Protokoll der Sitzung vom 21.03.2007

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Günther Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen konnten wir es in der Zeitung lesen: Der Norden wächst zu einer Chemieregion. Ministerpräsident Carstensen nahm eine EthylenPipeline zwischen Brunsbüttel und der niedersächsischen Stadt Stade offiziell in Betrieb.

54 km Pipeline seien ein wichtiger Teil der wachsenden Petrochemieregion in Norddeutschland. Norddeutschlands Chemieregion sei optimistisch, sich mit ihrem Netzwerk aus fünf Standorten im Wettbewerb im nationalen und internationalen Vergleich sichern zu können. So hieß es.

Das ist eine gute Nachricht für Familien und Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein. Aber es hätte auch anders kommen können.

Vor gut zwei Jahren, als der Entwurf der neuen EU-Chemikalien-Verordnung auf dem Tisch lag, bahnte sich Unheil für die Chemieindustrie in ganz

(Konrad Nabel)

Europa, auch in Schleswig-Holstein, an. In Schleswig-Holstein existiert nur ein größerer Chemiestandort in Brunsbüttel. Das darf uns aber nicht zu der Aussage verleiten, dass lediglich die dort ansässigen Betriebe von der EU-Richtlinie betroffen sein werden. Auch die Land-, Forst- und Fischwirtschaft sowie Maschinenbau und Handwerksbetriebe sind letztlich betroffen, weil sie chemische Stoffe zum Düngen, Reinigen, Herstellen und Reparieren benötigen.

Ich will einmal kurz zitieren, was seinerzeit in den parlamentarischen Beratungen der von uns allen fachlich geschätzte Wirtschaftsminister Rohwer in seinem Bericht zu der Chemikalienrichtlinie ausgeführt hatte. Ich zitiere:

„Die Industrie und deren Verbände gehen davon aus, dass durch die hohen Kosten der Registrierungsverfahren eine Vielzahl von Produkten vom Markt genommen werden müssen, gleichwohl sie für verschiedenste Verfahren und Prozesse benötigt und nicht substituierbar werden können. … Die bestehenden Mängel [der Richtlinie] sind entgegen der Auffassung der Bundesregierung erheblich und dürften die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie beeinträchtigen. … Insofern dürfte die Umsetzung der Chemikalienpolitik in der vorgeschlagenen Form eines Verlustes von Arbeitsplätzen an europäischen Standorten nicht nur unmittelbar in der chemischen Industrie, sondern auch bei anderen Schlüsselindustrien mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.“

So hat also seinerzeit Minister Rohwer den Entwurf dieser Richtlinie eingestuft.

Wir sind alle froh, dass der damalige Entwurf der Richtlinie noch in erheblichem Maße geändert und entsprechend abgemildert wurde. Sie hat schließlich auch die Zustimmung der FDP-Fraktion im Europäischen Parlament gefunden.

(Beifall bei der FDP)

Denn dem Ziel von REACH können wir alle nur zustimmen. Durch die Chemikalienverordnung soll das Chemikalienrecht europaweit harmonisiert und dabei gleichzeitig mehr Sicherheit für die Gesundheit, den Verbraucherschutz und die Umwelt erreicht werden. Die jetzige Verordnung wird dem Ziel gerecht und lässt dabei aber auch nicht die Interessen der in der chemischen Industrie Beschäftigten völlig außer acht.

Wir können davon ausgehen, dass die Belastungen der Industrie nun doch moderater ausfallen werden.

Allerdings sagt der Bericht hierzu fast nichts aus. Es werden zwar Zahlen genannt, die jedoch grob geschätzt sind. Oder sie gehen auf eine veraltete Datenlage zurück, weil sie auf älteren REACH-Berichten beruhen.

So können wir in der heutigen Debatte keine verlässlichen Aussagen für die künftigen Belastungen der Industrie zur Kenntnis nehmen. Gleiches gilt für die Verbesserung des Verbraucherschutzes, im Arbeitsschutz und im Umweltschutz. Die hier vorgesehenen Verbesserungen werden erst mittel- oder langfristig zu spüren sein und können daher heute noch nicht abgeschätzt werden.

