Protokoll der Sitzung vom 28.06.2006

Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, ein Gesamtkonzept Behindertenpolitik zu erarbeiten. Im Rahmen dieses Konzeptes werden die Anregungen der Bürgerbeauftragten in diesem Bereich aufgegriffen. Hier sitzen alle im selben Boot und es ist wichtig, Hinweise für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung zu bekommen.

Ich glaube auch, dass die Forderung der Bürgerbeauftragten, dass die persönliche Beratung in den Sozialbehörden den aktuellen Haushaltsproblemen der öffentlichen Hand nicht zum Opfer fallen darf, ein wichtiger Hinweis ist. Lieber Herr Kollege Garg, weil Sie das angesprochen haben: Das heißt dann aber auch an der einen oder anderen Stelle,

(Lars Harms)

dass man es mit den Forderungen nach dem schlanken Staat nicht übertreiben darf. Auf der einen Seite immer wieder zu sagen, wir sollen mit weniger Mitarbeitern auskommen, auf der anderen Seite aber zu beklagen, dass Menschen nicht da sind, die Beratung leisten - ich meine Sie gar nicht persönlich; Sie haben nur den Punkt angesprochen -, ist etwas, was wir gelegentlich überdenken müssen. Ohne Staat geht es in manchen Bereichen nicht und die Menschen in der Verwaltung brauchen auch Zeit, um Dinge zu bearbeiten.

(Beifall)

Das muss übrigens erst recht gelten, wenn große Veränderungen in den sozialen Leistungssystemen Besorgnisse der Bürgerinnen und Bürger auslösen, die die gesellschaftliche Akzeptanz von Änderungsprozessen gefährden können. Allein der im Bericht dargestellte Umfang der Informations- und Beratungstätigkeit des Büros der Bürgerbeauftragten führt uns drei Punkte noch einmal deutlich vor Augen.

Erstens. Die von der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten angebotenen Dienstleistungen sind hoch aktuell. Sie wirken als Controlling-System für sozialstaatliche Leistungen und erfüllen eine anspruchsvolle gesellschaftliche Ausgleichsfunktion vor dem Hintergrund der Reformprojekte im soziale Bereich.

Zweitens. Die Institution der Bürgerbeauftragten hat eine hohe Akzeptanz und genießt das Vertrauen der Menschen im Land.

Drittens. Die Bürgerbeauftragte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich dieses Ansehen durch Kompetenz und Engagement erarbeitet und nicht durch die Tatsache, dass sie existieren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Der Bericht zeigt - trotz der positiven Entwicklung, die wir bei der Leistungsfähigkeit der Verwaltung und bei der Bürgernähe im Land erreicht haben -, dass wir auf dem Wege zu modernen Dienstleistungsstrukturen des Sozialstaates noch lange nicht am Ziel sind. Der Bericht liefert aber auch Beispiele dafür, dass die Gesetzeslage nicht immer auf der Höhe der Probleme ist. In seinem Bemühen um soziale Gerechtigkeit hat der Staat sehr komplexe Regelungen geschaffen, die auch Experten nicht immer durchschauen. Wir sollten in Deutschland nicht dem Irrglauben verfallen, dass ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit immer durch ein Mehr an gesetzlichen Regelungen erreicht wird.

Die Forderung der Bürgerbeauftragten nach Verständlichkeit bei der Formulierung schriftlicher

Entscheidungen verstehe ich deshalb nicht nur als Hinweis an die praktische Arbeit der Sozialbehörden. Lieber Herr Harms, ich will es deutlich sagen: Es ist nicht immer nur die böse Verwaltung und der gute Wille des Gesetzgebers, sondern es werden Fehler gemacht, wo Menschen arbeiten. Es ist auch der Appell an Regierung und Parlamente, die Zahl der Regelwerke zu beschränken und ihren Inhalt übersichtlich und allgemeinverständlich zu gestalten. Als langjähriger Beobachter dessen, was dieses Haus tut, muss ich sagen, dass wir nicht in jeder Ausschussberatung die Verständlichkeit in den Mittelpunkt unserer Formulierungsanstrengungen stellen. Das ist eine Aufgabe, der sich die Sozialpolitik stellen muss, nicht zuletzt, weil notwendige Veränderungen unserer Leistungssysteme vermittelbar sein müssen.

