Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

aus. Außerdem stellt das Land für die zusätzliche Sprachförderung Mittel in Höhe von 27 Millionen € in dieser Wahlperiode bereit. Dazu stehen wir und halten deshalb an der bisherigen Förderung fest.

(Beifall bei der SPD - Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Jedes Kind soll gut vorbereitet und mit soliden Sprachkenntnissen in die Schule kommen. Wer nicht in die Kindertagesstätte geht, erhält die Förderung auf einem anderen Weg. Auch diese Mittel sind gut angelegt, um heute Chancengleichheit auch von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund zu verbessern. Damit der Übergang zur Schule leichter fällt und damit jedes Kind individuelle Hilfe bekommt, arbeiten die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagestätten und die Lehrerinnen und Lehrer in den Grundschulen enger zusammen.

Kinder müssen schon in der Kindertagesstätte so auf die Schule vorbereitet werden, dass sie mit dem Eintritt in die Grundschule gleiche Bildungschancen haben. Gerade unter dem Aspekt der Chancengleichheit rücken die frühkindliche Bildung und die vorschulische Bildung und Erziehung in den Mittelpunkt. Zumindest im letzten Jahr vor der Schule sollte deshalb jedes Kind eine Kindertagesstätte besuchen. Die Beitragsfreiheit wie in Rheinland-Pfalz mag dazu ein wichtiger Schritt sein.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wissen aber, dass nicht alles Wünschenswerte auch machbar ist, und wir wissen auch, dass nicht alles über Geld zu regeln ist. Deshalb wird es nicht die alleinige Lösung sein, mit einer Beitragsfreiheit zu winken. Beitragsfreie Kindertagesstätten werden nicht allein dazu führen, dass wirklich alle Kinder eine Kindertagesstätte besuchen. Gestaffelte Beiträge ermöglichen es Familien mit einem geringeren Einkommen bereits jetzt, ihre Kinder in die Kindertagestätte zu schicken. Das heißt, eigentlich müssten alle Kinder schon jetzt eine Kindertagesstätte besuchen. Da dies nicht der Fall ist, gehe ich davon aus, dass hier eine Fehleinschätzung mancher Eltern vorliegt. Ihre Gewichtung ist einfach anders. Dies ist bedauerlich, aber es ist so.

Unter diesen Umständen ist sicherlich auch über eine Kindergartenpflicht nachzudenken.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kindergartenpflicht muss übrigens nicht automatisch Beitragspflicht bedeuten. Beitragsfreie Kindertagesstätten sollten kein Konkurrenzangebot der

(Astrid Höfs)

einzelnen Bundesländer untereinander sein. Das finde ich sehr wichtig. Wenn man seine Kinder, sofern es Umzugsmöglichkeiten gibt, dort betreuen lässt, wo es nichts kostet, so finde ich das nicht gut. Wenn wir es genau nehmen, müsste dies eigentlich bundeseinheitlich geregelt werden. Kinder sind in allen Bundesländern gleich viel wert und der Bund hat auch vor Jahren den Anspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren beschlossen. Gut wäre es, wenn sich der Bund an den Kosten beteiligt und so in allen Bundesländern das letzte Kindergartenjahr vor der Einschulung beitragsfrei wäre. Das wäre echte Chancengleichheit.

Aus dem Bericht geht auch hervor, dass für die Kinder in Schleswig-Holstein im Alter ab drei Jahren bis zum Schuleintritt ein bedarfsgerechtes Angebot vorhanden ist. In einigen Bereichen, wie zum Beispiel im Hamburger Randbereich, wächst die Zahl der Kinder noch. An vielen Orten wird viel gebaut und junge Eltern nehmen dort natürlich die Möglichkeiten wahr. Es wird also noch erforderlich sein, gerade hier Anpassungen vorzunehmen. Eines ist aber festzuhalten: Die Verantwortlichen in den Kreisen und kreisfreien Städten haben einfach zu lange gezögert, einen Entwicklungsplan für die Tagesbetreuung der unter Dreijährigen zu erarbeiten. Das hätte eigentlich schon im letzten Jahr geschehen sollen. Längst hätten mehr Betreuungsplätze bereitgestellt werden müssen.

