Meine sehr geehrten Damen und Herren, alle Aktivitäten der Landesregierung haben wir in einem eigenen schleswig-holsteinischen Kinder- und Jugend-Aktionsplan gebündelt. Damit geht das Signal an alle Aktiven in unserem Land, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich: Diese Landesregierung nimmt die Zukunft Ihrer Kinder ernst. An ihnen wollen wir nicht sparen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der FDP als der Antragstellerin des ersten Berichtsantrages dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Nicht nur die Geburtenrate sinkt - Sie haben es dargestellt -,
sondern auch der Wunsch nach Kindern lässt bedauerlicherweise nach. Das ist erstmalig der Fall. In früheren Untersuchungen konnte man zumindest noch feststellen, dass der Wunsch nach Kindern, auch nach mehreren Kindern, bei vielen jungen Paaren sehr groß ist. Die Politik hatte also die Aufgabe zu fragen: Warum entscheiden sich die Paare dann nicht für Kinder? Jetzt wird die Aufgabe noch schwieriger, da nunmehr gefragt werden muss: Warum lässt auch der Wunsch nach Kindern nach?
Wenn wir nicht gegensteuern, wenn wir uns nichts Neues überlegen, ist die Folge absehbar: Deutschland wird zur Republik der Kinderlosen und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl der Staat den Familien finanziell mehr unter die Arme greift, als dies fast überall sonst in Europa der Fall ist. Auch das hat die Ministerin dargestellt. Überall sonst in Europa sind die Geburtenraten höher als in der Bundesrepublik, aber überall sonst in Europa erhalten die Familien weniger finanzielle Leistungen. Franzosen, Iren oder auch Skandinavier bekommen weniger Geld vom Staat, bekommen aber mehr Kinder.
Warum ist das so? Ist die deutsche Familienpolitik, so wie sie bisher betrieben wurde, ineffektiv? Im direkten Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn, jedenfalls hinsichtlich der Kinderzahl, ist sie dies offensichtlich.
Die spannende Frage lautet somit: Worin liegt der Unterschied? Genügt es nicht, den Familien eine fast unüberschaubare Zahl an Geldleistungen zur Verfügung zu stellen? Ich glaube, wir müssen alle vor dem Hintergrund der Zahlen, die wir haben, feststellen: Es genügt ganz offensichtlich nicht.
In den letzten Jahrzehnten war es oberstes Ziel der Familienpolitik, durch eine entsprechende finanzielle Förderung des Staates Einkommensgerechtigkeit zwischen Personen mit Kindern und Personen ohne Kinder zu schaffen. Familien sollten sich Kinder leisten können. Das ist grundsätzlich auch ein richtiges Ziel. Das Problem, das ich allerdings bei der Kommunikation immer habe: Kinder werden auch in politischen Reden ständig nur als Kostenfaktor gesehen. Wir reden immer von Kindern als Kostenfaktor, aber nie davon, dass Kinder viel mehr sind, auch viel mehr für die Gesellschaft.
Ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung zeigt, dass sich immer weniger Menschen Kinder leisten. Unter dem Gesichtspunkt der demographischen Entwicklung hat also die bisherige Kinder- oder Familienpolitik - nennen Sie es, wie Sie mögen - kläglich versagt. Jetzt zeigt sich, dass Familienpolitik nicht einfach vom Reißbrett geplant werden kann.
Offensichtlich muss zur finanziellen Zuwendung etwas hinzukommen, was mit Geld gerade nicht bewirkt werden kann.
Wie kann also Menschen mit Kindern geholfen und Menschen ohne Kinder die Familiengründung attraktiv gemacht werden? Mir wäre es zu einfach, darauf zu antworten, dass eine gute Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik genau dazu führen wird, dass sich Frauen und Männer für Kinder entscheiden.
