Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

Ein wichtiger Grundsatz ist hier die Definition des Begriffs Familie, der in vielfältigster Weise ausgelegt und variiert wird. Mit der Definition, die in dem Bericht der Landesregierung verwendet wird, bin ich sehr zufrieden: „Familie ist überall dort, wo Eltern für ihre Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung tragen“ beschreibt, dass Kinder bei einer Familie der wesentlichste Bestandteil sind. Partnerschaftsstrukturen können gern variieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wertewandel unserer Gesellschaft mit dem Ergebnis eines gesteigerten Individualismus, eines höheren Konsumbedürfnisses sowie des steigenden Wertes der Freizeit muss umgedreht werden und von uns allen durch wirkliche Werte ersetzt werden,

(Beifall bei der CDU)

zum Beispiel durch den Wert „Kinder“.

Auch der Koalitionsvertrag widmet sich dem Thema „Familie“ ausführlich. Unter anderem hat sich die Landesregierung vorgenommen, die Öffnungsund Betreuungszeiten der Kindertagesstätten bedarfsgerecht zu flexibilisieren, eine Familienverträglichkeitsprüfung für Kabinettsvorlagen einzuführen, den Fortbestand der Familienbildungsstätten zu sichern, generationenübergreifende Familienbildung weiterzuentwickeln und zu stärken sowie die Lebensqualität in den Städten zu erhalten und das Wohnumfeld zu verbessern; dies sind nur einige Punkte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einem Besuch in Shanghai werden Sie eingestehen müssen, dass wir - was das Wohnumfeld angeht - in unseren Städten in Schleswig-Holstein wie im Paradies leben.

Der Bericht der Landesregierung zeigt auf, dass Schleswig-Holstein eine Weiterentwicklung von Familienpolitik eng am Koalitionsvertrag betreibt. Auf einige Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang näher eingehen.

Die familien- und kinderfreundliche Infrastruktur nimmt in Schleswig-Holstein einen hohen Stellenwert ein. Erfreulich ist, dass sich der Aus- und Aufbau offener Ganztagsschulen in Schleswig-Hol

stein sehr positiv entwickelt hat. Während in 2002 lediglich 22 Ganztagsschulen existierten, gibt es bis zum heutigen Zeitpunkt 293 Ganztagsschulen in Schleswig-Holstein.

Besonders Schleswig-Holstein mit seinen ländlichen Regionen muss rechtzeitig vorsorgen, damit die Auswirkungen des demographischen Wandels nicht zusätzlich durch anhaltende Landflucht verstärkt werden.

Ein wichtiger Punkt sind in diesem Zusammenhang - die Ministerin hat es auch angesprochen - die lokalen Bündnisse für Familien. Bereits jetzt gibt es in Schleswig-Holstein elf lokale Bündnisse für Familien, in denen lokale Verantwortungsträger gemeinsam Ideen und Projekte für eine familienfreundliche Lebens- und Arbeitswelt entwickeln.

Wir begrüßen, dass die Landesregierung das Bundesmodellprogramm zur Etablierung von Mehrgenerationenhäusern tatkräftig unterstützt. Derzeit werden Eckpunkte für die Umsetzung entwickelt und dann sollte es auch losgehen.

Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, werden bereits jetzt so genannte Familienverträglichkeitsprüfungen für Kabinettvorlagen durchgeführt. Dies sorgt dafür, dass Initiativen und Gesetze bereits in einem sehr frühen Stadium familienverträglich gestaltet werden. Es werden drei Kriterien abgefragt. Das dritte - dies fand ich am interessantesten - unter 2.5, Seite 11, lautet: „Ist die Vorlage zum Nachteil von Familien?“ - Wenn dieses Kriterium mit Ja beantwortet wird, Frau Ministerin, stellt sich die Frage, ob dann das entsprechende Gesetz, die Verordnung eingestampft wird?

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Vielleicht wäre das der Durchbruch beim Bürokratieabbau.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das war Sinn der Sache!)

Die Landesregierung hat das Hilfs- und Unterstützungsangebot „Welcome“ insgesamt mit 369.000 € gefördert.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist beacht- lich!)

Das Programm „Welcome“ verhindert, dass junge Familien in Überlastungssituationen zu den falschen Mitteln greifen. Besonders hervorzuheben ist das herausragende ehrenamtliche Engagement der Initiatoren und Helferinnen und Helfer, das die CDU-Fraktion dankbar anerkennt.

(Frauke Tengler)

(Beifall bei der CDU)

Auch das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nimmt das Ministerium ernst. Aus dem Bericht der Landesregierung geht hervor, dass bereits erste Erfolge erzielt werden konnten. Dies ist gerade in der heutigen Zeit wichtig, in der junge Familien Parallelität von Beruf und Erziehung ohne Unterbrechung der Berufstätigkeit wünschen. Die öffentlichen Arbeitgeber sowie die Unternehmen und Gewerkschaften sind dazu aufgerufen, hier kontinuierlich mehr Möglichkeiten zu schaffen.

