Protokoll der Sitzung vom 10.05.2007

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte sehnsüchtig gehofft, dass es der Landtagsverwaltung gelingt, das Plenarprotokoll des gestrigen Tages heute noch zu verteilen. Leider ist das nicht gelungen. Sie hätten dann alle nachlesen können, dass die Kollegin Spoorendonk gestern meiner Erinnerung nach ausgeführt hat, dass ich Sachverhalte so gut erklären könnte.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Nun ist für mich aber die Notwendigkeit da, einen so komplizierten Sachverhalt wie die Unternehmensteuerreform in Deutschland innerhalb von vier Minuten und 48 Sekunden - das zeigt mir die Uhr - zu erläutern. Ob mir das gelingt, weiß ich nicht. Wir können das aber gern in einem Privatseminar nachholen. Ich lade dazu gern ein.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Das ist nicht der Punkt!)

Lassen Sie mich mit der Überschrift aufräumen. Wir diskutieren seit einem Jahr über diese Unternehmensteuerreform. Wir tun dies übrigens auf eine Weise, die - wie ich finde - außerordentlich angenehm ist, weil sie von allen Beteiligten überwiegend sachlich geführt wird. Das unterscheidet die Diskussion von anderen Diskussionen über Politiksachverhalte, die hin und wieder streitig diskutiert werden. Ein Punkt ist jedoch völliger Unsinn. Eine aufkommensneutrale Steuerreform ist völliger Quatsch.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die gibt es nicht!)

Mit Verlaub, eine Steuerreform, die uns über Jahre beschäftigt, die die Unternehmen sowie die gesamte Finanzadministration allein in Schleswig-Holstein mit 5.000 Beamten beschäftigt und die am Ende genauso viel bringt wie am Anfang, ist Unsinn. Das sollten wir lassen. Deshalb machen wir eine Steuerreform, die eben nicht aufkommensneutral ist, weil sie am Ende mehr bringt als vorher.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das ist die Notwendigkeit, um die es geht. Wir wollen mit dieser Unternehmensteuerreform die Wachstumskräfte in Deutschland stärken. Das ist von einigen Rednern schon angesprochen worden. Das ist ein ganz bedeutender Beitrag zur Steuergerechtigkeit in Deutschland.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Tobias Koch [CDU] und Holger Astrup [SPD])

Wir wollen nämlich, dass Gewinne, die in Deutschland erwirtschaftet werden, auch in Deutschland versteuert werden. Wir wollen, dass wieder in Deutschland Investitionen getätigt werden. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute liegen mit ihren Prognosen - wie wir alle wissen - sehr weit auseinander. Hier ist die Bandbreite besonders groß. Ich nehme aber einmal das Mittelfeld. Es wird gesagt, dass in Deutschland erwirtschaftete Gewinne jährlich in einer Größenordnung von 50 Milliarden bis 80 Milliarden € im Ausland versteuert werden, weil es günstiger ist, dies zu tun. Umgekehrt werden etwa 30 bis 50 Millionen € an Verlusten, die im Ausland erwirtschaftet werden, völlig legal in Deutschland versteuert, weil es bei den hohen steuerlichen Belastungen günstiger ist, Verluste hier geltend zu machen.

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies nach Möglichkeit auszugleichen und das - etwas technokratisch ausgedrückt - Steuersubstrat in Deutschland zu belassen, ist der entscheidende Punkt. Das ist die Hauptaufgabe dieser Steuerreform.

(Beifall bei CDU und FDP)

Gäbe es keine Steuerreform, was die Alternative wäre, denn es gibt auch zwei Länder, die empfehlen, auf die Steuerreform zu verzichten, dann könnten Sie sicher sein, dass mehr Unternehmen von dem Gestaltungsspielraum Gebrauch machten, den wir heute haben. Sie werden eben das tun. Sie werden Gewinne, die in Deutschland entstanden sind, über andere Wege im Ausland versteuern.

Man kann über einzelne Elemente sicherlich unterschiedlicher Auffassung sein. Wolfgang Kubicki hat hier kritische Anmerkungen gemacht. Die IHK, die Unternehmensverbände und auch die Kommunen, kurz alle Beteiligten, informieren uns seit mehr als einem Jahr - wie ich finde - außerordentlich sachlich über Bereiche, in denen wir etwas verbessern können. Eine ganze Reihe von Punkten haben wir verbessert. Es geht darum, dass wir die nominalen Steuersätze senken. Das tun wir in einem Umfang von etwa 30 Milliarden €. Das sage ich, damit wir eine Vorstellung von der Größenordnung des Rades haben, das hier gedreht wird.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Unglaublich!)

