Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

Zur angeblich nicht ausreichenden demokratischen Kontrolle der Verwaltungschefs nur so viel: In § 27 der Gemeindeordnung ist nachzulesen: „Die Gemeindevertretung trifft alle für die Gemeinde wichtigen Entscheidungen und überwacht ihre Durchführung.“ Das war vor den Direktwahlen so, das ist mit den Direktwahlen so, das wird auch so bleiben.

Meine Damen und Herren, ausschlaggebender Grund dafür, dass wir diesmal in nähere Beratungen darüber eintreten werden, ob wir dem SSWAntrag nicht zumindest in Teilen folgen sollten, ist die in den vergangenen Jahren in der Tat jedenfalls bei Landratswahlen erschreckend niedrige Wahlbeteiligung. Hierauf hat Frau Spoorendonk heute auch ganz deutlich hingewiesen. Wenn speziell bei Alleinbewerbungen zum Beispiel in Dithmarschen 2002 nur 12,3 %, in Segeberg 2002 nur 14,0 % und in Steinburg 2006 nur 14,1 % zur Landratswahl gehen und wenn bei Konkurrenzbewerbungen wie zum Beispiel in Schleswig/Flensburg am 7. Mai dieses Jahres nur 23,2 % zur Wahl gehen, dann muss die Frage erlaubt sein, ob das so spärlich in

(Werner Kalinka)

Anspruch genommene Mehr an Demokratie den damit immer auch verbundenen Mehraufwand an Organisation, an haupt- und ehrenamtlichem Einsatz und an knappen finanziellen Ressourcen noch rechtfertigt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir werden das mit den Fraktionen der großen Koalition in einer Facharbeitsgruppe erörtern und unsere Ergebnisse zeitnah in die Fachausschussberatungen des Landtages einspeisen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls und erteile das Wort für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahlrecht ist ein wesentlicher Bestandteil des kommunalen Verfassungsrechts. Es ist ein Essential der Demokratie. Diese Worte fand Landrat Dr. Volkram Gebel im schleswig-holsteinischen Zeitungsverlag im Zusammenhang mit der Debatte um die vom SSW beabsichtigte Abschaffung der Direktwahl der Landräte. Landrat Gebel wusste, wovon er sprach. Er selbst wäre nämlich heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals Landrat im Kreis Plön geworden, wenn es die Direktwahl nicht gäbe. Landrat Gebel war nämlich von seiner eigenen Partei, der CDU, nicht mehr für eine dritte Wahlperiode nominiert worden. Die CDU in Plön zog es vor, unseren Kollegen Kalinka aufzustellen. Bei einer Wahl durch die Mitglieder des Kreistages wäre mit Sicherheit der Kollege Kalinka zum Landrat gewählt worden, weil die CDU im Kreistag dort die absolute Mehrheit hat. Die Bürgerinnen und Bürger entschieden hingegen anders. Sie wählten Herrn Gebel erneut zum Landrat und sorgten dafür, dass der von uns und von allen Seiten geschätzte Kollege Kalinka dem Landtag erhalten blieb, eine für alle Seiten weise Entscheidung.

(Heiterkeit und Beifall)

Dieser Vorgang zeigt beispielhaft, worum es bei den Direktwahlen geht. Es geht um Bürgerbeteiligung, es geht um die unmittelbarste Form der Demokratie.

Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger, also auch wir hier, können selbst entscheiden. Dieses ist ein Gut, ein Privileg, das nicht nur in Zahlen gemessen werden kann und darf. Auslöser für den heutigen Gesetzentwurf war aber anschei

nend genau diese Denkweise in Zahlen getreu dem Motto, ein demokratisches Privileg, das anscheinend nur wenige zu schätzen wissen, gehört abgeschafft. So rechnete die Vorsitzende des SSW, unsere Kollegin Anke Spoorendonk, vor. Die Wahlbeteiligungen bei Landratswahlen allgemein und bei der letzten Landratswahl im Kreis Schleswig-Flensburg insbesondere waren ihrer Meinung nach zu gering und sie forderte deshalb erneut wie bereits vor einigen Jahren die Abschaffung dieser Form der Bürgerbeteiligung.

Wir halten diese Form der Argumentation für ein wenig zu einfach. Aus unserer Sicht hat sich die Direktwahl durchaus bewährt. Landräte und Bürgermeister sind heute durch ihr Direktmandat von den Bürgerinnen und Bürgern selbstbewusster und weniger parteipolitisch orientiert. Sie können sowohl für den Innenminister als auch für absolute Mehrheiten in Kreistagen oder Gemeindevertretungen ein notwendiger Gegenpol sein. Die Bedeutung direkt gewählter Landräte sehen wir aktuell in der Debatte um die Verwaltungsstrukturreform. Dort streiten die Landräte mit großem Selbstbewusstsein zum Beispiel gegen den Unsinn der Einführung von kommunalen Verwaltungsregionen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Die Landräte können dies, weil sie nur den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet sind und weil sie auf CDU und SPD im Landtag keine Rücksicht nehmen müssen.