Lassen Sie mich dazu noch einmal zwei Anmerkungen machen. Zum einen muss ich sagen, dass die nassforsche Art, mit der Verbandsvertreter teilweise mit billigen Klischees aufwarten, meiner Ansicht nach der Lage überhaupt nicht gerecht wird. Bei aller Notwendigkeit für Sozialreformen, die niemand bestreitet, finde ich die Form, in der gelegentlich von Leuten darüber gesprochen wird, die wirklich in einer ganz anderen Situation sind, völlig daneben. Die soziale Marktwirtschaft hat unseren Wohlstand geschaffen und nicht die Marktwirtschaft ohne Adjektiv.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Frau Kollegin Birk, dies zu sagen heißt aber auch, dass wir uns der billigen Polemik enthalten sollten, wenn es um die Frage geht, wie wir mit der Überarbeitung solcher Reformgesetze umgehen. So lange sind Sie noch nicht in der Opposition, dass Sie das, was wir gemeinsam mitgetragen haben, jetzt empört und in Bausch und Bogen verurteilen können. Das finde ich ein bisschen billig, Frau Birk. Natürlich gibt es das Bemühen und natürlich gibt es auch Schwierigkeiten. Aber was Sie gesagt haben, finde ich etwas schlank. So einfach sollte man es sich nicht machen.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Wir sollten die Anregungen - auch was das Beschwerdemanagement angeht - ernst nehmen. Die Feststellung der Bürgerbeauftragten, dass Klagen insbesondere über den Umgangston in den Sozialbehörden auffällig zugenommen haben, kann uns nicht gleichgültig sein. Ich habe an anderer Stelle schon häufiger gesagt: Die Verwaltung dient den Bürgern, nicht umgekehrt. Das gilt völlig unabhängig davon, wie begütert oder in welch guter Situation der Antragsteller ist, der kommt. Die Verwal

(Minister Dr. Ralf Stegner)

tung wird von allen Bürgerinnen und Bürgern bezahlt und einen vernünftigen Umgangston gebietet der Respekt vor dem eigenen Arbeitgeber, wenn ich das einmal so formulieren darf. Die Verwaltung wird von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt und sie führt das aus, was die Menschen wollen. Sie ist nicht jemand, zu dem der Bürger als Bittsteller kommt. Das gilt in allen Bereichen und deswegen finde ich solche Kritik fast am gravierendsten. Das ist auch eine Führungsfrage und diejenigen, die Führungspositionen in der öffentlichen Verwaltung innehaben, müssen sich auch persönlich darum kümmern müssen, dass man dies in allen Bereichen ordentlich macht.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Das ist vielleicht auch das Stückchen Würde im Umgang mit schwierigen Situationen, in denen man teilweise in der Sache nicht helfen kann. Es muss ein Minimum an Respekt gegenüber jemanden, der mit einer Sorge zu einem kommt, erwartet werden. Man muss sich immer in die Lage derjenigen versetzen, die nicht das Glück hatten, auf einem guten und sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst solche Dinge bearbeiten zu dürfen, sondern die den Antrag stellen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Insofern lassen Sie mich mit dem schließen, was alle Vorrednerinnen und Vorredner hier zum Ausdruck gebracht haben. Frau Wille-Handels, ich glaube, wir haben Anlass, Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihr Engagement zu danken. Wir bekommen von Ihnen immer wieder Hausaufgaben, die wir abarbeiten sollten. Jede Beschwerde weniger, die es durch Ihr Wirken gibt, ist ein Beweis für den Erfolg Ihrer Arbeit. Sie haben ja auch wahrgenommen, dass das Haus Sie inzwischen in voller Breite unterstützt. Auch das ist - finde ich - ein Erfolg, auf den wir gemeinsam stolz sein sollten.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Ich danke dem Herrn Minister. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Ich gehe davon aus, dass der Bericht zur abschließenden Beratung an den Sozialausschuss überwiesen werden soll. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig so passiert.

Wir setzen die Beratungen mit dem Tagesordnungspunkt 43 fort:

Barrierefreies Fernsehen

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/773

Es sind weiterhin die Gebärdendolmetscherin und Herr Dr. Hase bei uns. - Ich erteile Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landtag hatte am 24. März 2006 den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD angenommen, mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, einen Bericht zum Thema barrierefreies Fernsehen vorzulegen. Die Landesregierung ist dieser Bitte gern nachgekommen. Für Regierung und Parlament ist es eine wichtige Aufgabe, immer wieder in verschiedene Lebensbereiche hineinzugucken und auch zu fragen, ob Menschen mit Behinderung ausreichend Hilfe geleistet wird.

