Protokoll der Sitzung vom 26.01.2007

(Beifall bei SPD und CDU - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Sehr gut!)

Einen großen Wurf des Bundes brauchen wir für das vierte Ziel, die Neuordnung des Niedriglohnsektors. Wir sollten uns in einer Sache einig sein: Wer acht Stunden am Tag hart arbeitet, muss davon leben können.

(Beifall)

Wir brauchen dabei sicherlich tarifliche Mindestlöhne für einzelne Branchen, wir brauchen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und, wo das nicht klappt - Sie kennen meine grundsätzliche Einstellung zu dem Thema -, brauchen wir möglicherweise zum Schutz gegen Dumpingkonkurrenz und zur Begrenzung von Mitnahmeeffekten bei Kombilöhnen als Bottomline - ich möchte hier nicht missverstanden werden: als Bottomline! - einen allgemeinen Mindestlohn, der deutlich unter dem von den Gewerkschaften geforderten Mindestlohn von 7,50 € liegen muss. Er soll nicht der Tarifhebung dienen, sondern als Sperrklinke funktionieren. Das ist etwas anderes.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Für ältere und jüngere Arbeitslose muss ein Kombilohn die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein. Voraussetzung ist dabei eine passgenaue Vermittlung und Qualifizierung. Wenn man mit Unternehmen spricht, sagen sie mir: Sie können mir so viel Geld geben, wie Sie wollen, niemand wird von mir eingestellt, den ich nicht brauchen kann.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Das heißt, es muss passgenau sein. Dann ist es richtig. Die Zielgruppen müssen eng gefasst sein und der Kombilohn muss zeitlich begrenzt und degressiv gestaffelt sein. Der Kombilohn kann nichts anderes sein als der Ausgleich eines Produktivitätsnachteils. Wenn ich einen Langzeitarbeitslosen statt jemanden aus direkter Beschäftigung einstelle, hat der durch die lange Arbeitslosigkeit einen Produktivitätsnachteil, weil er sich wieder in den Arbeitsprozess eingliedern muss. Den muss ich ausgleichen, damit es attraktiv wird, diesen Menschen einzustellen. Dann muss das allerdings auch abgeschmolzen werden. Irgendwann muss das Unternehmen Farbe bekennen, ob es den Menschen einstellt oder nicht. Es darf keine Dauersubventionierung und keine Mitnahmeeffekte geben.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Es gibt allerdings auch noch ein anderes Problem, das wir mit dem Kombilohn allein nicht lösen können. Für viele lohnt es sich nicht, sich um Vollzeitstellen und höher qualifizierte Arbeit zu bemühen; denn Sozialabgaben und Zuverdienstregeln sor

(Minister Uwe Döring)

gen dafür, dass netto zu wenig übrig bleibt. Ich muss auch sagen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind. Wir haben heute Entscheidungen und Regelungen, die so keinen Anreiz bieten. Deshalb müssen wir die Bezieher niedriger Einkommen entlasten, um reguläre Vollzeitstellen attraktiver zu machen. Heute ist es so, dass viele gerade so viel arbeiten, wie sie hinzuverdienen können, ohne dass es angerechnet wird. Das heißt, man bemüht sich um Minijobs und nicht um reguläre Arbeitsverhältnisse. Das ist falsch. Zum Beispiel könnte es - darüber wird ja diskutiert - eine allgemeine Steuergutschrift geben, die von den hohen Sozialversicherungsabgaben entlastet. Wenn das finanzierbar ist, bin ich dafür; das muss geprüft werden. Hier muss ein Grundsatz gelten, meine Damen und Herren: Arbeit darf nicht arm machen, aber nichts tun darf sich nicht lohnen!

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird in den nächsten Monaten zu diesen und anderen Punkten Vorschläge machen. Wir sind in informellen Gesprächen mit dem Bundesarbeitsministerium. Wenn Berlin die Weichen tatsächlich richtig stellt, bleiben wir mit unserem schleswig-holsteinischen Weg auf der Erfolgsspur. Wir werden die Langzeitarbeitslosigkeit nicht von heute auf morgen besiegen, aber unsere Nachbarn im Norden haben uns vorgemacht: Arbeit für alle ist möglich, auch in der Globalisierung. Dieses Ziel braucht unser aller Kräfte und Ideenreichtum. Das geht nur gemeinsam, aber gemeinsam geht es!

