setzung, dass diese Mehrwertsteuererhöhungen in dem eben skizzierten Gesamtkonzept in mehreren Jahren umgesetzt werden. Natürlich muss dieser Umbau von Strukturreformen innerhalb der Sicherungssysteme flankiert werden, wie es auch im Antrag der Grünen steht. Denn allein durch die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft ergeben sich weitere Anforderungen an die verschiedenen Sozialkassen. Aus diesem Grund wird auch das Modell einer Bürgerversicherung weiterhin aktuell bleiben, um ein gerechtes und angemessenes Sozialsystem zu erhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder über Steuerreform, über Steuersenkung, über Subventionsabbau gesprochen. Im Grunde ist aber nichts passiert. Hier gibt es eine Möglichkeit, etwas zu tun - vorausgesetzt, dass es dazu klare Gesamtkonzepte gibt.
Darum eine letzte Bemerkung: Wir haben in der Bundesrepublik nicht nur eine wirtschaftliche Krise, wir haben auch eine gesellschaftliche Krise, weil wir immer noch nicht wissen, was die Werte unseres Sozialstaates eigentlich sind. Wir fangen bei jeder Diskussion von vorn an. Ich weiß, das habe ich schon mehrfach gesagt, aber es ist mir ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass eine Reform des Sozialstaates voraussetzt, dass man sich auf ein gemeinsames Fundament in der Diskussion einigt.
Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht-Jordan, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit ihrem Antrag zur deutlichen Senkung der Lohnnebenkosten einen Wunsch geäußert, an dem sich seit mindestens 20 Jahren alle Landes- und Bundesregierungen die Zähne ausbeißen. - Ja, klar, auch ich bin dafür, die Lohnnebenkosten deutlich zu senken. Ich kenne auch weder hier im Haus noch sonst jemanden, der das nicht wollte. Wir wissen aber auch alle, dass wir den gordischen Knoten erst einmal finden müssen, damit wir ihn durchschlagen können. Ein Patentrezept gibt es nicht. Deshalb hilft es uns auch wenig, wenn hier ein Antrag vorliegt, der wieder nur in allgemeine Worte fasst, was sich doch schlichten
Gewiss ist es richtig, dass manche guten und auch weniger guten Konzepte gehandelt werden, um Steuer- und Sozialsysteme den sich wandelnden Verhältnissen anzupassen. Richtig ist natürlich auch eine tendenzielle Umsteuerung auf höhere Steueranteile in der Sozialversicherung. Aber diese Umsteuerung ist nichts Neues, sondern findet spätestens seit Mitte der 90er-Jahre gezielt statt. Bereits unter Norbert Blüm und mit der rot-grünen Ökosteuer hat dieser politische Ansatz übrigens bisher die prägnanteste Ausprägung erfahren.
Den steuerfinanzierten Bundeszuschuss zur Rente gibt es seit Jahrzehnten und ganz zuletzt hat die Bundesregierung die gesetzliche Krankenversicherung im Zuge des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes mit Anteilen aus der Tabaksteuer entlastet - gerade heute dazu aktuell eine Nachricht in den „Kieler Nachrichten“.
Richtig ist auch die Forderung nach einer aufkommensneutralen Umfinanzierung, weil wir die Kaufkraft schonen müssen. Also auch hier Übereinstimmung. Natürlich ist ein sinnvolles Verhältnis von gezielten Steuersenkungen und Steuererhöhungen klug und dass eine Mehrwertsteuer die Lohnnebenkosten entlasten sollte, ist inzwischen eine politische Position, die sich zunehmend durchsetzt.
Nun zum Inhalt Ihres Antrages, Herr Kollege Müller! Zum Ersten frage ich die Antragsteller: Woran beziehungsweise weswegen müssen Transfereinkommen bei einem ohnehin weiter abgesenkten ermäßigten Mehrwertsteuersatz - so ja Ihr Vorschlag - angepasst werden?
Der zweite Punkt: Was bedeutet die Feststellung im Antrag, eine Strukturreform der sozialen Sicherungssysteme sei unabhängig von der Finanzierungsfrage notwendig?
Wir haben gemeinsam bei der Rente, bei Hartz IV, bei SGB III, bei der Gesundheitsreform und im SGB V - sogar fast als „Allparteienkoalition“, allerdings ohne FDP und PDS - Strukturreformen beschlossen. Wir haben ganz konkrete, für viele Menschen auch durchaus belastende, strukturelle Veränderungen durchgesetzt und wir haben sie - das muss ich deutlich sagen - gemeinsam zu vertreten.
Aber, je komplizierter die Sachzusammenhänge, umso klarer muss unsere Sprache sein. Wir müssen strukturelle Reformen verständlich machen, wir müssen ihre Zielsetzung beschreiben, wir müssen ihre Folgewirkungen sozialgerecht gestalten. All das und viel mehr erwarten die Menschen von uns - und das zu Recht.
Hinter dieser Notwendigkeit bleibt dieser Antrag am Ende zwangsläufig zurück. Wer ihn genau liest, stellt fest, dass etwas pausbackig die Suche nach politischen Gemeinsamkeiten angesprochen wird - und irgendwie mag man dem auch nicht widersprechen. Aber hilft uns das denn weiter?
Natürlich wollen wir alle ein verlässlich funktionierendes, auskömmlich finanziertes und gerecht ausgestaltetes Sozialsystem für Deutschland. Ein Konsens in diesem Zusammenhang hat in Deutschland auch eine lange Tradition. Das allein entbindet uns aber nicht von der Pflicht, für die vor uns stehenden weiteren Reformen konkreter zu werden und dabei auch politische Gegensätze zu formulieren.
Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern in Zeiten des Wandels und Umbruchs zumuten, sich zwischen verschiedenen Konzepten zur Absenkung der Lohnnebenkosten entscheiden zu können. Dazu ist aber nicht hier der Ort, dazu haben die Bürgerinnen und Bürger bald bei der Bundestagswahl Gelegenheit. Deshalb gehe ich davon aus, dass die unterschiedlichen Konzepte von den Parteien im Rahmen des Wahlkampfes zu Recht ihre zentrale Rolle spielen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war schon eine merkwürdige Debatte. Mit - das will ich konzedieren - einer Ausnahme von der FDP, die sich, abgesehen von dem letzten Schlenker von Heiner Garg, dezidiert dagegen ausgesprochen hat, haben sich alle - sowohl der Kollege Hay wie der Kollege Wadephul - für die inhaltlichen Positionen des vorgelegten Antrags ausgesprochen. Jetzt frage ich mich na
türlich trotzdem: Was sollte der Eingangsdiskurs von Herrn Wadephul an dieser Stelle? Sie müssen sich schon entscheiden, Herr Wadephul. Wenn ich als Umweltminister das Feindbild Nr. 1 der Union war, eine schreckliche Plage für dieses Land, dann können Sie mich nicht als erfolglos und als gescheitert bezeichnen und mir Gleiches an anderer Stelle in der Finanzpolitik wünschen. Ich wünsche mir an dieser Stelle fundiertere Kritik, wenn sie denn nötig war. Ich wünsche mir intellektuell beim nächsten Mal ein anderes Niveau.
Wenn es ein Problem ist, dass der Antrag von den Grünen stammt, dann hätte ich überhaupt kein Problem damit, die gute Pressemitteilung des Finanzministers, die ich vorhin schon zitiert habe, zu nehmen, und dann könnten wir über sie abstimmen. Darin wird letztlich genau das Gleiche gesagt, was auch wir an dieser Stelle transportieren wollten. Okay, wir sind hier nicht auf irgendwelchen Parteitagen oder im Kasperletheater. Insofern stimmen wir ordnungsgemäß über das ab, was wir vorgelegt haben.
Ich möchte auf Folgendes hinweisen. Inhaltlich lehrt diese Debatte zweierlei: Erstens. Bei der Frage der Umfinanzierung von direkten zu indirekten Steuern sind sich die Parteien und Fraktionen bis zu 90 bis 100 % einig. Man sollte den Mut haben, dies zu sagen.
Zweitens. Dass die große Koalition nicht Willens oder in der Lage ist, einen Antrag zu dieser Sache abzustimmen, hat Lothar Hay zunächst verklausuliert und letztlich offen zum Ausdruck gebracht. Man sollte es dann auch so deutlich sagen. Ich finde die jetzige Reihenfolge bedauerlich. Sie reicht von Gentechnik in der Landwirtschaft, Atom, Schulstreit in Lübeck und sonstwo bis hin zur Frage der Mehrwertsteuer. Die große Koalition ist nicht in der Lage, hier im Parlament deutlich Flagge zu zeigen. Ich nehme das zur Kenntnis. Ich finde das schade.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas sagen. Die „Bild“-Zeitung, zu der ich sonst durchaus ein gespanntes Verhältnis habe, ist an dieser Stelle weiter.
- Vollkommen wahr, Herr Wadephul! - „Bild-Online“ meldet mit Datum vom 16. Juni zu den Plänen der sieben bitteren Pillen der Union und der Mehrwertsteuer: In der Union gilt es als ausgemacht, dass sie nach der Wahl um mindestens zwei Prozentpunkte von jetzt 16 auf 18 % steigt. Im Gegenzug soll der
Beitrag der Arbeitslosenversicherung von jetzt 6,5 auf 5 % gesenkt werden. - Ich will konzedieren, die „Bild“-Zeitung hat nicht immer Recht, aber vielleicht an dieser Stelle.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil der Herr Abgeordnete Müller zweimal meinen Beitrag gestern beim Steuerzahlerbund angesprochen und mich sozusagen in Haftung für seine Position heute hier genommen hat. Deshalb erlaube ich mir, Ihnen wenigstens den ersten Absatz der Pressemitteilung vorzulesen und dann noch hinzuzufügen, was ich dort ergänzend gesagt habe.
„Der schleswig-holsteinische Finanzminister hat heute im Rahmen der Delegiertenversammlung des Bundes der Steuerzahler in Kiel erneut bekräftigt, die Landesregierung werde keine isolierte Debatte über eine Mehrwertsteuererhöhung führen.“
- Darauf komme ich gleich, Kollege Hentschel. - Es ist doch alles schon mehrfach passiert. Wir erhöhen die Steuern mit dem Versprechen, dann die Beiträge zur Sozialversicherung zu senken. Haben wir doch gehabt. Fahrt kräftig Auto, tankt immer schön und die Beiträge zur Rentenversicherung werden sinken! Und was ist passiert? Die Beiträge an der Tankstelle sind gestiegen und die Beiträge zur Rentenversicherung sind in der Summe eben nicht gesunken.
Es geht eben nicht, wenn man den Vorgang zu Ende denkt, dass der Bundesfinanzminister erst eine Steuer erhöht, um mehr in die Rentenkassen zahlen zu kön
nen, und sich anschließend permanent darüber beklagt, dass der Zuschuss des Bundes an die Rentenkasse so hoch ist. Das passt nicht zusammen. Es verunsichert die Menschen, wenn man ihnen sagt: Ihr sollt in der Krankenversicherung zu den Medikamenten mehr Zuzahlung leisten, ihr sollt eine Praxisgebühr leisten und dadurch sinken dann die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist nichts passiert.