Nun ist die Geschichte anders gelaufen. Wir haben gesagt, wenn Hamburg sich gegen die Kooperation der Obergerichte sperrt, dann werden wir auch nicht als erstes die Verfassungsgerichte miteinander in Verbindung bringen. Das wäre das falsche Signal.
Folgt man der vorgetragenen Argumentation von Ihnen, Herr Kubicki, ist insoweit Übereinstimmung zu finden, dass beide Vorschläge einerseits die gute deutsche Tradition beachten, dass Parlament, Regierung und Verfassungsgerichte nicht in der gleichen Stadt ihren Sitz haben sollen. Das muss ich als Kieler bedauernd, aber trotzdem zur Kenntnis nehmen, auch umso mehr, als durch dieses Prinzip der räumliche Ausdruck der Gewaltenteilung entsprechend dargetan wird. Gemeinsamkeit gibt es in der Überzeugung, dass das Landesverfassungsgericht, dessen Spruchkörper ehrenamtlich besetzt werden soll, über eine tragfähige, arbeitsfähige Infrastruktur verfügen muss.
Lübeck und Schleswig sind gewachsene Gerichtsstandorte im Lande, wobei ein Blick auf deren Aufgabenkatalog zu werfen ist und welche Aufgaben insbesondere auf das neue Landesverfassungsgericht zukommen werden. Landesverfassungsgerichte haben, so sagen fachkundige Professoren, insbesondere ihre Bedeutung in der Fortentwicklung des
kommunalen Verfassungsrechts. Wenn aber kommunale Verfassungsstreitigkeiten ein Schwerpunkt des neu zu bildenden Landesverfassungsgerichts sind, dann steht zu beachten, dass Lübeck zwar ein großes Landgericht hat und aufgrund der Amtsgerichtsstrukturreform auch ein wachsendes Gewicht als Amtsgerichtsstandort im Lande hat und an Bedeutung und Gewicht gewonnen hat, gleichwohl Schleswig auf der anderen Seite mit dem Oberverwaltungsgericht und dem Verwaltungsgericht der konzentrierte Standort für die Verwaltungsgerichte im Lande ist. Das ist nach meiner Meinung eine zu beachtende Struktur bei einer ausstehenden Entscheidung.
Dem Sitz des Landesverfassungsgerichts ist darüber hinaus auch eine nicht nur fachliche, sondern natürlich auch politische Bedeutung beizumessen. Dabei ist der Gefahr zu begegnen, dass der Sitz des neuen Gerichts nicht Gegenstand eines politischen Standortgeschachers werden darf.
Es wird berechtigte und weitere Ansprüche geben. Ich höre, Herr Minister, in Neumünster führen Sie eine Diskussion mit dem Herr Oberbürgermeister zur Frage, ob Neumünster geeignet ist, will sagen, dass es auch aus meiner Fraktion Überlegungen gibt, vielleicht andere Standorte mit zu erwägen. Wir werden diese Diskussion sehr offen führen und werden dann miteinander zu einer Entscheidung kommen, die die vorgetragenen Argumente der politischen, aber auch der fachlichen Gewichtung in sich tragen wird. Wir werden in diesem Sinne, Herr Kollege Kubicki, den Antrag von FDP und von den Grünen im Ausschuss entsprechend begleiten. Ich höre, dass es da eine Große Koalition gibt, deshalb will ich, bevor sich allen anderen Ihrem Antrag anschließen, sagen, wir werden für eine ordnungsgemäße und sachgerechte Diskussion stimmen und unsere Entscheidung zum Standort zu gegebener Zeit fällen. Wir erwarten in diesem Sinne konstruktive Beratungen.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Stritzl. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Klaus-Peter Puls.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach einer ersten Etappe, die lange gedauert hat, ist es uns im Oktober letzten Jahres endlich gelungen, für ein eigenes Landesverfassungsgericht in Schleswig-Holstein die verfassungsrechtlichen
Voraussetzungen zu schaffen. Die für die erforderliche Zweidrittelmehrheit lange Zeit fehlende Zustimmung der CDU-Landtagsfraktion wurde erstmals im Koalitionsvertrag der beiden großen Regierungsparteien 2005 sichergestellt und in der Landtagsbeschlussfassung am 17. Oktober 2006 erreicht. Herr Kollege Kubicki hat darauf hingewiesen. Das war eine gute Entscheidung. Schleswig-Holstein hat wie alle Bundesländer eine Verfassung, aber als einziges Bundesland kein Verfassungsgericht. Streitfälle aus Schleswig-Holstein landen bisher direkt beim ohnehin überlasteten Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Karlsruhe ist weit. Wir brauchen für Schleswig-Holstein zeitnahe, ortsnahe und sachnahe Urteile.
