Protokoll der Sitzung vom 21.03.2007

Das Verhältnis von Altstoffen zu Neustoffen lag nach knapp 25 Jahren Anmeldepflicht anteilmäßig bei 97:3 und mengenmäßig bei 99:1. Im Klartext heißt das, dass auf 1 t gut untersuchter Neustoffe 99 t Altstoffe kamen, über deren Gefährdungspotenzial nur wenig bekannt war.

Aus Sicht des Umweltschutzes war das ein nicht hinzunehmender Zustand. Diese Situation wirkte sich zunehmend als Innovationsbremse aus. Es galt also vor allem, mit REACH die unglückselige Differenzierung zwischen alten und neuen Stoffen aufzulösen, die ohnehin nicht auf unbestimmte Zeit Bestand haben konnte,.

Mit Inkrafttreten von REACH wird das Anmeldeverfahren Mitte 2008 entfallen, was als erhebliche Entlastung der Wirtschaft zu bewerten ist. Zugleich beginnt das Registrierungsverfahren für alte Stoffe, das mit produktionsmengenabhängigen Übergangsfristen etwa zehn Jahre lang laufen wird. Wichtig ist, dass die Übergangsfristen nur für solche Altstoffe in Anspruch genommen werden können, die relativ kurzfristig Mitte bis Ende 2008 vorregistriert werden.

Die Landesregierung sieht es als wichtige Aufgabe an, über die Vorregistrierung intensiv zu informieren. Damit soll sichergestellt werden, dass weder für in Schleswig-Holstein hergestellte noch für importierte Stoffe aufgrund einer versäumten Vorregistrierung die Übergangsfristen nicht greifen. Diese Bemühungen werden sich insbesondere auch auf

(Lars Harms)

den Bereich des Imports von Stoffen richten müssen.

Welche Kosten durch REACH auf schleswig-holsteinische Wirtschaft zukommen werden, lässt sich gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit abschätzen. Auch die Wirtschaft selber kann das noch nicht klar beziffern. Die im Bericht genannten Zahlen sind deshalb mit der gebotenen Zurückhaltung zu bewerten. Fakt ist aber, dass REACH in der Umsetzung Geld kosten wird. Die Kosten werden aber über einen Zeitraum von zehn Jahren verteilt anfallen, sodass kurzfristige Auswirkungen auf die Endverbraucherpreise nicht zu erwarten sind. Erst nach Abschluss der beiden Registrierungsphasen werden konkrete Angaben über die tatsächlich entstandenen Kosten vorliegen.

Auch die positiven Auswirkungen von REACH für den Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz werden erst langfristig eintreten, denn vor Ablauf der Übergangsfristen sind relevante Datenmengen hier kaum zu erwarten.

Die Kommission hat ausgerechnet, dass sich die Kosten nach circa 30 Jahren nach Inkrafttreten von REACH durch geringere Gesundheits- und Umweltaufwendungen mehr als amortisieren lassen. Darüber hinaus werden auch Innovationsschübe im Bereich der Chemikaliensicherheit erwartet. Die gesundheits- und umweltpolitischen Ziele von REACH werden bei moderater Belastung der Wirtschaft sowie einigen Entlastungen erreicht.

Nicht nur die Landesregierung wird diesen Prozess aktiv unterstützen, sondern ich hoffe, dass auch Sie als Abgeordnete dieses Verfahren positiv begleiten werden. Das war ein Meilenstein europäischer Gesetzgebung, leider kein Meilenstein der Gesetzgebungstechnik. Es war nicht einfach, aber wir haben etwas Gutes bewirkt. Das wird uns noch viele Jahre begleiten, ich hoffe, auch positiv für die Entwicklung der schleswig-holsteinischen Wirtschaft.

(Vereinzelter Beifall)

Ich danke dem Umweltminister und eröffne die Aussprache. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Manfred Ritzek.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einer etwas präziseren Definition von REACH. Herr Minister, REACH steht für Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien.

(Konrad Nabel [SPD]: Gut abgelesen!)

Es ist eines der ambitioniertesten umweltpolitischen Rechtsetzungsvorhaben in der Geschichte der Europäischen Union - wie auch der Minister betonte und wurde am 18. Dezember letzten Jahres vom EU-Umweltministerrat beschlossen.

Ziel von REACH ist es, die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union künftig besser vor potenziellen gefährlichen chemischen Substanzen in Alltagsgegenständen und in der Umwelt zu schützen. Hersteller oder Händler müssen nachweisen, dass eine chemische Substanz in der Anwendung für Gesundheit und Umwelt sicher ist. Sofern es Gefährdungspotenziale gibt, kann der Einsatz von der neu gegründeten Registrierungsagentur in Helsinki eingeschränkt werden. Für besonders gefährliche Stoffe brauchen Firmen eine gesonderte Zulassung - kein Verbot, aber immerhin eine Sonderbehandlung.

Mit REACH - das wurde bereits gesagt - müssen erstmals circa 30.000 Chemikalien von insgesamt 100.000 Chemikalien, die in der Europäischen Union verwendet werden, geprüft werden, die alle bereits vor dem Jahre 1981 ohne Zulassungsverfahren auf den Markt gekommen sind. Die Registrierung erfolgt ab einer Jahresmenge von 1 t - egal, ob produziert oder gehandelt.

