Protokoll der Sitzung vom 14.09.2007

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In der nationalen KiGGS-Studie wird auf die hohe Anzahl von Mädchen mit Essstörungen eingegangen. Im Alter zwischen 11 und 13 Jahren sind es

bereits 16,9 %, mit 17 Jahren sind es sogar 30 %. Das ist eine erschreckend hohe Zahl.

Auch diesbezüglich hat meine Fraktion einen Handlungskatalog vorgelegt mit dem Ziel, gemeinsam mit Kooperationspartnern Maßnahmen zur Verhinderung von Essstörungen zu entwickeln und deren Behandlung und Heilung zu gewährleisten. Auch dieser Antrag wurde von CDU und SPD vergangene Woche im Sozialausschuss ohne Alternative abgelehnt,

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

obwohl Fachleute dem Sozialausschuss bestätigt haben, dass es Lücken im Hilfesystem gibt, die dringend geschlossen werden müssen. Meine Damen und Herren, eine Gesundheitsberichterstattung ist kein Selbstzweck. Sie ist der Beginn eines Arbeitsauftrags.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Angesichts der Erfahrungen der letzten Wochen und Monate bin ich mehr als skeptisch, dass CDU und SPD überhaupt willens sind, Konsequenzen aus dem vorliegenden Bericht zu ziehen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nein, sie beschäfti- gen sich lieber mit sich selbst! - Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

- Die Große Koalition ist ja zurzeit sehr beschäftigt. Aber es gibt noch andere Probleme als den Koalitionsfrieden.

Meine Fraktion plädiert für eine sorgfältige Beratung und dafür, sich über notwendige Konsequenzen Gedanken zu machen.

Im Bericht wird eine Reihe von Fragen aufgeworfen: Warum konsumieren Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein mehr Medikamente als der Bundesdurchschnitt, obwohl ihr subjektives Wohlbefinden höher ist? Warum ist die Unfallhäufigkeit von Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehr und an den Schulen in Schleswig-Holstein besonders hoch und was können wir dagegen tun? Wie schaffen wir es, dass sich das Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen genauso positiv verändert wie das Verhalten bei der Zahnpflege? Wie können wir langfristig Essstörungen und Übergewicht verhindern? Warum kiffen mehr schleswig-holsteinische Teennager als im Bundesdurchschnitt?

(Monika Heinold)

Hierzu bedarf es einer sorgfältigen Ursachenanalyse im Sozialausschuss und vor allem sind Vorschläge für geeignete Maßnahmen erforderlich. Beim nächsten Tagesordnungspunkt werden wir darüber sprechen und ich hoffe sehr, dass CDU und SPD nicht das alte Spiel betreiben, Sachanträge einfach niederzustimmen und Berichtsanträge entgegenzusetzen. Wir haben jetzt einen guten, einen qualifizierten Bericht. Das ist eine gute Ausgangslage, um jetzt zu handeln, und wir müssen handeln.

Eines noch zum Schluss. Zwei Zeitungen berichten heute über Armut. In Stadtteilen wie in Gaarden beträgt die Kinderarmut fast 70 %. Das ist ein deutliches Signal, dass wir etwas tun müssen, damit alle Kinder die Chance für ein gesundes Aufwachsen haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Anke Spoorendonk [SSW])

Ich danke der Frau Abgeordneten Heinold und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 1.931 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 11 und 17 Jahren haben an der Studie teilgenommen. Seit 2004 wurden umfangreiche Erhebungen durchgeführt. Diese sind in einem 237-seitigen Bericht des Robert-Koch-Instituts dokumentiert. Dafür gebührt dem Institut Dank.

