Protokoll der Sitzung vom 06.06.2007

„Zum Betreuungsgeld erklärte von der Leyen aber, Kindern mit geringen Bildungschancen sei mit mehr Geld nicht geholfen.“

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Da hat sie recht!)

Frau Franzen, ich teile diese Auffassung. Wo sie recht hat, hat sie recht. Insofern appelliere ich noch einmal an Sie: Die CSU ist nicht im Raum - trauen Sie sich, Nein zu sagen! Ich appelliere an Sie, gerade dieser Passage unseres Antrages zuzustimmen: Nein zur Herdprämie, mehr Geld für die Kindertagesstätten!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU]: Nein, nein! Sie weiß es ja besser!)

- Dass Sie die Herdprämien wollen, Herr Stritzl, wundert mich nicht.

(Thomas Stritzl [CDU]: Zwei rechts, zwei links, zwei fallen lassen!)

- Stricken kann er wahrscheinlich auch nicht, sonst wüsste er, wie das mit dem Fallenlassen geht.

(Heiterkeit)

Bei jeder Diskussion um die Kindertagesstätten geht es ums Geld. Diese Diskussion haben wir oft genug geführt. Das war oder ist auch Anlass zumindest für Teile der Verordnung. Das treibt uns auch dazu, diesen Antrag zu stellen und zu sagen, diese Kindertagesstättenverordnung lehnen wir ab.

Diese Kindertagesstättenverordnung ist der Versuch, mehr Betreuungsplätze für unter Dreijährige zu schaffen, ohne mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Das ist die Intention der Verordnung. Das ist aus unserer Sicht falsch. Deshalb haben heute Morgen auch die Träger vor dem Landeshaus gestanden und gesagt, dass diese Verordnung zurückgenommen werden muss.

Die Landesregierung hat einen Teil der Verordnung rückgängig gemacht. Das begrüßen wir. Das zeigt, dass eine Opposition - wenn auch klein, aber fein etwas erreichen kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch ist es so, zukünftig sollen mehr Kinder ohne zusätzliches Geld oder ohne zusätzliches Person betreut werden.

Ich appelliere noch einmal an Sie, in die Kindertagesstätten hineinzuschauen und zu schauen, was wir ihnen an neuen Aufgaben gegeben haben und wie es überhaupt noch möglich ist, dort individuell zu fördern.

Es wird immer gesagt, dass der Bildungsauftrag schon vorher im Gesetz gestanden habe. Richtig. Aber wir haben den Bildungsauftrag nicht nur präzisiert, sondern wir waren uns auch einig, dass wir ihn im Gesetz noch einmal verdeutlichen, noch einmal genauer beschreiben wollen, damit in den Kindertagesstätten mehr passiert. Das war doch auch Ihre Forderung bei dem Gesetz.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Da sind Doku- mentationspflichten eingeführt worden!)

Wenn die Kindertagesstätten mehr Bildung vermitteln sollen, wenn in den Kindertagesstätten gerade auch jüngere Kinder intensiv und chancenglei

cher gefördert werden sollen, dann kann das nur mit Fachkräften gehen, die ausgebildet sind, die Zeit für jedes Kind haben,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

die auch die Zeit für die Vorbereitung und dafür haben, immer wieder neue Experimente zu wagen.

Ich nehme einmal den naturwissenschaftlichen Bereich, in dem es uns Stück für Stück gelingt, das Experiment in die Kindertagesstätten hineinzubringen. Machen Sie einmal mit zwei- bis fünfjährigen Kindern Experimente, 18 Stück an der Zahl, in der bunten Mischung - mit eineinhalb Kräften. Die halbe Kraft ist vielleicht gerade nicht da.

(Zuruf von Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

- Frau Erdsiek-Rave, ich habe gerade meinen ungefähr 20. Kindertagesstättenbesuch hinter mir und ich weiß, wie viel Mühe sich die Erzieherinnen vor Ort geben. Ich weiß, dass mir alle Erzieherinnen und Erzieher aus der Praxis heraus sagen: Wenn wir den Bildungsauftrag und die individuelle Förderung ernst nehmen, brauchen wir mehr Fachkräfte. Frau Erdsiek-Rave, das ist zumindest meine Erfahrung, die ich aus den Kindertagesstätten mitbringe. Sie mögen dort etwas anderes hören.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jürgen Weber [SPD]: Nennen Sie mir einmal eine Institution, die nicht mehr Personal wünscht!)

