Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Ursula Sassen das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Statistische Bundesamt geht in seiner 10. Bevölkerungsvorausberechnung davon aus, dass der Anteil der ab 60-Jährigen von heute unter 25 % bis zum Jahr 2050 auf 36,7 % ansteigen wird. Der Anteil der Hochaltrigen, also der ab 80-Jährigen, soll sich im gleichen Zeitraum sogar verdreifachen.
Zur Erarbeitung eines Aktionsplans zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen durch die Bundesregierung hat sich die Expertengruppe „Nationaler Aktionsplan“ gebildet und im März 2004 eine Stellungnahme abgegeben. Die Expertengruppe möchte nicht nur ein realistisches Bild des Alters vermitteln, sondern fordert neben geeigneten Wohn- und Betreuungsformen für ältere Menschen auch die Verbesserung der häuslichen, teilstationären und stationären Versorgung von Menschen mit Demenz.
Der aktivierende und rehabilitative Aspekt der Betreuung und Pflege ist gerade bei der Versorgung demenzkranker Menschen nicht ausreichend entwickelt. Insoweit muss es darum gehen, die Demenz besser zu erforschen, Frühdiagnosen und Behandlungen durch die Entwicklung eines fachübergreifenden Konzepts zu optimieren.
Demenz, volkstümlich auch Altersverwirrtheit genannt, ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, von der vor allem ältere Menschen betroffen sind. Eine Form der Demenz ist die AlzheimerKrankheit, bei der sich Nervenzellen in typischer Weise verändern und ihre Funktionsfähigkeit verlieren.
Die Krankheit beginnt meist schleichend und kann sich über Jahrzehnte erstrecken. Im Frühstadium fallen Veränderungen kaum auf. Zunehmend verliert der Demenzkranke die Kontrolle über sein Denken und über sich selbst. Seine Wesenseigenschaft und sein Verhalten können sich gravierend ändern. Er verliert immer mehr Fähigkeiten und Fertigkeiten, ist ständig unruhig, läuft ziellos umher und erkennt vertraute Personen nicht mehr.
Demenz ist nicht heilbar, aber durch Früherkennung und frühzeitige Gabe von Medikamenten kann ihr Fortschreiten für eine Zeit zum Stillstand kommen. Dies muss durch gezielte Förderung der noch verbliebenen Fähigkeiten unterstützt werden. Zu späte und inkonsequente Therapie führen zu unnötiger Pflege und belasten das Gesundheitssystem.
Die Krankheit Demenz und ihre Folgen für Kranke und Angehörige müssen verstärkt öffentlich dargestellt und damit enttabuisiert werden. Mit dem Welt-Alzheimer-Tag am 21. September soll der breiten Öffentlichkeit erneut bewusst gemacht werden, dass jeder im fortgeschrittenen Alter an dieser Form der Demenz erkranken kann. Mit der steigenden Lebenserwartung nimmt auch die Zahl der Demenzkranken zu. Eine Million Menschen leiden in Deutschland an dieser Krankheit.
gung der Demenzkranken und die Unterstützung der Angehörigen als gesamtgesellschaftliche Aufgaben gesehen werden.
Am 9. November 2006 wurden im 23. Workshop des „Zukunftsforums Demenz“ Anforderungen an die Kranken- und Pflegeversicherung gestellt: Von grundlegender Bedeutung ist die Erarbeitung von Qualitätsstandards und deren konsequente Durchsetzung und Sicherung. Geriatrie muss zum Querschnittsfach aller Disziplinen werden. Das heißt konkret: In allen Abteilungen eines Krankenhauses, von der Aufnahme bis hin zur Zahnklinik, sollte ärztliches und pflegerisches Personal arbeiten, das etwas von Demenz versteht. Das gilt gleichermaßen für den niedergelassenen Bereich.
Fallpauschalen und Gebührenordnungen müssen die Behandlung von Demenz gesondert berücksichtigen, weil sowohl der Betreuungs- und Behandlungs- als auch der Pflegebedarf deutlich höher ist als bei nicht an Demenz Erkrankten. Man kann einen Demenzkranken nicht in drei Minuten abfüttern. Man muss ihm schon etwas mehr Zeit widmen.
