Protokoll der Sitzung vom 15.06.2005

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Herr Minister Austermann hat im Ausschuss angeführt, dass er ein Problem zum Beispiel darin gesehen habe, dass das Projekt FLEX in die Hose gegangen sei. Das ist sicherlich zutreffend. FLEX war ebenfalls ein Projekt, das von allen getragen wurde; Kollege Dr. Garg hat eben deutlich gemacht, dass wir wuss

(Lars Harms)

ten, dass es schief gehen konnte. Es ist aber nicht nur wegen Verlusten auf der Strecke Hamburg-Flensburg gescheitert, sondern auch aufgrund der Gesamtkonzeption des damaligen Unternehmens des Trägers dieser Strecke. Dies hat zu einem Gesamtkonkurs und nicht zu einem Konkurs auf dieser Strecke geführt.

Die Idee damals war, dieses regionale Unternehmen zu unterstützen und kleinen schleswig-holsteinischen Unternehmen Chancen im Wettbewerb zu geben. Dies ist leider schief gegangen, aber - und das ist wichtig - die Lösung, die wir danach aufgrund der Ausschreibungen und der Tatsache hatten, dass sich noch andere Unternehmen an diesem Projekt beteiligt hatten und ebenfalls qualitativ hochwertige und günstige Angebote abgegeben hatten, hat dazu geführt, dass der ursprüngliche Betreiber, nämlich die Deutsche Bahn AG, ein wesentlich besseres Angebot vorgelegt hatte, als er es vor der Ausschreibung FLEX vorzulegen bereit war. Das heißt, auch die Notlösung, die wir jetzt bekommen haben, ist aufgrund der Ausschreibungen, die getätigt wurden, besser als das, was wir vorher in einer freien Vergabe hätten erreichen können. Also ist auch dies letztlich eine Erfolgsgeschichte der Ausschreibung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Austermann hat dann im Ausschuss gesagt, dass es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Ausschreibung und Netzausbau geben könne; das ist eben schon einmal deutlich gemacht worden. Das mag so sein; das will ich nicht beurteilen. Denn das ist eine psychologische Komponente, wenn sich die Bahn so verhalten sollte. Allerdings dürfen wir Politiker daraus nicht den Schluss ziehen, klein beizugeben und die Hacken zusammenzuschlagen. Wir dürfen nicht alles fressen, was uns dieser Großkonzern, der dann auch noch im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland ist, vorschreiben will.

Vielmehr muss sich für uns als Politiker täglich die Frage stellen, welche Konsequenzen wir daraus für die Struktur ziehen. Wenn die Struktur zeigt, dass Netz und Betrieb nicht zusammenpassen, weil darin zumindest ein theoretisches Erpressungspotenzial steckt, dann muss ich mich dafür einsetzen, dass Netz und Betrieb auseinander genommen werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann bedeutet das für uns, dass eine interne politische Initiative ebenso wie eine politische Initiative Ihrerseits, Herr Minister, so aussehen müsste, dass man sich vehement dafür einsetzt, dass Netz und Betrieb auseinander genommen werden. Dies einfach deshalb, weil dieses Erpressungspotenzial dann nicht

mehr da ist. Ich sage Ihnen selbstverständlich auch, dass der Landtag in der letzten Legislaturperiode entsprechend beschlossen hat. Es gibt einen Beschluss, der genau dies fordert. Sie hätten alle 69 Abgeordneten bei dieser Geschichte hinter sich.

