Natürlich gibt es auch Aussagen in Ihrer Regierungserklärung, die nicht meine ungeteilte Zustimmung finden. Wen wundert dies? Es mag sein, dass der in Kiel festgenommene Attentäter aufgrund seiner Religionszugehörigkeit von der Rasterfahndung erfasst worden wäre. Seine Daten wären aber schnell wieder gelöscht worden, weil er sich bis zu seinem Attentatsversuch friedlich verhalten hat. Die Rasterfahndung hätte also auch hier den potenziellen Attentäter nicht ermitteln können. Die Attentatsversuche geschahen ja während der laufenden gesetzgeberischen Möglichkeiten der Rasterfahndung. Deshalb komme ich auch in der Frage der Notwendigkeit einer Entfristung der Rasterfahndung zu einer anderen Beurteilung als Sie. Die Entfristung hätte Ende 2005 auslaufen können. Das aber ist Schnee von gestern.
Sie haben gesagt, es möglicherweise aber anders gemeint, dass sich derjenige, der Attentate mit dem Karikaturenstreit rechtfertigen möchte, außerhalb des Grundgesetzes stellt. Ich möchte hinzufügen: Das greift zu kurz. Jeder, der ein Attentat zu rechtfertigen versucht, stellt sich außerhalb des Grundgesetzes. Verbrechen bleibt Verbrechen. Hierfür gibt es keine Legitimation.
Die Tatsache, dass wir heute allerdings von Ihnen eine Regierungserklärung gehört haben, und die Tatsache, dass wir vor Kurzem - Sie haben zu Recht gesagt, nur mit Glück - zwei Anschlägen entgangen sind, haben Ursachen. Diese Ursachen liegen mehr als fünf Jahre zurück. Lassen Sie mich dennoch versuchen zu schildern, warum wir gerade in den letzten fünf Jahren immer wieder und immer mehr oder weniger heftige Debatten zu Fragen der Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen und zu Einschränkungen der Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern geführt haben.
Am Montag dieser Woche jährten sich zum fünften Mal die schrecklichen Ereignisse des 11. Septembers 2001 in New York. Ich möchte hinzufügen: Wer von uns ist nicht nach wie vor beeindruckt von den Bildern und den Mitteilungen über das grausige Geschehen, die erneut über die Fernseh- und Radiostationen verbreitet wurden. Wer an diesem Montag die Berichte noch einmal mitverfolgt hat und dabei die verzweifelten Anrufe der hilflosen Menschen kurz vor dem Einsturz der Gebäude gehört hat, die an diesem Tag durch den Einschlag der Flugzeuge in den oberen Etagen der Twintowers von der Flucht abgeschnitten waren, der bekommt immer wieder ein beklemmendes Gefühl. Viele Menschen haben Angst vor einer solchen Situation. Daher verlangen sie alles nur erdenklich Mögliche für ihre Sicherheit.
Ich kann diese Denkweise aus menschlicher Sicht nachvollziehen. Ich habe Verständnis für diejenigen, die damals in der Situation gerufen haben: Liebe Parlamentarier, tut bitte alles, um uns zu schützen und um solch eine Situation zu vermeiden. Das hat dann dazu geführt, dass insbesondere diejenigen, die schon in der Vergangenheit immer nach mehr Kontrollen der Bürgerinnen und Bürger gerufen haben, ihre Zeit für gekommen hielten; und sie waren erfolgreich. Sie waren erfolgreich bei der Durchsetzung von Gesetzen, die den Überwachungsbehörden immer mehr Kompetenzen auf Kosten der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger einräumten. Ich weiß, dass dieses klassische Schwarz-Weiß-Bild der Freiheit versus Sicherheit eigentlich untauglich ist. Es vernebelt die Diskussion eher, als dass es ihr hilft.
Ich gehe auch davon aus, dass alle hier im Parlament vertretenen demokratischen Parteien sowohl ein Höchstmaß an Sicherheit als auch an Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger wollen. Es ist aber leider so, dass mit jeder neuen Kontrollmöglichkeit für die Sicherheitsbehörden auch ein Stück Freiheit geopfert wird. Es ist die Grenzziehung zwischen den Eingriffskompetenzen und der Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Äußerungsfreiheit, die uns in diesem Haus mal mehr und mal weniger unterscheidet.
