Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Union befindet sich nach dem Ausgang der Volksabstimmungen über den Entwurf des Verfassungsvertrages in Frankreich und in den Niederlanden in einer wirklichen Krise. Heute konnten wir nachlesen, dass auch die Dänen das Ratifizierungsverfahren nicht durchführen wollen. Das Vereinigte Königreich hat es auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Deswegen besteht guter Anlass für den Landtag, hier und heute über diese Frage zu diskutieren.
Die Gründe für das Nein zum Verfassungsvertrag in den beiden Gründungsmitgliedstaaten der Europäischen Union, Frankreich und Niederlande, die sowohl nationale als auch europäische Aspekte haben, müssen nunmehr zunächst sorgfältig analysiert werden, um daraus Schlussfolgerungen für das weitere Ratifizierungsverfahren und den europäischen Einigungsprozess zu ziehen.
Diese Forderung richtet sich an alle für die Europapolitik Verantwortlichen, insbesondere aber an die Staats- und Regierungschefs der 25 Mitgliedstaaten, die morgen und übermorgen in Brüssel zum Europäischen Rat zusammentreffen. Die Staats- und Regierungschefs dürfen die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler in Frankreich und in den Niederlanden keinesfalls etwa als kleinen Betriebsunfall abtun und zur Tagesordnung übergehen.
Vielmehr ist es unumgänglich, durch aktives Umsteuern in der Europapolitik den Ängsten der Bevölkerung in der Europäischen Union Rechnung zu tragen und das Grundvertrauen in die Europapolitik wieder herzustellen.
Dazu ist es zunächst erforderlich, die Politik überstürzter und nicht ausreichend vorbereiteter Erweiterungen, die das institutionelle Gefüge der Europäi
Für die ablehnende Entscheidung in Frankreich ist der bevorstehende Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein wesentlicher Grund gewesen. Es hat keinen Zweck, das zu leugnen. Daneben wurde in den letzten Jahren der Europaverdrossenheit der Wähler durch vielfältige bürokratische Initiativen der Europäischen Kommission Vorschub geleistet.
Europa darf nicht in einem die wirtschaftliche und soziale Entwicklung einschränkenden Regelungskorsett ersticken. Europa darf auf der anderen Seite aber auch nicht ständig zum Sündenbock gemacht und für Versäumnisse und für das Versagen der Nationalstaaten verantwortlich gemacht werden.
Wenn Brüssel ständig dafür herhalten muss, von der eigenen Unfähigkeit bei der Lösung von Problemen abzulenken, darf man sich über eine negative Stimmung gegenüber der Europäischen Union innerhalb der Bevölkerung überhaupt nicht wundern.
Daher müssen nunmehr Themen wie Bürokratieabbau, Vereinfachung und Verschlankung der europäischen Gesetzgebung endlich zügig angegangen werden. Es muss deutlich werden, dass nicht jedes Problem in Europa auch ein Problem für Europa ist. Nur durch strikte Aufgabenteilung und die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips können Lösungen erzielt werden, die einen europäischen Mehrwert besitzen und die für die Bürgerinnen und Bürger verständlich, nachvollziehbar und sinnvoll sind. Die EU-Kommission ist daher aufgerufen, alle laufenden Gesetzgebungsvorhaben auf den Prüfstand zu stellen und künftige Vorschläge einer umfassenden Folgenabschätzung zu unterziehen.
Kaum einer weiß, dass es derzeit etwa 900 Gesetzgebungsverfahren für neue Richtlinien gibt. Sie stammen natürlich nicht aus der aktuellen Kommission. Sie stammen aus Vorgängerkommissionen wie der unter Herrn Prodi oder Herrn Delors. Es gibt auf europäischer Ebene kein Diskontinuitätsprinzip. Wer sich vorstellt, dass wir weitere 900 Richtlinien zu erwarten haben, der muss erkennen: Hier muss Schluss gemacht werden. Wir müssen auf europäischer Ebene zur Diskontinuität kommen. Wir müssen aufhören, immer neu zu normieren.