Es kann jedenfalls nicht sein, dass auf Ausschreibungen verzichtet wird. Es gibt viele gute Gründe, die ich schon genannt habe und die für Ausschreibungen sprechen. Es gibt viele gute Gründe dafür, dies eben nicht im Hinterzimmer zu machen. Es gibt viele gute Gründe, transparent zu handeln. Deshalb glaube ich, es ist wichtig, wirklich deutlich zu machen, dass Ausschreibungen kein Selbstzweck sind. Ausschreibungen haben uns vehement dabei geholfen, die Qualität und die Quantität im Bahnverkehr zu verbessern. Das war im Sinne der Fahrgäste und im Sinne des Landes Schleswig-Holstein. In diesem Sinne sollten wir weiter verfahren.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Harms. - Für die Landesregierung erteilte ich dem Verkehrsminister, Herrn Minister Austermann, das Wort.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nun sind wir ge- spannt!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin relativ neu in diesem Landtag, trotzdem glaube ich, eine gewisse Regel festgestellt zu haben. Es gibt in einzelnen Bereichen der Verwaltung Überlegungen. Dann gibt es Indiskretionen, die an das Ohr des Abgeordneten Müller gelangen. Dieser tritt damit auf den Markt. Wenn er auf den Markt getreten ist, dann findet natürlich eine Ausschusssitzung statt, in der darüber beraten wird, was sich da wohl im Ministerium tut. Es wird dann wahrheitsgemäß darüber berichtet, was im Ministerium erwogen wird. Es gibt ja keine Entscheidung, die Ausschreibung soll zum Jahr 2009 wirksam werden. Nach der Ausschusssitzung wird eine Presseerklärung des Abgeordneten Müller abgegeben, die sich kritisch mit einem Sachverhalt auseinander setzt, der sich im Ausschuss aber so nicht zugetragen hat und ganz anders gelaufen ist. Dann entsteht daraus ein Skandal.

Das ist genau das Verfahren, das ich jetzt zum zweiten Mal erlebe, Herr Abgeordneter Müller. Ich finde es menschlich und sachlich einfach nicht in Ordnung, dass die gebotene Chance, sachlich über das zu in

(Minister Dietrich Austermann)

formieren, was wir im Ausschuss und in der Verwaltung vorhaben und hinterher im Ausschuss machen, hinterher zu einer verzerrten Darstellung führt.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich möchte Ihnen erzählen, wo genau die Überlegungen liegen. Wir haben eine Zwischenbewertung vorgenommen. Diese ist auch dann erforderlich, wenn - wozu ich stehe - wir der Auffassung sind, dass sich Wettbewerb in Schleswig-Holstein bei der Bahn im Prinzip bewährt hat. Es wird eine Zwischenbewertung vorgenommen, die sagt: Lasst uns gucken, ob Ausschreibungen der einzig mögliche und für das Land interessanteste Weg sind.

Diese Zwischenbewertung hat zu einer Reihe von Ergebnissen geführt. Wenn man einmal aufführt, was alles nicht geklappt hat, dann ergibt sich eine ganz erhebliche Zahl: Indiskretionen im Vorfeld der Vergabe, Personalaufwand in einer bestimmten Höhe, Verteuerung der Strecke Neumünster-Büsum für Pendler, Verschiebung der Streckeninfrastruktur der Strecke Neumünster-Oldesloe, verzögerte Fahrzeuglieferungen, FLEX 1-Insolvenz - höhere Betriebskosten -, FLEX 2-Notverfahren - keine Ausschreibung -, FLEX 3-Ausschreibung formal ab Ende 2005.

Wenn mir jetzt jemand sagt, alle Ausschreibungen waren toll, prima und in Ordnung, dann steht das einfach mit der Realität nicht im Einklang. Trotzdem sage ich noch einmal, dass der Wettbewerb im Prinzip vernünftig ist. Er hat sich aber nicht nur positiv ausgewirkt. Das war die zweite Überlegung.

Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, dass Leute fragen, ob Wettbewerb auf der Schiene überhaupt möglich sei. - Herr Müller, ich muss ein wenig lachen, wenn Sie im Ausschuss sagen, Sie müssten mich ordnungspolitisch ermahnen. Vieles von dem, was sich in den letzten fünf Jahren zugetragen hat, hat mit einer vernünftigen Ordnungspolitik und mit Marktwirtschaft relativ wenig zu tun. Ich denke, hier sollte man etwas vorsichtiger sein.

(Beifall bei CDU und FDP)

Aber auch zum Hinweis auf Stamokap kann ich nur sagen: Ich bewerbe mich nicht als Nachfolger von Herrn Benneter und für die Position in einem bestimmten Bereich.