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Ich danke dem Herrn Minister. Die Redezeit hat 2,5 Minuten mehr betragen als angemeldet. Das gilt dann entsprechend für die Redezeit der Fraktionen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für den Antragsteller des ältesten Antrages, für die FDP-Fraktion, hat der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Insbesondere liebe Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion! So ändern sich die Zeiten. Noch vor vier oder fünf Jahren sind ähnliche Reden, gehalten von der Kollegin Aschmoneit-Lücke oder auch von mir und vom Kollegen Kubicki, insbesondere von Ihrer Seite wüst beschimpft worden, und zwar für genau solche Grundsätze der Ar

beitsmarktpolitik, die heute ein sozialdemokratischer Arbeitsminister verkündet,

(Beifall bei der FDP)

die ich übrigens voll und ganz teile, Herr Minister Döring, um das ganz klar zu sagen. Wir sind bei unserer Position geblieben und ich freue mich darüber, dass wir heute so offen und so konstruktiv und auch nach vorn schauend über Arbeitsmarktpolitik reden können.

Sie werden Verständnis dafür haben, Herr Minister, dass ich mich natürlich insbesondere auf den Kernbereich meines Berichtsantrages konzentrieren will. Das ist das große Problem: Was machen wir eigentlich mit denjenigen, die man möglicherweise trotz unendlicher Anstrengungen, auch unendlich vieler Qualifizierungsmaßnahmen nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt wird integrieren können? Das heißt, ich will heute die Zeit und die Gelegenheit nutzen, darüber zu reden: Brauchen wir eine sozial flankierende Arbeitsmarktpolitik? Wenn ja, wie soll diese aussehen, und wie kann man sie mit den neuen Instrumenten der neuen Sozialgesetzgebung, des Sozialgesetzbuches II und III, koppeln?

Herr Minister, Sie haben Bad Schmiedeberg angesprochen. In Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt wurde Hartz IV als erstes abgeschafft, so jedenfalls damals die Pressemitteilung. Die Ergebnisse wirkten angeblich wie Wunder; denn statt Wohnungszuschüsse, Eingliederungshilfen und Arbeitslosengeld II jeweils an die Betroffenen auszuzahlen, fließt dieses Geld in eine kommunale Gesellschaft, und diese Gesellschaft stellt die Erwerbslosen zu marktfernen Bedingungen, vermeintlich wettbewerbsneutral und sozialversicherungspflichtig, an. Das Ergebnis sollte lauten, die Zahl der Arbeitslosen habe sich halbiert.

Jetzt kann man fragen: Ist das Konzept mit dem Namen „Bürgerarbeit“ die Lösung, um Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen? Auch da, Herr Minister Döring, sind wir einer Meinung. Wenn Arbeitslose mit Steuermitteln oder auch mit Mitteln der Beitragszahler vom Markt einfach weggekauft werden, ist das mit Sicherheit nicht die Lösung.

Aber Sie sprechen von Gratwanderung. Genau da fängt die Gratwanderung an: Wie schaffen wir es, für Menschen, die absehbar keine Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, Beschäftigungsfelder zu finden - so will ich das einmal nennen; vom dritten Arbeitsmarkt will ich gar nicht sprechen, sonst sind wir irgendwann beim fünften Arbeitsmarkt und wissen gar nicht mehr, was wir damit meinen -, wie schaffen wir es, Beschäftigungsmöglichkeiten für diese Menschen zu finden, die keine Chance ha

(Minister Uwe Döring)

ben, im ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen? Die meisten dieser Menschen möchten trotzdem das, was sie können, an die Gesellschaft weitergeben. Sie möchten nicht von morgens bis abends zu Hause vor dem Fernseher sitzen. Sie möchten im Rahmen ihrer Fähigkeiten der Gesellschaft etwas geben. Ich sage auch: Es ist auch in Ordnung, dass die Transferleistungsbezieher der Gesellschaft im Rahmen ihrer Fähigkeiten etwas zurückgeben.