Was allerdings bekannt ist, ist die kurze Frist für die Vorregistrierung von Stoffen, die Voraussetzung für die Übergangsfrist zur Weiterverwendung dieser Stoffe bis zum Jahr 2018 ist. Es ist bedauerlich, dass hier seitens zuständiger Behörden die Unternehmen noch nicht darüber informiert wurden, welche Vorteile Vorregistrierungen haben. Das muss zügig nachgeholt werden.

Ich schlage für meine Fraktion vor, dass wir diesen Bericht im Ausschuss nicht nur mit der Landesregierung beraten, sondern hierzu auch Vertreter der ChemCoast einladen, die uns über ihre Einschätzungen und Erfahrungen mit der EU-Verordnung aus erster Hand berichten sollen.

(Beifall bei der FDP)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun der Herr Abgeordnete Detlef Matthiessen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich danke der Landesregierung für den Bericht. Die Chemikalienverordnung REACH ist überfällig. Seit über 10 Jahren wird um die Erfassung und Beurteilung der Gefährlichkeit von Altchemikalien gerungen. Die Entstehungsgeschichte der EU-Richtlinie REACH ist zugleich eine Geschichte der Auseinandersetzung von Lobbygruppen in Brüssel. Auf der einen Seite stehen Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich Umwelt, auf der anderen Seite die schwerreichen Verbände der chemischen Industrie. Die Industrie konnte wesentliche Punkte aus ihrer Sicht durchsetzen. Ewige Übergangsfristen sprechen für sich, wenn es um die Beurteilung geht, wer sich auf der europäischen Ebene besser durchsetzen konnte.

(Günther Hildebrand)

Dem stehen heute und in der Vergangenheit eine Zunahme an Krebserkrankungen, Allergien, Unfruchtbarkeit und Störungen der Erbgesundheit gegenüber. Wer erinnert sich nicht an die Todesfälle und schrecklichen Krankheiten, die durch Holzschutzmittel in Wohnräumen ausgelöst wurden. DDT, Lindan und das aus der Brunsbüttel/Australien-Affäre jetzt aktuell bekannt gewordene Hexachlorbenzol erwiesen sich nicht nur als hochgiftig, sondern auch als hochpersistent und anreichernd in der Umwelt. Sie veranlassten Rachel Carson zum Schreiben ihres berühmten Buches „Silent Spring“, der stumme Frühling. Es ist eines der ersten Umweltbücher, die geschrieben worden sind; ich glaube, das war im Jahr 1972.

Volkswirtschaftlich gesehen werden die Aufwendungen der REACH-Verordnung um ein Vielfaches durch Minderaufwand im Bereich Gesundheit und Umwelt aufgewogen. Produzierte Chemikalien sollen registriert werden, und die Produzenten sollen die Abnehmer und die Öffentlichkeit ausreichend über die Gefährlichkeit der Chemikalien informieren. Sie müssen Sicherheitsmaßnahmen entwickeln, die in der Weiterverarbeitung oder vom Endverbraucher beachtet werden müssen.

Für besonders besorgniserregende Stoffe, die Krebs erzeugen, das Erbgut verändern oder die Fortpflanzungsfähigkeit schädigen, also kanzerogene, teratogene oder fertilitätsstörende Stoffe, die sogenannten CMR-Stoffe, gibt es ein Zulassungsverfahren. Dazu wurde in Helsinki die Europäische Chemikalienagentur eingerichtet, die für ganz Europa entscheiden kann. Damit werden auf der anderen Seite Exportunternehmen von Bürokratie entlastet.

So weit, so gut. Ärgerlich ist allerdings, wie stark die Wirtschaftslobby wieder einmal eingreifen und den ursprünglichen Vorschlag verändern konnte. Nun sind in dieser Verordnung endlos lange Übergangszeiten festgelegt, in denen man auch ohne Zulassung, nur mit einer Vorregistrierung, weiterhin seine Chemikalien in Verkehr bringen darf. Wer von einem Stoff nicht mehr als 100 t pro Jahr produziert, darf noch bis 2018 - bis 2018, meine Damen und Herren! - so weitermachen. Dabei gibt es hoch giftige Stoffe, die schon in kleinen Mengen Schäden anrichten können, und vor allen Dingen gibt es eben viele Stoffe, deren Wirkung unbekannt ist und bei denen dringend geklärt werden muss, ob sie ein Potenzial für eine Gesundheitsgefährdung darstellen oder nicht.