Die FDP hat nie geglaubt - Sie haben es noch einmal betont -, dass man den Menschen erklären darf, dass es für sie eine hundertprozentige Sicherheit gibt. Wir glauben auch nicht, dass ein Klima, das Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit einengt und das sie aufgrund einer religiösen Zugehörigkeit und ohne eigenes strafbares Vortun zum verdächtigen
Ziel von Ermittlungsbehörden machen kann, künftig Verbrechen oder Anschläge verhindert. Wir glauben, dass dies eher zu Radikalisierungen in der Gesellschaft Anlass geben kann und damit denjenigen einen fruchtbaren Boden bereitet, die ihre Saat des Hasses auch in unserem Land - sei es in Person oder via Internet - ausbringen.
Wir müssen darüber nachdenken, warum die Attentäter bei den Anschlägen in London oder auch bei den versuchten Anschlägen in Deutschland entweder in dem Land, welches sie zum Tatort ihrer Anschläge ausgewählt haben, aufgewachsen oder aber zumindest dort erst zum Attentäter geworden sind. Wir wissen von den beiden, dass sie sich hier in Deutschland radikalisiert haben und nicht radikal aus ihren Heimatländern gekommen sind. Diese Fragen zu klären, ist viel wichtiger, als sofort mit neuen Dateien und Überwachungsszenarien zu hantieren. Das hat auch der Herr Innenminister mit seinen Ausführungen zur Integration erkannt. Ich beglückwünsche ihn ausdrücklich zu dieser Erkenntnis.
Deutschland ist nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 aus meiner Sicht einen bedenklichen Weg gegangen. Deutschland hat nach der Devise gehandelt, die zuletzt der Journalist der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, in einem Beitrag für die Zeitung „Das Parlament“ beschrieben hat: „Die Angst besetzt das Denken.“
Ich will Ihnen das an zwei kleinen Vorkommnissen darstellen, die sich vor wenigen Tagen hier bei uns zugetragen haben. Vor kurzem wurde in der Kantine des Kieler Landeshauses ein herrenloser Rucksack gefunden. Daraufhin wurde der gesamte Nordflügel des Gebäudes geräumt. 50 Abgeordnete und Mitarbeiter - auch die Abgeordneten und Mitarbeiter meiner Fraktion - mussten für eine knappe Stunde das Haus verlassen, bis Bombenspezialisten Entwarnung gaben. Der Rucksack erhielt nichts Bedrohliches. Am gleichen Tag versetzte eine ebenfalls herrenlose Gasflasche in einem Abteil eines Zuges, der auf dem Eckernförder Bahnhof einfuhr, die Menschen in Aufregung. Der Bahnhof wurde großräumig abgesperrt; die Züge hatten bis zu drei Stunden Verspätung, bis der Kampfmittelräumdienst Entwarnung geben konnte. Die Flasche war ungefährlich. Vor wenigen Tagen wurde in diesem Zusammenhang ein 19-jähriger Heranwachsender aus Kiel auf dem dortigen Bahnhof festgenommen. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen drogenabhängigen jungen Mann handelte, der versucht hatte, das relativ hohe Pfandgeld für die leere Gasflasche zu erhalten. Seine eigene Vergesslichkeit
Ich sage dies, weil ich glaube, dass das keine Vorsicht mehr ist. Das ist Angst. In Deutschland hat sich dieses Klima breit gemacht und das bereits in der Gesetzgebung seit dem Jahre 2001. Es ist diese Art, sich erst einmal zu schützen, erst einmal zu misstrauen, statt zu vertrauen, welches teilweise das Denken in Deutschland ersetzt hat.
Unser Land hat neue Szenarien der Überwachung und Verfolgung gesetzt, die noch wenige Jahre vorher undenkbar gewesen waren und die teilweise nur durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt wurden. Dabei hat den gesetzgeberischen Initiativen eines gefehlt: eine wirkliche Untersuchung des Bedarfes nach neuen Handlungsmöglichkeiten für die Sicherheitsbehörden. Wir hätten uns die Zeit nehmen können und müssen, wie ich glaube, um zu fragen, ob wir diese Instrumentarien wirklich brauchen, ob sie wirklich helfen. Stattdessen wurde Gefahrenabwehr neu definiert: Große Gefahren brauchen auch große Abwehr.
Was bei den Diskussionen völlig unterging und auch heute noch übersehen wird, ist die Tatsache, dass die Anschläge vom 11. September 2001 hätten verhindert werden können. Es lagen alle Informationen vor, so der zuständige Parlamentsausschuss des amerikanischen Kongresses. Warum wurde nicht die Zeit genommen, dies auch in Deutschland in der politischen Debatte zu den Schily-I- und -IIPaketen ausreichend zu würdigen? Stattdessen wurde auf der legislativen Seite zugeschlagen: Wir haben das Schily-I-Paket und das Schily-II-Paket bekommen. Was aber haben uns diese beiden Pakete gebracht? Ich führe nur einige wenige Bespiele auf. Die gesamte Liste ist weitaus länger.