(Beifall bei der FDP)

- Das freut euch natürlich! - Die Frage ist, ob sich Wettbewerb in jeder Position eignet. Herr Garg hat sich im Ausschuss übrigens anders eingelassen als heute. Aber das sei nur am Rande bemerkt. Jeder muss selber damit auskommen, ob das, was er hier sagt, mit dem im Einklang ist, was er dort sagt.

Wir haben Folgendes vor: Wir wollen eine öffentliche Bekanntgabe der Vergabe der Strecke zum Jahr 2009. Das ist also nicht heute, nicht morgen und nicht übermorgen. Wir wollen darüber hinaus die, die sich daran beteiligt haben, zu einem Interessenbekundungsverfahren laden. Wir werden dann Verhandlungen führen, an die sich eine Auswahl anschließt.

Ich bin dafür, dass wir in diesem Fall und bei dieser Strecke einen anderen Weg gehen, als wir das bisher getan haben, ohne dass wir damit das Prinzip des Wettbewerbs im Grundsatz ablehnen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass bestimmte Entscheidungen selbstverständlich nicht ohne Zustimmung des Parlaments zu treffen sind. Das sollte auch jeder ehemalige Minister wissen, nämlich dass es einen § 19 eines bestimmten Gesetzes gibt, in dem es heißt: „Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr darf im Einvernehmen mit dem Finanzministerium nach Einbeziehung des Finanzausschusses“ und so weiter. Es gibt hier also eine klare Vorgabe. Wir im Ministerium arbeiten vor. Wir legen das dem Parlament vor und dann wird entschieden.

Ich möchte ein letztes Argument nennen, das manchmal in den Köpfen steckt. Ich sage dies mit Blick auf meine Zeit als langjähriger Abgeordneter. Ich habe mit vielen anderen - auch mit SPD-Kollegen wie der Kollegin Sonntag-Wolgast - für den Erhalt des Ausbesserungswerks der Bahn in Glückstadt gekämpft. Das war vergeblich. Ich glaube, dass man bei der Entscheidung, die wir in Zukunft treffen müssen, auch realisieren muss, ob jede Form des Wettbewerbs für die Arbeitnehmer, für die Infrastruktur und für viele andere Dinge auch wirklich vernünftig und positiv ist.

Wenn wir hinterher Strecken bekommen, die mit Leuten betrieben werden, die unter Tarif bezahlt werden - es gibt heute oder morgen Anträge zum Tariftreuegesetz und zu vielen anderen Geschichten -, wenn wir bewirken, dass Infrastruktureinrichtungen - Herr Kollege Döring, ich nenne das Bahnausbesserungswerk Neumünster - in Gefahr gebracht werden, weil die Bahn möglicherweise in Zukunft keine Strecke mehr hat, dann gibt es noch viele andere Geschichten, die damit zusammenhängen, wie der Wettbewerb praktisch betrieben wird.

All dies sind Überlegungen, die nicht in dieses Vergabeverfahren hinein gehören, jedoch in eine Gesamtbetrachtung dessen, was wir mit Wettbewerb und mit der Ausschreibung erreichen wollen. Jeder hier im Haus hat die Verpflichtung, nicht unbedingt zu überlegen, ob das, was man dort betreibt, billig ist, sondern ob das, was man betreibt, auch wirtschaftlich

(Minister Dietrich Austermann)

vernünftig ist. Das ist meines Erachtens das entscheidende Kriterium.

(Beifall bei der CDU)

Bei jeder Ausschreibung geht es nicht darum, wer der billigste Bieter ist, sondern wer der wirtschaftlichste Bieter ist. Ich glaube, das sollte man auch berücksichtigen. Es ist an anderer Stelle durchaus vorstellbar, dass die Bahn wieder gewinnt.

