Protokoll der Sitzung vom 10.10.2007

Liebe Genossinnen und Genossen, Sie haben bisher bei der Frage gekniffen, ob die Online-Durchsuchung überhaupt ein dringend benötigtes Mittel für die Polizei bei der Aufklärung schwerer Straftaten ist. Wenn Sie diese Frage verneinen, brauchen wir uns über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit überhaupt keine Gedanken zu machen.

Dennoch werden der Innenminister und die SPD wohl auf das Bundesverfassungsgericht bauen können. Denn wir sind uns sicher, dass es die nordrhein-westfälische Regelung über die OnlineDurchsuchung zu Fall bringen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Durchleuchten der Festplatte ist ein Eingriff in den Datenschutz und vor allem in die Privatsphäre, die durch das Prinzip der Menschenwürde geschützt ist.

Sensible Bereiche des Privatlebens werden heute mehr und mehr in Dateiform auf der Festplatte und nicht mehr in Briefen oder schriftlichen Aufzeichnungen festgehalten. Die Bundesjustizministerin Zypries hat recht, wenn sie darstellt, dass OnlineDurchsuchungen eine völlig neue Qualität staatlicher Überwachungen darstellen, die viel schärfer ist als die bereits heute mögliche Wohnungsdurchsuchung, weil die Durchsuchung der Festplatte heimlich und nicht offen stattfindet und der Betroffene sie auch nicht durch die Herausgabe der gewünschten Daten abwenden kann.

Ich füge etwas hinzu. Das Implantieren eines Trojaners birgt die Gefahr in sich, dass Dateien dadurch verändert werden. Das Implantieren eines Trojaners durch Bundesbehörden birgt die Gefahr in sich, dass sich kriminelle Elemente diese Tech

nik zunutze machen und ihrerseits damit operieren, wie uns heute alle Informatikexperten erklären.

Es gibt keine überzeugende Antwort der Bundesregierung oder auch des Chefs des Bundeskriminalamtes, dass bei einer Online-Durchsuchung der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden kann. Gerade das aber verlangt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Lauschangriff aus dem Jahr 2004.

Es ist und bleibt die Erkenntnis, dass auf der einen Seite zwar immer neue gesetzliche Wundermittel im Kampf gegen die Kriminalität oder den Terrorismus gefordert werden, die immer neue und schärfere Eingriffe in die Privatheit der Menschen bedeuten. Zugleich aber ist nicht genug Geld im Haushaltsansatz für die Beschaffung von Treibstoff für Polizeifahrzeuge oder es wird am Personal gespart. Wir müssen uns doch vor Augen führen, dass wir heute deutlich weniger Polizeibeamte haben, als es Anfang der 90er-Jahre der Fall war. Und das bei einer völlig anderen Bedrohungslage!

Durch ständige Forderung nach neuen gesetzlichen Kompetenzen versucht man dies zu verdecken. Dass wir in dem Kernbereich der polizeilichen Arbeit, nämlich am Personal, gespart haben, sollten wir umkehren, weil wir unsere Freiheit damit schützen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile das Wort für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der Tat - das haben die Reden der beiden Vorredner gezeigt - ein aktuelles Thema in der Diskussion. Stichwort: Online-Durchsuchung.

Ich möchte an den Anfang meinen Dank an den Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, stellen, der mit seiner Initiative für eine bundesgesetzliche Regelung die Diskussion überhaupt erst ermöglicht hat. Er hat damit deutlich gemacht, dass er sich nicht als der selbsternannte Erbe des ehemaligen Innenministers Schily fühlt. Denn Otto Schily war es, der Online-Durchsuchungen ohne rechtliche Grundlage ermöglichte. Das unterscheidet die heutige Diskussion eindeutig von der damaligen. Wolfgang Schäuble ist um rechtsstaatliche Klärung be

(Wolfgang Kubicki)

müht. Andere haben sie verabsäumt. Insofern gilt mein Dank dem Bundesminister des Innern.

(Beifall bei der CDU)

Er hat damit eine wichtige gesellschaftspolitische Diskussion angeschoben. Wir müssen darüber reden. Das Spannungsfeld ist aufgezeigt worden. Die einen sagen: Ohne Online-Durchsuchung geht gar nichts. Die anderen haben gesagt, wenn die OnlineDurchsuchung komme, sei sie überflüssig und gefährde nur Freiheitsrechte. In diesem Spannungsfeld diskutieren wir das Thema. Ich glaube, es ist vernünftig, dass wir darüber nachdenken.

Ich gehöre zu denen, die sagen - da bin ich mir mit dem Herrn Innenminister einig -: Veränderte Kommunikationswege müssen auch die Sicherheitsbehörden mit einschließen. Es geht nicht anders. Man kann nicht auf Brieftauben setzen, wenn andere per Handy kommunizieren.

