Protokoll der Sitzung vom 28.06.2006

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei steigenden Schulabgängerzahlen ist es nach wie vor eine Herausforderung, unserem Ziel nahe zu kommen, allen ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen Angebote für Ausbildung und Qualifizierung zu machen. Anders als der Kollege Hentschel bin ich der Meinung, dass das Bündnis für Ausbildung in Schleswig-Holstein ein Erfolgsmodell ist. Wenn wir das Bündnis für Ausbildung nicht hätten, wäre die Lage in Schleswig-Holstein sicherlich deutlich schlechter. Das zeigt ein Vergleich der Zahlen in den Bundesländern.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich möchte an dieser Stelle ganz ausdrücklich allen Akteuren im Bündnis für Ausbildung danken. Denn sie haben erreicht, dass die Zahl der Ausbildungsstellen - zuletzt noch durch die Aktivitäten am Tag der Ausbildung, an dem auch mehrere Kolleginnen und Kollegen Landtagsabgeordnete beteiligt waren - deutlich gestiegen ist.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei allen Erfolgen aber - da gebe ich dem Kollegen Hentschel Recht - bleibt viel zu tun. Denn die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt bleibt weiterhin angespannt. Die Lücke zwischen unbesetzten Ausbildungsstellen und noch nicht vermittelten Bewer

berinnen und Bewerbern ist zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres groß. Für zahlreiche Bewerberinnen und Bewerber stehen noch nicht in ausreichendem Maße Angebote bereit, eine Situation, die sich in den nächsten Monaten noch ändern muss, aber auch ändern kann.

Der Kollege Callsen hat schon auf die Statistik hingewiesen. Daher will ich nur noch kurz deutlich machen, dass die Zahl der ausbildungswilligen Jugendlichen, denen wir keine Ausbildungsstelle zur Verfügung stellen können, zwar um 23 % gestiegen ist; im Gegenzug dazu aber ist die Anzahl der offenen Ausbildungsstellen um 13,8 % in SchleswigHolstein gestiegen. Auch melden nicht alle Betriebe die bei ihnen verfügbaren Stellen den Agenturen für Arbeit, sodass noch mit einem versteckten Potenzial zu rechnen ist, das wir in der gemeinsamen Aktion des Bündnisses für Ausbildung zu Beginn des Ausbildungsjahres noch erschließen können.

Vor allem Jugendliche mit Hauptschulabschluss und schlechten schulischen Leistungen haben geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Dazu kommen Jugendliche und junge Erwachsene, die Arbeitslosengeld II beziehen und teilweise lange Maßnahmenkarrieren hinter sich haben, ohne dass sie eine Ausbildung erfolgreich haben abschließen können. Die Arbeitslosenquote bei jungen Menschen unter 25 ist dadurch in Schleswig-Holstein nach wie vor überdurchschnittlich hoch.

Deswegen - da bin ich anderer Ansicht als der Kollege Hentschel - haben wir in unserem Antrag einige Impulse gesetzt und einige Maßnahmen dazu vorgeschlagen, wie man das Bündnis für Ausbildung weiterentwickeln kann. Ich will dabei einige Handlungsfelder hervorheben.

Erstens. Meiner Ansicht nach müssen wir früher anfangen und neue Instrumente nutzen. Zweitens ist es wichtig, individuell abgestimmte Förderung und Unterstützung sowohl für die Betriebe, die ausbilden oder ausbilden wollen, als auch für die Auszubildenden selbst anzubieten.

Sehr geehrte Damen und Herren, die von der Wirtschaft oft bemängelte Ausbildungsreife der Jugendlichen, die sich sowohl in fehlenden theoretischen Grundlagen als auch in fehlender sozialer Kompetenz ausdrückt, muss in enger Kooperation von Schule und Wirtschaft weiterentwickelt werden. Die Angebote der offenen Ganztagsschulen bieten hierfür neue Chancen. Es muss gelingen, dass Jugendliche und Betriebe mit realistischen Erwartungen aufeinander zugehen. Ich begrüße es deshalb sehr, dass der Arbeitsminister bei der Ausgestaltung des Zukunftsprogramms „Arbeit“ plant,

(Johannes Callsen)

zwei Drittel der zur Verfügung stehenden ESFMittel für die Förderung von Jugendlichen beim Übergang von der Schule zum Beruf auszugeben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Es besteht, glaube ich, Konsens bei allen Akteuren, dass viele Probleme bei der Vermittlung in Ausbildung ihre Wurzeln in der Schule haben. Bei der Förderung, Unterstützung und Beratung von ausbildenden Betrieben spielen die Ausbildungsplatzakquisiteure eine wichtige Rolle. Der Kollege Callsen hat schon darauf hingewiesen. Denn viele Betriebe melden ihre freien Ausbildungsplätze den Agenturen für Arbeit nicht. Das Aufgabenspektrum der Akquisiteure umfasst jedoch neben der Einwerbung von Ausbildungsplätzen auch die konkrete Vermittlung geeigneter Jugendlicher sowie die Akquirierung von Plätzen für Einstiegsqualifizierungen. Dieses Instrument hat sich im letzten Ausbildungsjahr bewährt und wurde in vielen Fällen ein Einstieg in Ausbildung. Wichtig ist aber, dass Einstiegsqualifizierungen weiter nachrangig zu Ausbildungsplätzen bleiben und diese nicht ersetzen.