Die Suche nach solchen Beschäftigungsfeldern ist schwierig. Die Verkehrsbetriebe Leipzig haben es mit anderen Projekten versucht, indem sie Langzeitarbeitslose als Begleitservice in Bussen und Bahnen eingesetzt haben. Das war das Instrument vermeintlich nicht marktfähiger Dienstleistungen, mit dem die Sockelarbeitslosigkeit bekämpft werden sollte.

Herr Minister, Sie haben im Dezember2006 unter dem Titel „Geht nicht gibt’s nicht“ ebenfalls Eckpunkte für die Bekämpfung der Sockelarbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein vorgestellt. Genau das hat uns zu dem Berichtsantrag veranlasst. Sie sprechen von rund 60.000 Langzeitarbeitslosen in Schleswig-Holstein. Dies sei die Zielgruppe dieses Programms. Etwa 15.000 dieser 60.000 Menschen können nicht mehr in reguläre Beschäftigung vermittelt werden. Diese Personengruppe darf aber nicht völlig vom Erwerbsleben beziehungsweise vom Arbeitsleben abgekoppelt werden. Das war das Ziel verschiedener sozial flankierender Arbeitsmarktprogramme, die die jeweiligen Landesregierungen hier in der Vergangenheit aufgelegt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits in der 11. Legislaturperiode wurde versucht, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Bundesagentur - damals hieß sie Bundesanstalt für Arbeit - um eigene Instrumente zu ergänzen. Ich meine schon, dass nach 21 Jahren der Zeitpunkt günstig ist, den Zustand der sogenannten arbeitsmarktpolitischen Flaggschiffe einmal genau zu überprüfen, bevor ein neues Flaggschiff in Auftrag gegeben wird und es vom Stapel läuft. Welche Angebote sind im Laufe der Jahre über Bord gegangen? Was hat sich im Alltag bewährt? Was sollte weiterentwickelt werden und was nicht?

Die Antwort auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode offenbarte Licht und Schatten der Arbeitsmarktpolitik. Ein Kernkritikpunkt an ASH 2000 war von uns immer, dass dieses Programm viel zu kleinteilig sei, dass es zwar gut gemeint sei, zu versuchen, möglichst viele unterschiedliche Personengruppe zu erreichen, dass aber letzten Endes genau das Gegenteil erreicht wurde und das Geld schlicht versickert sei.

(Beifall bei der FDP)

Genau aus diesem Grunde wollen wir eine genaue Prüfung, gern zusammen mit Ihnen, was Ihr neues Flaggschiff „Zukunftsprogramm Arbeit“ an Ausrüstung braucht, um angesichts der seit der Einführung geänderten Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt erfolgreich sein zu können.

Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden der Bundesagentur für Arbeit, den Arbeitsgemeinschaften, den Optionskommunen Instrumente an die Hand gegeben, die es zuvor oftmals nur auf Landesebene gab und die Bestandteil der Landesförderung waren, wie beispielsweise besondere Formen von Lohnkostenzuschüssen, von Existenzgründungsprogrammen oder Arbeitsmarktintegrationsprogrammen. Damit traten die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen des Landes weiter in den Hintergrund. Arbeitsminister Bernd Rohwer hat in der letzten Legislaturperiode eine weitere Revision der Programme durchgeführt und diese noch stärker auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten und konzentriert.

Unser Antrag, Herr Minister Döring, ist unsererseits ein Angebot, in den Dialog darüber einzutreten, wie künftig bestimmte Problemgruppen flankierend begleitet werden können, die trotz aller bisherigen Angebote nicht ausreichend erreicht werden konnten. Ich will das noch einmal in Erinnerung rufen: In der Vergangenheit durfte die Opposition noch nicht einmal fragen, zu welchen Ergebnissen die diversen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geführt haben.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Quatsch!)

- Das ist kein Quatsch. Ich kann mich an Auseinandersetzungen gerade mit Ihnen, Herr Baasch, erinnern, in denen Sie uns dafür beschimpft haben, dass wir überhaupt gefragt haben, was diese Maßnahmen eigentlich bringen, und zwar nicht, weil wir die Maßnahmen nicht wollten, sondern weil wir wollten, dass das Geld bei denjenigen ankommt, für die es eigentlich gedacht war.