- Ja, auch die gibt es. Ich habe ja Zeit, ich habe zehn Minuten Redezeit. Ich habe eine Kindertagesstätte, die Tausendfüßler in Kaltenkirchen, besucht, die mit unheimlich viel ehrenamtlichem Engagement aus ihrer Kindertagesstätte ein Familienzentrum, auch ein Mehrgenerationenhaus, gemacht haben. Die sagen: Wir hätten auch gern mehr Personal, aber wir beklagen uns nicht, denn bei uns ist es möglich, weil es gelungen ist, unheimlich viel Ehrenamt in die Kindertagesstätte zu holen. Jetzt stelle ich aber die Gegenfrage: Können wir darauf bauen, dass alles Kindertagesstätten mit ganz viel Ehrenamt arbeiten, damit sie ihren Bildungsauftrag umsetzen können? Herr Weber, das ist die Gegenfrage und dazu sagen mir viele aus der Praxis heraus, dass dieses nicht geht.

Unsere Forderung ist, dass die Verordnung nachgebessert wird, dass zumindest nicht mehr Kinder von dem gleichen Personal, was jetzt zur Verfügung steht, betreut werden, sondern dass es - sollte es mehr Kinder in der Gruppe geben - auch mehr Personal geben muss.

Ich sage noch einen Satz zu der Veränderung, die auch in der Verordnung steht, dass zukünftig auch Tagespflege in Kindertagesstätten stattfinden kann. Bei der Tagespflege gibt es letztendlich den gleichen Schlüssel, der gewählt wurde. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist es bei der Krippe so, dass es zwei Fachkräfte für zehn Kinder gibt. Dies ist bei der Tagespflege ebenso. Zukünftig kann die Tagespflege praktisch gleichberechtigt in der Kindertagesstätte stattfinden.

Ich habe damit riesige Probleme, denn ich befürchte, dass die Kommunen - die ja selbst Finanzprobleme haben - zukünftig sagen, die Hälfte unserer Kindergartenräume sind jetzt Räume der Tagespflege. Hier kann ich ohne qualifizierte Kräfte mit deutlich geringeren Kosten Krippenplätze zur Verfügung stellen, als Tagespflege betitelt. Ich befürchte, dass wir damit den pädagogischen Standard aushöhlen.

Deshalb bitte ich die einzelnen Kindertagesstätten und ihre Träger, sehr sorgsam mit diesem Instrument umzugehen und alles dafür zu tun, damit Tagespflege qualifiziert stattfindet und innerhalb unserer Kindertagesstätten nicht zum Billigmodell wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und sage: Mut zum Beschluss, Nein zur Herdprämie!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Kollege Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Egal wie man es dreht und wendet, man muss Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen dazu gratulieren, dass sie das wichtige Thema Kinderkrippen in Deutschland auf die öffentliche Agenda gebracht hat.

Wir wissen alle, dass dies höchste Zeit war, denn im europäischen Vergleich steht die Bundesrepublik Deutschland mit gerade einmal 14 % Betreuungsangeboten für Kinder unter drei Jahren weit hinten. Das gilt bekanntermaßen insbesondere für die alten Bundesländer. Hier in Schleswig-Holstein ist das Angebot mit gerade einmal 8 % Betreuungsangeboten besonders schlecht.

Dabei geht es bei der aktuellen Diskussion um mehr Angebote für Kinder unter drei Jahren nicht

(Monika Heinold)

darum, den Familien vorzuschreiben, wie sie ihr Leben gestalten oder wie sie ihre Kinder erziehen sollen, sondern es geht unter anderem darum, dass die Eltern in Zukunft die Möglichkeit haben sollen, wenn sich Nachwuchs einstellt, ihrer Arbeit weiter nachgehen zu können. Dies ist heute offensichtlich nicht immer der Fall und meistens leiden Frauen unter dieser Tatsache.