Frau Kollegin, im Jahre 2003 hatte die CDU-Landtagsfraktion im Landtag die Initiative zur Vorlage eines solchen Berichts ergriffen. Dies geschah, weil in jüngeren Jahrgängen zunehmend soziale und gesundheitliche Probleme erkennbar wurden. Die CDU-Landtagsfraktion hat schon damals Handlungsbedarf nicht nur gesehen, sondern auch Forderungen aufgestellt und in dem vorgelegten Papier „Die soziale Balance wahren“ wesentliche Handlungsfelder beschrieben. Die jetzt vorgelegte Studie bestätigt wichtige Aussagen.

Die Suchtgefahren werden im größer. Wir müssen erschreckende Werte verzeichnen. 18 % der 11- bis 17-Jährigen in Schleswig-Holstein rauchen. Bereits bei 11- bis 13-Jährigen erklären 2,7 % der Mädchen und 3,4 % der Jungen, dass sie rauchen. 18 % der Jungen geben an, wöchentlich harte Alkoholika zu trinken. 0,3 % der 11-Jährigen hat in den vergange

nen zwölf Monaten bereits mindestens einmal Cannabis zu sich genommen.

Es gibt eine Vielzahl präventiver Maßnahmen und aktiver Programme, aber wir müssen feststellen: Angesichts dieser Zahlen muss bei den Themen Rauchen, Alkohol und Drogen mehr getan werden. Das Konsumieren von Suchtmitteln ist Alltagsrealität in der jüngeren Generation, leider auch bei den Jugendlichen in Schleswig-Holstein.

75 % der 11- bis 17-Jährigen waren in den vergangenen zwölf Monaten weder als Täter noch als Opfer von Gewalthandlungen betroffen, so der Bericht. Dies heißt umgekehrt, dass ein Viertel der Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren als Täter oder Opfer Gewalterfahrung gemacht haben. Dies ist eine dramatische Zahl. Man kann sich die Presseberichterstattung dieser Woche anschauen: „Kopf des Opfers wie Ball getreten“, „Schock nach Gewaltexzess in Sürup“. Meine Damen und Herren, wir müssen wesentlich mehr tun, um Anti-Mobbing- und Anti-Gewalt-Programme gerade für die jüngere Generation durchzusetzen und umzusetzen. Es kann nicht weiter angehen, dass Jüngere solchen seelischen und körperlichen Exzessen ausgesetzt sind. Dies ist ein ganz klares Handlungsfeld für uns.

(Beifall bei der CDU)

Auch für Kinder und Jugendliche in SchleswigHolstein gilt, dass gesunde und wertvolle Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Fisch im Schnitt in zu geringen Mengen verzehrt werden.

(Jürgen Weber [SPD]: Sag das mal meinem Sohn! - Heiterkeit)

Dies ist auch mit Blick auf die agrarpolitische Diskussion nicht unbedeutsam, Herr Kollege. Daher möchte ich daran erinnern, was die CDU im Jahr 2004 in ihrem Papier „Die soziale Balance wahren“ vorgeschlagen hat: Sozial- und Gesundheitslehre muss ein fester Bestandteil des Unterrichts an allen Schulen sein. Eine gesunde Ernährung ist wichtiger denn je.

(Beifall bei der CDU)

Dass das Fernsehen gerade für die jüngere Generation häufig problematisch ist, wissen wir. Kurz dazu Zahlen: Mehr als 95 % der Befragten im Alter von elf bis 17 Jahren geben an, täglich fernzusehen. Problematisch sind vor allem die „Vielseher“ mit drei und mehr Stunden Fernsehkonsum pro Tag. Dazu heißt es weiter im Bericht - Frau Ministerin hat es bereits angesprochen -: „Kinder aus sozial schlechter gestellten Familien sind in dieser Gruppe deutlich überrepräsentiert.“

(Monika Heinold)

Wir müssen uns diesem Problem mit hoher Geschwindigkeit stellen und wir müssen vor allen Dingen die Köpfe der Eltern erreichen. Es macht schließlich keinen Sinn, nur zu schimpfen und zu kritisieren. Vielmehr müssen wir diejenigen erreichen, die dazu beitragen können, dass ihre Kinder mit weniger Fernsehkonsum auskommen, und die die Klotze als weniger wichtig ansehen als sinnvolle sportliche Freizeitaktivitäten.