Diese Umweltpolitik beginnt erst in elf Jahren. Das ist eine viel zu lange Übergangsfrist.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die heftige Lobbyarbeit der Unternehmen ist verständlich, weil doch einige Kosten auf sie zukommen, wie wir dem vorliegenden Bericht entnehmen können. Aber noch höhere Kosten tragen die Menschen, wenn die Chemikalienproduktion weiterhin unkontrolliert stattfindet. Deshalb ist, wie gesagt, der volkswirtschaftliche Gewinn größer als die betriebswirtschaftlichen Kosten, und nach dem Verursacherprinzip müssen wir diese Kosten selbstverständlich der Industrie aufbürden. Wem denn sonst? Gesundheit und Umwelt sind keine Güter, über die die Industrie frei verfügen darf.

Dabei werden Registrierung und Information allein nicht genug sein. Entscheidend werden die erforderlichen Maßnahmen sein. Daher wird von der REACH-Verordnung auch ein Innovationsdruck ausgehen, der die Wirtschaft aus meiner Sicht voranbringen wird.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und beantrage Überweisung zur abschließenden Kenntnisnahme und Befassung an den Umweltausschuss sowie an den Europa- und den Wirtschaftsausschuss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen. - Für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach langem und zähem Ringen wurde auf EU-Ebene im Dezember letzten Jahres die EU-Chemikalien-Verordnung REACH beschlossen, die im Juni in Kraft tritt. Der langwierige und komplizierte Prozess um diese Verordnung macht deutlich, wie schwierig es letztendlich war, auf EU-Ebene unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen und eine hoffentlich tragbare Lösung zu finden.

Zugegeben, auch der SSW hatte seine Bedenken bezüglich der Umsetzung der umfangreichen Richtlinie, die als eine der komplexesten angesehen wird, die jemals aus Europa gekommen ist. Auch hat sich niemand gewundert, dass die schärfste Kritik an dem Regelwerk vonseiten der Chemieindustrie geäußert wurde. Sie ist durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass insgesamt 30.000 chemische Stoffe erstmals auf ihre Auswirkung auf Umwelt und Gesundheit überprüft werden sollen. Neben den Kosten wurde vonseiten der Chemieindu

(Detlef Matthiessen)

strie insbesondere das bürokratische und aufwendige Registrierungs- und Zulassungsverfahren für die auf dem Markt befindlichen 30.000 Stoffe kritisiert. So würde dies eine Erhöhung der Produktionskosten mit sich bringen, die die Konkurrenzfähigkeit mit ausländischen Anbietern erschwere, sagte man. Darüber hinaus gebe es einen Rückstand bei der Markteinführung neuer Produkte.

Auch wenn sich die Kritik an der EU-ChemikalienVerordnung mittlerweile etwas gelegt hat, steht die Chemieindustrie der REACH-Verordnung immer noch skeptisch gegenüber. In der anfänglichen Diskussion in Schleswig-Holstein hatte die Chemieindustrie ihren politischen Partner in der CDU, die ebenfalls heftige Kritik am ersten Entwurf der Verordnung geäußert hat. Seitens der CDU wurde seinerzeit nahezu der Untergang der Chemieindustrie in Schleswig-Holstein vorhergesehen.