Herr Müller, zum Abschluss möchte ich aus einer alten Presseerklärung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zitieren. Darin heißt es:

„Für die Fahrgäste war und ist der FLEX, der Flensburg Express, ein Erfolg, trotz der alten Fahrzeuge. Die Fahrgäste akzeptieren den Charme der 70er-Jahre. Der reibungslose Übergang von der FLEX AG auf die NOB hat das Produkt am Markt etabliert. Die Verwandlung eines Fernverkehrsprodukts in ein schnelles Nahverkehrsprodukt wird genauso akzeptiert wie der Einsatz alter Fahrzeuge. Bei allen positiven Wettbewerbseffekten und offensichtlichen Erfolgen für die Fahrgäste und Aufgabenträger darf allerdings nicht vergessen werden, dass hier ein ehemals eigenwirtschaftlicher Verkehr der DB AG heute von den Ländern finanziert werden muss.“

Herr Müller, was lehrt uns das?

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] Waren das meine Worte?)

- Das war eine Presseinformation der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Man kann sich natürlich von seinen eigenen Worten distanzieren. Ich sage nur: Wenn man ein berechenbarer Partner sein will, dann sollte man sich nach Möglichkeit an das halten, was man gestern, heute und vorgestern gesagt hat. Bei mir können Sie sich mit Sicherheit auf das, was ich gestern, heute und im Ausschuss gesagt habe und in Zukunft sagen werde, verlassen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Austermann. Ich habe in großzügiger Auslegung davon abgesehen, nach fünf Minuten zu unterbrechen, weil die Landesregierung insgesamt 30 Minuten sprechen kann. Wir kommen in die zweite Runde. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat erneut der Herr Abgeordnete Klaus Müller das Wort.

Sehr geehrter Herr Minister, ich weise aufs Schärfste zurück und ich finde es bedenklich und traurig, dass Sie es nötig haben, persönlich Ihrem Haus Indiskretionen vorzuwerfen, die irgendwo landen würden, um gegen Sie verwandt zu werden. Herr Austermann, dies ist schlicht falsch und unwahr.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr deutlich erinnere ich Sie an unsere erste Ausschusssitzung, in der ich Ihnen in aller Freundlichkeit und Höflichkeit eine Reihe von Fragen gestellt habe. Sie haben schon in der ersten Ausschusssitzung gesagt, Sie hätten den Eindruck, bisher hätte das Land Schleswig-Holstein die Deutsche Bahn AG nicht korrekt behandelt.

Da zumindest Herr Garg die gleiche Erinnerung an diese Ausschusssitzung hat wie ich, uns in der Regel aber nicht überaus viel verbindet, scheint ja wohl etwas Wahres dran gewesen zu sein. Das waren Ihre Aussagen an dieser Stelle. Daraufhin habe ich gebeten, in einer der folgenden Ausschusssitzungen das noch einmal im Detail zu hören. Sie waren damals genauso wie ich dabei. Sie haben das dann ausgeführt. Es waren Ihre Worte, dass davon auszugehen sei, dass das Land auf eine Ausschreibung unter bestimmten Umständen verzichten kann. Sie haben das heute wiederholt. Darüber setzen wir uns auseinander.

Das ist aber der falsche Weg. Bernd Rohwer und die alte Landesregierung haben es anders gemacht. Sie wollen jetzt einen neuen Weg gehen. Ich halte diesen Weg schlecht für dieses Land, schlecht für die Menschen, schlecht für den Bahnverkehr und auch schlecht für die Finanzen Ihres eigenen Hauses. Darüber setzen wir uns auseinander, nicht über irgendetwas anderes.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Kurswechsel kommt auch nicht ganz unerwartet. Ich erinnere an die Aussage des jetzigen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen vom April 2004. Damals hat er nach einem Gespräch mit Bahnchef Mehdorn erklärt, das Land - sprich: die damalige Landesregierung - sei kein guter Partner für die Bahn. Wirtschaftsminister Rohwer würde ständig das bundeseigene Unternehmen provozieren. Das heißt, wir haben hier eine Kontinuität. Es handelt sich hier nicht um einen einzelnen Sündenfall. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall, über den man vielleicht diskutieren könnte. Nein, dahinter steckt eine Strategie der CDU in diesem Haus. Dieser Strategie hat gestern jemand klar und deutlich widersprochen. Ich hoffe, dass Lothar Hays Worte in diesem Zusam