(Günter Neugebauer [SPD]: Leichter gesagt als getan!)

Die soziale Komponente wurde hier bereits hervorgehoben. Die Studie gibt eine realistische Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Wirklichkeit wieder, weil sie im Kern sagt: Je geringer der soziale Status ist, desto größer sind die Probleme. - Deswegen kann unsere politische Schlussfolgerung nur lauten: Wir müssen alles tun, damit die soziale Schere in der Gesellschaft nicht größer wird. Unsere Anstrengungen müssen sich darauf konzentrieren, den sozialen Ausgleich zu fördern.

(Beifall bei CDU und SPD)

Rund 50 % der Alleinerziehenden und rund 15 % der Paare mit Kindern unter 18 Jahren müssen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1.300 € auskommen. Der Bericht sagt dazu mit einem Satz eigentlich alles:

„Bereits im Kindesalter resultieren aus dem Aufwachsen in einem Haushalt mit finanziellen Engpässen zahlreiche Einschränkungen: … Angesichts des allgemein hohen Wohlstands nehmen sie ihre eigene unterpriviligierte Lebenssituation besonders stark wahr.“

Das ist das Thema, dem wir uns weiterhin zu stellen haben, meine Damen und Herren. Angesichts der Zeit kann ich darauf leider nicht weiter eingehen.

90 % der Alleinerziehenden sind in Schleswig-Holstein Frauen; dies ist eine bemerkenswerte Zahl. Die Zahl der Empfänger staatlicher sozialer Leistungen ist in Schleswig-Holstein mit 4,1 % höher als der Bundesdurchschnitt. Auch dies ist ein Wert, an dem wir arbeiten müssen. Wir müssen weitere Anstrengungen unternehmen und intensivieren, dass möglichst viele Menschen einen Arbeitsplatz haben. Hier gilt besonders: Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft.

(Beifall bei der CDU)

In dem Kinder- und Jugendbericht werden weitere wichtige Punkte angesprochen; ich kann sie nur

kurz streifen. Der Bericht greift Ängste sowie die Vereinsamung bei Kindern und Jugendlichen auf. Weiterhin werden die Punkte Schulunfälle und Schulwegeunfälle, Übergewicht sowie Defizite bei den Vorsorgeuntersuchungen aufgegriffen. Die Verankerung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in der Verfassung, das Kinderschutzgesetz und der Kinderschutzgesundheitsbericht sind einige der wesentlichen Entscheidungen, die wir bereits getroffen haben. Diese gilt es nun mit Inhalt zu füllen.

Herr Abgeordneter Kalinka, Ihre Zeit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie gestatten -

Sie dürfen jetzt den Schlusssatz formulieren.

Ich werde gleich kürzer reden, Frau Präsidentin.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, diese Gedanken noch äußern dürfen, weil sie mir wichtig sind: Vielen geht es in Schleswig-Holstein gut aber nicht allen. Bei diesen Menschen sehen wir Handlungsbedarf; dies kann nicht strittig sein. Kinder sind Glück und Zukunft, ihnen muss unsere besondere Fürsorge gelten.

Herr Abgeordneter, wir können hier kein Kuhhandel miteinander machen. Sie haben sicherlich sehr viel Wichtiges zu sagen, allerdings ist Ihre Zeit bereits abgelaufen. Ich bitte Sie, den Schlusssatz zu formulieren.

Frau Präsidentin, ich habe mich Ihnen zu fügen.

(Heiterkeit)

Ich bedaure es, wegen 58 Sekunden so abgeklingelt zu werden.

Dieser Kinderschutzgesundheitsbericht für Schleswig-Holstein ist nicht nur eine gesundheitspolitische Mahnung, sondern er ist eine sozialpolitische Herausforderung. Deswegen sollten wir ihn diskutieren und über ihn sprechen.