Jedenfalls die CDU-Fraktion hat an der einen oder anderen Stelle natürlich auch Probleme mit der Europapolitik, die die von Rot-Grün getragene Bundesregierung in den letzten sieben Jahren produziert hat. Die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie in nationales Recht hat in Deutschland dazu beigetragen, dass es Akzeptanzprobleme gibt. Ich bin sehr dankbar, dass Europaminister Döring schon in einer vergangenen Diskussion deutlich gemacht hat, dass er mit diesem Umsetzungsprozess nicht einverstanden ist. Wir unterstützen ihn an der Stelle. (Beifall bei der CDU)
Wir verlangen auch, dass es keine weitere Verletzung des Stabilitätspaktes gibt; denn das Vertrauen in den Euro würde dadurch nachhaltig erschüttert.
Wir unterstützen den Europaminister mindestens darin, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei jetzt auszusetzen und in ein Moratorium einzutreten. Das ist das Mindeste. Wir als Union sind dafür, eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei zu bevorzugen und keine Vollmitgliedschaft anzubieten. Wenn wir Akzeptanz für Europa haben wollen, dann müssen wir an der Stelle auch sehen, was die Bürgerinnen und Bürger mittragen. Die Union ist der Auffassung, dass eine Vollmitgliedschaft der Türkei nicht vorstellbar ist.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Es wird im ersten Halbjahr 2007 eine deutsche Ratspräsidentschaft geben. Da gibt es eine herausragende Chance, hier wieder neue Akzente zu setzen. Wir haben zu Beginn der 80er-Jahre schon einen Prozess gehabt, im Rahmen dessen es eine große Skepsis gegenüber Europa gegeben hat. Wir als Deutsche haben leidvoll erfahren, dass europäische Kriege im Zweifel zulasten Deutschlands geführt werden. Auch in Zukunft gilt: Europäische Auseinandersetzungen gehen zulasten eines Landes, das im Zentrum dieses Kontinents liegt. Deshalb ist es unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass der europäische Prozess, dass der europäische Gedanke wieder Nahrung erhalten und wir uns dazu bekennen, dass es zu einer Vertiefung der Gemeinschaft kommt. Europa ist unsere Zukunft. Dafür setzen wir uns ein.
Lassen Sie mich auf unserer Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schulen aus Rendsburg und Schülerinnen und Schüler der Klaus
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bürger haben entschieden. Nach den Voten in Frankreich und in den Niederlanden muss die Politik Konsequenzen ziehen. Der Verfassungsvertrag ist in der Form, in der er vorliegt, gescheitert. Ich sage aber auch: Die Alltagspolitik in Europa geht weiter. Es ist nicht so, dass wir in einem vertragsfreien Raum stehen. Wir haben die Nizza-Verträge, wir müssen sie umsetzen. Es gibt zwar die Forderung nach einer Denkpause; sie erlöst uns aber nicht von der Aufgabe, diese Alltagspolitik umzusetzen.
Es ist ein vielstimmiger Chor von Europakritikern zu hören. Ich will deutlich sagen: Wer meint, er könne in dieser Situation alles auf Anfang stellen, irrt. Es ist absurd zu fordern, den Euro wieder abzuschaffen.
Die europäische Szenerie ist im Moment geprägt durch viele Aufgeregtheiten. Deswegen ist es gut, eine nüchterne Analyse vorzunehmen. Richtig ist: Angesichts der Entscheidungen in Frankreich und den Niederlanden hat alles europapolitische Pathos ausgedient. Es zählt allein die Praxis. Richtig ist: Die Praxis ist offenbar erklärungs- und auch reformbedürftig.
Überrascht kann man eigentlich nicht wirklich sein, denn wir kennen die Gründe für die Ablehnung: die Angst vor Lohndumping, vor Sozialabbau, vor Stellenexport, die scheinbar überbordende Bürokratie, Brüssels Bürgerferne und Anonymität. Diesem „Brüssel“ werden fast alle Probleme angekreidet und die Fehler der jeweils eigenen Regierungen gleich dazu.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran: Zur positiven Praxis gehört aber auch, dass heute europäische Fördermittel in fast alle Regionen und Städte unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland und andere europäische Länder fließen, dass sich junge Menschen stärker als jemals vorher in diesem Europa begegnen und dass überall gerade die wichtige grenzüberschreitende Kooperation gefördert wird, dass friedliche Integration möglich ist. Auch das ist eine Leistung dieses Europas.
Die Frage, warum dies im Bewusstsein der Menschen nicht zusammengebracht wird, lässt sich nicht leicht beantworten. Die Ängste sind größer als die Hoffnungen. Selbstkritisch müssen wir sagen: Es ist uns offensichtlich nicht gelungen, diese Ängste zu nehmen.
