Protokoll der Sitzung vom 26.05.2005

Wenn Sie sich mit Ihrem Antrag nicht an die eigenen Parteifreunde in Berlin, sondern an den SchleswigHolsteinischen Landtag wenden, dann kann ich Ihren Antrag nur dahingehend interpretieren, dass Sie selbst nicht mehr von einer seriösen Politik der rot-grünen Bundesregierung überzeugt sind

(Beifall bei CDU und FDP)

und jetzt mit Ihrem Antrag versuchen, die unionsgeführte Mehrheit des Bundesrates zu mobilisieren, um eine unseriöse Politik der rot-grünen Bundesregierung zu verhindern.

Kollege Müller, ich muss Ihnen sagen, das ist ein ganz bemerkenswerter Antrag. Das ist wirklich eine tolle Steilvorlage, die Sie mir hier liefern.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Schauen wir jetzt aber auch auf den Inhalt Ihres Antrags. Sie fordern dort, die steuerliche Förderung von Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland zu streichen. Nun, Herr Kollege Müller, ein Gesetz dieses Namens gibt es nicht. Was Sie hier betreiben, ist eine glatte Irreführung der Öffentlichkeit. Was Sie vermutlich in Wirklichkeit meinen, ist die steuerliche Behandlung von Auslandsinvestitionen. Sie deuteten das gerade an. Danach müssen Unternehmen einen Teil ihrer ausländischen Gewinne in Deutschland ein zweites Mal - also doppelt - versteuern. Im Gegenzug dürfen Betriebskosten, die bei der Auslandsinvestition anfallen, entsprechend gegengerechnet werden.

Wenn wir es nun mit dem gestrigen Bekenntnis zur Europäischen Verfassung ernst gemeint haben und einen einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum schaffen wollen, dann ist dies im Grundsatz eine ganz vernünftige Regelung. Im Übrigen können Auslandsinvestitionen auch dazu beitragen, bestehende Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten oder sogar neue zu schaffen.

Anzumerken ist außerdem, dass die von Ihnen, Herr Müller, kritisierte Regelung aus dem Jahr 1999 stammt. Wenn damit also Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland steuerlich subventioniert würden, dann hätte das Rot-Grün selbst so beschlossen, Herr Kollege Müller. Ich sage noch einmal, das ist eine tolle Steilvorlage, die Sie mir hier liefern.

(Beifall bei CDU und FDP - Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben den Mut, das zu korrigieren!)

Was bleibt also bei seriöser Betrachtung von Ihrem Antrag übrig? Übrig bleibt die unbestrittene Notwendigkeit, als Landtag darauf zu achten, dass keine Bundesgesetze mit negativen Auswirkungen für Schleswig-Holstein beschlossen werden. Die Landesregierung hat dazu eindeutig erklärt, dass sie zukünftig alle Regelungen des Bundes und der Europäischen Union ablehnen wird, wenn diese per saldo zu weiteren finanziellen Belastungen des Landes führen werden. Herr Kollege Müller, die komplexen Detailfragen, die Sie mit Ihrem Antrag aufwerfen, lassen sich dagegen kaum sachgerecht und umfassend mit den wenigen Zeilen Ihres Antrages behandeln. Im Namen der CDU-Fraktion beantrage ich deshalb eine Überweisung Ihres Antrags an den Finanzausschuss.

(Tobias Koch)

Herr Kollege Müller, erlauben Sie mir abschließend noch einen gut gemeinten persönlichen Ratschlag unter neuen Parlamentariern, die wir beide gleichermaßen sind: Ich würde es begrüßen, wenn Sie den Landtag zukünftig mit solchen Anträgen verschonen würden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Lassen Sie uns hier in diesem Haus keine unnötigen bundespolitischen Schaukämpfe austragen, sondern lassen Sie uns gemeinsam an den Themen arbeiten, die für Schleswig-Holstein wirklich wichtig sind und die wir auch in diesem Haus entscheiden können.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Ich bedanke mich bei dem Abgeordneten Tobias Koch und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Birgit Herdejürgen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das Ziel der Gesprächspartner beim Jobgipfel, nämlich durch gemeinsame Anstrengungen der Parteien einen besseren Rahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu erhalten, ist natürlich ohne Einschränkung zu begrüßen. Was das betrifft, können wir dem Antrag der Grünen sicherlich folgen, aber eben nicht in allen Punkten. Die Umsetzung der beim Jobgipfel verabredeten Maßnahmen hat auf Bundesebene erst angefangen. Als Land Schleswig-Holstein dazu Position zu beziehen, ist in Ordnung. Aber, lieber Klaus, ich habe meine Zweifel, dass die Leute in Berlin Schlange stehen, um das Ergebnis unserer heutigen Debatte zu erfahren. Wir sehen daher keinen Anlass, über den Antrag heute in der Sache abzustimmen, und folgen dem Vorschlag der CDU, den Antrag in den Finanzausschuss und zur Mitberatung in den Wirtschaftsausschuss zu überweisen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, eine Unternehmensteuerreform kann keine Einbahnstraße sein. Eine Steuerreform, die der Wirtschaft zugute kommt, beinhaltet selbstverständlich die klare Aufforderung an die Unternehmen, sich der Verantwortung für den Standort Deutschland, das heißt für die Schaffung von Arbeitsplätzen bewusst zu sein und danach zu handeln. Es geht bei den zurzeit diskutierten Maßnahmen nicht darum, der Wirtschaft weitere Steuergeschenke zu gewähren. Ziel ist, die Attraktivität des Standorts Deutschland durch mehr Transparenz im Steuersystem zu erhöhen. Das heißt auch, Abbau von Ausnahmetatbeständen und damit Harmonisierung der euro