Die Geheimdienste haben umfangreichere Kompetenzen zur Erhebung und Verarbeitung von Telekommunikationsdaten erhalten. Mit so genannten IMSI-Catchern dürfen die Dienste seither auch Standort, Geräte- und Kartennummern von Handys ermitteln. Die Banken wurden verpflichtet, dem Verfassungsschutz und dem BND Auskunft über Kontobewegungen zu geben. Auch bei der Post und bei Fluggesellschaften darf der Verfassungsschutz neuerdings nachfragen.
Das Luftsicherheitsgesetz, Herr Innenminister, ist wohl eines der unrühmlichsten Gesetze, die jemals eine parlamentarische Zustimmung erfahren haben.
zeuges wurde der Tod von Menschen, die selber Opfer eines Verbrechens wurden, in Kauf genommen, letztlich auf Verdacht hin. In unserer Verfassung steht zu Recht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Im Luftsicherheitsgesetz wurde dieser grundlegendste Gedanke unseres Wertesystems außer Kraft gesetzt. Es wird in unserem Wertekanon niemals eine Erklärung dafür geben, dass das Menschenleben eines in einem Flugzeug entführten Opfers weniger wert sein soll als das Leben eines Menschen, der sich in einem Gebäude befindet, welches möglicherweise Ziel des Flugzeuges ist.
Auf der Innenministerkonferenz haben Bund und Länder beschlossen, eine Anti-Terror-Datei einzuführen, bei der unter anderem auch der Familienstand, die Bankverbindungen, die Aufenthaltsorte und Reisen sowie die Telekommunikationsdaten und auch die Religionszugehörigkeit gespeichert werden sollen. Eine solche Datei ist nur als Indexdatei verfassungsrechtlich überhaupt zulässig. Ich danke dem Herrn Innenminister, dass er sich in entsprechender Form in der Innenministerkonferenz eingesetzt hat.
Aber in diesem Zusammenhang hat der Innenminister des Freistaates Bayern, Herr Beckstein, den Vogel abgeschossen. Er schlug vor, dass bei einem „liberalen, toleranten Moslem“ die Religionszugehörigkeit nicht in die Datei aufgenommen werden sollte. Was hat ein liberaler, toleranter Moslem überhaupt in einer Anti-Terror-Datei zu suchen?
Was ist das für ein Denkansatz? Moslem gleich potenzieller Terrorist? Ich erinnere daran, dass wir 3,8 Millionen Menschen in Deutschland haben, die muslimischen Glaubens sind.
Auf Länderebene wurden diverse Polizeigesetze verschärft, Schleierfahndungsmöglichkeiten wurden eingeführt oder ausgeweitet, Rasterfahndungen beschlossen und präventive Telefonüberwachungsmaßnahmen durchgesetzt, die den Boden des verfassungsrechtlich Zulässigen teilweise überschritten haben. Ich konzediere und gestehe zu, Herr Innenminister, dass nicht alles, was auf den Weg gebracht wurde und meine politische Zustimmung nicht findet, verfassungswidrig ist. Das habe ich bereits erklärt.
Wir haben in dem damals bestehenden bundesweiten Druck auch in Schleswig-Holstein die zeitlich begrenzte Rasterfahndung beschlossen. Diese wurde mittlerweile entfristet. Ich habe bereits erwähnt, dass wir sie als Mittel zur Terrorismusbekämpfung für untauglich halten. Als Maßnahme der Fahndung
Das neue Polizeirecht in Schleswig-Holstein, das sich noch im Entwurf im Ausschuss befindet, ist in einigen Punkten nach der Auffassung der meisten Fachleute, die etwas von der Materie verstehen, mit unserem Grundgesetz nicht mehr in Einklang zu bringen. Ich wünsche mir, Herr Innenminister, dass Ihr Haus und die regierungstragenden Fraktionen darauf in entsprechender Weise reagieren und ein Polizeigesetz auf den Weg bringen, das nicht in der Gefahr steht, Grundwerte unserer Verfassung zu ignorieren.
