Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

Ich unterbreche die Sitzung. Wir treffen uns nach der Mittagspause um 15 Uhr wieder.

(Unterbrechung 12:53 bis 15:02 Uhr)

Meine Damen und Herrn, auch wenn wir noch nicht ganz vollzählig sind, eröffne ich die Sitzung wieder und begrüße Sie alle sehr herzlich.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich Ihnen mit, dass wegen auswärtiger Verpflichtungen Frau Ministerin Erdsiek-Rave beurlaubt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden während der Sitzung den Gehörlosenverband auf der Tribüne begrüßen können. Damit die Damen und Herren die Debatte verfolgen können, werden zwei Gebärdendolmetscher, die sich abwechseln, die Debatte begleiten.

(Lars Harms)

Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Bekämpfung von politischem Extremismus und Fremdenfeindlichkeit - Stärkung der Demokratie

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1287

Ich erteile das Wort dem Herrn Innenminister Dr. Ralf Stegner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!

(Lothar Hay [SPD]: Soweit sie anwesend sind!)

- Der Bericht würde das, glaube ich, verdienen.

(Beifall)

Ob Skinhaed-Konzert, Farbschmierereien oder das Rufen von nationalsozialistischen Parolen, fast täglich werden dem Rechtsextremismus zuzuordnende Taten ermittelt. Das ist erschreckend und macht uns zugleich deutlich, dass wir alle miteinander nicht beschwichtigen und nicht wegsehen dürfen.

Lassen Sie mich zuerst die statistischen Daten darstellen. Den registrierten Straftaten nach ist für das Jahr 2006 ein Anstieg der Fallzahlen im Bereich Rechtsextremismus von 337 im Jahre 2005 auf 510 im Jahre 2006 zu verzeichnen. Die in der Gesamtzahl enthaltenen Gewaltdelikte belaufen sich auf 65 Taten. Das sind mehr als im Jahr zuvor, wo wir 56 Taten hatten. Schleswig-Holstein bewegt sich mit dieser Entwicklung im Bundestrend, für den es auch in den anderen Ländern keine einhelligen Erklärungen gibt.

Was sind die Hintergründe für diese Entwicklung? Die in den vergangenen zehn Jahren maßgeblich vom Bundesvorsitzenden der NPD betriebene Neuausrichtung der NPD hat zu einer grundlegenden Veränderung der Struktur des Rechtsextremismus in Deutschland geführt. Die Anfang der 90er-Jahre schon totgeglaubte NPD dominiert heute den deutschen Rechtsextremismus. Dies gilt auch für die Verhältnisse in Schleswig-Holstein.

Die NPD versucht, sich den Wählern als die Partei, die die sogenannte soziale Frage aufgreift, darzustellen. Nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung im vergangenen Jahr stoßen die Rechtsextremisten auf wachsende Zustimmung in der Bevölkerung.

Während die Agitation fast aller Rechtsextremisten in der Vergangenheit im Wesentlichen durch revisionistische Inhalte bestimmt war, greift die NPD heute zunehmend allgemeinpolitische Themen auf. Das macht sie teilweise schwer erkennbar und gefährlich. Der dumpfe, durch Rassismus getragene Rechtsextremismus, wurde also ergänzt.

In den ostdeutschen Bundesländern bildete dieser Strategiewechsel die Grundlage für den Einzug der NPD in die Länderparlamente von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Das Wahlergebnis der NPD in Mecklenburg-Vorpommern betrug 7,3 %. In Schleswig-Holstein versucht die Partei sich gegenwärtig, mit Themen wie Ladenschluss, Gebietsreform oder Landesschulgesetz als Interessenvertretung der kleinen Leute zu profilieren.

Regionale Schwerpunkte der NPD, der ihr nahestehenden „Freien Nationalisten“ und der nur noch fragmentarisch existierenden „Kameradschaften“ liegen derzeit im Raum Dithmarschen, in Lübeck, im Kreis Herzogtum Lauenburg und in Neumünster. Darüber hinaus gibt es im gesamten Land zahlreiche anpolitisierte Jugendliche oder junge Erwachsene, die der rechtsextremistischen Subkultur-Szene zuzurechnen sind. Diese Subkultur wird seit ihrem Bestehen ganz wesentlich durch rechtsextremistische Musik und zunehmend durch das Internet inspiriert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Extremisten finden meist dort Gehör, wo ihre populistischen Parolen auf Halbwissen oder Uninformiertheit stoßen oder wo Menschen mit ihrer persönlichen, insbesondere wirtschaftlichen Situation unzufrieden sind. Wenn wir in Deutschland zu viele Menschen abschreiben, dann versuchen Rechtsextremisten, daraus Kapital zu schlagen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Insofern ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus durch Stärkung der Kräfte der freiheitlichen Demokratie eine Daueraufgabe für alle Bereiche der Gesellschaft und übrigens auch für alle demokratischen Parteien.

(Beifall bei SPD und CDU)

Dies ist übrigens kein Thema, das wir in einem Parteienstreit bewegen sollten.