päischen Unternehmenssteuern. Nicht die faktische Steuerbelastung ist zu hoch, sondern das System zu unübersichtlich, um bei Unternehmensansiedlungen eine wirkliche Vergleichbarkeit zu gewährleisten.

Klar ist für uns auch: Abgesenkte Steuersätze sind nur akzeptabel, wenn eine solide Gegenfinanzierung gesichert ist.

(Beifall des Abgeordneten Hans Müller [SPD])

Für meine Fraktion kann ich sagen, dass uns die von der Bundesregierung vorgelegten Berechnungen und Maßnahmen nicht ausreichen.

(Beifall des Abgeordneten Hans Müller [SPD])

Die vorherige Landesregierung hat Vorschläge zur Reform der Steuersysteme vorgelegt, die Aufkommensneutralität ermöglichen, mehr Transparenz bieten und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt rücken. Ich bin sehr dankbar, dass sich unser Koalitionspartner, allen voran der Finanzminister, offen dafür zeigt, gemeinsame Positionen aus diesem Paket auch im Bundesrat zu befördern. Ich denke, das kann schleswig-holsteinischen Interessen nur förderlich sein.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir wollen die Schaffung von Arbeitsplätzen also durch einen finanzierbaren Umbau des Steuersystems befördern. Wir wollen die Rahmenbedingungen ändern. Eine Senkung von Unternehmenssteuersätzen im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit und zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen kann es nur geben, wenn die Einnahmeausfälle durch die Schließung von Steuerschlupflöchern mindestens kompensiert werden. Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgelegt; dafür werden wir uns einsetzen.

Wir begrüßen auch die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland durch das Erschließen neuer Absatzmärkte im europäischen Ausland und damit eben auch durch neue Betriebsstätten dort vor Ort. Wir wissen, dass gerade mittelständische Unternehmen, die sich in der Welt umgesehen und mehrere Produktionsstandorte haben, auch in Deutschland stark geblieben sind. Das Engagement unserer Wirtschaft innerhalb des europäischen Binnenmarktes ist doch gerade unsere Chance innerhalb der EU.

Wir alle machen uns stark für eine stärkere Kooperation in Europa - wir haben das gestern alles diskutiert -, für den Abbau von Grenzen und von Hemmnissen. Daher ist der Vorstoß im letzten Absatz Ihres Antrages für uns nicht nachvollziehbar und im Sinne des Binnenmarktes eher ein Schritt zurück. Wichtig

(Birgit Herdejürgen)

ist doch vielmehr, dass wir innerhalb Europas zu einheitlichen Bedingungen kommen. Wichtig ist, dass Standards und Arbeitnehmerrechte nicht unterlaufen werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer müssen ebenso wie Unternehmen die Chance haben, sich zu fairen Bedingungen am Markt zu behaupten, auch über Grenzen hinweg. Es dürfen hier nicht wieder Grenzen errichtet werden.

Wie auch immer: Ich denke, wir werden im Finanzausschuss Gelegenheit haben, ein stimmiges und für Schleswig-Holstein vorteilhaftes Regularium zu erörtern. Deswegen kann ich es für heute dabei belassen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Abgeordneten Birgit Herdejürgen und erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Müller, ich will mich vor allem auf den letzten Absatz Ihres Antrages beziehen; denn er zeigt, wie Sie bei einem zugegeben schwierigen, ökonomisch sehr komplexen Sachverhalt, einem Problem, das in der Bevölkerung ähnlich gesehen wird, den Menschen auf Ihre typisch populistische Art und Weise mit grüner Demagogie vormachen, eine einfache Antwort parat zu haben. Es ist schlichtweg Unsinn, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Ich will Ihnen jetzt einmal erzählen, warum.

Deutschland exportierte 2004 Waren und Dienstleistungen im Wert von 38 % seines Bruttoinlandsproduktes. Wir sind Vizeweltmeister im Export, im Warenexport sind wir sogar Weltmeister. Die Weltwirtschaft wuchs letztes Jahr schneller als in den 28 Jahren zuvor. Mit anderen Worten: Deutschland erlebte und erlebt immer noch ein nachfragewirksames Konjunkturprogramm mit gigantischem Ausmaß, eine Konjunkturspritze, die der deutsche Staat niemals aufziehen könnte. Trotzdem stagniert die deutsche Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit bleibt unerträglich hoch. Die Investitionen, die neue Arbeitsplätze schaffen könnten, Herr Müller, fehlen.