Deshalb sollten wir jetzt auch die zweite Etappe möglichst zügig angehen und umgehend das Nähere durch ein Gesetz regeln, damit unser schleswigholsteinisches Landesverfassungsgericht so schnell wie möglich mit der Arbeit beginnen kann. Zu den näher zu treffenden Regelungen gehört auch die Entscheidung über einen Standort. Wir freuen uns, dass die Standortdiskussion heute durch den Antrag der Oppositionsfraktionen befördert wird. Die Diskussion ist außerparlamentarisch und presseöffentlich bereits voll entbrannt. Insbesondere Schleswig und Lübeck haben bereits deutlich Stellung bezogen oder sind von interessierter Seite in Stellung gebracht worden. Wir sollten in den zuständigen Ausschüssen des Landtages alle Argumente sorgfältig abwägen und eine sachgerechte Entscheidung für das Parlament vorbereiten.
Schleswig möchte, wie man hört, sein Prestige als Justizhauptstadt des Landes untermauern, so die „Schleswiger Nachrichten“ Anfang des Jahres, und die OLG-Präsidentin höchstselbst soll schon den überaus repräsentativen Plenarsaal des OLG Schleswig als Tagungsraum angepriesen haben. Lübecks Bürgermeister verweist ebenso selbstbewusst auf die vorhandenen Gerichte der Trave-Stadt und möchte als Sitzungsraum des Spruchkörpers den prächtigen Audienzsaal des Lübecker Rathauses zur Verfügung stellen, wie es heißt.
Meine Damen und Herren, durch solche Argumente dürfen wir uns in den Fachberatungen nicht vorrangig leiten lassen. Verfassungsrecht ist kein repräsentativer Spielkram, sondern verbindliche Rechtsmaterie und richterliche Grundlage für die Entscheidung konkreter Rechtsstreitigkeiten, zum Beispiel zwischen Opposition und Regierungsmehrheit oder aber auch zwischen Land und Kommunen. Ein Landesverfassungsgericht braucht keine Festsäle, sondern normale Funktionsräume für die richterli
Wenn es um Repräsentation ginge - das ist eben angesprochen worden vom Kollegen Stritzl -, könnten auch weitere Vorschläge gebracht werden. Ich könnte auch Reinbek anbieten. Wir haben dort ein wunderschön restauriertes Renaissanceschloss. Ich schlage Reinbek nicht vor, habe aber auch lesen können, Herr Kollege Stritzl, dass Neumünster möglicherweise wegen seiner zentralen Lage im Lande nicht abgeneigt wäre, unser Verfassungsgericht aufzunehmen. Auch die Zentralität spielt meines Erachtens für ein Verfassungsgericht in Schleswig-Holstein keine so große Rolle, weil unsere Landesverfassung keine gerichtlich einklagbaren Grundrechte für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger enthält. Für Grundrechtsverletzungen bleibt weiterhin das Bundesverfassungsgericht nach Maßgabe des Grundgesetzes zuständig. Der Aufgabenkatalog unseres Landesverfassungsgerichts bezieht sich wesentlich auf parlamentsinterne Verfassungsrechte, zum Beispiel der Opposition, erstmals aber auch gerichtlich durchsetzbar auf die in der Landesverfassung verankerten Rechte der Kreise und Gemeinden gegenüber der Landespolitik. Für die Fraktionen und Kommunen als Prozessparteien ist die zentrale Lage und Erreichbarkeit eines Verfassungsgerichtsstandorts ohne jede Bedeutung.
Die SPD-Fraktion wird sich in den weiteren Beratungen für einen Standort entscheiden, an dem es möglich ist, bereits vorhandene räumliche und personelle Gerichtsinfrastruktur optimal und vor allem kostengünstig mitzunutzen. Es geht nicht nur um Sitzungssäle, sondern auch und gerade um die Möglichkeit, vorhandene Geschäftsstelleneinrichtung und -organisation einzubeziehen. Jeder Bewerberort sollte sich selbst die Frage stellen und beantworten, ob für den richterlichen und nichtrichterlichen Bereich ausreichend personelle Kompetenz, insbesondere im verfassungsrechtlich relevanten öffentlichen Recht, und ausreichend räumliche Kapazität auch im Geschäftsstellenbereich ohne zusätzliche Kosten vorhanden und verfügbar ist.