Auf Bundesebene befasst sich nun eine Expertenkommission aus dem Bundesforschungsministerium mit einem neuen Überwachungssystem. Dieses System ist vor allem darauf angelegt, eine nahezu perfekte Überwachung zu gewährleisten, aber gleichzeitig praktisch unsichtbar zu sein. Glaubt jemand, wir kämen so weiter? Wollen wir eine Gesellschaft, in der mit- und zwischenmenschliche Kontakte nicht mehr gepflegt werden, aus Furcht, als mögliche Kontaktperson eines möglichen muslimischen Attentäters in einer Datei zu landen, mit persönlichen oder beruflichen Nachteilen?
- Das hat mit „Big Brother“ nichts zu tun, Konrad Nabel. Es hat damit zu tun, dass Menschen bereits beginnen, sich zu fragen, ob es für sie sinnvoll ist, sich tatsächlich noch mit Türken oder Arabern zusammen sehen zu lassen, aus lauter Furcht, dass dieser Kontakt ihnen selber persönliche Nachteile bereiten könnte. Es ist das Klima, auf das es ankommt.
Die beste Form der Terrorismusbekämpfung ist eine ausgewogene Außenpolitik und ein innenpolitisches Klima ohne Stigmatisierungen. Herr Minister, da stimme ich Ihnen völlig zu. Wer Fußfesseln, womöglich ein Leben lang, für so genannte Hassprediger fordert oder Internierungslager - auch das ist ein Vorschlag, der in Niedersachsen oder Bayern bereits das Licht der Welt erblickt hat -, womöglich auch ein Leben lang, für angeblich gewaltbereite Moslems fordert, gehört nach meiner festen Überzeugung auf die Couch und nicht in verantwortungsvolle Positionen.
Es ist in der Terrorismusforschung leidlich bekannt, dass weder Armut noch Analphabetismus eine Disposition zum Terrorismus schaffen. Als zen
traler Faktor wird vielmehr immer wieder die Erfahrung von Demütigung ausgemacht. Ich sage ausdrücklich: Wer wie die USA ein Land wie den Irak völkerrechtswidrig angreift, dies noch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, wie einer Verbindung des Irak zur Al Qaida oder dem behaupteten Besitz von Massenvernichtungswaffen, und dazu noch die Werte der westlichen Welt, die verbreitet werden sollen, in Abu Ghraib oder Guantánamo mit Füßen tritt, der leistet dem Terrorismus in der gesamten westlichen Welt gefährlichen Vorschub.
„Angst essen Seele auf“, so der Titel eines berühmten Films über Rassismus in Deutschland. Wir stehen in der Gefahr, unsere Seele zu verlieren. Auch in Deutschland lebt die demokratische Kultur von der Meinungsfreude, von dem Engagement von Bürgerinnen und Bürgern. Meinungsfreude setzt Furchtlosigkeit voraus. Diese wird verloren gehen, wenn allein die Zugehörigkeit zu einer Religion oder der Kontakt zu einer muslimischen Person Distanz schafft.
Insofern freue ich mich über Ihre Regierungserklärung. Ich hoffe, dass wir weiter fruchtbar streiten über die Abgrenzung zwischen notwendiger Sicherheit und der Gewährleistung von Freiheit.
Ich danke dem Herrn Oppositionsführer und erteile das Wort für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Peter Lehnert.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 31. Juli dieses Jahres hätten zwei mutmaßliche Terroristen mit Kofferbomben an Bord von zwei Regionalzügen beinahe ein Blutbad angerichtet. Auf dem Kölner Hauptbahnhof im Regionalexpress Aachen-Hamm und in der Regionalbahn Mönchengladbach-Koblenz platzierten die jungen Männer am Mittag jeweils eine Kofferbombe. Die Zünder waren auf 14:30 Uhr eingestellt. Explodiert wären die Bomben vermutlich in der Nähe von Kamen in Nordrhein-Westfalen und auf rheinland-pfälzischem Gebiet nach Überquerung des Rheins.
Doch die Menschen dort haben an diesem Tag Glück. Die Bomben explodieren nicht. Die Koffer werden in Dortmund und Koblenz entdeckt.
Sprengstoffexperten analysieren den Inhalt. Die Bundesstaatsanwaltschaft übernimmt die Ermittlungen. Es stellt sich heraus, dass die Koffer eine Propangasflasche sowie mehrere mit Benzin gefüllte Flaschen, Zündvorrichtungen und Batterien enthielten. Außerdem wurde Speisestärke gefunden, mit der die verheerende Brandwirkung noch verstärkt werden sollte. Laut „FOCUS“ ermittelten Kriminaltechniker einen Wirkungsradius der funktions- und zündfähigen Sprengsätze von 100 Metern. Nach den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes sind die Passagiere in den beiden Regionalzügen nur knapp dem Tod entgangen.