Gemessen an vergangenen Aufschwüngen der Weltwirtschaft hätte der Boom auf der Welt die Nettoinvestitionen in Deutschland letztes Jahr um 8 % wachsen lassen müssen. Tatsächlich sanken sie aber um 0,9 %. Warum? Weil es nach wie vor sehr teuer ist, in Deutschland Waren und Dienstleistungen herzustellen, vielfach zu teuer. Erstens, weil Arbeit auf dieser Welt nur noch in Norwegen teurer ist als in Deutsch

land, und zweitens, weil auch die effektive Steuerbelastung von Unternehmen in Deutschland zu den höchsten in Europa gehört. Deshalb investieren die Deutschen viel im Ausland. Das ist ja wohl der Kern Ihres Antrages. Das ermöglicht eine Mischkalkulation, bei der die preiswerte Produktion im Ausland die teure Produktion in Deutschland subventioniert. Für immer mehr Unternehmen ist das die einzige Möglichkeit, international wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten.

Ein Beispiel. Ich knüpfe an die Worte des Kollegen Hay an, der gestern von Porsche sprach. Porsche lässt in Leipzig den Geländewagen Cayenne vom Band laufen. Ein echtes deutsches Auto also, quasi made in Germany? - Nicht ganz: 88 % des Wertes werden in Bratislava geschöpft, 12 % in Deutschland. Kein Wunder, dass Herr Wiedeking sich eine patriotische Einstellung leisten kann. Er subventioniert sie zu 88 % mit preiswerter Produktion in der Slowakischen Republik. Es ist gut, dass er das kann. Sonst würde es in Leipzig noch weniger Arbeitsplätze geben und mehr in Bratislava. Genau das möchte Herr Müller mit seinem Antrag, nämlich dass es weniger Arbeitsplätze in Deutschland und mehr Arbeitsplätze im Ausland gibt.

(Beifall bei der FDP - Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts verstanden!)

Viele Unternehmen - Herr Müller, das wissen Sie doch auch - schaffen es trotzdem nicht. 40.000 gingen letztes Jahr pleite, mehr als je zuvor. Jetzt fordern die Grünen, Investitionen im Ausland sollen steuerlich nicht mehr angerechnet werden dürfen. Das ist typisch grüne Demagogie, durch die hier Arbeitsplätze vernichtet werden; denn erstens leben wir dankenswerterweise in der Europäischen Union, deren wirtschaftliches Herzstück nach wie vor der Binnenmarkt ist. Gestern hat sich Ihr Kollege Hentschel vehement für den Verfassungsvertrag ins Zeug gelegt, mit der der Binnenmarkt noch fester geschrieben werden soll. Im Binnenmarkt darf es steuerlich keinen Unterschied machen, ob ein Unternehmen aus München in Leipzig investiert oder eben in Bratislava.

Zweitens. Selbst wenn es zulässig wäre, die steuerliche Anrechnung von Investitionen im Ausland zu streichen, sollten wir davor zurückschrecken wie der Teufel vor Weihwasser oder von mir aus auch wie Franz Müntefering vor Heuschrecken; denn diese Anrechnung zu streichen, würde den Auszug der Arbeit aus Deutschland beschleunigen. Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie das hier klipp und klar sagen, Herr Müller.

(Dr. Heiner Garg)

Die Unternehmenssteuersätze jetzt zu senken, ist richtig. Es ist sogar zwingend erforderlich. Ich will darauf nicht weiter eingehen. Die Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD haben dazu alles Notwendige gesagt. Nur bei einer Senkung der Unternehmenssteuersätze nämlich werden mehr Unternehmen in Deutschland gewinnträchtig arbeiten können. Nur dann lohnt es sich für diese Unternehmen, wieder mehr in Deutschland zu investieren. Nur dann bleiben mehr Arbeitsplätze in Deutschland erhalten. Nur dann entstehen zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland.

Deshalb sollten wir die Unternehmenssteuersätze nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern für alle Unternehmen senken, zum Beispiel so, wie es die FDP-Bundestagsfraktion mit ihrem Steuermodell vorgeschlagen hat, das sie in den Deutschen Bundestag eingebracht hat.

(Beifall bei der FDP)

In unserem Vorschlag ist auch eine rechtmäßige und gesellschaftlich sinnvolle Finanzierung enthalten, ganz im Gegensatz zu dem, was Sie uns hier heute als Antrag zugemutet haben.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Abgeordneten Dr. Heiner Garg und erteile für den SSW der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss den Beitrag des Kollegen Garg erst einmal verkraften. Darauf werde ich gleich noch eingehen.

Der so genannte Jobgipfel zwischen Bundeskanzler Schröder und der Opposition ist nicht nur wegen der gleichzeitig gescheiterten Wahl der Ministerpräsidentin hier in Schleswig-Holstein ein Misserfolg geworden. Auch inhaltlich hat der Jobgipfel den öffentlichen Erwartungen überhaupt nicht entsprochen. Angesichts von über 5 Millionen Arbeitslosen waren die Ergebnisse dieses Gipfels vom 17. März dieses Jahres äußerst dürftig. Man konnte sich damals nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, nämlich die Unternehmenssteuern weiter zu senken und eine Veränderung bei der Erbschaftsteuer anzuschieben.