Protokoll der Sitzung vom 06.06.2007

(Beifall beim SSW)

Auch die GEW und die Wohlfahrtsverbände sowie die Elternvertretungen haben die Verordnung massiv kritisiert und sind zum Beispiel der Auffassung,

(Lars Harms)

dass sich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten durch die neue Verordnung noch weiter verschlechtert, was natürlich auch negative Folgen für die betreuten Kinder haben wird.

Denn wir wissen ja alle, dass schon jetzt die finanziellen Ressourcen im Kita-Bereich nicht ausreichend sind. Nur dieses darf man auf keinen Fall lösen, indem man die Standards senkt.

Natürlich waren im Entwurf zur Kita-Verordnung auch vernünftige Vorschläge zur Flexibilisierung. Auch über die Änderungen im Bereich der Mitbestimmung von Eltern kann man sicherlich diskutieren. Aber wenn es darum geht, die Qualitätsstandards in den Kindertagesstätten zu erhalten, gibt es keinen Kompromiss.

Von daher begrüßt der SSW, dass die Bildungsministerin dies auch so sieht und nun doch den Personalschlüssel für die unter Dreijährigen nicht verändert. Dies ist vor allem ein Erfolg der Elternvertreter und Wohlfahrtsverbände, die zu Recht gegen die vom Bildungsministerium geplante Verschlechterung Sturm gelaufen sind. Sie ist aber auch ein Zeichen dafür, dass die Opposition im Landtag funktioniert.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn die Ausschussinitiative des SSW und die nachfolgenden Anträge der FDP und der Grünen haben dafür gesorgt, dass die Große Koalition Farbe bekennen musste.

Dadurch konnte in letzter Minute verhindert werden, dass es eine schlechtere Betreuung gibt und die Verordnung zu Rückschritten beim Bildungsanspruch in den Kindertagesstätten führt.

(Beifall beim SSW)

Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erdsiek-Rave, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es eigentlich in der aktuellen Debatte? - Es geht darum, dass sich etwas bewegen muss. Dass wir einen hohen Bedarf an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren haben, ist in diesem Hause unbestritten. Das ist Konsens und das ist auch in der letzten Debatte im März eindrucksvoll bestätigt worden.

Wir reden über die Perspektiven von jungen Familien, insbesondere über die der Frauen, wir reden über frühkindliche Förderung. Wir reden auch über die Vermeidung von Kinderarmut, indem die Berufstätigkeit von Müttern erleichtert wird, und angesichts des demografischen Wandels reden wir natürlich auch darüber, dass es nicht mehr sein darf, dass gut ausgebildete Frauen aus Mangel an Betreuungsmöglichkeiten quasi vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden.

Die Einigung in Berlin zum Krippenausbau kann zu einem wahren Durchbruch werden, wenn die finanzielle Ausstattung der Förderung sowohl hinsichtlich der Investitions- als auch der Betriebskosten sichergestellt wird und wenn sich der Bund dauerhaft beteiligt.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Bundesfamilienministerin hat die Jugendminister - ich war dabei, weil ich für die Kitas zuständig bin - über den derzeitigen Stand der Überlegungen nach dem Koalitionsbeschluss in Berlin informiert. Danach plane sie, dass die Förderung des Bundes bereits im Jahr 2008 erfolgen solle, dass der Rechtsanspruch in dieser Wahlperiode gesetzlich festgeschrieben werde, aber erst 2013 wirksam werde. Herr Kollege Harms, ein Rechtsanspruch kann natürlich erst dann eingelöst werden, wenn der Ausbau entsprechend ist. Insofern hat es eine gewisse Logik.

Gleichzeitig solle mit den Ländern über ein sogenanntes Gutscheinmodell gesprochen werden. Mein Eindruck ist, dass diese letzte Option aufgrund der Forderung nach dem Betreuungsgeld für die Familien entstanden ist, die keine Betreuung in Anspruch nehmen wollen. Ich sage hier ganz offen: Ich halte ein solches Betreuungsgeld für kontraproduktiv.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es setzt keine Anreize und es ist kaum finanzierbar. Übrigens teilt die Mehrheit der Jugendminister quer durch alle Parteien diese Auffassung und auch die Bundesfamilienministerin macht daraus keinen Hehl. Sie lehnt ein bar ausgezahltes Betreuungsgeld ab. Von der Höhe ist übrigens nirgendwo die Rede; das ist so in den Diskussionen entstanden. Aber in der Koalitionsvereinbarung findet sich kein Betrag.

