Protokoll der Sitzung vom 06.06.2007

Ob sich Familien wohlfühlen, entscheidet sich dort, wo sie leben und arbeiten. Es hängt davon ab, welches Umfeld sie vorfinden. Das Wohnumfeld beispielsweise gestalten die Kommunen. Sie stellen Betreuungsangebote, Kultur- und Freizeiteinrich

tungen zur Verfügung. Die Unternehmen schaffen vor Ort die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz und sind gleichzeitig auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Dazu sage ich nur: Herr Wirtschaftsminister, vielleicht wäre an dieser Stelle einmal ein deutlicher Wink in Richtung IHK Lübeck angebracht, was die Fortsetzung der „ChefSache Familie“ oder auch des Familienbündnisses in Lübeck anbelangt.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade weil Unternehmen auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sind, muss die Frage beantwortet werden, wie Lebensbedingungen vor Ort eigentlich gestaltet werden können, wenn es gesellschaftliches Ziel ist, Familien zu fördern. Partner hierbei sind die Kommunalpolitik, Arbeitgeber, Vereine und natürlich die Familien selbst. Kurz: Es sind alle gesellschaftlichen Kräfte vor Ort. Ob es sich um flexible Arbeitsmöglichkeiten, Kinderbetreuung, Freizeitgestaltung, Wohnmöglichkeiten und Verkehrsanbindung, Bildung und Gesundheit handelt - all dies sind Elemente, die, um es einmal salopp zu formulieren, einfach stimmen müssen, wenn wir dem Ziel näherkommen wollen, ein familienfreundliches Klima zu schaffen. Eins dabei ist auch wahr: Es muss nicht alles neu erfunden werden; oftmals ist es nur notwendig, bereits vorhandene Angebote sinnvoll miteinander zu verknüpfen und diese dann zu unterstützen.

Der von der Landesregierung vorgelegte Bericht gibt einen Eindruck über die verschiedenen Initiativen vor Ort und macht deutlich, dass wir in Schleswig-Holstein bei Weitem nicht am Anfang stehen. In vielen Kommunen gab es bereits vor der offiziellen Bezeichnung „Bündnis für Familie“ verschiedene Zusammenschlüsse, Vereine und Initiativen, die sich genau mit dieser Fragestellung ganz pragmatisch auseinandergesetzt haben, sei es bei der Anpassung der Öffnungszeiten von Kitas an die Arbeitszeiten und Anforderungen der örtlichen Betriebe, sei es bei gemeinsamen Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche in den Ferien: Gestaltet wurde vor Ort bereits, bevor es lokale Bündnisse gab.

Neu ist jetzt, dass Bundes- und Landespolitik durch verschiedene Hilfestellungen versuchen, dieses bürgerschaftliche Engagement vor Ort besser zu unterstützen, zum Beispiel durch eine zentrale Servicestelle, die den lokalen Bündnissen beratend zur Seite steht.

Denn die Erfahrungen der lokalen Bündnisse für Familien liefern eine erstaunliche Antwort auf die

(Ulrike Rodust)

von mir gestellte Ausgangsfrage und das war die Antwort, die die bereits erwähnte französische Familienministerin gegeben hat. Weil es so wichtig für unsere weitere Politik ist, will ich die gern noch einmal geben: Wo es normal ist, Kinder zu haben, kommen noch welche hinzu. - Es wird als hilfreich empfunden, wenn Familien vertraute Ansprechpartner um sich haben, die ihnen Rat geben können.

Der Bericht zeigt aber, dass noch einiges getan werden muss. Denn viele der Ziele, die sich einzelne Initiativen gesetzt haben, sind bislang nicht erreicht worden oder konnten bislang noch nicht erreicht werden. Einige Kommunen befinden sich heute immer noch in Planungsphasen und diese Planungsphasen dauern manchmal schon seit Jahren an. Andere Kommunen haben in der Zwischenzeit ganz praktische Lösungen erarbeitet, von der Ausweisung spezieller Familienparkplätze, wie in Elmshorn, bis hin zur Einrichtung einer Notfallbetreuung für Kinder, wie beispielsweise in Flensburg.