Die Haushaltssituation des Landes zwingt uns dazu, ohne finanzintensive Raumausweitung und Personalaufstockung auszukommen und dafür zu sorgen, dass wir ein gleichermaßen leistungsfähiges und kostengünstiges Landesverfassungsgericht erhalten.
Wir schlagen deshalb vor, den Antrag der Oppositionsfraktionen nicht nur dem zuständigen Fachausschuss für Innen und Recht, sondern zur Mitbera
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls. - Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es scheint mir so, als ob hier jeder erst einmal seinen Standort als Gerichtsort preist. Das ist höchst erstaunlich. Ich will etwas zu Heikendorf sagen. In Heikendorf gibt es ein repräsentatives Kriegerdenkmal. Da früher bei den alten Germanen die Gerichtsverhandlungen ja öffentlich stattfanden, biete ich dieses Kriegerdenkmal als repräsentativen Thingstandort für Schleswig-Holstein an.
Ich glaube, diese ganze Diskussion, in der jeder davon erzählt, welch tollen Standort und welch tollen Gerichtssaal er hat, ist ziemlich überflüssig. Ich finde, das ist eine Art von Populismus, die nicht gut ist. Der Lübecker Bürgermeister schreit bei jeder Geschichte Hurra und sagt, dass Lübeck am wichtigsten ist. Das richtet sich nicht gegen die Lübecker hier im Saal. Es richtet sich aber gegen die Politik eines Bürgermeisters, bei der ich manchmal den Eindruck habe, dass ein bisschen zu viel Populismus dabei ist.
Mich interessiert, welches Kriegerdenkmal Sie in Heikendorf meinen. Ich kenne eigentlich nur die Gedenkstätte für die U-Bootfahrer. Meinen Sie die?
- Ich habe nichts gegen diese Gedenkstätte. Mein Großvater war an ihrem Bau beteiligt. Ich möchte jetzt auch keine politische Diskussion über diese Gedenkstätte führen. Das können wir ein anderes Mal machen.
- Dann landen wir beim Kapp-Putsch! Ich glaube, es kann nur eine sachliche Entscheidung geben. Eine sachliche Entscheidung bedeutet, dass ein ehrenamtliches Verfassungsgericht - wie in anderen Ländern auch - dort angesiedelt ist, wo die oberen Landesgerichte sind. Die einzige Diskussion, die geführt werden muss und die sicherlich auch im Ausschuss zu führen sein wird, ist die, ob das Landesverfassungsgericht beim OLG oder beim OVG angesiedelt wird. Für beide Möglichkeiten gibt es Gründe. Beide Gerichtspräsidenten würden es gern bei sich haben. Ich kann das verstehen. Ich würde gern die Diskussion darüber führen. Ich will jetzt nicht die Argumente dafür aufbereiten. In Schleswig gibt es sämtliche zentralen Gerichtsbibliotheken. Auch das ist ein ganz wichtiges Argument.
Wenn ein ehrenamtliches Gericht eingerichtet wird, dann soll es natürlich auch die entsprechenden Räumlichkeiten und die entsprechenden Sachen bekommen. Außerdem muss man davon ausgehen, dass ein Großteil der Richter dieses Landesverfassungsgerichts sowieso in Schleswig sitzt, weil alle Obergerichte in Schleswig sind. Das ist zu vermuten. Es wird sicherlich auch andere geben. Es wird auch Anwälte und weitere Beteiligte an diesem Gericht geben. Trotzdem gehe ich davon aus, dass ein beträchtlicher Teil der Richter, die infrage kommen, in Schleswig sitzt. Insofern ist es naheliegend, dass der Gerichtsort Schleswig ist.
Historisch ist Schleswig nicht der Gerichtsstandort. Das ist allerdings ein Manko. Ich habe mich beim Kollegen Astrup versichert. Historisch ist es so, dass die Obergerichte in Schleswig-Holstein in Kiel saßen. Ich wundere mich darüber, dass Herr Stritzl dies nicht in die Debatte eingebracht hat. Das hat gefehlt. Die Gerichte sind erst nach dem Zweiten Weltkrieg nach Schleswig gegangen. Das war damals die Trennung von Exekutive und Legislative oder was auch immer. Insofern ist Schleswig heute der Gerichtsstandort in Schleswig-Holstein. Von daher ist die Sache klar.