Jedenfalls teilt die Bundesfamilienministerin die Absage an ein bar ausgezahltes Betreuungsgeld; ich will die Gründe nicht wiederholen. Allenfalls könn

(Lars Harms)

te man sich mit einem Gutscheinsystem anfreunden.

Herr Harms, es ist Ihnen zwar gerade rausgerutscht, aber bei einer Äußerung wie: „Ich habe eine Frau zu Hause“, sträuben sich bei mir die Nackenhaare.

(Beifall bei der CDU - Anke Spoorendonk [SSW]: Sie kennen Frau Harms nicht!)

- Das ist richtig. Ich kenne Frau Harms nicht.

(Heiterkeit)

Deswegen habe ich ja auch gesagt, dass es ihm rausgerutscht ist. Sie müssen aber verstehen, dass Frauen in dieser Hinsicht vielleicht ein bisschen empfindlicher sind.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das sage ich jetzt an alle Seiten: Frauen sind es generell leid, Begriffe wie „Rabenmütter“, „Heimchen am Herd“ oder „Herdprämie“ zu hören.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für Schleswig-Holstein folgt aus den Verabredungen, dass die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige von derzeit rund 8 % bis 2008 auf 35 %, ausgebaut werden soll, allerdings immer unter der Voraussetzung, dass der Bund mitfinanziert.

Über die Ausgestaltung sind noch viele Fragen zu klären und das geschieht zurzeit in einer Lenkungsgruppe von Bund und Ländern, an der auch die Finanzminister beteiligt sind. Unabhängig von diesen Fragen - jetzt komme ich zur Situation in Schleswig-Holstein - müssen wir erreichen, dass schon jetzt die Betreuungssituation erweitert und verbessert wird. Wir wollen mit der neuen Verordnung vor allen Dingen bereits bestehenden Kindertageseinrichtungen ermöglichen, rasche und flexible Betreuungsmöglichkeiten einzurichten. Denn in den vergangenen Jahren haben wir eine hervorragende Infrastruktur an Kinderbetreuungsmöglichkeiten im Land befördert, und zwar sowohl quantitativ als auch qualitativ. Wer hier den Eindruck schürt, es herrsche in unseren Kindertagesstätten eine Bildungswüste, der redet wider besseres Wissen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Heinold, Sie haben gesagt, dass Sie in letzter Zeit viele Kindertagesstätten besucht haben. Ich habe auch viele besucht und dort erlebt man, mit welch großem Engagement sich Erzieherinnen fortbilden und welch große Anstrengungen unternommen werden, um die Kindertagesarbeit wirklich im Sinne der neuen Bildungslernlinien zu verändern.

Das finde ich großartig und insofern möchte ich einen großen Dank an alle dort Beteiligten richten.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Dass man natürlich darüber klagt, dass man dafür mehr Zeit braucht, verstehe ich. Dies kann aber nicht allein an die Adresse des Landes gehen, sondern das richtet sich auch an die Träger selber, die entsprechende Konzepte unterstützen müssen. Dies richtet sich auch an die Kommunen, die schließlich für die Umsetzung des Gesetzes verantwortlich sind. Von daher sind alle gefordert. Das Land tut eine Menge mehr, als jemals zuvor in Sachen Fortbildung getan wurde.

Viele Kindertageseinrichtungen sind inzwischen nicht mehr ausgelastet oder es droht eine mangelnde Auslastung, weil die Kinderzahlen bei den Dreibis Sechsjährigen zurückgehen. In den altersgemischten Gruppen besteht nun die Möglichkeit, das Angebot auf unter Dreijährige zu erweitern und das hat mehrere Vorteile: Die Kleinsten können in den vertrauten Kindergarten hineinwachsen. Sie erleben hier eine Brücke zwischen den unterschiedlichsten Betreuungsverhältnissen und für die Betreuung und Förderung kann die vorhandene Infrastruktur genutzt werden. Der sonst erforderliche Abbau der Kapazitäten wird vermieden. Ferner erweitert sich die Zielgruppe der Kindertageseinrichtung. Sie kann sich besser zu einem echten Familienzentrum weiterentwickeln, in dem alle Angebote für junge Familien gebündelt werden, wie es zum Teil jetzt schon im Land geschieht.