Die Öffnung der Kindertagesstätten für Kinder unter drei Jahren bietet sich einfach an, insbesondere dort, wo schon einige Plätze frei geworden sind; denn insgesamt sinken die Kinderzahlen, wie wir ebenfalls bereits gehört haben. Dafür müssen keine neuen Gebäude oder Einrichtungen erstellt werden. Es gibt die Möglichkeit, einfach die Plätze zu öffnen und auch für unter Dreijährige anzubieten. Diese Möglichkeiten sind in fast allen Bereichen des Landes vorhanden. Allein die Frage, ob man das so will, muss hier gestellt werden. Wer Kindern eine gute Zukunft sichern will, der muss die Gegenwart nutzen.

Ich bitte um Überweisung des Berichtes in den Bildungs- und in den Sozialausschuss.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein paar Vorbemerkungen. Ich bin Ihnen dankbar für Ihren Hinweis, Frau Bildungsministerin, dass die Politik nicht erst seit vorgestern weiß, wie sich die Bevölkerung entwickelt. Ich darf daran erinnern, dass es die erste Enquetekommission zum Thema Demographie Mitte der 70er-Jahre gab. Die Politiker, und zwar alle, haben 30 Jahre lang geschlafen, weil sie die Ergebnisse dieser Enquetekommission schlichtweg ignoriert haben.

(Zuruf von der SPD: Durch die Wiederverei- nigung hat sich das völlig verändert!)

- Ja, genau.

Die Zensur, Frau Heinold, die Sie in Richtung der Bildungsministerin erteilt haben, fand ich sehr hart. Ich finde den Bericht zwar durch und durch unbefriedigend. Dazu sage ich gleich noch etwas. Das Ergebnis, das in diesem Bericht steht, kann niemanden von uns wirklich zufrieden stellen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Frage ist allerdings, ob die Bildungsministerin in dem Fall etwas dafür kann. Wenn man sich das nämlich einmal genau anguckt, dann stellt man fest, dass Sie vielleicht den entsprechenden Kreisen und kreisfreien Städten etwas mehr auf die Füße hätten treten müssen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ob das etwas geholfen hätte, weiß ich nicht.

Auch nicht in Ordnung finde ich, dass man das hier immer nur auf zwei Kreise fokussiert. Gucken Sie sich einmal Seite 4 des Berichts an. Da sehen Sie, dass vom Kreis Ostholstein bis zum Kreis Stormarn überhaupt keine Angaben geliefert worden sind, mit denen man irgendwie weiterkommt.

Die Kollegin Höfs hat gerade ausgeführt, dass im Kreis Pinneberg in Zukunft mehr Kinder da sein werden. Sie haben vom Süden gesprochen. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie nicht nur Ihren Kreis, sondern auch den Kreis Pinneberg meinen. Angesichts dessen finde ich eine pauschale Antwort an die Landesregierung, dass kein Ausbaubedarf vorhanden ist, wie es der Kreis Schleswig-Flensburg oder auch der Kreis Plön melden, schlichtweg nicht in Ordnung; denn es trifft nicht die Realität. Vor diesem Hintergrund ist das, was uns hier vorgelegt worden ist, für die weitere politische Arbeit an diesem Thema schlicht nicht zu gebrauchen; denn es steht nichts drin.

(Astrid Höfs)

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Aus unserer Sicht macht der vorgelegte Bericht der Landesregierung zur Kinderbetreuung deswegen vor allem eines deutlich: Die Kommunen selbst haben überhaupt noch keine klaren Vorstellungen davon, wohin die Reise eigentlich gehen soll, geschweige denn, was auf sie zukommt. Das dokumentieren sie. Das ist keine Schelte an der kommunalen Familie, sondern das haben sie mit ihrem Rücklauf an die Landesregierung zu diesem Bericht dokumentiert, und zwar nicht nur die beiden hier immer wieder zitierten Kreise, sondern fast alle Kreise und kreisfreien Städte - mit einer löblichen Ausnahme, nämlich der Landeshauptstadt Kiel. Sie hat halbwegs ordentliche und verwendbare Daten geliefert. Dass dies so ist - das hat möglicherweise die Kollegin Heinold zu ihrer Schelte veranlasst -, liegt unserer Auffassung nach zum einen an der statistischen Erhebung. Zwar wird in der Vorausberechnung der Bevölkerung in Schleswig-Holstein bis 2010 von einer stetig sinkenden Zahl von Kindern ausgegangen, was die Union ja gleich zum Anlass nimmt, die Deckelung - liebe Kollegin Franzen, es bleibt eine Deckelung, auch wenn Sie sie hier wacker verteidigt haben - als großartigen finanzpolitischen Erfolg zu feiern. Ihr Argument ist ja: Die Zahl der Kinder sinkt; also kommt pro Kopf mehr. Ich erinnere daran, dass auf die Einrichtungen zusätzlich ein Bildungsauftrag zukommt, der auch - jedenfalls unserer Auffassung nach - etwas kostet.