Für die Bemühungen der Landesregierung auf dem Gebiet der Familienpolitik möchte ich mich bedanken. Der Bericht zeigt, dass bereits Erfolge zu verzeichnen sind. Aber die Politik kann es nicht allein richten. Eine familienfreundliche Umgebung ist eine Querschnittsaufgabe. Nur in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten - hierzu gehören neben den Familien und der Politik die Unternehmen, die Kommunen sowie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen - werden wir zu optimalen Ergebnissen kommen.

Lassen Sie uns gemeinsam an dem von mir angesprochenen Wertewandel arbeiten und dafür werben. Als familienpolitische Sprecherin der CDUFraktion liegt mir dies besonders am Herzen und ich werde mit Initiativen dafür sorgen, dass das Thema „Familie“ weiterhin in diesem Landtag debattiert wird. Wir erwarten gespannt, Frau Ministerin, die Beantwortung der Großen Anfrage der CDU zur Situation der Familien in Schleswig-Holstein.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die CDU Schleswig-Holstein hat ein beschlossenes, in sich schlüssiges familienpolitisches Papier. Wir wollen unser Ziel zusammen mit Ihnen erreichen:

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redzeit.

Schleswig-Holstein soll Familienland Nummer eins werden.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die Fraktion der SPD erteile ich der Frau Abgeordneten Ulrike Rodust das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke der Landesregierung für den vorliegenden Bericht und erweitere meinen Dank auch auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hierzu beigetragen haben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Lassen Sie mich mit einigen allgemeinen Bemerkungen beginnen. - Unsere Volkswirtschaft ist auf große Bevölkerungszahlen angewiesen. Alle heutigen Planungen - ob für Autobahnen, Universitäten oder Flughäfen - rechnen kontinuierlich mit 80 Millionen Deutschen. Investitionen in Milliardenhöhe machen nur dann Sinn, wenn es gelingt, die Bevölkerungsschrumpfung aufzuhalten. Das ist nicht nur für das Rentensystem fatal, sondern für jede politische Planung.

100 Erwachsene haben heute noch 65 Kinder und 42 Enkelkinder. Jeder Dritte wird schon in der nächsten und jeder Zweite in der übernächsten Generation keine Nachkommen mehr haben, hat der Berliner Sozialforscher Meinhard Miegel ausgerechnet.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das erleben wir nicht mehr! - Heiterkeit)

Für viele schrumpft damit der Begriff Zukunft auf die eigene Lebensspanne. Das hat - ich wiederhole es - Auswirkungen auf alle Bereiche der Politik und bringt Werteveränderungen mit sich: Warum soll ich ein Haus bauen, ein Unternehmen gründen, die Umwelt schützen, obwohl danach keiner mehr kommt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familie verändert sich, die traditionelle Kleinfamilie weicht immer häufiger neuen Formen des Zusammenlebens. Deshalb sage ich: Familie ist überall dort, wo Generationen Verantwortung füreinander übernehmen.

Schauen wir uns die unterschiedlichen Formen des Zusammenleben einmal genauer an, so erleben wir Single-Mütter, die mit einem neuen Freund zusammenleben, binationale Paare, die ihre Kinder in zwei Kulturen erziehen, die Enkel, die von den Großeltern erzogen werden, oder Mama und Papa, die in unterschiedlichen Städten leben.

Emnid ermittelte, dass für junge Deutsche im Alter zwischen 15 und 25 der Wunsch nach Familie auf Platz eins ihrer Wünsche steht. Auf die Frage, an wen sie sich wenden, wenn Sie Probleme haben, kam die Antwort: „An die Eltern“. Auf die Frage: „Was nehmen Sie sich für das nächste Jahr vor?“, ermittelte Forsa 2001 bei 36 % der Befragten:

(Frauke Tengler)

„Mehr Zeit für die Familie.“ - Hier klaffen Sehnsucht und Wirklichkeit stark auseinander.

Der Wunsch nach Familie ist also ungebrochen, doch die Formen haben sich verändert. Wir reden heute von Stieffamilien, Fortsetzungsfamilien, Mehrgenerationenfamilien, Patchworkfamilien oder Regenbogenfamilien. Wer die Gene mit wem teilt, ist für viele genauso unwichtig wie der gemeinsame Nachname. Das mag man beklagen, doch es ist Realität. Wir als Politiker haben uns dieser Realität zu stellen.