Für alle Produkte, die nach dem Jahre 1981 entwickelt wurden und auf den Markt gekommen sind, gibt es - so hat das auch der Minister vorhin schon gesagt - bereits eine qualifizierte Anmeldepflicht.

Es gibt mit REACH also keine Trennung mehr zwischen Altstoffen und Neustoffen. Die heute auf dem Markt existierenden Produkte sind vornehmlich Altstoffe. Mit REACH wurde also eine gravierende Sicherheitslücke bei der Produktverwendung geschlossen.

Der Bericht der Landesregierung beschreibt meiner Meinung nach sehr gut das gesamte Prozedere der Registrierung. Herr Minister, Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vielen Dank für den Bericht.

(Beifall des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Zu dem Prozedere der Registrierung gehören die zeitlichen Registrierungsabstufungen bis zum Jahre 2018, Mengenabstufungen und die unterschiedliche Behandlung bei diesen Mengen mit Basisregistrierungen und vollständigen Datensätzen, die Beschreibung der Aufgabe der neu geschaffenen Chemikalienagentur in Helsinki als Registrierungsstelle, der Aufbau von Registrierungskonsortien zur

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Kostensenkung und Kostenschätzungen zur Erstellung der Datenblätter und deren Bewertung und vieles mehr.

Wie ist Schleswig-Holstein betroffen? - Von der gesamten Anzahl der Betriebe in Schleswig-Holstein - das sind etwa 150.000 - gehören rund 17.000 Unternehmen und Betriebe zum verarbeitenden Gewerbe, von denen die allermeisten als sogenannte Downstream User keine chemische Umwandlung der Produkte bei der Herstellung von Erzeugnissen vornehmen. Nur eine geringe Zahl von etwa 30 Betrieben dieser Downstream User und etwa zwölf weitere Produktionsunternehmen sind für ihre Stoffe registrierungspflichtig.

Etwa 160 Stoffe fallen für schleswig-holsteinische Unternehmen unter die Registrierungspflicht, davon ist für circa 18 besonders kritische Stoffe ein Zulassungsverfahren notwendig. Für alle anderen gilt die normale Registrierungspflicht.

Bei den Kosten gibt es unterschiedliche Angaben. Natürlich wurden diese besonders im Vorfeld betriebswirtschaftlich als zu hoch bewertet. Was hat es da nicht alles für Diskussionen gegeben! Aber die Kosten sind greifbar, sie sind kalkulierbar. Denn sowohl die Verteilung der Kosten auf die nächsten zehn Jahre bis zum Registrierungsstichtag als auch die bereits vorhandenen Datenblätter in Unternehmen, die Möglichkeit der Kosteneinsparung durch die Bildung von Registrierungskonsortien wie auch der mögliche Wegfall der Verwendung von kritischen Produkten in der Wertschöpfungskette und viele andere Faktoren relativieren die finanzielle Belastung. Kein betroffener Wirtschaftszweig - so heißt es auch im Bericht der Landesregierung - wird mit der neuen, modifizierten Regelung finanziell überfordert.

REACH findet Anwendung in allen Staaten der Europäischen Union. Damit werden über viele Stoffe bessere Kenntnisse hinsichtlich möglicher gefährlicher Eigenschaften verfügbar sein. Kein Land der Europäischen Union hat einen Wettbewerbsvorteil.

Die bessere Informationslage über Chemikalien und die entsprechenden Konsequenzen bezüglich des Einsatzes oder Nichteinsatzes werden zu geringeren Gesundheits- und Umweltschäden und auch zu geringeren Kosten in den Betrieben führen, zumindest langfristig.

Zusätzlich hat die chemische Industrie die Möglichkeit, über ein Qualitätsmerkmal „Chemikaliensicherheit“ besondere Anerkennung auf dem Weltmarkt zu erlangen.

„Die REACH-Verordnung in der endgültigen Fassung wird von der Landesregierung begrüßt“ - so ein Zitat aus dem Bericht. Dem schließe ich mich im Namen meiner Fraktion an.

(Beifall des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

Sie dient den Menschen, der Umwelt und der Wirtschaft.

Ich bitte, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall)

Ich danke Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek. Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Konrad Nabel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die EU-Chemikalienrichtlinie REACH hat ihren Ursprung bereits in den frühen 90er-Jahren und dem Scheitern der EU-Altstoffverordnung sowie des Anmeldeverfahrens für sogenannte neue Stoffe seit 1981. So waren von den über 100.000 in der Industrie verwendeten Stoffe selbst im Jahr 2001 lediglich 10.500 Altstoffe und circa 3.800 Neustoffe in der zentralen Datenbank des Umweltbundesamtes verzeichnet.

Auch wenn auf dieser Basis einzelne Maßnahmen umgesetzt worden waren - wie zum Beispiel das Verbot von Asbest; das dürfte Ihnen allen in Erinnerung sein -, blieben doch die meisten Fragen nach den Zusammenhängen zwischen Chemikalien in der Umwelt und der Zunahme von Krankheiten wie zum Beispiel Krebs, Leukämie und vor allem Allergien, aber auch Umweltschäden unbeantwortet.