Frau Ministerin, Sie sehen sich hierbei in der Rolle des Moderators, um Kommunen zu mobilisieren. Ich sage das an dieser Stelle noch einmal, weil ich wirklich Sorge habe, dass in Lübeck etwas scheitert, was eigentlich auf gutem Weg war und was die meisten Beteiligten auch angenommen haben und fortsetzen wollen. Ich bitte Sie, dass Sie es nicht nur bei Ihrer Präsenz bei der Eröffnung belassen, sondern dass Sie sich insbesondere in Lübeck noch einmal ganz gezielt dahinterklemmen, dass etwas daraus wird.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Gerade dieses Thema ist es wert, dass wir uns dauerhaft damit beschäftigen.

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg.

Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Besuchertribüne herzlich Mitglieder der SPD-Arbeitsgemeinschaft 60plus aus Elmshorn und Umland herzlich begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abgeordnete Monika Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lokale Bündnisse für Familien sind ein gute Sache. Sie setzen dort an, wo die konkreten Probleme vor Ort auftauchen. Sie setzen auf individuelle Lösungen und beziehen Familien, Behörden, Arbeitgeber und Anbieter von familienunterstützenden Dienstleistungen in ihr Konzept ein. Maßnahmen können relativ schnell entwickelt und umgesetzt werden, wenn man sich vor Ort einig ist. Und die Erfolge sind unmittelbar spürbar.

Der Erfolg dieser Projekte ist unmittelbar an das Engagement vor Ort gebunden. Wir haben es gerade aus Lübeck gehört. Frau Birk bittet mich, noch einmal darauf hinzuweisen. Wo Bündnisse entstanden sind und jetzt wieder zurückgefahren werden, muss die Landesregierung handeln, sich engagieren, nachbohren und nachfragen. Es gibt hier einen guten Kontakt zum ehemaligen Wirtschaftsminister Rohwer. Den kann man auch einmal nutzen.

Projekte werden ausprobiert. Wenn sie sich bewähren, werden die Erfahrungen weitergetragen. So werden Lösungsstrategien entwickelt. Nachahmer sind willkommen.

Die Bundesregierung wirbt für diese Bündnisse sie hat das Ganze ja initiiert -, es wird motiviert zum Mitmachen, es werden Mittel verteilt mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds.

Wie die Landesregierung die Bündnisse in Schleswig-Holstein unterstützt, wird in dem vorliegenden Bericht deutlich. Ich freue mich, dass es inzwischen 15 lokale Bündnisse gibt.

Aber es gibt auch „weiße Flecken“ in SchleswigHolstein, einen Gürtel, der einmal quer durchs Land geht: Ostholstein, Dithmarschen, Steinburg und bisher auch Segeberg - das scheint sich zu ändern - haben bisher kein Bündnis geschaffen. Hier ist es natürlich die Aufgabe der Landesregierung, mithilfe der eingerichteten Servicestelle zum Mitmachen zu motivieren und für Bündnisse vor Ort zu werben.

Auch in den aktiven Kreisen sind die Aktivitäten sehr unterschiedlich und konzentrieren sich teilweise zu sehr auf den städtischen Bereich. Wir wünschen uns diese Bündnisse flächendeckend, weil sie auch für den ländlichen Bereich eine gute Antwort sind. Wir hoffen, dass es mithilfe der Servicestelle gelingt, das begonnene Engagement vor Ort auszubauen und die Lust auf Eigeninitiative weiter zu steigern.

Richtig ist die Aussage, dass es nicht funktioniert, den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zu sagen, was sie tun sollen. Richtig ist aber auch, dass die

(Dr. Heiner Garg)

Landesregierung mit dafür verantwortlich ist, dass gleiche Lebensbedingungen für alle Kinder in Schleswig-Holstein gewährleistet sind. Deshalb ist es richtig, dass die Servicestelle des Ministeriums informiert, berät und vernetzt. Dazu gehörten unserer Meinung nach mehr als einmal im Jahr tagende Arbeitskreise.

Wir begrüßen die Broschüre mit den Best-PracticeBeispielen, weil sich daran auch andere orientieren können, und es ist richtig, daraus eine Art Leitfaden zu entwickeln.

Meine Damen und Herren, wer Familienfreundlichkeit ernst nimmt, muss Familienfreundlichkeit endlich auch als handfesten Standortfaktor bewerten und benennen. Für junge Menschen ist es bei der Wohnortwahl zunehmend wichtig zu schauen, ob die entsprechende Infrastruktur vor Ort vorhanden ist. Unternehmen fangen an zu begreifen, dass Familienfreundlichkeit ein Plus im Kampf um Fachkräfte ist, die uns ja zukünftig fehlen werden, und es eine gute Möglichkeit ist, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere Frauen, langfristig an das Unternehmen zu binden. Auch Kommunen realisieren, dass sie zunehmend den Eltern Angebote machen müssen, damit es die Familien schaffen, durch den Tag kommen.