Demenziell Erkrankte müssen in Bezug auf Pflege und Therapie die gleichen Rechte erfahren wie Menschen die „nur“ körperlich eingeschränkt sind. Ihnen darf keine Therapie vorenthalten werden, nur weil angenommen wird, sie profitierten nicht davon.
„Wir haben es nur mit Mühe und Unterstützung eines sehr engagierten Arztes geschafft, einen 63-Jährigen Mann, der an Demenz und zudem an Lungenkrebs erkrankt war, in einem Hospiz unterzubringen. Ansicht des MDK: ‚Ein Demenzkranker merkt nicht, ob er gut betreut wird.’ “
Ich danke der Frau Abgeordneten Ursula Sassen und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Jutta Schümann das Wort.
„Ich habe eine schreckliche Nacht hinter mir: Ich habe geträumt, Hans sei langsam und qualvoll verdurstet. Er lag mit dicker geschwollener Zunge im Bett und hat mich angesehen, als wollte er sagen: ‚Warum hilfst du mir nicht?’
Als ich aufwache, frage ich mich wieder und wieder, was ich tun soll, denn mein Traum kommt nicht von ungefähr. Hans trinkt seit sieben Tagen fast nichts mehr, er scheint nichts zu vermissen. Körperlich ist er dadurch unverändert, aber mir geht es miserabel.“
So beginnt ein Aufsatz unter der Überschrift „Wir hatten noch so viel vor“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 21. Juli 2007. In diesem Artikel beschreibt eine pflegende Ehefrau ihre persönlichen Erfahrungen, die ihren seit Jahren an Demenz erkrankten Mann zu Hause pflegt.
Ich habe deshalb diesen Einstieg gewählt, weil 70 % aller an Demenz erkrankten Pflegebedürftigen derzeit von ihren Angehörigen im häuslichen Umfeld betreut werden. Das bringt für die pflegenden Angehörigen - fast immer Frauen - eine hohe Belastung mit sich, die bis zur seelischen und körperlichen Erschöpfung reicht.
Eine weitere Zahl bietet Einblick in die Größenordnung des Themas, über das wir jetzt diskutieren. Von 1,1 Millionen in der ambulanten Pflege betreuten Menschen in Deutschland sind circa 600.000 Menschen dement, und von den Bewohnern in den 9.000 Pflegeheimen in Deutschland sind circa 60 % dement. Das sind Zahlen, die darauf hinweisen, wie dringend erforderlich es ist, sich dieses Themas weiterhin intensiv anzunehmen.
Unter den Gerontologen gibt es das geflügelte Wort „Man muss nur alt genug werden, um die eigene Demenz zu erleben.“ Das heißt, je mehr Menschen älter werden, umso größer ist die Zahl der demenziell Erkrankten.
Wir können nachvollziehen, was die FDP mit ihrem Antrag für einen „Aktionsplan Demenz“ beabsichtigt, und wir werden ihn nicht ablehnen, sondern an den Ausschuss überweisen. Allerdings möchten wir damit nicht das Signal geben, dass wir erst jetzt beginnen, uns politisch und fachlich in SchleswigHolstein um dieses Thema zu kümmern. Dies wäre auch eine Missachtung vieler seit Jahren in diesem Bereich tätigen professionellen und ehrenamtlichen Menschen, die in vielen Projekten, stationären Einrichtungen und in der ambulanten Versorgung Erkrankte betreuen und pflegen und die Angehörigen unterstützen.
Bereits 1999 hat die Landesregierung einen umfassenden „Fachplan Gerontopsychiatrie“ für Schleswig-Holstein vorgelegt, der im Arbeitskreis Gerontopsychiatrie, bestehend aus kommunalen Vertretern, Vertretern des Pflegebereichs, der Kliniken, der niedergelassenen Ärzte, der Beratungsstelle für pflegende Angehörige und der Freien Wohlfahrtsverbände, gemeinsam erarbeitet worden ist.