- Kollegin Birk, ich habe Zweifel, dass Sie sich 30 Milliarden € überhaupt vorstellen können. Dass Sie sich aber vorstellen können, was dahinter steckt, bezweifle ich wirklich.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Die Gegenfinanzierung durch das Streichen von Ausnahmen und durch das Wegnehmen von Vergünstigungen sowie durch das Verhindern von Gestaltungsmöglichkeiten, die alle so viel Ungerechtigkeit in dieses System bringen, hier gebe ich allen Rednern Recht, soll im Entstehungsjahr im Umkehrschluss 25 Milliarden € gegenfinanzieren. Das ist der entscheidende Punkt. Im Entstehungsjahr wollen wir erreichen, dass wir nicht mehr - wie im Augenblick - 5 Milliarden € als Anschubfinanzierung benötigen. Das ist die Wirkung, die dazu führen soll, muss und wird, dass wir im Ergebnis zu deutlich höheren Steuereinnahmen, zu deutlich höheren Investitionen und zu deutlich mehr Arbeitsplätzen in Deutschland kommen als derzeit. Dies ist der Vollzug eines Vorschussvertrauens, das uns die deutsche Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahren gegeben hat, und zwar im Vertrauen darauf, dass das, was wir angekündigt haben, auch wirklich umgesetzt wird. Wenn dies nicht gelingt, dann werden die Zahlen, die bis morgen noch in Görlitz diskutiert werden und die von Stunde zu Stunde noch schwanken und Gott sei Dank im Moment etwas geringer aussehen, auf einen vernünftigen Boden zurückkommen, Wolfgang Kubicki. Manche reden sich in dieser Frage ja besoffen. Nur, Anke Spoorendonk, in den nächsten Jahren wird es trotz und wegen dieser Unternehmensteuerreform nicht zu weniger Steuereinnahmen kommen, sondern insgesamt zu mehr

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

bei den Unternehmen ebenso wie bei den Ländern und beim Bund.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lese Ihnen einmal etwas vor.

(Minister Rainer Wiegard)

Mit Genehmigung des Präsidenten!

Hier steht:

„Der Bund wird unterstützt, die Unternehmensbesteuerung so zu reformieren, dass für die Besteuerung im europäischen Raum eine vergleichbare Bemessungsgrundlage entsteht.“

Da sind wir alle uns einig.

„Eine Senkung von Unternehmensteuersätzen im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit und zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen kann es nur geben, wenn diese Einnahmeausfälle durch die Schließung von Steuerschlupflöchern mindestens kompensiert werden.“

Diese Formulierung stammt nicht etwa aus dem Antrag des SSW, obwohl er fast gleichlautend ist, sondern wörtlich aus dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition in diesem Land.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das hat der Finanz- minister gerade gesagt! - Holger Astrup [SPD]: Das hat er gesagt! - Weitere Zurufe von der SPD)

Das Erstaunliche ist, dass sowohl nach Aussagen der Bundesregierung als auch nach Aussagen des Fraktionsvorsitzenden der SPD von gestern und, wenn ich es richtig verstanden habe - da bin nicht ganz sicher -, auch nach der Darstellung des Finanzministers diese Unternehmensteuerreform nicht aufkommensneutral ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Minister hat sich sogar explizit gegen diese Wendung „aufkommensneutral“ verwandt und gesagt: Das ist eine blödsinnige Formulierung.

(Zurufe von der SPD)

Das steht auch im Koalitionsvertrag so drin.

Wissen Sie, ich habe den Eindruck, dass es zwei unterschiedliche Auffassungen gab, die der CDU die sagte, man könne auf Steuereinnahmen verzichten, wir seien so reich, und die der SPD, die ursprünglich - wie früher auch - meinte, man müsse eine aufkommensneutrale Steuerreform machen. Jetzt, nach man sich so viel gestritten hat, kann sich die SPD nicht mehr so richtig durchsetzen. Da sagt

man: Es ist alles so kompliziert und schwierig, aber in Wirklichkeit: Lass sie mal machen.

Tatsache ist: Das, was in dem Antrag formuliert ist, ist das, was de facto im Koalitionsvertrag steht.

(Holger Astrup [SPD]: Nein! - Weitere Zuru- fe von der SPD)

Sie von der SPD wollen dagegen stimmen, weil Sie sich nicht durchsetzen können. Das tut mir leid.

Dass die FDP mit 30 Milliarden € Mindereinnahmen wesentlich weniger Geld in der Staatskasse haben möchte, weil sie sowieso alles aus Luftnummern finanziert, hat mich nicht verwundert. Aber dass Sie eine Steuerpolitik, die verantwortungslos ist, die wir seit Jahren als verantwortungslos bezeichnet haben, nämlich die Senkung von Steuern ohne Gegenkompensationen, jetzt abzeichnen wollen, erschüttert mich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Ganze, was wir hier heute hören, ist super interessant. Frau Herdejürgen hat eben gerade gesagt, eigentlich sei das Ganze nicht planbar und so eine Punktlandung kriegten sie nicht hin. Danach kriege ich vom Finanzminister glasklar, auf den Pfennig genau, gesagt, was es denn bringt und wie sich die Steuerreform womöglich finanziell auswirkt. Ich glaube schon, dass es planbar ist.

(Zuruf der Abgeordneten Birgit Herdejürgen [SPD])

Gehen wir einmal davon aus, Herr Finanzminister, dass die Zahlen, die Sie jetzt genannt haben, im Groben richtig sind. Sie werden richtig sein. 25 Milliarden € kriegen wir dadurch, dass Gestaltungsspielraum eingeengt oder abgeschafft wird, also Gewinne nicht mehr in anderen Ländern versteuert werden können, Verluste hier nicht mehr geltend gemacht werden können, andere sogenannte Schlupflöcher geschlossen werden. Warum besteht dann der Zwang zu sagen, ich nehme nicht 25 Milliarden € weniger an Belastungen hinsichtlich des Steuersatzes an, sondern 30 Milliarden €?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)