Protokoll der Sitzung vom 28.06.2006

In dieses Bild fügt sich im Übrigen auch die Beschwerde, die kürzlich mehreren Mitgliedern des Landtages von einer Besuchergruppe von Verwaltungsauszubildenden vorgetragen worden ist, eine Klage über hoffnungslos veraltete Ausbildungsinhalte, nämlich nur Kameralistik, keine kaufmännische Buchführung. Wir wissen doch - Stichwort Verwaltungsmodernisierung -, dass sich im Verwaltungsbereich so einiges getan hat. Thematisiert wurde auch die mangelnde Anerkennung der Abschlüsse außerhalb Schleswig-Holsteins.

Ab Anfang August 2006 gibt es in Deutschland 22 neue oder neu geordnete Ausbildungsberufe. Kann die Landesregierung eigentlich darlegen, in welchen dieser neuen oder neu geordneten Berufe in Schleswig-Holstein nach den Sommerferien - es ist nicht mehr lange hin - Ausbildungsangebote und damit natürlich auch die entsprechenden Berufsschulangebote bestehen werden? Und wenn ja, in welchem Umfang?

Gerade im Hinblick auf die erwähnten Handreichungen aus dem Jahre 2002, auf die ich vorhin zu sprechen gekommen bin, ist darauf hinzuweisen: In der Arbeitswelt, in den Berufsfeldern gibt es ein solch hohes Maß an Innovation, an Entwicklung neuer Berufsbilder, dass man nur dann in der Lage sein wird, die Ausbildungsplätze, die wir brauchen, bereitzustellen, wenn man solche innovativen Entwicklungen aufgreift und bei dem Angebot auf der Höhe der Zeit bleiben kann.

Es gibt eindeutig einen Trend hin zu mehr Spezialisierung. Ich nehme nur ein Beispiel, die Einführung des neuen Ausbildungsberufes Kaufmann oder Kauffrau für Dialogmarketing - Stichwort Callcenter - oder die Servicefachkraft für Dialogmarketing. Das ist ein Beispiel, das übrigens auch zeigt, dass wir es immer mehr mit einer Zweigleisigkeit zwischen dreijährigen, höherwertigen Ausbildungsberufen und zweijährigen, einfacheren Ausbildungsberufen zu tun haben. Auch diese Entwicklung ist sehr wichtig. Sie gibt jungen Leuten, die vom Theoriepensum her nicht die hohen Anforderungen erfüllen können, die bei einer dreijährigen Ausbildung erfüllt werden müssen, eine berufliche Perspektive, im Kfz-Gewerbe beispielsweise als KfzServicemechaniker. Das sind ganz wichtige Tendenzen. Es gilt, diese Entwicklung so gut wie möglich im Angebot an zusätzlichen Ausbildungsplätzen umzusetzen.

Darüber hinaus ist die Landesregierung aufgerufen, eine Antwort auf die Frage zu geben, was aus den vielen Tausend jungen Schleswig-Holsteinern werden soll, die in der Arbeitslosenstatistik als ALGII-Empfänger ohne Ausbildung geführt werden. Würde man es mit der Devise „Fördern und Fordern“ ernst meinen, dann müsste ein für diese Gruppe maßgeschneidertes Bildungskonzept geschaffen werden, das von der Sicherstellung der Ausbildungsreife bis hin zu adäquaten beruflichen Bildungsangeboten reichen müsste.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am vorletzten Montag haben wir hier in diesem Plenarsaal im Rahmen des Kieler-Woche-Gesprächs einen Vortrag unseres dänischen Kollegen, des Folketingabgeordneten Ole Stavad, gehört. Herr Stavad hat hier eindrucksvoll geschildert, in welcher Weise in Dänemark Arbeitsmarktpolitik und berufliche Bildung miteinander im Sinne einer breiten Palette unterschiedlicher Qualifizierungs- und Bildungsangebote für arbeitslose Menschen mit dem Ergebnis verzahnt worden sind, dass das nachhaltig zur Vermittlung von Arbeitslosen in berufliche Tätigkeiten beigetragen hat. Dieses Beispiel einer aktivierenden, gerade auf Qualifizierungsmaßnahmen setzenden Arbeitsmarktpolitik sollten wir für unser Land als Vorbild nehmen. Es ist ein wichtiger Ansatz, um gerade für die beschriebene Problemgruppe Perspektiven zu entwickeln und zu verhindern, dass uns ein soziales Problem in den nächsten Jahren weiter aus dem Ruder läuft.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Vorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr im Herbst fragt sich die deutsche Öffentlichkeit besorgt, ob alle Jugendlichen, die es wünschen, auch einen geeigneten Ausbildungsplatz finden. Wir haben in den vergangenen Jahren vielfach über den richtigen Weg zur Verbesserung der Ausbildungssituation in der Bundesrepublik gestritten. Die Erhebung einer Ausbildungsplatzabgabe für nicht ausbildende Betriebe hat seinerzeit auch der SSW abgelehnt, weil sie zu bürokratisch und zu abschreckend wirken würde. Stattdessen wurde auf Bundesebene ein Ausbildungspakt zwischen der

(Dr. Ekkehard Klug)

Wirtschaft und der Bundesregierung vereinbart. Ob dieser Pakt auf Bundesebene erfolgreich war, darüber lässt sich angesichts der Tatsache, dass immer noch viele Tausende Lehrstellen fehlen, allerdings schon streiten.