Das Engagement der Türkischen Gemeinde Schleswig-Holstein zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze und zur Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in das Arbeitsleben muss weiterhin unterstützt werden. Da gebe ich dem Kollegen Hentschel ausdrücklich Recht.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kooperation zwischen der IHK zu Kiel und der Türkischen Gemeinde mit einer Ausbildungsplatzakquisiteurin, die gezielt Betriebe von Migranten aufsucht und berät, ist in diesem Jahr erfolgreich angelaufen und sollte ein Schwerpunkt weiterer Förderung sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um die Bereitschaft von Unternehmen, auch Jugendliche mit Hauptschulabschluss, vor allem in strukturschwachen Regionen, auszubilden, müssen wir weiter nachdrücklich werben. Die bisherigen guten Erfahrungen, die mit den zweijährigen Werkerausbildungen gemacht wurden, sollten auf weitere Berufsfelder ausgeweitet werden. Das ist ein ausdrücklicher Wunsch der ausbildenden Betriebe, der Handwerkskammern und der IHKs.

Eine besonders enge Kooperation der Akteure ist auch in Zukunftsfeldern, in denen wirtschaftliches Wachstum und damit Ausbildungskapazitäten zu erwarten sind, gefordert. Es handelt sich hierbei in der Regel um kleine Unternehmen oder Existenzgründer, die man beim Thema Ausbildung ganz ge

zielt beraten und davon überzeugen muss, dass Ausbildung auch für diese Unternehmen ein zukunftsweisender Weg ist.

Besondere Fördernotwendigkeiten - darauf hat auch der Kollege Callsen hingewiesen - ergeben sich für Auszubildende, die junge Mütter oder Väter sind, durch ein größeres Angebot an Teilzeitausbildungen. Interessierte Betriebe sind dabei gezielt zu beraten. Dieses Instrument ist meiner Ansicht nach bei Betrieben noch viel zu wenig bekannt.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Um einen Abbruch der Ausbildung zu vermeiden, müssen bei Schwierigkeiten in der Ausbildung Jugendliche und Betriebe mit geeigneten Maßnahmen unterstützt werden, die fachliche, sozial bedingte oder aufgrund von falschen Erwartungen entstandene Probleme auffangen.

Meiner Ansicht nach ist heute ein guter Zeitpunkt, mit allem Nachdruck an die Akteure im Bündnis für Ausbildung zu appellieren, zusätzliche Ausbildungsplätze bereitzustellen, zu akquirieren oder mit Fördermaßnahmen zu unterstützen, damit wir unser gemeinsames Ziel erreichen, jeder Schulabgängerin und jedem Schulabgänger ein Angebot machen zu können. Ich bitte Sie deshalb, unserem Änderungsantrag, den ich für inhaltlich deutlich konkreter halte, weil er einen konkreten Handlungsbedarf und konkrete Maßnahmen benennt, zuzustimmen und den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abzulehnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl der Schulabgänger steigt. Dagegen stagniert die Zahl der jährlich neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge bei geringfügigem Auf und Ab von Jahr zu Jahr. So ist die Bilanz in Schleswig-Holstein für die letzten sechs Jahre.

(Zuruf)

- Doch, das ist so. Auch wenn man einräumen muss, dass die Ausbildungsplatzbilanz in Schleswig-Holstein deutlich besser ist als in vielen anderen Bundesländern, bedeutet die von mir beschriebene Entwicklung, dass eine Schere aufgeht, wobei die Zahl derjenigen, die entweder keine Berufsausbildung erhalten oder sich in diversen vollzeitschu

(Anette Langner)

lischen Maßnahmen befinden, von Jahr zu Jahr wächst.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das zeigen beispielsweise auch die Daten in dem Anfang Juni von der Kultusministerkonferenz und vom Bundesbildungsministerium vorgelegten Bildungsbericht 2006. Auch darin ist die Entwicklung für die letzten Jahre in Deutschland insgesamt sehr eindrucksvoll beschrieben worden.