Dieser unhaltbare Zustand sowohl für die Interessen der Chemieindustrie, die im Fokus von Verschleierungsvorwürfen stand, als auch für die Interessen von Menschen und Umwelt führte schließlich 1998 - die deutsche Umweltministerin hieß damals Angela Merkel - zum Auftrag der EU-Umweltminister an die Kommission, eine Richtlinie zu erarbeiten, in der die Industrie eine Informationspflicht über Chemikalien auferlegen und die Beweislast umkehren sollte. Nicht mehr die Behörden sollten die Auswirkungen von Chemikalien prüfen, sondern die Hersteller die Ungefährlichkeit ihrer Substanzen beweisen. Darüber hinaus sollte ein Substitutionsprinzip greifen; wenn verfügbar, soll die Industrie einen gefährlichen Stoff durch einen ungefährlichen Stoff ersetzen müssen.

(Manfred Ritzek)

Im Jahr 2001 legte die Kommission mit einem Weißbuch auf dieser Grundlage einen umfassenden Entwurf zu REACH vor, der zunächst von den Regierungen der wichtigsten Industriestaaten in der EU ausdrücklich begrüßt wurde, dann aber 2003 dem Umweltrat entzogen und im Wirtschaftsrat weiter beraten wurde. Seither wurde REACH in intensiven Diskussionen von allen Seiten „bewertet“ und danach sehr stark abgeschwächt. Herr Ritzek, der endgültige Beschluss erfolgte mit zweiter Lesung im Europäischen Parlament Ende des Jahres 2006.

Die EU-Chemikalien-Verordnung REACH hat ungeachtet ihrer gegenüber dem Entwurf stark abgeschwächten Fassung große Bedeutung für die Chemieindustrie als auch für die Menschen und die Umwelt in der Europäischen Union. Europäische Unternehmen produzieren immerhin 31 % sämtlicher Chemikalien in der Welt - die USA nur 28 % - und die Chemieindustrie ist mit 1,7 Millionen Arbeitsplätzen und etwa 3 Millionen indirekt Beschäftigten die drittgrößte verarbeitende Industrie in der Union.

REACH bildet als eine Art TÜV für Chemikalien eine erste Grundlage für die Beantwortung offener Fragen, soll einen gemeinsamen Markt für Chemikalien schaffen sowie Wettbewerb und Innovation fördern.

Die Kernpunkte bleiben: Künftig muss die Industrie die Verantwortung für die Sicherheit der verwendeten Stoffe übernehmen. Die Beweislast wurde umgekehrt; ich sagte es bereits. Eine Agentur soll die Zulassungsanträge prüfen. Die Sicherheitsbewertung und Registrierung der Altstoffe soll, bezogen auf die umgesetzte Menge und das Risiko, zeitlich gestaffelt erfolgen. Die Europäische Chemieagentur soll die Informationen ins Internet einstellen.

Mit der Einführung eines Informationsanspruchs für Verbraucherinnen und Verbraucher soll Transparenz darüber hergestellt werden, ob Produkte besonders besorgniserregende Stoffe enthalten. Allerdings sind dabei - das bedauere ich sehr - entgegen dem ersten Entwurf nur noch die sogenannten nicht vertraulichen Informationen verbindlich einzustellen. Daten für neue Stoffe sollen länger geheim gehalten werden können. Das schmälert den Wert dieser Datenbank erheblich.

Tierversuche sollen stark eingeschränkt werden. Das ist wieder positiv. Aber negativ ist: Die Substitutionspflicht wurde zugunsten einer freiwilligen Regelung aufgegeben. Das finde ich nicht in Ordnung.

In dem auf unseren Antrag hin erstellten Bericht hat die Landesregierung den aktuellen Stand der Umsetzung in Schleswig-Holstein dargestellt. Dafür danken wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Ministerien. Auch wenn aufgrund des frühen Zeitpunkts nach dem Inkrafttreten noch nicht alle Daten vorliegen können, ist in dem Bericht doch zu erkennen, dass die Vorgaben von REACH über den langen Umsetzungszeitraum von Schleswig-Holstein keine unangemessenen Kosten für die Chemieindustrie und damit für den Standort Schleswig-Holstein verursachen werden.

Ich kann und will nicht verschweigen, dass es einige kritische Stimmen gab und gibt und einige Fragen noch offen sind. Diese will ich hier zum Abschluss bringen.

Reichen die REACH-Kriterien eigentlich aus, alle gefährlichen Stoffe zu erkennen? Sind die Mengengrenzen richtig gesetzt? Diese führen dazu, dass von den 100.000 Stoffen nur 30.000 Stoffe erfasst werden. Reichen die Anreize aus, hochgefährliche Chemikalien durch andere zu ersetzen?

REACH muss sich in der Praxis erst einmal bewähren. Gelingt dies erkennbar nicht, so werden wir uns für ein Nachsteuern und eine Beseitigung von Mängeln einsetzen.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)