Diese Antwort liefert der von der ehemaligen Bundesfamilienministerin Renate Schmidt vorgestellte „Familienatlas 2005“: Sobald die wirtschaftlichen Verhältnisse stimmen und die Menschen sich nicht von Arbeitslosigkeit bedroht sehen, entscheiden sich mehr Familien für mehr Kinder und sind Frauen häufiger berufstätig. Zukunftsangst würde dazu führen, dass sich immer weniger Menschen für die Gründung einer Familie entscheiden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist völlig richtig, ist aber nur eine Seite der Medaille. Denn jede Stadt, jede Region hat ihre ganz individuellen Probleme und familienpolitischen Herausforderungen. Konkrete Initiativen, die auf die Lebenssituation der Familien vor Ort bezogen sind, können ganz gezielt darauf eingehen. Deshalb liefern die Erfahrungen der lokalen Bündnisse für Familien eine ganz erstaunliche Antwort: Überall dort, wo es normal ist, Kinder zu haben, kommen noch welche hinzu. Dabei wird es als hilfreich empfunden, wenn Familien vertraute Ansprechpartner um sich haben, die ihnen Rat geben können und die ein Kind freundlich und liebevoll und nicht nur während der offiziellen Öffnungszeiten irgendeiner Einrichtung betreuen.
Die Frage, die wir uns - jedenfalls aus unserer Sicht - stellen müssen, ist: Was verstehen wir unter Familienpolitik? - Der von der Landesregierung vorgelegte Bericht zeigt eine breite Angebotspalette, die von der Politik für die Familien vorgehalten wird. Dabei beschränkt sich der Bericht dankenswerterweise nicht auf die Darstellung finanzieller Leistungen.
Die Kapitel zu Bildungschancen, einer familienund kinderfreundlichen Infrastruktur, über Unterstützungsangebote bei der Erziehung in besonderen Lebenslagen, Hilfsangebote für ein gesundes und gewaltfreies Aufwachsen und die Vereinbarung von Familie und Beruf machen deutlich, dass es in der Familienpolitik mehr gibt als finanzielle Leistun
gen. Der Bericht zeigt, dass für die Familien bereits ordentlich etwas auf den Weg gebracht worden ist.
Den Familien wird viel abverlangt: eine veränderte Arbeitswelt, in der es nicht mehr ausreicht, wenn nur noch ein Elternteil arbeitet; eine höhere berufliche Flexibilität und Schichtarbeit; instabile Partnerschaften und andere Formen von Familien, die nicht mehr dem klassischen Familienbild der 50erJahre entsprechen. Die alte Regel Konrad Adenauers, dass Familien am besten funktionieren, wenn man sie in Ruhe lässt, gilt immer weniger. Ich finde, sie gilt eigentlich gar nicht mehr.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Ich halte es heute für wesentlich wichtiger, in eine entsprechende Infrastruktur zu investieren, als irgendwo Geldscheine unter das Volk zu bringen.
Denn die Familie als Lebensform ist von den Rahmenbedingungen, die wir schaffen, abhängig. Allerdings gibt der Bericht bedauerlicherweise keine wirkliche Antwort darauf, wie auf die geänderten Rahmenbedingungen zukünftig besser eingegangen wird. An der Stelle sind aus meiner Sicht zwei Fragen entscheidend: Erstens. Ist das breite Angebot, das die Politik für die Familien bereithält, überhaupt geeignet? Also: Haben wir bislang die richtigen Maßnahmen für die Familien vorgehalten? Zweitens - das ist die entscheidende Frage -: Kommt das, was wir als familienpolitische Maßnahmen gestalten, tatsächlich bei denen an, für die diese Maßnahmen gedacht sind?
Ein gutes Beispiel dafür, dass Angebote bei bestimmten Familien ankommen, ist das Projekt des Fördervereins „Schutzengel“ in Flensburg. Nachdem der Kollege Harms das hier zum ersten Mal in die Debatte eingebracht hatte, war ich neugierig und habe mir den Förderverein „Schutzengel“ in Flensburg angeschaut. Vor Ort, in den sozialen Brennpunkten des Stadtteils Neustadt mit den angrenzenden Stadtteilbezirken, werden gerade Eltern erreicht, denen in ihrer sozialen Situation mit der Zahlung von Geld überhaupt nicht geholfen ist. Wenn man die Sozialpädagogen dort darauf anspricht, dann sagen sie das ganz freimütig. Diesen jungen Menschen - es sind zum Teil Kinder, die Kinder bekommen - ist überhaupt nicht damit geholfen, dass es irgendeine finanzielle Transferleistung des Staates gibt; vielmehr brauchen solche Eltern ein Netzwerk, in dem ihnen praktische Hilfen im Alltag unkompliziert und niederschwellig angeboten werden. Wenn beispielsweise Kinder selbst
Kinder bekommen und mit der Elternrolle überfordert sind, kann ihnen dort frühzeitig geholfen werden. Es kann auch im Hinblick darauf geholfen werden, die Defizite bei den jungen Männern und Frauen so weit abzubauen, dass sie ihren Erziehungsauftrag überhaupt wahrnehmen können, etwa im Sinne einer Elternschule, wobei ich das nicht an dem Begriff aufhängen möchte.