Lieber Kollege Ritzek, diesbezüglich hätte ich mir allerdings einen ehrlicheren Umgang mit dem Thema gewünscht. Denn mittlerweile können wir feststellen, dass sich das Verhältnis der CDU zu REACH deutlich gebessert hat. Auch Ihr Beitrag hat dies deutlich gemacht.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ritzek [CDU])

Wer den Bericht der Landesregierung liest, stellt fest, dass die Landesregierung die REACH-Verordnung in der endgültigen Fassung sogar begrüßt. Begründet wird dies mit den Verbesserungen, die mit der jetzigen Verordnung einhergehen. Insbesondere wird hervorgehoben, dass die Belastungen für die Wirtschaft deutlich moderater ausfallen, dass es zu einer Harmonisierung des europäischen und nationalen Chemikalienrechts kommt und dass durch REACH kostspielige Anmeldeverfahren abgeschafft werden. Mit diesen Änderungen ist man der Chemieindustrie enorm entgegengekommen.

Das Nachgeben gegenüber der Chemieindustrie hat aber die Kritik von Umweltverbänden und Verbraucherorganisationen insbesondere in Bezug auf das künftige Verfahren mit hoch riskanten Stoffen aufkommen lassen. Soll heißen: Stoffe, die krebserregend sind, das Erbgut verändern oder die Fortpflanzungsfähigkeit mindern, benötigen zwar zusätzlich zur Registrierung auch eine EU-weite Zulassung, die Hersteller sind aber nicht mehr gezwungen, derartige Stoffe durch weniger bedenkliche Alternativen zwingend zu ersetzen. Dies ist bedauerlich. Denn wenn derartige negative Auswirkungen bekannt sind, dann muss die Chemieindustrie verantwortungsvoll handeln und die betreffenden Stoffe schnellstmöglich vom Markt nehmen.

Es bleibt zu hoffen, dass es durch die Offenlegung derartiger gefährlicher Stoffe zu einer ablehnenden Haltung bei ihrer Handhabung kommt, dass sie also aufgrund der Marktmacht der Verbraucher vom Markt verschwinden. Das ist die einzige Möglichkeit, die uns diese Verordnung noch lässt.

Der Bericht macht deutlich, dass die finanziellen Auswirkungen der REACH-Verordnung auf schleswig-holsteinische Unternehmen derzeit nicht vollends absehbar sind. Dies liegt zum einen daran, dass man die Betriebsgeheimnisse wahren möchte, und zum anderen daran, dass sich die Unternehmen noch keine vollständige Klarheit über die Auswirkungen von REACH verschafft haben, und das nach 10 oder 15 Jahren. Es ist aber davon auszugehen, dass der größte Teil der schleswig-holsteinischen Unternehmen als Verwender von Stoffen von der Registrierungspflicht befreit bleiben wird. Die Zurückhaltung der Unternehmen ist aber immer noch ein Zeichen für die vorhandene Skepsis gegenüber der Verordnung. Daher ist es notwendig, dass die zuständigen Behörden die Unternehmen entsprechend informieren und deutlich machen, welche Standortvorteile mit der Verordnung einhergehen. Dies hat der Umweltminister gerade auch angekündigt.

Durch die Verordnung wird es den Behörden in Europa künftig möglich sein, sich einen Überblick über die Stoffe zu verschaffen, die in Europa produziert oder importiert werden, und festzustellen, wie gefährlich diese Stoffe sind. Diese Informationslage wird es ermöglichen, den Belangen des Verbraucher- und Umweltschutzes künftig besser Rechnung zu tragen. So können nicht nur die Verbraucher gewinnen, sondern auch unsere heimische Chemieindustrie kann einen Standortvorteil erlangen, den sie vermarkten muss, Wenn der Effekt von REACH schließlich darin besteht, dass man ein bisschen besser mit der Umwelt umgeht, dass man gegenüber dem Weltmarkt deutlich macht, in welchem Maße umweltfreundlicher - nicht umweltfreundlich - man sich verhält, so ist das zumindest ein kleiner Erfolg dieser Verordnung. Aber es gehören mehr Schritte dazu, um die Menschen wirklich vor nicht verantwortbarer Chemie zu schützen.

(Beifall beim SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist Überweisung federführend an den Umweltund Agrarausschuss und mitberatend an den Wirt

(Lars Harms)

schafts- und Europaausschuss, und zwar zur abschließenden Beratung, beantragt worden. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenenthaltungen? - Das ist so beschlossen.