(Wortmeldung des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Herr Kollege Hildebrand, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, vielen Dank, ich komme sonst nicht durch.

Dann wird oft von den Befürwortern der Abschaffung der Direktwahl der Landräte und hauptamtlichen Bürgermeister ins Feld geführt, mit der Einführung sei das kommunalpolitische Ehrenamt geschwächt worden. Wir haben das heute auch wieder gehört. Zugestehen muss man, dass den Vertretern in den Kreistagen Einfluss genommen wurde. Dieser Einfluss beschränkte sich aber im Wesentlichen auf Posten und Personen. Politisch sind auch heute noch die Landräte verpflichtet, Beschlüsse - Herr Puls zitierte das - der Kreistage und Gemeindevertretungen umzusetzen. Sie sind allerdings verpflich

(Klaus-Peter Puls)

tet, diesen zu widersprechen, wenn die Beschlüsse gegen geltendes Recht verstoßen. Das ist eine sinnvolle Regelung. Sie würde auch weiter gelten, wenn die Direktwahl abgeschafft würde.

Dadurch wird aber auch klar, was mit der Abschaffung der Direktwahl bezweckt werden soll. Die Befürworter wollen bei der Besetzung von Posten und Positionen künftig wieder mehr Einfluss nehmen. Es geht ihnen also nicht um politische Gestaltungsmöglichkeiten des Ehrenamts.

Nur nebenbei: Dem Innenminister, der diese Debatte ja erst losgetreten hat und dafür fast seine Entlassungsurkunde in Empfang nehmen durfte - wenn man dem „Focus“ Glauben schenken darf -, geht es doch auch nur darum, seine Position in den Verhandlungen über die Verwaltungsstrukturreform zu stärken. Aber es wäre schon ein kleiner Treppenwitz der Geschichte, wenn gerade Minister Stegner seinen Sitz am Kabinettstisch ausgerechnet der Bundeskanzlerin zu verdanken hätte.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Aber ein netter Witz! - Beifall bei der FDP)

Überhaupt, Herr Innenminister, in einem Interview des „Deutschlandradios“ am 7. Oktober 2005 hatten Sie noch zur Koalitionsbildung in Berlin von sich gegeben, dass Postengeschacher von den Bürgern nicht akzeptiert wird. Mit Ihrer Forderung zur Abschaffung der Direktwahl von Landräten leisten Sie einem solchen Geschacher Vorschub.

Nein, wer die Direktwahl der Landräte und der hauptamtlichen Bürgermeister abschaffen will, der kann auch gleich Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene abschaffen. Nur zur Erinnerung: In Kreisen bedarf es hierzu nur 10 % aller Bürgerinnen und Bürger, die ein Bürgerbegehren unterzeichnen, und bei der Abstimmung nur 20 % der Bürgerinnen und Bürger, die einem Bürgerentscheid zumindest zustimmen müssen. In diesen Entscheiden wird auch materiell in die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunalvertreter eingegriffen. In der Vergangenheit hat nach meiner Erkenntnis auch der SSW immer für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide gekämpft. Dort lagen sie richtig. Deshalb sollten wir alle zusammen diese Initiative des SSW ablehnen.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand. - Bevor ich weiter das Wort erteile, begrüße ich auf der Tribüne sehr herzlich Schülerinnen und Schüler der Thomas-Mann-Schule aus Lübeck sowie Schülerinnen und Schüler der Beruflichen

Schulen des Kreises Segeberg mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten KarlMartin Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Fall Plön - ich komme aus dem Kreis Plön - wäre Anlass, noch einmal zu überdenken, ob man die Direktwahl der Landräte nicht beibehalten sollte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Heiterkeit)

Immerhin hat es der Kollege Kalinka durch seine kommunalpolitischen Aktivitäten geschafft, die Wahlbeteiligung in Höhen zu treiben, wie sie in keinem anderen Kreis erreicht wurden. Das muss man ihm immerhin zugestehen, auch wenn dies nicht mit Erfolg gekrönt gewesen ist.

Nach den geringen Wahlbeteiligungen bei den Landratswahlen muss man feststellen, dass diese Neuerung bei den Wählerinnen und Wählern nicht sonderlich angenommen worden ist. Ich vermute, dass das zwei Gründe hat. Das unterscheidet das auch von den Bürgermeistern, Anke Spoorendonk.