Familienpolitik drückt schon als Wort ein Spannungsverhältnis aus. Die Familie ist sozusagen die Grundeinheit der Gesellschaft, aber keine staatliche Einrichtung. Das wollen wir auch nicht ändern. Aber gleichzeitig machen wir in vielen Bereichen die Erfahrung, dass sich die Familie nicht nur in ihren Strukturen, sondern auch in ihren Aufgabenwahrnehmungen wandelt - und nicht immer nur zum Guten.

Besonders die Lehrerinnen und Lehrer wissen ein Lied davon zu singen, dass die Schule, also eine öffentliche Einrichtung, heute vielfach Aufgaben wahrzunehmen hat, die viele Familien nicht mehr leisten können, manchmal allerdings auch nicht mehr leisten wollen. Die Startchancen ins Leben sind sehr unterschiedlich verteilt, je nachdem, in was für ein familiäres Umfeld ein Kind hineingeboren wird.

Wenn manchmal behauptet wird, es würde in Deutschland finanziell zu wenig für die Familien geschehen, hat das mit den Realitäten nichts zu tun. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 27. Februar 2006 dargelegt, dass die öffentlichen Hände - also ohne Einrechnung der Familienleistungen der privaten Arbeitgeber - bereits im Jahr 2002 rund 150 Milliarden € für die Förderung von Familien ausgegeben haben, also ungefähr zehneinhalbmal unseren kompletten Landeshaushalt. Das entspricht etwa 4,5 % des Bruttoinlandsproduktes. Am Geld kann es also nicht liegen, sondern daran, dass wir es - anders als andere Länder; das wurde schon gesagt - nicht effizient genug einsetzen.

Die Länder, die einen besonders hohen Anteil an berufstätigen Frauen haben, haben höhere Geburtenraten als diejenigen, in denen - wie in Südeuropa - noch das alte Modell des allein verdienenden Vaters stark vertreten ist. Wenn sich also hier und da bereits wieder Stimmen regen, die das Allheilmittel für die Massenarbeitslosigkeit in einem Rückzug der Frauen aus der Erwerbstätigkeit sehen, wird dies durch die nackten Zahlen nicht gestützt.

Die gigantischen öffentlichen Transferleistungen für Familien müssen stärker gebündelt werden. Frankreich hat mit einer Familienkasse gute Erfahrungen gemacht, die die Transferleistungen gebündelt ausschüttet. Je komplizierter und je zersplitterter Verwaltungsabläufe sind, umso weniger werden sie diejenigen erreichen, für die sie eigentlich gedacht sind.

Familie ist nicht mehr nur da, wo ein Ehepaar ein oder mehrere Kinder hat. Mit Recht definiert der Bericht der Landesregierung:

„Familie ist überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung tragen. Familie beinhaltet auch die Großelterngeneration und die Generationenbeziehungen insgesamt.“

Mehrgenerationenhäuser könnten in relativ kurzer Zeit helfen, die Situation zu entschärfen. Wenn mehrere Generationen zusammenleben, erlernen sie nicht nur soziale Kompetenz, sie sparen auch eine Menge Geld, zum Beispiel bei der Tagesbetreuung. Die älteste Generation kann selbstständig im eigenen Haushalt leben. Wenn die Kräfte nachlassen, helfen die Jüngeren. Natürlich ist dieses Modell nicht auf alle Menschen übertragbar, aber dort, wo es funktioniert, ist es ein großer Gewinn. Die Bundesregierung hat ein Bundesmodellprogramm angekündigt und ich begrüße es sehr, dass die Landesregierung diese Initiative unterstützen wird.

Familienpolitik muss in erster Linie darauf abzielen, ungleiche Chancen auszugleichen und Familien dabei zu helfen, das zu leisten, was ihre Kinder mit Recht von ihnen erwarten können. Deshalb freue ich mich über die Aussagen in dem uns vorliegenden Familienbericht. Hier wird deutlich, dass die Landesregierung bemüht ist, Familienpolitik weiterzuentwickeln und in Teilen neu zu gestalten, sei es durch den Aufbau eines bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Angebots an Bildung, Erziehung und Betreuung, die Sicherung einer familien- und kinderfreundlichen Infrastruktur oder den Ausbau der Unterstützung für Familien sowie die Stärkung der Familienkompetenz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit vielen Jahren beschäftigen sich Fachleute mit diesem Thema. Schon 1974 verlangte SPD-Familienministerin Katharina Focke ein „Umverteilungssystem zugunsten der Familie und der Kinder“. 1986 forderte Heiner Geißler die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Doch nach wie vor bestehen immer noch große Probleme. Gefragt sind deshalb intelligente Lösungen wie gute und verlässliche Ganztagsbetreuung und Freizeitangebote für alle Kinder, auch für unter

(Ulrike Rodust)