Zum Schluss ist das Folgende für mich das Wichtigste, das in der Debatte noch nicht gesagt wurde. Viel wichtiger als die Entscheidung selbst ist ihr Zeitpunkt. Ich habe ein hohes Interesse daran, dass die Entscheidung bald getroffen wird. Die Große
Wir haben aus ganz eigennützigen Zwecken ein Interesse daran, weil wir verschiedene Klagen prüfen. Die Große Koalition hat nach unserer Auffassung an der einen oder anderen Stelle nicht 100-prozentig verfassungskonform entschieden. Das kann dazu führen, dass wir dieses Gericht entsprechend in Anspruch nehmen werden. Dazu ist es erforderlich, dass es schnell eingerichtet wird. Aus Karlsruhe höre ich, dass die Karlsruher keine Lust mehr haben. Falls jetzt eine Klage nach Karlsruhe geht, dann spricht alles dafür, dass diese Klage so lange liegen bleibt, bis das Verfassungsgericht in SchleswigHolstein eingerichtet sein wird. Von daher bitte ich darum, dass jetzt keine langen Ausschussberatungen stattfinden. Ich bitte darum, dass die Große Koalition keine langen Koalitionsausschüsse braucht, um diese Frage zu entscheiden. Ich bitte darum, dass kurz und schnell entschieden wird und dass das Ministerium die nötigen Vorbereitungen trifft, damit das Gericht eingerichtet wird. Da wir für das Gericht keine baulichen Maßnahmen benötigen, denke ich, dass das morgen geschehen kann.
Ich danke Herrn Abgeordneten Hentschel. - Für den SSW im Landtag hat jetzt dessen Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man wie ich auf dem Erdbeerenberg in Schleswig groß geworden ist und tagtäglich einen Blick auf den Roten Elefanten - auf das ehemalige Regierungsgebäude der preußischen Provinz Schleswig-Holstein und heutige Oberlandesgericht - werfen konnte, dann kommt es einem nicht in den Sinn, dass der Sitz des künftigen Landesverfassungsgerichts überhaupt ein Diskussionsthema sein könnte.
Als Kiel nämlich 1946 zur Landeshauptstadt des neuen Bundeslandes Schleswig-Holstein auserkoren wurde, erhielt Schleswig als Kompensation die Obergerichte und die Landesmuseen. Das war der Deal, der Schleswig zur Justizhauptstadt des Landes machte. Für die Stadt ist dies nicht nur ein
Imagefaktor. Sie steht zu ihren Gerichten, und zwar im Guten wie im Bösen. Dazu eine weitere Kindheitserinnerung von mir: Auf dem Erdbeerenberg entstand in den 50er-Jahren eine kleine Neubausiedlung, die aus nachvollziehbaren Gründen ganz schnell den Namen Richterhügel erhielt. Als dann die schleswig-holsteinische Justiz in den 50er- und 60er-Jahren immer wieder von Nazi-Skandalen betroffen war, gab es in Schleswig viel Gerede über diesen Richterhügel, denn auch dort hielten sich wie konnte es anders sein - ehemalige Nazis versteckt. Erst als eine neue Juristengeneration heranwuchs, stellte sich die schleswig-holsteinische Justiz ihrer Nazivergangenheit.
Das 1993 errichtete Mahnmal für die Opfer der Willkürjustiz in der Zeit von 1933-1945 vor dem Oberlandesgericht ist ein sichtbares Zeichen dieses Prozesses. Wer aber die Entstehungsgeschichte dieses Mahnmals kennt, der wird wissen, dass damals auch darüber diskutiert wurde, ob dieses Denkzeichen nicht eher in Kiel hätte aufgestellt werden sollen, um an die Unrechtsurteile des Kieler Sondergerichts zu erinnern, denn in der Stadt Schleswig hatte es keine Militärjustiz und keine Sondergerichte gegeben. Man entschied sich für Schleswig, weil ein Mahnmal nur dort zum Denken und zum Nachdenken anregen kann, wo konkret eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hergestellt werden kann. Die Mahnung gilt uns allen, sagte der damalige Justizminister Dr. Klingner in seiner Ansprache anlässlich der Übergabe des Mahnmals am 2. April 1993. „Sie gilt auch jeder Form von Selbstgerechtigkeit der Heutigen. Wer nie in Versuchung kam, sich aus Bequemlichkeit, aus Angst oder zur Förderung der Karriere einer Diktatur einzuordnen, der prüfe sich.“