Drittens. Wenn wir uns einig sein sollten, dass wir künftig wirklich in der Aktuellen Stunde freie Reden halten, dann wäre ich dafür sehr dankbar. Wir sollten das im Ältestenrat gemeinsam besprechen.
- Je Redner fünf Minuten, Herr Kollege, und dann nach der Kommentierung - so oft man mag, in der Summe 60 Minuten. Wenn 90 Minuten ausgedruckt sind, liegt das daran, dass der Regierung maximal 30 Minuten zur Verfügung stehen, 60 Minuten den Fraktionen. Ich denke, wir haben das jetzt noch einmal geklärt und werden das für das nächste Mal im Ältestenrat weiter diskutieren.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort hat Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen. - Ich sehe den angekündigten Redner nicht.
(Beifall bei CDU, SPD und SSW - Karl-Mar- tin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir haben uns geärgert über das Ver- fahren, dass Anke Spoorendonk im Protokoll erwähnt wird, dass sie abgelesen hat! Andere sind nicht erwähnt worden! Deswegen haben wir uns darüber geärgert! - Zurufe - Karl- Martin Hentschel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Verdammt noch mal!)
- Herr Kollege Hentschel, ich habe ordnungsgemäß aufgerufen, ich habe zweimal gefragt. Wenn sich von Ihnen keiner meldet, ist naturgemäß der in der Rednerliste folgende Redner dran und das ist der Kollege Ritzek - und dann kommt Ihr Redner, das ist nicht unser Problem.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich starte dann meine Rede. Ich war natürlich auch darauf vorbereitet, kurz auf das zu antworten, was mein Vorredner gesagt hätte, ich vermute es, ich ahne es.
Meine Damen und Herren, Sie haben heute in den Hauptüberschriften der Zeitungen eigentlich nur etwas von den Kneipen gelesen und vom Schutz der Raucher oder Nichtraucher. Diese Headline ist entstanden aufgrund des Zusammentreffens der Gesundheitsminister der Länder gestern. Gestern gab es aber auch ein Treffen der Umweltminister der Länder mit dem Bundesminister. Ganz klein versteckt steht heute in den „Kieler Nachrichten“ etwas über eine Energieeffizienzoffensive im Zusammenhang mit der Reduzierung des CO2-Ausstoßes statt um 20 % nun um 30 %. Es ist eigentlich traurig, dass diese bedeutende Entscheidung in der heutigen Presse einen so geringen Widerhall findet. Das Rauchen beherrscht das Thema.
Meine Damen und Herren, ich möchte versuchen, rational zu begründen, dass es diese Absenkung um 30 % umso dringender macht, über die Bedeutung der Verlängerung der Laufzeit von Kernenergieanlagen zu sprechen. Ich werde das rational begründen.
Die Laufzeitverlängerung der 17 deutschen Kernkraftwerke muss unter zwei entscheidenden Fragestellungen gesehen werden: Erstens. Welchen Beitrag können Kraftwerke für die nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energieversorgung leisten? Das war bis vor einigen Wochen immer die Frage. Neu hinzugekommen und von gleicher Bedeutung ist die zweite Frage: Welche Rolle können Kernkraftwerke im Zusammenhang mit der Lösung des Energieproblems spielen? Beide Themenfelder gehören zusammen und beide Themenfelder sind von der Europäischen Union neu definiert worden. Die Energiepolitik der Europäischen Union ist auch Klimastrategiepolitik. Ich denke, wir müssen bei diesem Thema auch die europäische Dimension behandeln und dürfen nicht nur regional denken.
Im Grünbuch der Europäischen Union wird in einem Atemzug gesagt, die weltweite Energienachfrage und der weltweite CO2-Ausstoß würden bis zum Jahre 2030 voraussichtlich um 60 % steigen. Das sind unglaubliche Zahlen. Weiter heißt es, dass im gleichen Zeitraum 90 % des Ölbedarfs und 80 % des Erdgasbedarfs durch Importe befriedigt werden.
- das kann man allein vor diesem Hintergrund sagen -, die Importabhängigkeit von Energie für Deutschland und Europa durch Abschalten sicherer Kernkraftwerke zu erhöhen, beträgt doch der Beitrag des Stromes aus Kernkraft in Schleswig-Holstein, der nur ein Teil des gesamten Energiefeldes ist, zum Beispiel 41 %, in der Bundesrepublik knapp 30 % und in der Europäischen Union fast 33 %.
- Der Gesamtanteil der Kernenergie an der deutschen Energiebilanz von 480 Millionen Steinkohleeinheiten beträgt 13 % und nicht 6,2 %, wie von den Grünen im Antrag formuliert.
Ich weiß nicht, ob das nur ein Schreibfehler war. Ich möchte fast sagen Nein, denn bei den Uranvorräten kommen sie auch zu völlig falschen Zahlen, auch darauf werde ich eingehen.
Eine andere wichtige Aussage ist, dass die Kernenergie in Deutschland mit etwa 50 % an der Grundlaststromerzeugung beteiligt ist. Andere Grundlastalternativen gibt es derzeit nicht. Derzeit heißt: für die nächsten 20 bis 30 Jahre.