Aber wir müssen dabei auch die Stimmen des BKA ernst nehmen. Herr Zachert hat deutlich gesagt, die Online-Durchsuchung müsse sofort kommen, weil sonst eine Sicherheitslücke entstehe, die nicht zu verantworten sei. Das ist ebenfalls eine ernst zu nehmende Warnung eines Fachmannes, der nicht mehr in der Verantwortung steht, aber über 30 Jahre lang an der Spitze zentraler Sicherheitsbehörden, auch des Bundeskriminalamts, gestanden hat.

Gleichwohl glaube ich, dass wir die Diskussion ohne unziemlichen Zeitdruck führen sollten. Ich fühle mich nicht schutzlos. Ich glaube auch, die letzten Fahndungserfolge haben gezeigt, dass sehr wohl ordnungsgemäß und erfolgreich ermittelt werden kann.

Ich gehöre auch nicht zu denjenigen, die sehr deutlich sagen und damit die allgemein verbreitete Meinung vertreten: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Dies stimmt natürlich immer. Nur ist es natürlich auch so, dass es die Unschuldsvermutung gibt, die grundsätzlich gilt und erst - wenn ich es einmal so sagen darf - durch Richterurteil beendet wird. Vor diesem Hintergrund käme eine Online-Durchsuchung gar nicht erst in Betracht. Ich glaube, für uns ist es wichtig, dass wir das abwägen mit dem, was an Gefährdungspotenzial da ist und auch an Aufklärungsfähigkeiten vorhanden ist.

Mich treibt schon um, was andere sagen, die sich ein bisschen Gedanken über die Frage machen: Wie viel elektronische Datenerfassung des Bürgers gibt es heute schon? Man muss sich einmal vor Augen führen, was bei der elektronischen Gesundheitskarte, die sich noch in der Erprobung befindet,

alles erfasst wird. Man muss sich einmal überlegen, was geschieht, wenn solche Erfassungen in falsche Hände kommen. Ich glaube, dabei würde sich niemand besonders wohlfühlen. Gucken Sie sich an, was heute auf unseren Autobahnen möglich ist. Da gibt es Erfassungsmethoden, mit denen nicht nur Lastwagen, sondern natürlich auch Privat-Pkws erfasst werden; da gibt es Bewegungsbilder. Alles das muss man verantwortungsvoll gegeneinander abwägen.

Es gibt keine absolute Sicherheit. Selbst wenn die Online-Durchsuchung ermöglicht wird, wird es Sicherheitslücken geben. Auch das muss man ehrlicherweise sagen.

Insofern muss immer eines Vorrang haben, was wir bei jeder Diskussion miteinander im Auge behalten müssen: dass die Strahlkraft der freiheitlichen Grundordnung darin besteht, dass es Freiheit für den Einzelnen gibt und dass es Bereiche gibt, in denen der Einzelne vor staatlicher Durchsicht zu schützen ist. Ich glaube, das ist für einen freiheitlichen Rechtsstaat heute ebenfalls wichtig.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Natürlich können und dürfen wir auch nicht ausschließen, dass es Missbrauch geben kann. Auch das ist gelebte Wirklichkeit: Ich möchte das keinem institutionell unterstellen, aber die Möglichkeit muss man mit in die Abwägung einbeziehen.

Ich glaube, insofern trifft eine Beurteilung zu, die das Spannungsfeld beschreibt und neulich in der „Deutschen Richterzeitung“ veröffentlicht wurde. Ich möchte das kurz zitieren:

„Das Dilemma betrifft die Dringlichkeit des Konkreten und Aktuellen. Durch die unterschiedliche Risikostruktur setzt sich die Bekämpfung konkreter und aktueller Risiken in der Abwägung praktisch immer gegen den Schutz von abstrakten, langfristigen, kumulativen, synergetischen, schleichenden und latenten Risiken durch. Der Hinweis auf einen erfolgten oder drohenden terroristischen Anschlag überwiegt in der rechtspolitischen Debatte leicht die Bedenken gegen die langfristigen, kumulativen und schleichenden Wirkungen immer wieder neuer, zusätzlicher und erweiterter Ermächtigungen für staatliche Freiheitseingriffe.“

Ich glaube, das spiegelt das Spannungsfeld gut wider.

Ich möchte gleichwohl sagen, zu welchem Ergebnis ich gekommen bin: Ich setze nicht mein Urteilsver

(Thomas Stritzl)

mögen über das Urteilsvermögen derjenigen, die unter anderem mit der Terroristenfahndung beruflich beschäftigt sind, die mehr wissen als ich und sagen, sie brauchen dieses Instrument. Ich glaube, dass wir uns diesem Urteil nicht verschließen können, und ich höre es allenthalben aus den Kreisen der Leute, die sich damit befassen. Ich möchte Ihnen aber auch sagen, dass ich das andere Argument genauso ernst nehme, nämlich, dass wir sagen, wir müssen die Freiheit des Einzelnen gleichwohl so weit als möglich im Sinne unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung schützen.

