Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Das 1993 errichtete Mahnmal für die Opfer der Willkürjustiz in der Zeit von 1933-1945 vor dem Oberlandesgericht ist ein sichtbares Zeichen dieses Prozesses. Wer aber die Entstehungsgeschichte dieses Mahnmals kennt, der wird wissen, dass damals auch darüber diskutiert wurde, ob dieses Denkzeichen nicht eher in Kiel hätte aufgestellt werden sollen, um an die Unrechtsurteile des Kieler Sondergerichts zu erinnern, denn in der Stadt Schleswig hatte es keine Militärjustiz und keine Sondergerichte gegeben. Man entschied sich für Schleswig, weil ein Mahnmal nur dort zum Denken und zum Nachdenken anregen kann, wo konkret eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hergestellt werden kann. Die Mahnung gilt uns allen, sagte der damalige Justizminister Dr. Klingner in seiner Ansprache anlässlich der Übergabe des Mahnmals am 2. April 1993. „Sie gilt auch jeder Form von Selbstgerechtigkeit der Heutigen. Wer nie in Versuchung kam, sich aus Bequemlichkeit, aus Angst oder zur Förderung der Karriere einer Diktatur einzuordnen, der prüfe sich.“

Vor dem Hintergrund des anstehenden Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus sehen Sie es mir hoffentlich nach, dass ich diesen Tagesordnungspunkt etwas weiter interpretiert habe, als direkt aus dem Antrag ersichtlich ist. Dennoch steht der SSW dazu, dass auch diese historischen Aspekte für Schleswig als künftigen Sitz des schleswigholsteinischen Verfassungsgerichts sprechen. Diese Gründe können nicht die einzigen und vielleicht nicht einmal die entscheidenden Gründe sein, sie gehören aber dazu, weil sie indentitätsstiftend sind. Das braucht ein neu einzurichtendes Verfassungsgericht auch, um anerkannt zu werden.

Ansonsten gibt es eine ganze Reihe von harten Standortfaktoren, die aus unserer Sicht so einleuchtend sind, dass sie eigentlich nicht extra genannt werden müssten. Da ist zum einen die vorhandene Infrastruktur zu nennen, weil wir mit dem Ober

(Karl-Martin Hentschel)

landesgericht, dem Generalstaatsanwalt, dem Oberverwaltungsgericht und dem Landessozialgericht dort bereits ein Zentrum des öffentlichen Rechts haben. Wir haben mit anderen Worten in Schleswig eine Struktur und einen Unterbau, die anderenorts erst noch aufgebaut werden müssen. Zum anderen würde dies auch eine kostengünstige Lösung sein, wobei wir nicht ein Verfassungsgericht light wollen, um Geld zu sparen. Uns geht es vielmehr um die Nutzung vorhandener Synergien und eingearbeiteter Routinen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Das soll heißen: Wenn die Landesregierung bei ihrer Gerichtsstrukturreform nur die harten Fakten gelten lässt, dann kommt sie um den Standort Schleswig nicht herum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen aus Erfahrung, dass Standortfragen immer schwierige Fragen sind. Daher war es aus Sicht des SSW auch ziemlich unglücklich, dass der Kollege Dr. Wadephul letztes Jahr, in der Debatte um die Änderung der Landesverfassung gleich damit vorpreschte, Lübeck als Sitz des neuen Landesverfassungsgerichts mit der Begründung ins Spiel zu bringen, Lübeck sei die zweitgrößte Stadt des Landes. Wir meinen, dieses Thema hat eine andere Qualität als andere Standortentscheidungen. Hier geht es nicht in erster Linie um regionale Ausgewogenheit. Vielmehr geht es darum, wie durch die Wahl des Standortes gleichzeitig die Akzeptanz und der herausragende Status eines Landesverfassungsgerichts gesichert werden können. Das ist für uns der entscheidende Grund dafür, dass wir uns für Schleswig aussprechen, in der Hoffnung, dass wir das dann auch einvernehmlich beschließen können.