(Beifall bei der FDP)

Doch die eigentliche Berechnung wird von den Kommunen aufgrund des örtlichen Melderegisters vorgenommen. Einige Kreise führen ergänzend Elternbefragungen durch. Andere wiederum greifen zusätzlich auf die Schulstatistik zurück. Die Folge ist, dass die Kommunen Bedarfspläne aufstellen, die nicht landeseinheitlich standardisiert sind, sodass eine vergleichbare Auswertung, wie man an dem Bericht sehr schön sieht, überhaupt nicht möglich ist, da völlig unterschiedliche Daten oder eben keine Daten zugrunde liegen. Diese Planungen werden regelmäßig in Vier- bis Fünfjahresschritten aktualisiert. Aus unserer Sicht ist nicht verwunderlich, dass es Planungen zum Ausbau eines bedarfsgerechten Betreuungsangebotes jenseits des Kommunalwahltermins 2008 - auch dorthin lohnt sich ein Blick - von den allerwenigsten Kommunen gibt. Ist es möglicherweise so, dass die Kommunen den Bedarf wohl erahnen, sich aber nicht trauen, ihn aufzuschreiben, weil sie genau wissen, was finanziell

auf sie zukommt, und weil sie das finanziell nicht leisten können?

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das ist eine spannende Frage, die man sich einmal stellen muss.

So können die meisten der befragten Kommunen weitere Planungsschritte zur Verwirklichung des Betreuungsangebotes nur teilweise nennen, von den daraus resultierenden Kosten und der Höhe der Elternbeiträge ganz zu schweigen.

Das ist nur die eine Seite der Medaille, warum die Landesregierung in ihrem Bericht auf die sehr konkreten Fragen zur Kinderbetreuung schlichtweg nicht antwortet. Diese schlichte Nichtbeantwortung ist unbefriedigend; da gebe ich Ihnen völlig Recht. Die Politik fordert zwar Vorfahrt für Kinder, lässt aber die Kommunen - Frau Kollegin Franzen, dabei bleibe ich - weitgehend allein. Das ist nicht nur bei der Finanzierung der Fall - auch das will ich deutlich sagen -, sondern zum Teil auch bei der Gesetzgebung. Konnten die Kommunen einfach keine konkreten Zahlen nennen - ich habe das schon ausgeführt - oder haben sie es lieber erst gar nicht getan? Ist die Befürchtung der Kommunen berechtigt, dass der Ausbau der Betreuungsplätze wesentlich kostenintensiver ist, als bislang bekannt oder befürchtet wurde? Allein für die intensivere Betreuung von unter Dreijährigen ist ein höherer Personalschlüssel bei zugleich kleineren Gruppengrößen notwendig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da braucht man eben mehr Geld, auch wenn die Kinderzahl in den nächsten drei oder vier Jahren sinken mag.

Die von der Stadt Kiel errechneten Mehrkosten bis 2010, die sich im Vergleich zum Jahr 2005 auf rund 10 Millionen € belaufen - 10 Millionen € allein für die Stadt Kiel, die sich getraut hat, diesen Mehrbedarf zu ermitteln -, machen deutlich, was auf die einzelnen kommunalen Haushalte zukommt.