Das führt mich zu folgendem Ergebnis: Wir können nicht abwarten, was Nordrhein-Westfalen macht. Denn die Rechtsfrage, mit der sich das nordrheinwestfälische Landesverfassungsgericht befassen wird, wird eine andere sein als die, die das Bundesgesetz aufwirft. Insofern wird das nicht eins zu eins übertragbar sein.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, achten Sie auf Ihr Zeitlimit!

Ich komme zum Schluss.

Für mich würde das bedeuten, wenn man zu einer Online-Regelung kommt, dass man dieses Gesetz zeitlich befristet, den Eingriff mit einem Richtervorbehalt versieht, die datenschutzrechtlichen Regelungen unbedingt einhält und hinterher auch die Parlamentarischen Kontrollkommissionen über das informiert, was man dort veranlasst hat. Ich glaube, das wären Schutzmechanismen, die deutlich machen würden, dass wir einerseits dieses Instrument ermöglichen, andererseits den Bürger nicht schutzlos stellen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD sowie des Abgeordneten Wolfgang Ku- bicki [FDP])

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Thomas Rother.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist tatsächlich so - und das kann eigentlich auch nicht verwundern -: In manchen Fragen der inneren Sicherheit gibt es unterschiedliche Positionen bei SPD und CDU. Es ist natürlich

auch nicht verwunderlich, dass die Opposition dieses - gerade auch nach der Diskussion, die wir heute Nachmittag zum Fortbestand der Großen Koalition geführt haben - jetzt hier aufgreift.

Der Bundesverteidigungsminister und der Bundesinnenminister haben in nicht gerade verantwortungsvoller Art Themen besetzt, die der innenpolitischen Debatte nicht gerade nützen. Herr Kubicki, eigentlich müssten dann noch weitere FDP-Anträge in einer der nächsten Sitzungen folgen, beispielsweise zur Herabsetzung des Mindestalters für den Erwerb und den Besitz großkalibriger Waffen, der Bedrohung durch einen Terrorangriff mit Nuklearmaterial oder der gezielten Tötung von potenziellen Terrorattentätern.

Aber im Ernst: Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt und das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger sollte nicht durch unverantwortliches Gerede herabgesetzt werden. Ich bin mir dennoch sicher, dass wir Konflikte in diesem Themenbereich in Bund und Land in vernünftiger Art und Weise austragen und klären können. Auch bei unterschiedlichen Auffassungen im Detail können wir im Grundsätzlichen einig sein und es natürlich auch bleiben.

Nun zur beantragten Sache: Zweifellos besteht eine Bedrohung durch Terroristen - die erfolgreichen Festnahmen aus der jüngeren Zeit belegen dies -, die besondere Ermittlungsmaßnahmen erforderlich macht.

Das Internet gilt längst als „Fernuniversität des Terrors“. Auch und gerade deshalb gibt es polizeiliche Internetpatrouillen zur Vermeidung und zur Aufklärung schwerer Straftaten. Diese Maßnahme kann jedoch in Bezug auf den Datentransfer durch schlichte Verschlüsselung von Daten unterlaufen werden. Das ist technisch überhaupt kein Problem mehr. Die einzige Chance, an diese Informationen zu gelangen, besteht darin, wenn der betreffende Computer online ist und eine Verschlüsselung noch nicht erfolgt ist. Dazu braucht man aber die sogenannten Trojaner auf dem Gerät, sonst kommt man dort überhaupt nicht ran. Durch die Nutzung von Internet-Cafes oder Call-Shops wird das nicht nur schwierig, sondern schon fast unmöglich gemacht.

Nun hat der Bundesgerichtshof Anfang 2007 festgestellt, dass diese Art der PC-Ausspähung nicht rechtens sei, weil es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt. Darauf ist schon hingewiesen worden. Darüber hinaus geht die Intensität dieser Maßnahme über die sonstigen Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung hinaus. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, der nach dem Bun

(Thomas Stritzl)

desverfassungsgerichtsurteil zum großen Lauschangriff als zu schützend definiert wurde, darf nicht verletzt werden. Ebenso müssen die Kontakte zu den sogenannten Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Rechtsanwälten oder Ärzten geschützt bleiben. Deshalb glaube ich, dass das, was Herr Stritzl gerade beschrieben hat, bei der Intensität dieses Eingriffs, der hier in die Persönlichkeitsrechte vorgenommen wird, eigentlich nicht ausreicht.

Das gilt natürlich auch für Telefonate über das Internet, was sich bis zum Zollfahndungsdienst und dem bayerischen Landeskriminalamt - wie vor Kurzem die Anfrage eines FDP-Bundestagskollegen ergeben hat - anscheinend noch nicht herumgesprochen hat. Das heißt, manche Behörden sind hier offenbar noch nicht in Kenntnis der Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Das kann so eigentlich nicht sein.

Eine besondere Regelung zur Online-Durchsuchung von Computern gibt es bislang nur im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz, allerdings ohne Richtervorbehalt und ohne Vorkehrungen zum Schutz der Intimsphäre. Herr Kubicki hat schon darauf hingewiesen und auch auf die Probleme, die seit heute im Rahmen der Verfassungsbeschwerden verhandelt werden.