Aber in unserem Land sieht die Ausbildungssituation immer noch etwas anders aus. In SchleswigHolstein haben wir bereits seit 1997 ein relativ erfolgreiches Bündnis für Ausbildung, das von der Landesregierung, der Wirtschaft und den Gewerkschaften getragen wird. Dieses Bündnis hat gut gearbeitet, denn die Ausbildungszahlen für Schleswig-Holstein lagen in den letzten Jahren immer über dem Bundesdurchschnitt. Der SSW hat dieses Bündnis immer unterstützt.

Die aktuellen landesweiten Zahlen kennen wir leider noch nicht. Aber alle Verantwortlichen haben darauf hingewiesen, dass sich die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage in Schleswig-Holstein im Vergleich zum Vorjahr leicht verkleinert hat. Im Bericht der Landesregierung über die Ausbildungssituation vom letzten Jahr wird auch hervorgehoben, dass Schleswig-Holstein Ende August bei der Relation der unbesetzten Stellen zu den noch nicht vermittelten Bewerbern im Ländervergleich am besten dasteht.

Das zeigt, dass das Sofortprogramm des Landes 2004 - vom damaligen Wirtschaftsminister Rohwer initiiert - sehr gute Ergebnisse gebracht hat. Insbesondere hat Schleswig-Holstein gute Erfahrungen mit den vom Land geförderten Akquisiteuren gemacht. Es macht einfach Sinn, dass man potenzielle Ausbildungsbetriebe direkt anspricht. Die persönliche Ansprache der Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhaber wirkt einfach besser als öffentliche Aufrufe oder Anschreiben.

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb muss dieser Teil des Sofortprogramms unbedingt fortgesetzt werden.

Allerdings weist der DGB zu Recht darauf hin, dass trotz gestiegener Lehrstellenzahlen auch die Zahl der unversorgten Jugendlichen weiterhin angestiegen ist. Das ist ja auch der Hintergrund des Antrages von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Der DGB stellt in einer Pressemitteilung richtigerweise fest, dass in Schleswig-Holstein auf 100 Bewerber nur noch 77 Lehrstellen und Ausbildungsplätze kommen. Das liegt natürlich auch daran, dass wir im Moment geburtenstarke Jahrgänge bei den Schulabgängern haben. In 2006 werden wir mit 33.000 Jugendlichen sogar 1.200 Schulabgänger mehr als im

letzten Jahr haben. So sieht die Situation aus, aber auch diese Situation kam nicht überraschend.

Deshalb geht es aus Sicht des SSW darum, dass die Politik, die Wirtschaft und die Gewerkschaften gemeinsam ihre Anstrengungen weiterhin intensivieren, damit wir allen Jugendlichen eine berufliche Perspektive geben können. Wir begrüßen daher, dass die Grünen dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Denn es ist wirklich wichtig, dass wir diese Anstrengungen zur Schaffung weiterer Ausbildungsplätze auch seitens des Landtags aktiv unterstützen.

Auch die Kritik der IHKs und der Handwerkskammern über die fehlende Qualifikation der jungen Schulabgängerinnen und Schulabgänger ist schon seit Jahren bekannt und insofern keine neue Erkenntnis; dies wird ja auch immer wieder diskutiert. So geht aus einer jüngst vom Institut der deutschen Wirtschaft bekannt gewordenen Studie hervor, dass jeder fünfte Jugendliche in der Berufsschule scheitert. Danach ist die Anzahl der Abbrecher an beruflichen Schulen in den vergangenen zehn Jahren von rund 16 % auf rund 22 % gestiegen. Allein 2004 haben demnach in Deutschland fast 240.000 Jugendliche ihre Berufsschule oder das Berufsvorbereitungsjahr ohne Abschluss verlassen.

In diesem Zusammenhang wird auf die PISA-Studie verwiesen, wonach gut jeder fünfte 15-Jährige als Risikoschüler eingestuft wird, weil er allenfalls einfachste Aufgaben im Lesen oder Rechnen beherrscht. Auch dies ist nicht wirklich neu. Ich sage dies so ausdrücklich, weil wir nicht so tun dürfen, als würden wir von diesen Erkenntnissen überrascht.

Es sind dramatische Zahlen. Deshalb muss es ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit sein, dass wir die Qualifikationen der Jugendlichen entscheidend verbessern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus Sicht des SSW geht vor diesem Hintergrund auch kein Weg daran vorbei, das Schulsystem grundlegend zu reformieren. Es ist ganz einfach nicht hinnehmbar, dass wir den überwiegenden Teil aller schulischen Probleme auf die Hauptschule abwälzen. Denn das tun wir und dies belegen genug Studien und Statistiken.