Es gibt auch keine mengenmäßig relevanten regenerativen Energien - auch darauf werde ich noch eingehen -, die den Ausfall der Kernenergie in den nächsten 20 bis 30 Jahren kompensieren könnten. Das mögen wir bedauern, das ist aber eine Tatsache. Ausreichend erneuerbare Energien für den Ersatz der Kernenergie sind somit nur Optionen für die Zukunft.
Die EU-Kommission überlässt im Grünbuch jedem Mitgliedstaat die Entscheidung über den Energiemix, betont aber, dass eine transparente und objektive Debatte über die künftige Rolle der Kernenergie geführt werden sollte. Dem schließen wir uns voll an.
Meine Damen und Herren, gerade in der jüngsten Zeit entscheiden sich immer mehr europäische Länder, aber auch Länder der ganzen Welt für den weiteren Bau von Kernkraftwerken aufgrund der bei
den Gesichtspunkte Beteiligung am Energiemix und Problemlösung beim Klimaschutz. Derzeit werden weltweit 29 Kernkraftwerke gebaut. Auch in Europa gewinnt die Kernenergie - wie ich bereits sagte - zunehmend an Akzeptanz. Frankreich hat zum Beispiel den Standort für einen Reaktor der dritten Generation festgelegt.
Großbritannien plant, wieder Kernkraftwerke zu bauen. Rumänien und Finnland haben bereits je einen neuen Reaktor definiert. Die drei baltischen Staaten wollen gemeinsam einen Reaktor bauen und betreiben. Italien baut zwar keine Kernkraftwerke, beteiligt sich aber kapitalmäßig an französischen Kernkraftwerken und sichert sich somit Strom aus Kernkraftwerken.
Schweden, Belgien und die Niederlande haben den beschlossenen Ausstieg rückgängig gemacht. Sie haben von einem Sonderweg Abschied genommen, auf dem sich nur noch Deutschland befindet. Dieser Sonderweg ist unverantwortlich.
Wie steht es mit regenerativen Energien? 5 % des heutigen Energiebedarfs werden in Deutschland von Windkraftanlagen gedeckt, die anderen 2 % von anderen erneuerbaren Energien. Wir setzen uns im Hohen Haus alle für weitere Windkraftanlagen ein, 15 Windkraftfelder sind genehmigt, 25 weitere in der Planung. Wenn wir 40 genehmigte und geplante Windkraftparks mit etwa 4.000 bis 6.000 Windkraftanlagen von - je nach Größe - einer Gesamtleistung von 19.000 MW planen wollen, dann könnten sie in etwa die gesamte Leistung der 17 deutschen Kernkraftwerke ersetzen.
Herr Kollege Ritzek, ich lausche Ihren Worten mit großer Aufmerksamkeit, ich frage mich dabei aber, warum die Bundeskanzlerin angesichts des herausragenden Datenmaterials erklärt, dass es am Ausstieg aus dem Atomkonsens bis 2009 nichts zu deuteln gebe?
- Ich glaube, das hat sie im Zusammenhang mit der Genehmigung der Laufzeitenverlängerung gesagt und es damit begründet, was Umweltminister Gabriel selbst entscheiden kann. Aber das ist eine neue Debatte. Ich habe nicht so viel Zeit. Vielleicht können wir später noch einmal darauf zu sprechen kommen.
Im Umweltbericht der Bundesregierung vom letzten Jahr heißt es, dass bis zum Jahr 2030 insgesamt 20.000 bis 25.000 MW Windkraftkapazität in der Nord- und Ostsee installiert werden sollen. Aber genau um diese 25 Jahre geht es. Diese 25 Jahre müssen überbrückt werden. Das können wir nur überbrücken, wenn wir die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass kurzfristig in der Nordsee 32 Windkraftfelder mit jeweils 100 Windkraftanlagen und jeweils einer Ausdehnung von 5 km² gebaut werden können! Das ist kurzfristig nicht zu erreichen.
Wir sind auch für den weiteren Ausbau der Bioenergie in jeder Art, aber es gibt dort wirklich Grenzen und Schranken, nicht nur national, sondern auch international. Ich erwähne nur die Abholzung des Regenwaldes oder auch den Bau von Wassertalsperren mit brutalsten Auswirkungen für die Natur und die Menschen.
Ich sehe, dass die Zeit davonrennt. Ich möchte auf die Verfügbarkeit von Uranvorkommen nicht eingehen. Die Zahl im Antrag der Grünen ist völlig falsch. Da stehen 30 Jahre. Der Umweltbericht der Bundesregierung spricht von 217 Jahren. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Zur Bedeutung der Kernkraftwerke im Klimaschutz: Europa macht Ernst mit dem Klimaschutz, das haben wir alle gelesen und gehört. Der CO2Ausstoß soll in Europa um 20 % bezogen auf das Jahr 1990 bis zum Jahr 2020 reduziert werden. Gestern gab es in Deutschland die Entscheidung, daraus 30 % zu machen. Die drei Kernkraftwerke in Schleswig-Holstein sparen jährlich 7 Millionen t CO2-Emissionen ein, die 17 Kernkraftwerke in Deutschland 160 Millionen t und die 450 Kernkraftwerke in der Welt 2,8 Milliarden t.