(Beifall bei SSW und FDP)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Das Wort für die Landesregierung hat jetzt Herr Justizminister Uwe Döring.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch eine kleine Vorbemerkung machen. Ich verstehe ja, dass politische Debatten manchmal dazu reizen, sich auch satirisch zu äußern. Das kann ich gut nachvollziehen. Ich selbst tue das manchmal auch. Ich möchte nur ausdrücklich davor warnen, das im Zusammenhang mit dem Landesverfassungsgericht zu machen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und SSW)

Denn da könnte in der Öffentlichkeit durch die eine oder andere spaßige Bemerkung - Herr Hentschel, ich kann das ja verstehen - ein falscher Eindruck entstehen: Kriegerdenkmal und Landesverfassungsgericht. Ich denke, wir sollten mit diesem höchsten Gericht, das wir jetzt einrichten, auch mit einem gewissen Selbstverständnis umgehen und eine gewisse Würde wahren, damit dieses Gericht nicht von vornherein diskreditiert wird.

(Beifall)

Ich denke, das war so auch nicht gemeint. Ich möchte das aber der guten Ordnung halber sagen. Dieses Thema eignet sich wirklich nicht zu solchen Diskussionsbeiträgen.

Im Übrigen zur Sache: Die Situation in anderen Ländern ist so, dass keines der Landesverfassungsgerichte organisatorisch selbstständig ist. Sie sind alle bei anderen Gerichten angesiedelt, an ganz unterschiedlichen Gerichten, beim OVG, beim OLG, beim Landgericht und beim VG. Einzig Hessen macht eine Ausnahme, da ist das Landesverfassungsgericht beim Justizministerium angesiedelt. Das wollen wir nun auf gar keinen Fall.

Die Verfassungsgerichte nutzen alle in unterschiedlicher Weise, da sie alle in dieser ehrenamtlichen Funktion arbeiten, die Infrastruktur der Gerichte, bei denen sie angesiedelt sind. Wir gehen bei unseren Planungen davon aus, dass das schleswig-holsteinische Landesverfassungsgericht ebenfalls auf eine bestehende Infrastruktur eines Gerichtes an einem großen Gerichtsstandort zurückgreifen wird. Nur so lassen sich auch die Kosten für dieses Gericht im Zaum halten. Ich denke, das ist ein wesentlicher Punkt, den wir mit zu beachten haben.

Das dem Landesverfassungsgericht dann Unterschlupf bietende Gericht sollte über ausreichende Sitzungssäle verfügen, über einige wenige Dienstzimmer - das müssen nicht viele sein, da es wie gesagt keine Dauerpräsens der Richter gibt - und es muss vor allen Dingen über eine entsprechende Geschäftsstelle verfügen. Das Landgericht Kiel - das wurde schon gesagt - scheidet aufgrund der Tradition aus, dass der Regierungssitz nicht der Sitz des Landesverfassungsgerichts sein sollte. Realistischerweise bleiben da tatsächlich nur Lübeck und Schleswig übrig.

Ich möchte dazu auch sagen, dass ich nicht nur von der Stadt Neumünster, sondern auch von der Stadt Lauenburg ein schriftliches Angebot bekommen habe. Diese scheiden für mich völlig aus. Ich möchte

(Anke Spoorendonk)

dazu noch einmal etwas, da es Diskussionen in der Lokalpresse dazu gegeben hat, Richtung Neumünster deutlich sagen: Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass sich Empfehlungen und Entscheidungen eines Landesministers an dem Wohl eines Wohnortes orientierten, sondern sie orientieren sich natürlich an dem Wohl des Landes.

(Beifall - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das muss sich ja nicht ausschließen, in diesem Fall aber schon!)

- In diesem Fall schließt es sich aus, Herr Kubicki. Ich denke, da sind wir einer Meinung. Das würde mich sonst sehr überraschen.

Aus organisatorischer Sicht allerdings ist es erforderlich, dass der Standort rechtzeitig vor der Errichtung festgelegt wird. Insofern bin ich für diesen Antrag dankbar. Ich habe mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einmal darüber gesprochen, wir brauchen etwa drei Monate vorher eine verbindliche Entscheidung des Parlamentes, damit die entsprechenden technischen Umsetzungen auch rechtzeitig abgeschlossen sind. Deswegen würde ich Sie bitten, das zügig in den Ausschüssen zu beraten. Wir werden Sie mit den dafür nötigen Unterlagen entsprechend und rechtzeitig versorgen und die Diskussionen mit Ihnen zusammen führen.