Der vorgelegte Bericht gibt vielfältige Anregungen. Ich habe im Herbst letzten Jahres eine Initiative in der Innenministerkonferenz ergriffen, um Erkenntnisse über die Finanzierung rechtsextremistischer Gruppierungen zusammenzuführen. Gegenwärtig arbeitet eine Arbeitsgruppe daran. Denn politisch, so finde ich, sind die Geldgeber der Rechten anzu

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

prangern. Diese Art des Sponsorings menschenverachtender Parolenschreier ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich sage aber auch: Nur durch Verbote wird dem Rechtsextremismus nicht zu begegnen sein, zumal man das Denken nicht verbieten kann. Veranstaltungsverbote allein, ohne inhaltliche Auseinandersetzungen mit den Veranstaltern und deren Zielen, sind in Anbetracht der in Teilen der Bevölkerung vorhandenen stillen Zustimmung für rechtsextremistische Positionen kein adäquates Mittel. Mitleidseffekte zugunsten der Rechtsextremisten sollten wir immer verhindern.

Was aber auch nicht geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist, aus Angst vor rechtsextremen Übergriffen demokratische Veranstaltungen abzusagen. Ich finde es skandalös, wenn das geschieht.

(Beifall)

Und es darf auch nicht hingenommen werden, dass Wahlhelfer demokratischer Parteien eingeschüchtert oder verprügelt werden. Also: Keine Samthandschuhe beim Kampf gegen Nazis oder Neonazis!

(Beifall)

Die in der Vergangenheit mit Vereins- und Parteiverboten gemachten Erfahrungen zeigen, dass sie nicht zu einem dauerhaften Schutz vor Rechtsextremismus taugen. Ich halte einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot nicht für klug. Die NPD ist eine verfassungswidrige Partei, das ist klar. Ich bin aber skeptisch, ob ein Verbotsverfahren hilfreich wäre, unabhängig von den Erfolgsaussichten. Wenn es scheitern sollte, wäre das geradezu ein Konjunkturprogramm für die NPD.

Besser ist es, die rechtsextremistischen Parteien auch weiterhin durch den Verfassungsschutz zu beobachten und die offensive politische Auseinandersetzung zu führen, und zwar gerade um die Geldquellen, denn das tut den Rechtsextremisten weh. Und ich sage auch: Ein Herummanipulieren am Verfassungsschutzgesetz, auch wenn es zum Teil von meinen eigenen Parteifreunden vorgeschlagen wird, würde so wirken, als wäre die Demokratie hilflos im Umgang mit ihren Feinden.

(Beifall)

Ein anderes Feld, auf dem wir tätig werden müssen, ist der Versuch, den Fußballsport durch Gewalt, Alkoholexzesse und rechtsextreme Profiteure von Hooligan-Aktionen zu beschädigen. Hier habe ich vor Kurzem die Verantwortlichen von Politik, Verbänden, Vereinen und Kommunen an einen Tisch geholt. Das ist ein Beispiel dafür, wie man ver

sucht, über etwas sehr Populäres an junge Leute heranzukommen. Das müssen wir verhindern, übrigens nicht nur im Interesse des Sportes, sondern auch der vielen Millionen Menschen, die den Fußballsport als Vergnügen und Freizeitbeschäftigung mit Begeisterung verfolgen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Präsidentin, ich fürchte, ich bekomme etwas Schwierigkeiten mit meiner Zeit. Ich hoffe, dass Sie mir noch etwas Zeit einräumen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf die „Frankfurter Rundschau“ vom vergangenen Samstag zitieren:

„Niemand hat heute Grund, eine bevorstehende Machtübernahme der Rechtsextremisten zu befürchten. Aber genauso wenig gäbe es eigentlich einen Grund, die tägliche NaziPropaganda und die rassistischen Gewalttaten mit schulterzuckender Selbstverständlichkeit zu dulden.“

Denen, die sagen, es gäbe auch in anderen Ländern Rechtsextreme, sage ich: Es wird immer etwas anderes sein, wenn es Rechtsextremismus in Deutschland gibt. Gestern war der internationale Tag zur Bekämpfung von Rassismus. Arbeiten wir also alle daran, dass wir die lebensuntauglichen Rezepte der Rechten entlarven.

Ich glaube übrigens, dass das Urteil in Sachen der durchgestrichenen Hakenkreuze hilfreich gewesen ist, weil es dem gesunden Menschenverstand entspricht.

(Beifall)

Insgesamt geht es nicht darum, zu verharmlosen, und es geht nicht darum, zu dramatisieren, sondern es geht darum, entschlossen für die Demokratie zu kämpfen.

(Beifall bei der SPD)

Zur Situation im Bereich des Linksextremismus ist zu sagen, dass die Taten dort sehr deutlich zurückgegangen sind, und zwar um etwa die Hälfte von 273 in 2005 auf 118 in 2006. Der Anteil der Gewaltdelikte hat sich von 86 auf 41 verringert.

Die aktuelle Lage im linksextremistischen Bereich wird immer deutlicher durch die Vorbereitung von Protestaktionen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm bestimmt. Mittlerweile wird bundesweit und auch international mobilisiert. Die überwiegende Anzahl der geplanten Aktionsformen ist zwar friedlich angelegt, durch verschiedene Erklärungen wird