Es ist aber auch nicht ganz leicht. Allein in der allgemeinen Kritik an Europa sind sich die Menschen einig. Betrachtet man aber die Einzelpunkte, so unterscheiden sich die realen und die gefühlten Problemlagen in den europäischen Staaten und innerhalb der gesellschaftlichen Schichten sehr. Zu betonen ist aber: Solange nationalstaatlicher Egoismus bei manchen Politikern - ich sage hier: auch bei vielen Bürgern - ausgeprägter ist als das europäische Interesse, kann kein positives Europainteresse entstehen. Wenn jeder in Brüssel positiv beschiedene Antrag zu Hause „gegen“ oder „trotz“ Europa gefeiert wird und nicht als gemeinsames Ergebnis, dürfen wir uns tatsächlich nicht wundern, wenn der Stellenwert von Europa so niedrig ist.
Den aktuellen Verhandlungen über den Finanzrahmen 2006 bis 2013, der Möglichkeit eines Kompromisses, kommt eine große europapolitische Bedeutung zu, wenn wir über Akzeptanz sprechen. Wenn das schief geht, werden wir dort eine ähnlich katastrophale Situation haben wie in Bezug auf die Verfassung. Ich hoffe, dass es gelingt, einen Kompromiss zu finden.
Ich habe von Ängsten gesprochen. Drei Ängste will ich nennen. Ängste vor der Erweiterung. Die Erweiterung ist eigentlich abgeschlossen. Rumänien und Bulgarien werden nur aufgenommen, wenn sie die hohen Hürden der Beitrittskriterien erfüllen, insbesondere in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Die Türkei steht am Beginn von Beitrittsverhandlungen, deren Ergebnis heute niemand vorhersagen kann. Bremsen sind eingebaut. Jährliche Kontrollen des Prozesses in der Türkei sollen stattfinden. Ein einseitiger Abbruch durch die EU bei Verstößen gegen die demokratische Entwicklung ist beschlossen worden.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Ich bitte, in der Debatte auch die Risiken zu bewerten, wenn es zu Absagen oder Moratorien kommt. Viele andere osteuropäische Staaten können zwar Beitrittsbitten äußeren, Zusagen sind aber keinem dieser Länder gemacht worden.
klare Übergangsbestimmungen, die Freizügigkeit am Markt für Unternehmen und Arbeitnehmer sozialverträglich regeln.
Ängste vor Identitätsverlusten. Wir setzen ein klares Bekenntnis für das Europa der Regionen gegen die gefühlte Anonymität Brüssels. Sich zu seiner Region, seiner Sprache und seiner Kultur zu bekennen und gleichzeitig für die europäische Integration zu sein, das sind zwei Seiten einer Medaille. Dort gehört auch das Frühwarnsystem hinein, über das wir heute noch diskutieren wollen.
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir den Bürgern sagen: Natürlich müssen wir Zuständigkeiten, das heißt nationale Macht und nationale Kompetenzen, abgeben, wenn wir ein vereintes Europa wollen. Die gewohnten föderalen Strukturen in der Bundesrepublik, fast ein Alleinstellungsmerkmal in Europa, werden längerfristig so nicht bestehen bleiben können. Natürlich wird der europäische Binnenmarkt erhebliche Konsequenzen für die nationalen Wirtschaften haben. Das müssen wir auch sagen. Es wird nicht gehen, dass wir alles so belassen, wie es ist, wenn wir gleichzeitig das Europa, wie wir es uns vorstellen, haben wollen.
Deutlicher als bisher ist zu sagen: Das gemeinsame Europa ist nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung, auch wenn sich so mancher aus individueller Betroffenheit heraus gern abschotten möchte.
Wenn wir jetzt wieder verstärkt über die Wege diskutieren, ist das richtig. Das Ziel ist aber doch ohne Alternative: ein friedliches Europa, das Freiheit und Gerechtigkeit garantiert, und zwar in Gestalt eines europäischen Staatenbundes und nicht als europäischer Bundesstaat. Zukunft haben für mich nicht die Vereinigten Staaten von Europa, sondern die Europäische Union, und zwar mit einer akzeptierten und von den Menschen getragenen Verfassung.