Frau Erdsiek-Rave, ich will ganz freundlich sagen: Auch Sie haben die 60 Millionen € als großen finanzpolitischen Kraftakt der großen Koalition dargestellt. Aber auch Sie werden - nicht mir, aber zumindest der Landeshauptstadt Kiel - erklären müssen, wie dieser finanzielle Kraftakt von zusätzlich 10 Millionen € bis 2010 eigentlich bewältigt werden soll. Ich glaube nicht, dass die Landeshauptstadt Kiel viel davon hat, wenn Sie immer wieder darauf hinweisen, dass die Deckelung Ihnen schon irgendwie weiterhelfen wird. Das ist für die Lan

(Dr. Heiner Garg)

deshauptstadt Kiel kein finanzieller Kraftakt, sondern das wird eine finanzielle Katastrophe, wenn sie dafür in Zukunft nicht mehr Geld bekommt.

Wenn darüber hinaus zu Recht - ich will das für die FDP-Fraktion ausdrücklich sagen - eine frühzeitige und bessere Bildung der Kinder, bessere Öffnungsund Betreuungszeiten oder andere, höhere Betreuungsstandards eingefordert werden - das tun fast alle hier im Haus -, dann muss die Frage erlaubt sein, inwieweit diese Forderungen durch das Land entsprechend unterstützt werden. Ich sage noch einmal: Der Bildungsauftrag kostet Geld. Er ist nicht umsonst zu haben. Das sagen die Menschen, die in Kindertagesstätten arbeiten, freiweg. Wir müssen eine Antwort darauf liefern, ob wir uns den Bildungsauftrag leisten wollen. Wenn wir ihn uns leisten wollen, dann müssen wir ihn auch bezahlen.

Es wird immer wieder gern darauf verwiesen, dass es Aufgabe der Kommunen ist, ein bedarfsgerechtes Angebot zu gewährleisten. Das ist völlig richtig. Der alleinige Hinweis darauf hilft an dieser Stelle aber nicht weiter. Wir haben gerade darüber diskutiert, dass Familienpolitik hohe Priorität haben soll. Wenn Einigkeit darüber besteht, dass Familien entsprechende Rahmenbedingungen brauchen, dann kann diese Politik nicht gegen die Kommunen gemacht werden, sondern sie muss gemeinsam mit den Kommunen gemacht werden.

Ich will ein Beispiel dafür anführen, weil ich es vorhin angesprochen habe, dass auch Gesetze mit verantwortlich dafür sind, dass die Kommunen das Gefühl haben, sie werden im Regen stehen gelassen. Ein Beispiel dafür, wie es aus unserer Sicht nicht gehen darf, ist das Tagesbetreuungsausbaugesetz, TAG. Es wurde den Kommunen schlichtweg übergestülpt. Man hat die Betroffenen vor Ort überhaupt nicht gefragt; man hat sie nicht mitgenommen. Das darf in Zukunft einfach nicht mehr passieren. Das ist eine Geschichte, bei der es nicht in erster Linie um den Geldhahn geht.

Es besteht die Gefahr, dass der Wunsch nach einer besseren Infrastruktur für mehr Familienfreundlichkeit unerfüllt bleibt, da hier Wunsch und Wirklichkeit an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommunen scheitern. Umso wichtiger ist es deshalb, den Kommunen vonseiten des Landes Hilfestellung und Unterstützung bei der Umsetzung der Bedarfsplanung zu geben.

Frau Erdsiek-Rave, Sie müssen ihnen ja nicht auf die Füße treten. Damit erreicht man wahrscheinlich am wenigsten. Aber es wäre schon schön, wenn Sie versuchen würden, im Dialog mit den Kommunen klipp und klar deutlich zu machen, dass eine ent

sprechende Bedarfsplanung nur möglich ist, wenn vorab das entsprechende Datenmaterial gesammelt wird. Dass das nicht Ihre Aufgabe ist, weiß ich. Aber Ihre Aufgabe könnte es sein, diesen Prozess zu moderieren,

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit die Kommunen überhaupt eine Ahnung davon bekommen, was im Bereich der Kinderbetreuung - damit meine ich U 3, Kindertagesstätten und ein entsprechendes Hortangebot für Kinder im Grundschulalter - zukommt.

Sie haben die Konsequenzen erwähnt, die wir aus der demographischen Entwicklung ziehen müssen. Ich habe den leisen Verdacht, dass die Kommunen keinen blassen Dunst oder zumindest nur wenig Ahnung davon haben, was in Zukunft auf sie zukommt, wenn wir „Vorfahrt für Kinder“ wirklich ernst meinen und in die Tat umsetzen wollen.