Ich sage noch einmal ganz deutlich, die Entscheidung ist für mich, da sie zum Teil auch eine politische Entscheidung ist, eine Entscheidung dieses Landtages. Deshalb werde ich Sie unterstützen, damit Sie die richtige Entscheidung treffen, ich werde mich aber selbst eines Votums enthalten.

Zum weiteren Verfahren - Herr Hentschel hatte danach gefragt -: Ich strebe an, dass wir zum 1. Januar 2008 ein funktionsfähiges Landesverfassungsgericht haben. Das ist immer noch ein ehrgeiziger Zeitplan. Die Standortfrage ist eine der einfachsten Fragen, die zu lösen ist. Wir müssen uns über das Berufungsverfahren einig sein und wir müssen uns über andere Modalitäten im Klaren sein. Leider geht es nicht, Herr Hentschel, dass wir es morgen schon einrichten. Ich erinnere auch daran, welche Beteiligungsverfahren und Anhörungsverfahren wir alle miteinander vereinbart haben. Das heißt, wir streben an und ich hoffe, das bekommen wir auch hin, dass das Verfassungsgericht zum 1. Januar 2008 verhandlungsfähig ist. Ich bitte Sie ganz herzlich, dass wir die Standortfrage zügig miteinander in den Ausschüssen vorbereiten und klären, da das die einfachste der anstehenden Entscheidungen ist. Sie werden von uns dazu die volle Unterstützung bekommen, damit Sie eine sachgerechte Entscheidung fällen können.

(Beifall)

Ich danke dem Justizminister. - Es gibt eine Wortmeldung zu einem Kurzbeitrag. Das Wort hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich finde es gut, was Sie gesagt haben. Wir sollten dann auch Nägel mit Köpfen machen und sehen, dass wir relativ rasch - möglichst schon in der nächsten Plenarsitzung - zu einer Entscheidung über den Standort kommen. Ich würde mich freuen, wenn es relativ rasch einen Entwurf für das Landesverfassungsgerichtsgesetz gibt. Es wäre sehr hilfreich, wenn Ihr Haus das vorbereiten könnte. Dann könnten wir das Gesetz zügig verabschieden und wenn wir den Standort beschließen, könnten Sie die Vorbereitungen treffen, sodass es dann vielleicht, wenn wir uns alle anstrengen - sicher, die Anhörungen müssen durchgeführt werden, deshalb wird das nicht morgen sein - zum Sommer hin passieren könnte.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Richterwahlver- fahren!)

- Ja, das wird alles noch dauern. Deshalb möchte ich, dass es zügig losgeht, dass wir zügig zu Potte kommen. Mein Interesse ist, dass wir noch in diesem Jahr ein Landesverfassungsgericht bekommen werden. Daran sollten wir alle mitarbeiten und nicht in endlose Verfahren eintreten. Es würde mich sehr freuen, wenn wir uns darüber einig wären.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hentschel, ein Satz dazu: Hier geht wirklich Sorgfalt vor Eile.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Ich kann es ja verstehen, dass Sie schnell eine Klage einreichen wollen, dafür habe ich volles Ver

(Minister Uwe Döring)

ständnis. Aber auch Sie müssen ein hohes Interesse daran haben, dass es ein kompetentes und sachgerecht vorbereitetes Gericht ist, das über Ihre Klage entscheidet.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Ich versuche es noch einmal: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Ich gucke einmal zu dem Antragsteller, denn es handelt sich um einen Sachantrag, aber ich denke, Ausschussüberweisung ist richtig.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich freue mich, dass der Kollege Puls mit seiner herausragen- den Äußerung heute unter uns ist und schlie- ße mich seinem Antrag an!)

- Das ist wunderbar. Das haben wir hier oben gern.

Also, es ist Ausschussüberweisung beantragt worden, und zwar federführend an den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend an den Finanzausschuss. Wer so mit der Drucksache 16/1182 (neu) verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen.

Dann gehen wir in die Mittagspause und treffen uns um 15 Uhr zur Beratung des Tagesordnungspunktes 33 wieder.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 12:48 bis 15:01 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Tagesordnung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf:

Leukämiefälle im Raum Geesthacht/Elbmarsch

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1165