An dieser Stelle sage ich gern - das wissen Sie -: Dies ist auch ein Verdienst der ehemaligen Arbeitsministerin Heide Moser, die gegen den Willen ihrer Fraktion durchgesetzt hat, dass solche arbeitsmarktpolitischen Programme evaluiert werden konnten, und die diesen Diskussionsprozess überhaupt erst ermöglicht hat.

(Beifall bei der FDP)

Das waren nicht Sie, Herr Baasch, das war nicht die SPD-Fraktion, das war Ihre ehemalige Arbeitsmini

(Dr. Heiner Garg)

sterin. Genau diesen Dialog wollen wir jetzt fortsetzen.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

- Sie verstehen doch gar nichts davon, Herr Neugebauer. - Mittlerweile ist der Eindruck entstanden, dass in dieser Legislaturperiode das schon vor Ablauf der Förderperiode „Flaggschiff ASH“ zu einem Kutter abgetakelt worden ist. Umso mehr stellt sich die Frage, wie künftig sozialpolitisch flankierende Maßnahmen konkret aussehen sollen. Diese Frage muss auch vor dem Hintergrund gestellt werden, dass für die neue Förderperiode künftig wesentlich weniger Mittel zur Verfügung stehen werden. Standen für ASH 2000 noch insgesamt 170 Millionen € aus dem Europäischen Sozialfonds zur Verfügung, werden es nach derzeitigem Stand künftig nur rund 100 Millionen € sein. Auch insoweit bin ich mit Ihnen, Herr Döring, völlig einer Meinung: Nicht die Masse des Geldes macht es; vielmehr kommt es darauf an, dass man das Geld möglichst effizient und zielorientiert einsetzt, damit es jenen hilft, für die es gedacht ist.

Welche Fördermaßnahmen sind künftig unter dem jetzigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen vonseiten des Landes überhaupt noch möglich? Kann das Land überhaupt noch arbeitsmarktpolitisch gestalten, und wenn ja, welche Schwerpunkte und welche Akzente will die Landesregierung in Zukunft setzen? Wie können die Landesprogramme und Instrumente des SGB II und SGB III sinnvoll miteinander verknüpft werden?

Die Ausgangsbasis für sozial flankierende Arbeitsmarktprogramme ist in Schleswig-Holstein derzeit günstig. Sie haben die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt geschildert. Ich denke, je besser es am Arbeitsmarkt insgesamt aussieht, umso größer sind auch die Chancen für jene etwas zu tun, die bislang überhaupt nicht erreicht wurden.

Die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Es werden wieder mehr freie Stellen gemeldet. In Schleswig-Holstein stieg die Zahl der arbeitenden Erwerbstätigen im Jahr 2006 an, nachdem sie im Jahr 2005 noch leicht zurückgegangen war. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit erreichte endlich auch die Gruppen der ALG-I-und ALG-II-Bezieher.

Der von der Großen Koalition vorgelegte Antrag zur aktuellen Situation des Wirtschafts- und Arbeitsmarktes in Schleswig-Holstein stellte auf dieser Grundlage eine entsprechende Ergänzung unseres Antrages dar. Hinsichtlich der Zielrichtung sind diese Anträge aber scharf voneinander abzugrenzen. Ich habe dies zu Anfang bereits gesagt. Steht

hier der aktuelle wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Diskurs beziehungsweise die Situation, die Sie einfordern, im Vorgrund, deren positive Entwicklung unterstützt werden muss, verfolgt unser Antrag vor allem die sozialpolitische Flankierung.

(Beifall bei der FDP)

Letztlich geht es darum, wie die 21-jährige Erfahrung mit sozial flankierenden Arbeitsmarktmaßnahmen in Schleswig-Holstein genutzt werden kann, um ergänzende Instrumente zu entwickeln, die komplementär zu denen wirken, die im SGB II und SGB III verankert werden. Ich möchte an dieser Stelle das Wort „komplementär“ betonen. Sie sollen ergänzen. Sie sollen nicht dasselbe machen wie auf Bundesebene, sondern sie sollen an den Stellen sinnvoll ergänzen, an denen Lücken sind.