Trotz des Bedarfs sind in Schleswig-Holstein erst wenige altersgemischte Gruppen eingeführt worden; bei der letzten Erhebung haben wir es wieder festgestellt. Also, wir müssen die Kirche im Dorf lassen, wenn wir jetzt darüber reden, dass hier massenhaft die Gruppen vergrößert würden. Wir haben im Land 4.600 Kita-Gruppen, aber nur 223, die altersgemischt sind.

Man muss sich fragen, woran das liegt. Ein wesentlicher Grund besteht und bestand in der bisherigen sprunghaften Verkleinerung der Gruppen auf 15, sobald zwei unter Dreijährige aufgenommen wurden. Damit fielen für die Kommunen schlagartig Elternbeiträge und somit Finanzierungsgrundlagen weg. Darum wurde diese Möglichkeit von den Kommunen wenig genutzt.

Die neue Kita-Verordnung sieht nun eine feinere Abstufung sowohl in den Kindergärten als auch in den kindergartenähnlichen Einrichtungen für altersgemischte Gruppen vor. Es geht nicht um eine generelle Gruppenvergrößerung - ich lasse nicht zu, dass das so dargestellt wird -, sondern es geht um

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

eine gleitende Reduzierung bis hinunter zu fast reinen Krippengruppen.

Das bedeutet - das können Sie alles nachrechnen -, dass oben ein Kind abgezogen wird. Ein Kind unter drei Jahren zählt wie zwei Kinder. Die Marge, über die wir dabei reden, liegt zwischen den 15er- und den 20er-Gruppen. Da geht es darum, dass bei zwei Kindern unter drei Jahren noch 18 Kinder in der Gruppe insgesamt sein dürfen, bei drei Kindern unter drei Jahren nur noch 17 und im Falle von fünf Kindern unter drei Jahren sind wir bei einer Gruppengröße von 15 Kindern. Das ist eine Lösung, wie sie auch in vielen anderen Ländern vorhanden ist, auch in unserem Nachbarland Niedersachsen. Ich halte dieses Modell - das sage ich hier wirklich mit gutem Gewissen - auch für pädagogisch vertretbar.

In der Anhörung wurde vor allem kritisiert, dass bei fünf Kindern unter drei Jahren zwei Fachkräfte erforderlich werden sollen. Diese Kritik haben wir sehr ernst genommen und daraufhin den Verordnungsentwurf geändert. Es bleibt also bei der Regelung, wie sie jetzt ist.

Ein Wort zur Tagespflege. Diese wird in der KitaVerordnung überhaupt zum ersten Mal berücksichtigt. Wir müssen sie mit ihrem familienähnlichen Charakter klar von der Bildungsarbeit der Kindertageseinrichtungen abgrenzen. Es dürfen nur maximal fünf Kinder gleichzeitig von einer Person betreut werden. Unter dieser Voraussetzung ist es aus unserer Sicht vertretbar, wenn bis zu zwei Tagespflegepersonen - dafür haben wir ja Grenzen - anders als bisher auch ungenutzte Räume von Kindertagesstätten nutzen dürfen.

Ich komme zu einem Problem, über das hier niemand geredet hat und über das auch in der Öffentlichkeit kaum gesprochen wird. Ich hoffe, dass wir ein schwierigeres, noch viel weniger gelöstes Problem in den Griff bekommen, nämlich das hohe Ausmaß an unkontrollierter und ungeregelter Schwarzarbeit in diesem Bereich. Diese sollten wir nicht mehr wollen und zulassen.

Die Kommunen haben noch mehr Flexibilität eingefordert. Ihnen wird ein Teil dieser Flexibilität auch eingeräumt. Aber ich erwarte auch, dass sich das dann in einer höheren Zahl guter Betreuungsplätze für unter Dreijährige widerspiegelt.

Die Kita-Verordnung allein wird das Problem natürlich nicht lösen und den Betreuungsbedarf nicht erfüllen. Das ist auch nicht das Ziel. Aber sie ist ein Schritt zur Verbesserung des Angebots und ein Schritt zur Veränderung in Richtung Wahlfreiheit für die Familien in unserem Land.

Ich bin damit am Ende meiner Ausführungen. Herr Harms, ich bitte um Entschuldigung für das, was ich im Eifer des Gefechts gesagt habe. Ich habe Sie möglicherweise in eine Ecke gestellt, in die Sie wahrlich nicht hineingehören.