Hier werden Rahmenbedingungen für eine bestimmte Zielgruppe geschaffen, die ankommen. Genau von diesen brauchen wir mehr. An dieser Stelle hilft die an sich richtige Feststellung im Bericht nicht wirklich weiter, dass Familienpolitik eine Querschnittsaufgabe und damit eine Schnittstelle zur Bildungs-, Sozial-, Wirtschafts- oder Arbeitsmarktpolitik ist. Ich habe etwas dagegen, dass wir alle Bereiche immer in kleine Teile zerschneiden, dann die Schnittstellen suchen, um anschließend das, was wir gerade politisch zerschnitten haben, irgendwie wieder zusammenzubringen. Mir wäre es für die Zukunft lieber, einen integrativen Ansatz zu haben, anstatt die politischen Felder alle zu zerschneiden und dann wieder nach speziellen Andockstellen zu suchen.
Wir glauben, dass eine so genannte Familienverträglichkeitsprüfung ein Instrument wäre, um genau diesen integrativen Ansatz auf den Weg zu bringen; denn wenn der Gesichtspunkt der Familienverträglichkeit von Anfang an mit berücksichtigt wird, besteht die Chance, dass politische Entscheidungen und ihre Auswirkungen bereits im Vorfeld abgewogen werden und womöglich nicht erst im Nachhinein notdürftig nachgebessert werden muss.
Aus Sicht der FDP-Fraktion lassen sich aus dem vorgelegten Bericht vier Forderungen ableiten, um die gesteckten Ziele zu erreichen:
Erstens. Ein familienfreundliches Klima und geeignete Rahmenbedingungen für Familien können dann geschaffen werden, wenn Politik die selbst gesetzten Ziele für Familien klar definiert und sie ständig hinterfragt.
Zweitens. Das System der Transferleistungen muss reformiert und gebündelt werden, um den Familien eine Beratungs- und Leistungsstelle zu bieten.
Deshalb wird von uns die Idee eines Familienbüros, um diese Leistungen aus einer Hand anzubieten, ausdrücklich unterstützt. Im Prinzip erfüllt sie auch die alte Forderung nach dem Bürgergeld, die
Drittens. Das Betreuungsnetz für Kleinst-, Kindergarten- und Hortkinder muss engmaschiger gestaltet und vor allem der Berufswirklichkeit angepasst werden. Das bedeutet, die Öffnungszeiten dieser Einrichtungen der Realität anzupassen, damit es den Eltern tatsächlich ermöglicht werden kann, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Dazu müssen die Kommunen auch in die Lage versetzt werden, dies zu leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen - ich will es ganz ruhig und auch freundlich sagen -, die Deckelung der Personalkosten und der Eingriff in den kommunalen Finanzausgleich vonseiten des Landes bewirken im Zweifel das Gegenteil und machen es den Kommunen eben nicht leichter, dieses Ziel wirklich zu erreichen.
Viertens. Es müssen Rahmenbedingungen gemeinsam mit der Wirtschaft geschaffen werden, um durch flexible Arbeitszeitmodelle insbesondere Frauen wieder stärker in die Betriebe einzubinden. Das führt letztlich zu kürzeren Fehlzeiten nach der Geburt und zu einer viel engeren Bindung an das Unternehmen. Das wird sich langfristig auch für die Arbeitgeber auszahlen. Deshalb unterstützen wir die von der Landesregierung mit dem Handwerk und den Industrie- und Handelskammern initiierten Projekte und Veranstaltungen, die darauf hinauslaufen, ausdrücklich. - Ich freue mich auf die Beratungen im Sozialausschuss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich bedanke mich für den Bericht. Familien mit Kindern sind Grundpfeiler unserer Gesellschaft, Ehe und Familie das zentrale Fundament einer langfristigen, stabilen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Man kann es nicht oft genug sagen. Aber diese Ansicht scheinen immer weniger junge Menschen zu teilen. Aufgrund der veränderten Lebensvorstellungen und Lebensbedingungen der jungen Menschen scheinen die heutigen Rahmenbedingungen der Situation der Familien nicht mehr gerecht zu werden.
