfassungsrecht in Form der Gemeinde-, Kreis- und Amtsordnung mit umfasst. Sollte dieser Gesetzentwurf nämlich wirklich so beschlossen werden, was wir uns allerdings - und das ist ja hier eben auch demonstriert worden - bei der Haltung der beiden großen Fraktionen nicht vorstellen können, dann führte er zu einer Reihe von systematisch einander widersprechenden Gesetzestexten.

Meine Damen und Herren, so sehr wir es begrüßen, dass künftig die Mandatsberechnungen in den Kommunalvertretungen nach dem Verfahren Sainte Laguë/Schepers berechnet werden sollen, müssen wir hier jedoch feststellen, dass beispielsweise die Ausschussbesetzungen in den Gemeinden oder Kreisen dann immer noch nach dem d’Hondtschen Verfahren vorgenommen würden. Darüber hinaus hat das rot-grüne Gesetz zur Gemeinde- und Kreisordnung vom Januar 2005 die Rechte der Einzelvertreter in den Gemeinde-, Stadt- und Kreisparlamenten erheblich eingeschränkt. Stellvertretenden Ausschussmitgliedern ist seinerzeit das Rede- und Antragsrecht genommen worden und das behindert Einzelvertreter seitdem nachhaltig bei ihrer Arbeit. Daran haben letztlich auch die Grünen mitgewirkt. Es besteht also auch hier Regelungsbedarf. Einzelnen Gemeindevertretern oder Parteien beziehungsweise Wählergemeinschaften, die die Fünfprozenthürde überwunden haben, sind generell die Rechte einer Fraktion zuzuerkennen, damit auch sie in den Genuss eines Grundmandats in allen Ausschüssen kommen können.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, dies sind Beispiele, über die wir uns noch unterhalten müssen, wenn dieser Gesetzentwurf Sinn machen soll.