Manche der vollzeitschulischen Angebote, in denen viele junge Leute, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, landen, sind sicherlich hilfreich, weil sie zu einer höheren Qualifikation führen und damit die Chance für einen späteren Einstieg in die Berufsausbildung verbessern. Aber es gibt auch Angebote, die sich als Warteschleifen ohne weitere Perspektive erweisen. Das genau ist das Problem, über das es hier auch zu diskutieren gilt. Wenn die Regionaldirektion der Agentur für Arbeit beispielsweise davon spricht, dass mehr als die Hälfte der zurzeit knapp 18.000 arbeitslosen Jugendlichen in Schleswig-Holstein über keine Ausbildung verfügt, dann berührt dies nicht nur bildungspolitische Fragen, sondern es berührt in erheblichem Maße auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme von großer Tragweite. Darin steckt eine soziale Zeitbombe.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts dieser Lage ist das, was die Landesregierung an Problemlösungen anbietet, einfach ungenügend. Es ist kein schlüssiges Konzept erkennbar, wie das Land die Bildungs- und Ausbildungskrise überwinden könnte. Gleichzeitig häufen sich die Anzeichen dafür, dass die Landesregierung an wesentlichen Punkten das Nötige unterlässt oder einfach hoffnungslos hinter den Entwicklungen herhinkt.

Beispiel 1: Die Landesregierung unternimmt nichts oder jedenfalls nichts Spürbares, um die Ausbildungsreife der Schulabgänger - das Thema hat Kollege Callsen ja angesprochen - zu verbessern und damit den fatalen Trend, dass immer neue Warteschleifen organisiert werden müssen, zu verringern.

Beispiel 2: Schule und betriebliche Praxis sind nicht ausreichend miteinander verzahnt. Unser Nachbarland Hamburg meldete Ende Mai, also vor wenigen Wochen, dass die Zahl der Hauptschüler, die in Hamburg in ein Ausbildungsverhältnis vermittelt werden konnten, dort durch wöchentliche

Praxislerntage um bis zu 50 % gesteigert werden konnte.

Solche Meldungen hört man aus Schleswig-Holstein betrüblicherweise nicht.

Beispiel 3: Als eine unheimliche Begegnung der besonderen Art erwies sich ein gestern von mir durchgeführter Test mit dem „Sonderportal Schule@Wirtschaft“ auf dem Landesbildungsserver Schleswig-Holstein“. Einen Auszug habe ich dabei. Für die erste Irritation sorgte dabei schon der auf der Startseite platzierte Hinweis auf eine Rede, die Ministerpräsidentin Heide Simonis im Jahre 1999 gehalten hat.

Neuer Anlauf, neue Chance? - Nach Aufruf der Seite „Berufswahl“ erschien der besonders hervorgehobene Hinweis: „jetzt neu: Lehrerhandreichung bestellen!“. Wie gesagt: Thema Berufswahl! Versucht man es mit diesem Link, zeigt der Monitor jedoch eine Pressemitteilung mit der Überschrift: „Lehrerhandreichung AusbildungPlus zum Thema ‚Berufswahl’ erscheint im September 2002“.

Dabei handelt es sich, wohlgemerkt, nicht um eine zeitgeschichtliche Präsentation des Themas aus dem schleswig-holsteinischen Landesarchiv, sondern um ein Internetportal, das sich als aktuelles Informationsangebot der Landesregierung ausgibt.

Die Landesregierung eröffnet mit Vorliebe neue Baustellen, von der famosen „Gemeinschaftsschule“ bis zu den „Regionalen Berufsbildungszentren“, insbesondere im Bildungsbereich. Dort wird an allen Ecken und Enden eine neue Baugrube ausgehoben. Davor stehen Hinweistafeln mit dem Versprechen, man könne dort eines fernen Tages wahre Paläste der Volksbildung vorfinden. Das jedoch, was heute getan werden müsste, bleibt ungetan und Fragen bleiben unbeantwortet - ob nun aus mangelnder Arbeitskapazität oder weil man ohnehin nicht weiter weiß.

In dieses Bild fügt sich die traurige Tatsache, dass die berufliche Bildung hierzulande in der Bildungspolitik nicht einmal eine zweite Geige spielt. Die Leitung der zuständigen Abteilung im Bildungsministerium - es ist schade, dass die Ministerin heute nicht hier ist - ist bereits seit langem nicht mehr „vom Fach“, das heißt durch einen „Berufsbildner“ besetzt. Wie es aussieht, wird das wohl auch nach der bevorstehenden Neubesetzung so bleiben.

In dieses Bild fügt sich der Umstand, dass Schleswig-Holstein beim Lehrernachwuchs in der beruflichen Bildung weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt - im gewerblich-technischen Bereich mit einem millionenteuren Ausbildungsgang, Stu

(Dr. Ekkehard Klug)

diengang mit nur einer handvoll Absolventen pro Jahr in Flensburg, weniger, als man für das viele Geld, das dort investiert worden ist, erwarten könnte.

In dieses Bild fügt sich im Übrigen auch die Beschwerde, die kürzlich mehreren Mitgliedern des Landtages von einer Besuchergruppe von Verwaltungsauszubildenden vorgetragen worden ist, eine Klage über hoffnungslos veraltete Ausbildungsinhalte, nämlich nur Kameralistik, keine kaufmännische Buchführung. Wir wissen doch - Stichwort Verwaltungsmodernisierung -, dass sich im Verwaltungsbereich so einiges getan hat. Thematisiert wurde auch die mangelnde Anerkennung der Abschlüsse außerhalb Schleswig-Holsteins.