Es werden immer weniger Kinder geboren. Woran liegt es? - Einfache Antworten darauf gibt es nicht. An der Förderung in der Bundesrepublik Deutschland kann es nicht liegen; denn laut „Die Zeit“ vom 22. Juni 2006 mit der Überschrift „Jede hat einen guten Grund“ sagt Gerda Neyer vom Max-PlanckInstitut in Rostock - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:
„Die Demographie ist einfach noch nicht so weit, sich mit handfesten Begründungen für den Geburtenrückgang in die Debatte einzumischen. Denn sie ist eine unterentwickelte Wissenschaft, gerade in Deutschland.“
In den letzten 50 Jahren hat sich die Lebenswirklichkeit in der deutschen Gesellschaft stark verändert, wenn auch die Familie immer noch die attraktivste Lebensform geblieben ist, so sagt es zumindest eine Studie des Allensbach-Instituts. Die Wirklichkeit sieht hingegen anders aus - die Ministerin hat es dargestellt -: Fast 30 % aller Frauen bleiben kinderlos. Frauen, die sich für eine Familiengründung entscheiden, bekommen durchschnittlich nur noch 1,29 Kinder. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig und - wie das Max-PlanckInstitut in Rostock sagt - wissenschaftlich nicht abschließend belegt.
Die Allensbach-Studie sieht hier zum Beispiel vor allem die Angst vor der finanziellen Belastung; das Gefühl, für Kinder noch zu jung zu sein; die Unvereinbarkeit mit eigenen Karriereplänen; das Fehlen einer stabiler Partnerschaft und das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Freiräumen.
Diese Entwicklung hat vielfältige Auswirkungen, deren wahres Ausmaß erst in mehreren Jahrzehnten zu spüren sein wird. Diese sind bereits von allen Fraktionen in familienpolitischen Debatten mehrfach in diesem Hause benannt worden. Sie sind uns bekannt. Ich muss sie nicht noch einmal nennen; sie können Sie auch im Familienbericht nachlesen.
Zu der Entwicklung und deren abzusehende Folgen kommt, dass heute jede dritte Ehe geschieden wird und dabei in rund 50 % der Scheidungen minderjährige Kinder betroffen sind. Dadurch steigt die Zahl der allein erziehenden Eltern und das Entstehen neuer Familien- und Partnerschaftsstrukturen.
Heutzutage wollen junge Menschen nicht mehr vor die Alternative gestellt werden, ob sie sich entweder für den Beruf oder die Familie entscheiden sollen. Heutzutage müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es jungen Familien erlauben, beides miteinander zu vereinbaren. Dies wäre ein Weg, um dem schleichenden Problem der Überalterung Deutschlands zu begegnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Politik kann keine Kinder kriegen. Politik kann es auch nicht allein schaffen. Wir brauchen in Deutschland ein besseres Klima, ein besseres Image für Familien, für Kinder. Politik muss das tun, was sie kann - zumindest das. Nur wenn die Politik die notwendigen Schritte einleitet, damit junge Familien auf der einen Seite eine Karriere starten und auf der anderen Seite Kinder bekommen können, werden wir die bereits wiederholt beschriebenen Probleme lösen können.
Ein wichtiger Grundsatz ist hier die Definition des Begriffs Familie, der in vielfältigster Weise ausgelegt und variiert wird. Mit der Definition, die in dem Bericht der Landesregierung verwendet wird, bin ich sehr zufrieden: „Familie ist überall dort, wo Eltern für ihre Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung tragen“ beschreibt, dass Kinder bei einer Familie der wesentlichste Bestandteil sind. Partnerschaftsstrukturen können gern variieren.