Frau Ministerin, ich freue mich, dass Sie in Ihrem Bericht darauf hingewiesen haben, dass auch die Weiterentwicklung der Kindertagesstätten zu Familienzentren eine Maßnahme innerhalb der lokalen Bündnisse sein kann. Ich werte das als Unterstützung für unseren Landtagsantrag, der sich ja noch in der Beratung befindet. Familienzentren sind ein wichtiger Baustein zur Schaffung eines lebenswerten Umfeldes für Familien in Schleswig-Holstein.

Ich hoffe, dass wir es schaffen, die unterschiedlichen Initiativen, Wünsche und Vorstellungen, die wir haben, vor Ort zu bündeln, damit wir nicht wieder parallel zueinander sehr viele unterschiedliche Hilfestrukturen aufbauen. Für Familien muss vor Ort erkennbar sein, wo sie Hilfe bekommen, wie sie Hilfe bekommen. Dies muss niedrigschwellig sein. Wenn das durch viele Initiativen vor Ort, viel Engagement und Ehrenamt vor Ort ergänzt wird, dann ist das eine gute Sache und verdient zu Recht die Unterstützung des Landes.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Monika Heinold. - Das Wort für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sozialministerin hat mit Ihrem Bericht ein umfangreiches Kompendium des ehrenamtlichen Engagements für Familien in Schleswig-Holstein vorgelegt. Die Akteure beweisen sehr eindrucksvoll, wie viel Ideenkraft vor Ort vorhanden ist. Sie wissen nicht nur genau, wo den Familien der Schuh drückt, sondern entwickeln auch viele neue Ideen, um deren Lebenssituation zu verbessern. Ich würde mir wünschen, wenn alle, die sich um die Wünsche und Interessen von Familien kümmern, diesen Bericht als eine Ideenbörse betrachten würden. Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden, anderenorts liegen bereits Ideen und in vielen Fällen auch Erfahrungsberichte vor. Der SSW versteht deshalb den Bericht nicht nur als Arbeitspapier für das Parlament, sondern auch als Handreichung für die Praxis. Das ist mehr, als man von den meisten Berichten sagen kann. Deshalb bedanke ich mich ausdrücklich für den hervorragenden Bericht.

Doch ich warne ausdrücklich davor, den durchweg positiv dargestellten Stand der Arbeit der lokalen Bündnisse entweder als Startschuss für eine schleichende Aushöhlung professioneller Strukturen zu benutzen und damit Ehrenamtler auszubeuten oder die lokalen Bündnisse als Ersatz für eine engagierte Frauenpolitik zu missbrauchen. Ich möchte beide Punkte erläutern.

Zunächst zur Ausbeutung: Ehrenamtliches Engagement - so beklagen viele Vereine, wie zuletzt die Feuerwehren - sei in unserer Gesellschaft immer schwerer zu organisieren.

Das steht übrigens im krassen Gegensatz zu der Behauptung im Bericht, dass immer mehr Menschen Verantwortung übernehmen würden. Das Gegenteil ist der Fall: Immer weniger Menschen engagieren sich. Das überlassen sie lieber anderen. Wenn dann die Wenigen, die sich in Initiativen engagieren, mit Aufgaben überlastet werden, ist eben das ein hervorragender Vorwand für alle anderen, sich gar nicht erst zu beteiligen. Darum erachte ich es als besonders wichtig, ehrenamtliches Engagement staatlicherseits zu unterstützen. Das wertet die Arbeit auf, steigert das Prestige und stabilisiert die Arbeit.

Das Haus der Familie in Flensburg bietet vielen Selbsthilfegruppen eine Plattform, angemessene Gruppenräume und nicht zuletzt die Möglichkeit des gegenseitigen Austauschs. Die Landesregierung muss sich überlegen, wie sie eine entsprechende Unterstützung der lokalen Bündnisse organisiert. Die Ministerin schreibt selbst, dass es nicht nur um

(Monika Heinold)

Geld und um finanzielle Unterstützung geht. Aber es geht eben auch nicht nur um die - ich zitiere „gemeinsame Umsetzung guter neuer Ideen“. Die neue Servicestelle im Ministerium ist gut, aber das sage ich ganz deutlich - nicht ausreichend als substanzieller Überbau aller Initiativen.