Zum Ersten ist der Landrat in erster Linie untere Landesbehörde. Nur 10 % seiner Tätigkeit betreffen Selbstverwaltungsaufgaben. Das ist bekannt. Das spielt eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung.

Zum Zweiten ist die Institution des Landkreises an sich für die Bürgerinnen und Bürger von eher geringer Bedeutung. Wenn sie einmal mit dem Kreis zu tun haben, dann, weil er eine Servicefunktion für sie bietet, für die die Gemeinde zu klein ist. Der typische Kontakt mit dem Kreis ist die Anmeldung des PKWs. Die wird aber wenig mit dem Landrat in Verbindung gebracht. Deswegen führt das nicht zu einer Identifikation mit dem Kreis oder mit der Landrätin oder dem Landrat. Deswegen ist meine Fraktion nach den Erfahrungen der letzten Jahre durchaus bereit, die Direktwahl der Landräte wieder abzuschaffen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte es mir einfach machen und sagen: „Damals waren wir auch dagegen und wir haben Recht behalten“, denn wir haben uns damals gegen die Einführung der Direktwahl ausgesprochen - ich

(Günther Hildebrand)

glaube, auch aus guten Gründen -, aber ich muss feststellen, dass man lernfähig ist und ich mittlerweile bezüglich der Bürgermeister eine andere Meinung habe. Die Direktwahl der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister hat sich bewährt. Sie hat zu einer deutlich stärkeren Wahrnehmung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister geführt, zu einer höheren Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern. Deshalb bin ich im Unterschied zum SSW nicht dafür, die Direktwahl der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wieder abzuschaffen.

Ich finde, das ist eine gute demokratische Errungenschaft, die sich in der Praxis bewährt hat, die auch zu einer hohen Akzeptanz geführt hat. Da kann man natürlich auch wieder gute Beispiele bringen. Ich nenne als Beispiel die Bürgermeisterin von Westerland auf Sylt. Sie wurde erst von der CDU aufgestellt, ist gewählt worden. Dann wollte die CDU sie nicht mehr. Dann hat die SPD sie aufgestellt. Sie ist trotzdem wieder gewählt worden. Dann wollte die SPD sie auch nicht mehr. Dann haben wir sie unterstützt. Und sie ist noch einmal gewählt worden.

(Peter Eichstädt [SPD]: Das ist überra- schend!)

Ich finde, das ist ein gutes Beispiel für kommunale Demokratie

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und zeigt, dass Bürgermeisterinnen, die jeden Morgen mit dem Fahrrad zum Rathaus fahren, auch Erfolg haben können.

Nun kommen wir zu einem zweiten Punkt, der auch schon genannt worden ist. Das ist die Frage der Magistratsverfassung, also die Frage: Wie ist die Kommune eigentlich insgesamt verfasst? In der Tat war die Magistratsverfassung bekanntlich eine preußische Städteordnung, die von dem Reformpolitiker Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom Stein 1808 mit dem Ziel eingeführt worden ist, die preußischen Bürger enger an das Gemeinwesen zu binden. Sie hatte die Philosophie, dass die Bürger nicht nur Regelungen für die Stadt erlassen sollten, sondern sie auch in die Leitung der Verwaltung, die Personalangelegenheiten und sonstige Fragen einbezogen werden sollten.

Die Magistratsverfassung ist im Zusammenhang mit der Einführung der Direktwahl geändert worden. Auf unser Betreiben hin sind in der letzten Koalition eine Reihe von Punkten rückgängig gemacht worden. Das hat zu einer Stärkung der Selbstverwaltung geführt. Trotzdem muss, wenn man die Di

rektwahl der Landräte wieder abschafft, diskutiert werden, welche Konsequenzen das für die gesamte Kommunalverfassung haben wird. Ich stimme denen zu, die sagen: Wenn wir über die Direktwahl neu diskutieren, sollten wir auch noch einmal über die Konstruktion der Magistratsverfassung reden.

Ich war über den Beitrag der CDU sehr amüsiert. Ich erinnere mich an die Zeit - ich war noch nicht im Parlament; das war, glaube ich, 1994 -, als die CDU mit der Drohung eines landesweiten Volksentscheides die Kommunalpolitiker und die sonstigen Politiker der SPD in eine solche Angst vor einem Volksentscheid versetzt hat, dass sie damals sagten: Okay, wir führen das ein. Das heißt, die damalige Mehrheit der SPD hat damals auf Druck, aufgrund der Androhung eines Volksentscheides durch die CDU die Direktwahl eingeführt. Insofern löst der Beitrag von Herrn Kalinka bei mir historisches Amüsement aus.