Dieser Fachplan weist eine Gliederung auf, die dem heutigen Antrag mit seinen Unterpunkten sehr ähnlich ist. Ihm können wir entnehmen, dass hinter dem Begriff „Altersdemenz“ unterschiedliche Erkrankungen wiederzufinden sind, wobei die häufigste Demenzerkrankung in der Tat die AlzheimerErkrankung ist.
Diesem Plan können wir entnehmen, wie die Rahmenbedingungen seinerzeit waren, wie sie sich bis heute weiterentwickelt haben und dass inzwischen viel geschehen ist. Das gilt ebenso für die Versorgungsangebote im Bereich der Altenhilfe und der Psychiatrie. Der Plan sah erstmalig eine Fülle von Verbesserungsmöglichkeiten der gerontopsychiatrischen Versorgung in Schleswig-Holstein vor, zum Beispiel im Hinblick auf die Betreuung von pflegenden Angehörigen, auf angemessenen Wohnraum, auf ärztliche Versorgung, auf ambulante soziale Dienstleistungen, stationäre Versorgung, Aufgaben der sozialpsychiatrischen Dienste und im Hinblick auf Selbsthilfegruppen, und zwar besonders der Alzheimer-Gesellschaft. Außerdem enthielt er Vorschläge zur Fort und Weiterbildung.
Alles in allem ist dies ein umfassendes Paket von Maßnahmen, die geeignet sind und inzwischen auch eingeleitet wurden - zur Verbesserung der Lebenssituation von an Demenz erkrankten Menschen, ihrer Angehörigen und zur Verbesserung der Situation der Arbeit mit diesem Personenkreis.
Wir haben heute Morgen darüber diskutiert, dass die Reform der Pflegeversicherung zusätzliche neue Möglichkeiten auch für die Anerkennung von Pflegezeiten bei pflegenden Angehörigen eröffnet. Dies gilt ganz besonders für die Pflege von an Demenz erkrankten Angehörigen, weil diese Erkrankungsfälle häufig über einen langen Zeitraum andauern. Die Mitfinanzierung neuer Wohnformen, wird insbesondere bei der Einrichtung von Wohngemeinschaften für demenziell Erkrankte weitere Möglichkeiten eröffnen.
Ich freue mich also auf die wichtige Debatte im Sozialausschuss. Wir werden uns an dem FDP-Antrag abarbeiten, aber gleichermaßen natürlich auch das berücksichtigen, was inzwischen erfolgt ist. Ich
Ich danke der Frau Abgeordneten Jutta Schümann und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Angelika Birk das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Professor Dörner war neulich Gast bei den ersten „Norddeutschen Wohnpflegetagen“, die gemeinsam von Schleswig-Holstein und Hamburg veranstaltet wurden. Dieses Jahr fanden sie in Hamburg statt; das nächste Jahr werden sie in Schleswig-Holstein stattfinden. Er sprach im Zusammenhang mit dem Thema Demenz von einer vierten Lebensphase mit einer besonderen Seinsweise. Er plädierte dafür, dass wir uns das Thema Demenz nicht nur als Schreckgespenst vorstellen sollten, obwohl es eine leidvolle Herausforderung sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen ist. Er sprach viel davon, Demenz als eine historisch neue Form der menschlichen Existenz zu akzeptieren. Ich finde, angesichts dessen, dass Herr Professor Dörner ein Psychiater ist, ist dies ein bemerkenswerter Statement. Schließlich sind Leute der ärztlichen Zunft meistens auf Heilung bedacht. Dass er davon spricht, dass man Demenz akzeptieren muss, stellt meiner Meinung nach ein sehr wichtiges Statement dar, das uns bei unserer Arbeit am Aktionsplan Demenz leiten sollte.
Es hat sich inzwischen rund um die Alzheimer-Gesellschaft ein breites Bündnis auch von bekannten Persönlichkeiten aus den Bereichen Kunst und Journalismus gebildet, die dafür werben, dass dieses Thema nicht nur ein Thema für Pflegekräfte ist. Es muss ihrer Meinung nach viel mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommen.