Mir ist noch das Beispiel des „Flensburger Schutzengels“ in guter Erinnerung. Das Projekt wurde vom Sozialministerium in vielen Drucksachen gelobt. Es ist sogar schon bundesweit ausgezeichnet worden. Trotzdem gab es zwischendurch massive finanzielle Probleme, weil sich die Lobenden nicht dauerhaft an dem Projekt beteiligen wollten. So etwas darf sich nicht wiederholen.

Ich bin sehr gespannt auf die Debatte zum Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zum Kinderschutz und die darin hoffentlich enthaltene Finanzierungsgrundlage - beispielsweise für ein „Landesprogramm Schutzengel“. Das werden wir ja im nächsten Monat besprechen.

Zur Deprofessionalisierung - welch ein Wort -: Der SSW hat bereits in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass soziale Arbeit ausreichend personell ausgestattet und solide finanziert werden muss. Im Einzelfall mögen Stundenverträge mit angelernten Kräften ausreichend sein. Aber das kann nicht die Regel sein. Die Selbstausbeutung mancher Berufe sollte nicht als Selbstverständlichkeit in Landesprogramme hineingeschrieben werden.

Ich möchte hier kein Wasser in den Wein gießen, aber nachdrücklich auf das zentrale Anliegen aller Bündnisse hinweisen: die Schaffung familiengerechter Strukturen. Was für die Familienbildungsstätten gilt, muss auch für die lokalen Bündnisse gelten: Familienpolitik braucht Profis.

Wenn, wie in Nordfriesland, Unternehmen durch das Bündnis individuell beraten werden sollen, muss das durch qualifizierte Berater geschehen, die dann selbstverständlich von anderen Aufgaben befreit werden. Die Kammern und die Kreishandwerkerschaft arbeiten im Bündnis mit und können das entsprechende Know-how bereitstellen. Wenn die Mitarbeiter in die Betriebe gehen, muss die Finanzierung dieser zusätzlichen Aufgabe gewährleistet sein. Der wachsende Facharbeitermangel zwingt einzelne Betriebe bereits heute zur Einführung familienfreundlicher Arbeitszeiten, um die qualifizierte Mutter oder den qualifizierten Vater im Betrieb zu halten - sofern es keine arbeitszeitdeckende Betreuung in Kitas gibt. Doch dabei benötigen die Unternehmer Unterstützung. Da helfen keine Broschüren, sondern da hilft nur tatkräftige

Hilfe bei der Änderung betrieblicher Abläufe. Hier müssen Profis ans Werk, die die Unternehmen beraten.

Professionelle Arbeit muss solide finanziert werden; darüber besteht sicherlich Konsens. Ich würde mir wünschen, dass wir möglichst bald über einen Finanzierungsplan aller familienfreundlichen Maßnahmen, abseits der zahlreichen Projekte, diskutieren.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ein Handlungskonzept, eine Familienpolitik aus einem Guss, hat der SSW bereits mehrfach angemahnt. Ich glaube, das ist der einzige Weg, den wir gehen können. Der Bericht ist klasse, weil sehr viel drinsteht. Wir müssen jetzt jedoch die Maßnahmen in einen Handlungsplan überführen. Das ist ganz wichtig. Für mich - das möchte ich ausdrücklich sagen - ist gute Familienpolitik kein Ersatz für eine gute Gleichstellungspolitik, die das Thema „Frauen in Beruf und Gesellschaft“ betrifft. Es ist auch kein Ersatz für die Angebote und planrechtlichen Regelungen, die wir brauchen, um unsere Kinder schützen zu können. Das sind zwei Baustellen, die miteinander verzahnt sind, aber durchaus eigene Politikfelder darstellen. Deshalb müssen wir alle drei Politikfelder - Gleichstellung der Frau, Kinderschutz und Familienförderung - gemeinsam angehen, gleichzeitig aber sehen, dass das einzelne Politikfelder sind.

Bitte achten Sie auf die Einhaltung Ihrer Redezeit, Herr Kollege.

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Abschließend möchte ich mich, ebenso wie alle meine Vorredner, bei den Bündnissen für die Familien bedanken. Was dort an ehrenamtlicher Arbeit geleistet wird, das ist einfach hervorragend.