Heute geht es um das Fernsehen. Die für das barrierefreie Fernsehen maßgeblichen Akteure wie die Fernsehanstalten unterliegen keinen umfassenden gesetzlichen Berichterstattungspflichten, die Auskunft über ihre Bemühungen im Bereich der Barrierefreiheit geben. Um zu aktuellen Informationen zu gelangen, waren wir deshalb auf freiwillige Auskünfte angewiesen. Die Fernsehsender, Verbände und Institutionen haben allesamt engagierte Stellungnahmen abgegeben. Das ist ein gutes Zeichen und das hat mich sehr gefreut.

Der Bericht veranlasst mich zu zweierlei: Ich möchte auf der einen Seite Dank sagen, aber zugleich auch eine Bitte äußern. Der Dank gilt den Fernsehsendern, vor allem den öffentlich-rechtlichen. Sie haben insgesamt ein erfreuliches Engagement für die Barrierefreiheit an den Tag gelegt und weitere neuen Initiativen angekündigt.

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

Die Bitte richtet sich ebenfalls an die Fernsehsender und an andere Institutionen, die einen Beitrag leisten können. Ein noch stärkerer Ausbau des barrierefreien Fernsehens ist wünschenswert. Wir können noch besser werden. Sie können noch besser werden. Das sollten wir uns und Sie sich vornehmen. Die Ausgangslage ist gut. Die Entwicklungen machen Mut für mehr. Ich will einige Beispiele nennen.

Beim NDR wird sich der Anteil des barrierefrei ausgestrahlten Fernsehprogramms jetzt auf 12 % erhöhen. Der NDR beabsichtigt, die tägliche Hauptsendung seines Regionalprogramms - das ist die Sendung „DAS!“ von 18:45 Uhr bis 19:30 Uhr - ab

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Frühjahr 2007 mit Videotextuntertiteln auszustrahlen.

(Beifall im ganzen Haus)

Damit setzt der NDR die Protokollerklärung zur letzten Änderung des NDR-Staatsvertrags um.

Das ZDF hat nach einer Statistik der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten, der Selbsthilfe- und Fachverbände aus dem Jahre 2004 schon 18 % seiner Sendeminuten mit Untertiteln ausgestrahlt. Das ist 2005 weiter ausgebaut worden. Allein die Zahl der untertitelten Sendeminuten im Bereich Spielfilm, Serien und Dokumentationen sei von rund 54.000 im Jahre 2004 auf rund 75.000 im Jahr 2005 gesteigert worden, so der Sender.

Im gemeinsam von ARD und ZDF getragenen Kanal Phoenix werden täglich die aktuellen Nachrichtensendungen, wie die Tagesschau und das heutejournal, mit Gebärdensprachendolmetschern ausgestrahlt. Auch im privaten Fernsehen sind erste Schritte gemacht worden. Die ProSiebenSat.1 Media AG ist das erste private Fernsehunternehmen in Deutschland, das bei einigen Sendungen Untertitel für Hörgeschädigte anbietet.

Es tut sich also eine ganze Menge. Lassen Sie mich deswegen Folgendes festhalten: Die Landesregierung ist der Auffassung, dass sich die Zusammenarbeit der Fernsehsender mit der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten, mit den Selbsthilfeund Fachverbänden weiter verbessern lässt.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU] und Anke Spoorendonk [SSW])

Die Landesregierung ermuntert und bestärkt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, im Engagement für die Barrierefreiheit nicht nachzulassen und weiter neue Akzente zu setzen. Die Landesregierung begrüßt die ausdrücklichen Versicherungen des Vorsitzenden des NDR-Rundfunkrates sowie der Vorsitzenden des NDR-Landesrundfunkrates, dass beide Gremien bemüht seien, den kontinuierlichen Prozess der Gestaltung barrierefreier Angebote durch den NDR konstruktiv zu begleiten.

Da staatlich verordnete Quoten für solche Angebote mit der Rundfunkfreiheit nicht vereinbar sind, ist es Aufgabe der Gremien, mit ihren gesellschaftlichen Vertretern auf die Angemessenheit dieses Aspektes der Grundversorgung zu achten.

Schließlich muss es ein gemeinsames Ziel der Länder und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein, die Gebührenakzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten und zu stärken; denn mit den Gebühren si

chern wir auch die Finanzgrundlage für Maßnahmen zur Barrierefreiheit.

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, das Angebot für barrierefreies Fernsehen ist auf einem guten Wege. Diesen wollen wir weiter gehen.