(Beifall beim SSW)

Die Landesregierung hat angekündigt, dass sie im neuen Schulgesetz zumindest Gemeinschaftsschulen zulassen will. Wir ermutigen sie, diesen Weg weiterhin zu beschreiten. Denn das ist ein richtiger Schritt.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch wichtig, daran festzuhalten, dass das gegliederte Schulsystem nicht die Fragen von heute beantworten und die Anforderungen von morgen erfüllen kann. Wir müssen unser Schulsystem weiterentwickeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass Kinder und Jugendliche immer nur in einer Gruppe - in diesem Fall in der Gruppe der Verlierer - festgehalten werden. Wir müssen also das Schulsystem ändern und den Inhalt von Schule weiterentwickeln. Nur dadurch werden wir das Bildungsniveau insgesamt verbessern können.

Ein weiterer Punkt in der Diskussion um die Verbesserung der Qualifikationen von Jugendlichen ist aus Sicht des SSW, dass das duale Ausbildungssystem flexibler und zum Beispiel in die Lage versetzt wird, schneller auf neue Berufsbilder oder inhaltliche Entwicklungen innerhalb eines Ausbildungsberufes zu reagieren. Die neuen zweijährigen Ausbildungen machen deutlich, worum es aus unserer Sicht geht.

Wir bleiben dabei, dass man eine stärkere Modularisierung von Ausbildungsgängen in die Wege leiten sollte. Damit würde man sowohl den tüchtigeren als auch den schwächeren Azubis - und den Anforderungen der Wirtschaft ebenfalls - entgegenkommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Des Weiteren sind die bisherigen Erfahrungen mit den Regionalen Berufsbildungszentren aus Sicht des SSW ein Schritt in die richtige Richtung. Dies gilt vor allem für die Zusammenarbeit von Berufsschule und Wirtschaft, die durch diese neuen Konstruktionen gestärkt wird. Aus regionaler Sicht führt dies dazu, dass man schneller auf Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt reagieren kann. Ich möchte noch einmal hervorheben, dass das preisgekrönte Pilotprojekt der Gewerblichen Beruflichen Schule der Stadt Flensburg für ihre duale berufsbegleitende Weiterbildung zum Techniker Mechatronik dafür ein herausragendes Beispiel ist.

(Beifall beim SSW)

Die Ansätze der Grünen, die sie in ihrem Antrag formuliert haben, kann der SSW grundsätzlich unterstützen.

Natürlich muss die Bundesagentur für Arbeit ihre Fördermittel ausschöpfen und für qualifizierende Maßnahmen in Bezug auf die Jugendlichen zielführend einsetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist allerdings eine Selbstverständlichkeit, möchte ich hinzufügen. Sollte dies dennoch nicht der Fall sein, dann muss die Landesregierung handeln.

Auch die Forderung, dass die Schulabgängerinnen und Schulabgänger, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, ein Qualifizierungs- oder Bildungsangebot bekommen sollten, können wir befürworten. Genau dies war ein Punkt im Tolerierungsvertrag, den wir mit SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach der Landtagswahl beschlossen hatten. Wir meinen nämlich, dass nur solche konkreten Forderungen letztendlich zu einem Erfolg führen werden.

Ich betone es noch einmal: Ein solches Angebot funktioniert. Man muss nur den Blick über die Grenze wagen. Dort hat man erreicht, dass die Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr existent ist. Also, es gibt aktuelle Probleme, die nicht nur mit Schule und Ausbildung, sondern mit der gesamtgesellschaftlicher Entwicklung und der Art und Weise, wie wir mit Ausbildung und Arbeitslosigkeit umgehen, zu tun haben.

Ich möchte eines deutlich machen: Von der Wirtschaft hören wir in letzter Zeit immer wieder, die Konjunktur springe an und bald hätten wir einen Mangel an Fachkräften. Dies steht uns bevor. Vor diesem Hintergrund wäre es katastrophal und ein Skandal, wenn wir trotzdem eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und insgesamt eine hohe Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hätten. Das ist nicht hinnehmbar und insofern sind wir weiter gefragt.

(Beifall bei der SPD)

Zu den beiden Anträgen noch eine Bemerkung, Herr Präsident. Inhaltlich werden wir den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Gänze unterstützen. Wir finden allerdings, dass man nicht gegen den Antrag von CDU und SPD sein kann. Darum hoffen wir auf alternative Abstimmung und wir werden beiden Anträgen zustimmen.

(Beifall beim SSW - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das geht bei alternativer Abstim- mung nicht! - Heiterkeit)

Frau Kollegin, Sie werden die Chance bekommen, sich zu beiden Anträgen zu äußern - allerdings nicht in alternativer Abstimmung.

Entschuldigung, Herr Präsident, ich muss mich korrigieren. Das war Tüddelkram, was ich sagte. Wir

(Anke Spoorendonk)

werden beiden Anträgen zustimmen und das geht bei einer alternativen Abstimmung natürlich nicht.

Ich hatte Ihnen gesagt, dass Sie dazu die Gelegenheit bekommen werden. Nun hat für die Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Jutta Schümann das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich in Ergänzung zu den Ausführungen meiner Kollegin Anette Langner noch etwas zu den bildungspolitischen Aspekten des Antrags der Grünen sagen.