Stellen Sie sich beispielsweise vor, ein Busfahrer muss mit einer altersverwirrten Dame aushandeln, wie sie nach Hause kommt. Ist er dafür ausgebildet? - Natürlich nicht. Solche Situationen werden demnächst häufiger auf uns zukommen und Menschen in vielen öffentlichen Berufen müssen eine Grundbildung bekommen, um mit solchen Situationen umgehen zu können.
Wir haben heute Morgen sehr ausführlich über Finanzierung gesprochen. In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes noch einmal betonen: De
menz, also die geistige und seelische Verwirrtheit, das Auflösen einer durchgehenden Persönlichkeit, ist eine schwere Behinderung. Mir hat bisher noch niemand erklären können, warum wir hier ausschließlich an die Pflegekasse denken, wenn es ums Geld geht. Wir denken höchstens noch an die Hilfe zur Pflege aus den kommunale Beiträgen, aber wir denken nicht an die Gesetzgebung der Eingliederungshilfe. Denn selbst wenn Menschen nicht mehr arbeiten und große Schwierigkeiten haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, haben sie ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe, und zwar unabhängig davon, wo sie leben. Insofern plädiere ich an dieser Stelle für Folgendes: Wenn wir hier einen Aktionsplan Demenz auf den Weg bringen das ist ein sehr dankenswertes Konzept seitens der FDP -, dann müssen wir uns auch an dieses Thema heranmachen.
Ich möchte an dieser Stelle auch auf einen Punkt eingehen, der heute Morgen offensichtlich Missverständnisse hervorgerufen hat. Gerade in den Pflegewohngemeinschaften leisten hauswirtschaftliche Kräfte einen sehr wichtigen Beitrag. Mich ärgert allerdings sehr, dass dieser Beitrag völlig unterbewertet wird. Denn wenn diese hauswirtschaftlichen Kräfte demenziell Erkrankte tatsächlich dazu anleiten, selber am Alltagsleben nach ihren Möglichkeiten mitzuwirken, dann übernehmen sie faktisch die Funktion, die sonst ein Psychologe oder eine Ergotherapeutin wahrnimmt. Sie tun sehr viel mehr, als einfach nur hauswirtschaftliche Tätigkeiten zu verrichten. Deshalb eignen sich auch nicht alle hauswirtschaftlichen Kräfte für diese schwierige Aufgabe und diejenigen, die es tun, müssen sich gründlich auf die Situation vorbereiten und fortbilden. Wenn sie so etwas machen, dann verdienen sie meiner Meinung nach die entsprechende Entlohnung. Deswegen war ich sehr erschrocken über die Diskussion zur Fachkraftquote, also dass die Hauswirtschaftlerinnen einbezogen werden sollen. Ich kann mir nämlich sehr gut vorstellen, wie Pflegekassen mit diesem Thema umgehen werden. Sie würden diese Situation missbrauchen, um die entsprechenden Kostensätze zu senken. Wir brauchen allerdings das Gegenteil.
Wir haben uns in dieser Situation noch einmal klarzumachen, welche Möglichkeiten uns ganz andere Mittel bieten, das Thema Demenz auf die Tagesordnung zu setzen. Es gibt ganz hervorragende Foto- und Kunstausstellungen zu diesem Thema.
An letzter Stelle möchte ich den sehr mutigen Beitrag der Stadt Moers nennen. Das Stadttheater Moers hat es in einer einmaligen Aktion geschafft, mit schwer an Demenz Erkrankten auf der großen
städtischen Bühne Theater zu spielen. Diese Stücke waren ein solcher Erfolg, dass sie mehrfach wiederholt wurden. Das Haus war voll und sie wurden filmisch festgehalten. Diese Arbeit hat die gesamte Wahrnehmung der Stadt hinsichtlich des Themas Demenz nachhaltig verändert. Begleitend kam es zu Begegnungen zwischen Jung und Alt und beispielsweise wurde das Vorspielen von Musik in Pflegeeinrichtungen durch junge Leute zur Selbstverständlichkeit.
Neben den staatlichen Eingriffen, die die FDP hier dankenswerterweise für einen Aktionsplan Demenz fordert, appelliere ich ausdrücklich dafür, auch künstlerische Möglichkeiten einzubeziehen.