Weiter muss man aber auch an die Entwicklung der Kinder denken. Hier können gerade Krippenplätze einen wichtigen positiven Beitrag leisten. Für mich ist es ganz, ganz wichtig, dass man dieses Thema nicht nur unter dem Blickwinkel betrachtet, dass Menschen weiter ihrer Arbeit nachgehen sollen, sondern dass der Sinn und Zweck einer Kindertageseinrichtung immer ist, den Kinder eine möglichst gute Bildung und Entwicklung angedeihen zu lassen. Das ist der Sinn und Zweck dieser Einrichtung.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für eine moderne Gesellschaft ist der derzeitige Zustand bei uns ein Armutszeugnis. Hier muss etwas geändert werden. Deshalb hat die Bundesregierung dieses Thema aufgegriffen und sich dazu entschlossen, bis 2013 die Anzahl der Kindergrippen auf das europäische Durchschnittsniveau von 35 % auszubauen. Das ist eine riesige Aufgabe.

Dieses Ziel ist keine familienpolitische Revolution, sondern eine längst überfällige Entwicklungshilfe. Denn nur so finden wir den Anschluss an den Standard, der heute schon in anderen westeuropäischen Ländern und auch in Ostdeutschland gilt. Dies ist das absolute Minimum, wenn man sich die Zahlen unserer skandinavischen Nachbarn ansieht, wo praktisch alle Kinder in Kinderkrippen unterkommen kommen, wenn die Eltern es denn wollen.

Die Ergebnisse der Großen Koalition in Berlin zur Finanzierung dieses Krippenausbaus sind allerdings wieder einmal sehr bescheiden. Der Rechtsanspruch soll erst ab 2013 gelten und die Bundeszuschüsse sowohl für die Investition als auch für den Betrieb sind nach Angaben des Deutschen Städteverbandes viel zu niedrig und würden dazu führen, dass das Ziel, die Zahl der Kinderbetreuungsplätze bis zum Jahr 2013 auf 750.000 zu verdreifachen, nicht erreicht wird. Deshalb ist die CSU-Prämie, Herdprämie oder Herdenprämie für Daheimgebliebene auch der falsche Weg.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Wir müssen die Kitas mit ihrem Bildungs- und Entwicklungsauftrag stärken und dürfen nicht ziellos Geld verplempern, lieber Kollege. Denn das ist zielloses Geldverplempern, wenn man es den Leuten nachwirft.

(Thomas Stritzl [CDU]: Das unterstützt die Erziehungsleistung in der Familie!)

- Lieber Kollege, ich als ein Familienvater, der eine Frau zu Hause hat, profitiere vom Ehegattensplitting schon genug. Ich kann es finanzieren und jeder andere kann es auch. Es gibt schon Geld für Daheimgebliebene und da muss nicht noch mehr Geld hinterhergeworfen werden, sondern es ist Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass wir ordentliche Kindertagesstätten haben und von ihnen der Bildungs- und Erziehungsauftrag entsprechend wahrgenommen werden kann. Das ist viel, viel wichtiger, als irgendwelchen Familien irgendwelche Prämien hinterherzuwerfen.

(Beifall beim SSW)

Es besteht die Gefahr, dass man sich zwischen Bund, Ländern und Kommunen auch in Zukunft über die Kostenverteilung des Krippenausbaus streiten wird. Das hören wir heute auch wieder. Das Thema der heutigen Debatte zeigt, dass wir auch in Schleswig-Holstein aufpassen müssen, damit Worte und Taten beim Thema Kinderbetreuung übereinstimmen. Denn obwohl wir natürlich alle wollen, dass der Ausbau von Krippenplätzen vorangebracht werden soll, darf dies auf keinen Fall auf Kosten der Qualität, der Bildung und der Betreuung in den Kindertagesstätten geschehen. Denn dann hätten wir überhaupt nichts gewonnen.

Von daher war der SSW auch etwas überrascht über den Entwurf für eine neue Kita-Verordnung, den die Landesregierung Ende März in die Anhörung gegeben hat. Denn man kann es drehen und wenden, wie man will, in der ursprünglichen Form führte die Verordnung dazu, dass der Personalstandard in bestimmten Konstellationen gesenkt werden sollte. Man muss weder Pädagogik noch Jura studiert haben, um zu kapieren, dass es nicht das Kindeswohl fördert, wenn die Kleinsten von noch weniger Fachpersonal als bisher begleitet werden. Der SSW war sehr erfreut darüber, dass die FDP dies auch so sah und eine Standardsenkung in diesem wichtigen kommunalen Bereich genau wie die Grünen ablehnt.

(Beifall beim SSW)